28.05.2021: Digitalisierungsblödsinn

Den gehässigen und verlognen Abstimmungskampf rund um Landwirtschaft, Klima und Terrorismus, bis hin zu Morddrohungen, lass ich heute ruhen. Während das Rahmenabkommen in Herrliberg begraben liegt und die Sünnelipartei jubelt, werden die Lügner und Brandstifter umso dreister. Die Schweiz im Mai 2021. Hoffen wir, dass sich der Hass nach dem 13. Juni wieder legt (was ich allerdings bezweifle). Es ist genug und deshalb widme ich mich heute einem anderen Alltagsthema, welches uns ebenfalls alle betrifft: Der Digitalisierung – bzw. dessen Blödsinn.

Kaum ein Tag, an dem sich ein:e Politiker:in nicht für die „Digitalisierung“ in die Bresche wirft oder deren Fehlen lautstark beklagt. Sei es der digitale Impfpass, die gefaxten Coronazahlen oder die Drohkulisse wegdigitalisierter Arbeitsplätze – die Digitalisierung soll es richten oder eben nicht. Es ist wie beim Impfen. Was den einen Rettung, ist den andern Fluch. Da die Digitalisierung aber in etwa der babylonischen Sprachverwirrung gleicht, versteht darunter jede:r etwas anderes, zumal das Wissen darüber in den meisten Fällen, etwa dem Niveau eines YouTube-Virologen entspricht. Entsprechend dürftig ist auch die Debatte darüber. Diese schwankt zwischen Angst und Allheilmittel, Verweigerung oder exzessivem Gebrauch, Apokalypse und Leichtfertigkeit. Beginnen wir mit einer Auslegeordnung.

Als IT-Profi mit 35 Jahren „Digitalisierung“ auf dem Buckel, der unzählige Firmen mit den Segnungen der modernen Informationstechnologie beglückt hat, erlaube ich mir den Digitalisierungshype beurteilen zu können. So viel sei vorweggenommen, es wird keine Laudatio. Das Problem beginnt bereits mit der Frage: „Was ist Digitalisierung überhaupt?“ Sind damit Computer gemeint? Handys, das Internet, selbstfahrende Autos, 5G oder doch eher die viel zitierten Algorithmen, die Künstliche Intelligenz (KI) oder Roboter, welche uns arbeitslos machen? Vor allem aber: Was heisst das für mich, meinen Alltag und darüber hinaus, die Gesellschaft?

Wer nun denkt, Digitalisierung wäre einfach eine besonders raffinierte Technologie, der man sich wahlweise verweigern oder virtuos bedienen kann, ist auf dem Holzweg. Im Lichte betrachtet sind diese Optionen längst passé. Erstens weil uns die Kontrolle darüber fehlt – diese hat freundlicherweise das Silicon Valley übernommen – und zweitens, bestimmt sie unser Leben jetzt schon bis in den Schlaf. Sei es die Zahlung an der Kasse, die Nachricht an den Enkel, ein Impftermin oder der Anruf bei der Swisscom – immer ist ein Stück Digitalisierung am Werk. Und auch wenn ich mich persönlich den Segnungen der neuen Möglichkeiten und Techniken verweigere, so bin ich trotzdem davon betroffen. Wie und wo offenbart ein Streifzug durch den Alltag.

Eigentlich sollte uns die sog. Digitalisierung den Alltag und das Leben erleichtern. So zumindest lauten die damit verbundenen Hoffnungen. Wie einst die Dampfmaschine schwere körperliche Arbeit ersetzte, so machen heute Computer und Algorithmen nervtötende Routinearbeiten an unserer statt. Doch so wie einst der Dampf, die Menschen nicht wirklich von der Mühsal befreite, sondern diese nur beschleunigte und vermehrte, so ist es heute mit den binären Codes. Dazu gesellen sich Probleme, welche viele sehnsüchtig an die gute analoge Zeit zurück denken lässt. Von der gestohlenen Lebenszeit durch ungefragte Updates, abgestürzte Laptops, vergessene Passwörter, das millionenfache Ausfüllen schwachsinniger Registrierungsformulare und die stoische Erduldung nerviger Popup-Werbung, will ich nicht mal sprechen. Mit viel Wohlwollen kann man das mit Kinderkrankheiten und der sog. Lernkurve schönreden. Beängstigend auch, wie wir von Cloud, Handy und Co. unbemerkt und schleichend in Geiselhaft genommen werden. Sei es, weil die Daten plötzlich und unwissend, irgendwo auf einem Datenspeicher in Nevada liegen oder liebgewordene Funktionen über Nacht verschwinden oder ihr Gesicht derart verändern, dass man sie nicht mehr wiedererkennt. Ich gestehe: Selbst als Profi verliert man oft die Übersicht. Sei es über die aktuellsten Sicherheitsrisiken, Funktionen oder Trends – es ist schlicht zu viel und zu schnell. Und umso mehr verlieren wir die Kontrolle. Sowohl als Einzelner, wie als Gesellschaft. Dazu drei Beispiele aus dem realen Leben.

Irgendwann vor rund fünf Jahren, lange vor Corona, musste ich mich wegen einer Afrikareise impfen lassen. Also kramte ich mein altes, zerfleddertes Impfbüchlein hervor. Viele der 60 jährigen Einträge waren kaum mehr zu entziffern und so entschied ich mich für die digitale Variante „myviavac“ von meineimpfungen.ch und schmiss mein verblichenes und abgegriffenes Schmuddelheft in den Ofen. Im Vertrauen und stolz, von nun an mit dem Zeitgeist zu gehen, trug ich meine digital erfassten Impfdaten von nun an mit meinem Handy herum – bis ich vor vier Wochen meine Covid-19-Impfungen eintragen lassen wollte. Hoppla – falsches Passwort. Also Passwortsafe. Alles richtig. Login weiterhin unmöglich, Ergo – Passwort zurücksetzen. Rien na vas plus. Also Support bemühen. Lapidare Antwort: Betrieb, wegen eines angeblichen Datenlecks, eingestellt – aber keine Angst, ihre Daten sind bei uns sicher aufgehoben. Wo? Auf einem Datenfriedhof, in einem Massengrab? Und – wie komme ich nun an meine Impfdaten? Auf diese Antwort warte ich und vermutlich tausende Andere seit Wochen. Die sicher geglaubte Cloud hat sich beim ersten Lüftchen in Luft aufgelöst. Dafür bin ich jetzt stolzer Besitzer eines neuen, immer noch blauen Impfpasses, mit zwei Pfizer-Covid-19 Impfeinträgen – handgeschrieben.

Als Digital-Junkie muss man unbedingt mit der Zeit gehen – dachte ich. Also wackelte ich vor zwei Jahren als Erster auf die Gemeinde, um mich für die neue Digitale ID (eID+) des Kantons verifizieren zu lassen. Nach vierwöchiger Bedenkzeit und umfangreichen Recherchen seitens der Gemeindeschreiberin, hat es sogar geklappt. Ab nun also sollte ich Amtliches online erledigen können – hat man versprochen. Dabei blieb es dann auch. Und so ruhte die App auf meinem Handy, bis ich vor vier Wochen ein amtliches Anliegen hatte. Warum also nicht mit der eID? Wer weiss, vielleicht wurden in den letzten zwei Jahren das Angebot ja erweitert. Schliesslich stirbt die Hoffnung zuletzt. Loginfehler. Aha, vielleicht braucht es einen Update. Versionscheck. Alles auf dem neusten Stand. App und Betriebssystem brandnew. Da muss der Support ran…. und wie befürchtet – auch der weiss nicht mehr als ich…. In der Zwischenzeit habe ich ein App-Icon weniger auf meinem iPhone und erledige das Amtliche wieder mit Telefon, Kugelschreiber und zu Fuss.

Und dann wäre da noch eine Kollegin, die in Spanien Plätze in einer Arena reservieren und Tickets kaufen möchte – online versteht sich. Online-Formular ausgefüllt, Kreditkarte gezückt, pagar – bestätigen sie ihre Zahlung mit „one“??? Vorgang abgebrochen. Nun – „one“ ist ein Online-Tool des Kreditkartenherausgebers Viseca (muss man, sollte oder könnte man wissen). Eine nette Handy-App mit der man die Übersicht über seine Kreditkarte erhält und als Sicherheitsfeature Online-Zahlungen bestätigen kann. Blöd nur, dass das die wenigsten wissen, und so läuft man auf. Und wer nun glaubt diese App wäre so husch husch installiert, glaubt auch an den Weihnachtsmann. Erst Code beantragen, tagelang warten und dann erst ein Handy-Update… Digitalisierung als Ergotherapie. Und die Tickets in Spanien schimmeln weiter vor sich hin. Aber keine Angst, zusammen haben wir es doch noch geschafft. Uff!

Da ich weiss, dass es auch anders ginge, ärgert mich solcher Blödsinn umso mehr. Vor allem kenne ich auch den Nutzen einer Digitalisierung und kenne gleichzeitig ihre Schattenseiten. Und wie bei der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert, ist nicht die Maschine schuld am Elend der Fabrikarbeiter, sondern wie und zu welchem Zweck die neue Technik genutzt wird bzw. wurde. Anders gesagt: Wer die Kontrolle über eine Technologie hat, bestimmt auch deren Einsatz und dieser heisst in der Regel, mehr, schneller und profitabler. Dafür werden auch Kollateralschäden in Kauf genommen. Und weil der Konsument kaum eine Wahl hat, zahlt dieser den Preis dafür. Sei es mit Bananensoftware (Software reift beim Kunden), lausiger Qualität (nix geht mehr), verlorenen Daten (wo sind meine Bilder) oder Zeitverschwendung (siehe oben). Haufenweise vertane Chance und verlorenes Potential. Zum Glück bin ich pensioniert und brauche es nicht mehr zu verantworten. Heimlich aber „schäme“ ich mich, einmal Teil dieser Branche gewesen zu sein.

12.06.2020: QR – Tsunami

Still und leise hat sich ein schwarz gesprenkeltes Quadrat in unseren Alltag geschlichen und droht diesen zu verändern. Mit Panik in den Augen wurde ich diese Woche mehrfach gefragt: Wie mache ich denn in Zukunft die Zahlungen, wenn die im Sommer die Einzahlungsschiene mit diesem QR-Code bringen? Der QR-Code (er wurde übrigens schon 1949, in der Automobilindustrie entwickelt und ab 1994 in der IT verwendet) wird so zum Symbol für Veränderungen, die Angst machen und viele dazu zwingt, liebgewordene Gewohnheiten aufzugeben. (z.B. das gelbe Postbüchlein). Die angedohten Gebüren für „manuelle“ (oder eben analoge) Prozesse drängen die Menschen diese neuen Dienste zu nutzen. Wie Corona dem Online-Shopping wahrscheinlich zum endgültigen Durchbruch verholfen hat, so wird dieser Code wahrscheinlich auch noch die letzten Mohikaner ins Online-Banking und in den bargeldlosen Zahlungsverkehr zwingen. Der heutige Blog handelt von den Veränderungen durch die Digitalisierung und unseren Umgang damit. Der QR-Tsunami steht drohend am Ufer.

QR – Symbol der Digitalisierung

Panik in den Augen. Wie mache ich in Zukunft meine Einzahlungen? Ab diesem Sommer gibt es neue Einzahlungsscheine mit QR-Code! In den Bio-Hofläden soll man mit Twint bezahlen und überhaut: „Ich fühle mich ausgeschlossen, abgehängt und verstehe die Welt nicht mehr“. Diskussionen, die ich dieser Tage mehrere führte. Auch dieses Thema schlummert seit Jahren vor unseren Augen und drängt nun in unser Leben – ob wir das wollen oder nicht. Das Thema nennt sich Digitalisierung.

35 Jahre lang habe ich diese in den Unternehmen vorangetrieben. Nicht als nerdiger Programmierer, sondern meist als „Visionär“, der von den Unternehmensleitungen geholt wurde, wenn sie mit ihrer Zettelwirtschaft den Anschluss verpassten. Und das Resultat war fast immer das Gleiche: Die „Alten“ wehrten sich mit Händen und Füssen gegen Veränderung und blieben dann auf der Strecke und die „Jungen“ waren begeistert, motzten über fehlende Funktionen und tricksten das System aus. Um mich richtig zu verstehen: Unter vielen „Alten“ gab es auch Jüngere – der Umgang mit Veränderungen hat nichts mit dem Jahrgang zu tun.

Das Dumme ist – wir leben in einer Zeit der radikalen Umbrüche, ja sogar der Disruption (Disruption ist ein Prozess, bei dem ein bestehendes Geschäftsmodell oder ein gesamter Markt durch eine stark wachsende Innovation abgelöst beziehungsweise „zerschlagen“ wird.). Noch dümmer – wir haben dazu kaum etwas zu sagen. Die „Visionäre“ hocken weit weg in Kalifornien, im Silicon Valley oder in Zhongguancun (die chinesische Variante) und basteln an unserer Zukunft – ungefragt und meist auch unkontrolliert. Dazu ist anzumerken: Auch die Dampfmaschine, die Eisenbahn und das Auto waren keine demokratischen Projekte – sie wurden, ähnlich wie Apple oder HP – in Hinterhöfen und Garagen entwickelt. Mit den Folgen kämpfen wir heute noch, bzw. je länger je heftiger. Und so wie das Auto und das Flugzeug unsere Städte und Dörfer, unseren Lebensstil und das Klima verändert hat, so tut dies der Digitalisierungs-Tsunami. Der „neue“ Einzahlungsschein mit dem QR-Code ist nur gerade die „Briefmarke“ auf dem Brief, mit dem uns der angekündigt wird.

Viel gravierender und einschneidener als QR-Codes auf Einzahlungsscheinen oder Twint zum bargedlosen zahlen, sind die Veränderungen welche kaum je mit der Digitalisierung – die ja schon seit mindestens drei Jahrzehnten im Gange ist – in Verbindung gebracht werden. So wie kaum jemand das Loch in der Quartierstrasse oder seine schrumpfenden Rentenansprüche im BVG, mit den tiefen Unternehmenssteuern in Verbindung bringt, so wenig bringt er das Lädelisterben und die Schliessung der Post im Dorf, mit der Digitalisierung in Verbindung. In den Medien werden dafür selbstfahrende Autos gehypt, von den ominösen Algorithmen und künstlicher Intelligenz geschwafelt und die Verschwörungstheoretiker warnen davor, dass uns die neuen 5G-Antennen grillieren (oder gar Corona auslösen). Es geht also um die Frage: Wie gehen wir (jeder Einzelne, wie auch die Gesellschaft), mit Veränderungen um.

Bleiben wir nochmals beim QR-Code, Einzahlungsscheinen, Twint und Co. Was für die Einen eine einschneidende Veränderung bedeutet – im schlimmsten Fall viel kostet (Gebüren) oder gar das Ende bisher genutzter Dienste heisst – ist für die Andern schon seit langem Alltag. Der stärkste und sichtbarste Ausdruck dieser digitalen Kluft ist vielleicht der Umgang mit dem Handy. Grosseltern, ja sogar Eltern müssen heute ihre Jungmannschaft um Rat bitten, wenn es um unverständliche oder neue Funktionen auf ihrem Smartphone geht. Die Kinder erklären den Erwachsenen die Welt. Ein neues Phänomen, welches auch eine Machtumkehr bedeutet.

Auch wenn ich ein Digital-Junkie bin, habe ich für die Sorgen und Nöte der digitalen Newbies (Neuling oder Anfänger) ein gewisses Verständnis. Was uns disruptive Technologien bescheren gleicht oft mehr einer Zumutung, als einem Fortschritt. (Ich möchte z.B. nicht wissen, wieviele Stunden ich schon mit fehlenden Passwörtern oder der Registrierung meiner Daten auf irgendwelchen Portalen verplempert habe). Was uns als Innovation und Fortschritt verkauft wird, entpuppt sich nur allzuoft als Falle und dient einzig dem Profit einiger grosser Techgiganten. Oder wer möchte z.B. eine Alexa (ein Sprachassistent von Amazon, mit dem ich ständig mit Amzon verbunden bin) im Wohnzimmer, die mir 24 Stunden im Tag zuhört? Das gleiche gilt für Siri auf dem iPhone und andere tollen Dinge, die unseren Alltag „erleichtern“. Eine kritische Distanz zu solchen Innovationen ist also nicht nur vorgestrig und den „Alten“ vorbehalten.

Wir tun – im eigenen Interesse – aber gut daran, uns mit diesen Themen und Technologien auseinanderzusetzen und sie dort zu nutzen, wo wir sonst ausgeschlossen werden. Bestes Beispiel dafür ist meine Mutter (90). Weil sie sich „weigerte“ ein Billet an einem Automaten zu lösen, kann sie auch nicht mehr Zug fahren (ohne ein Kind oder Enkel zu bemühen). Das gleiche Schicksal droht auch vielen unserer Generation, wenn wir uns nicht bemühen zu verstehen, was da gerade passiert und was es für unseren Alltag bedeutet. Gerade lebensnotwendige Dinge, wie Rechnungen zahlen, Bargeld oder nicht, die Auslagerung von bisher analogen Diensten in die digitale Welt (Online-Shopping, Postdienste, Versicherungsabschlüsse, Online-Steuererklärungen usw. usw) haben einen unmittelbaren Einfluss darauf, ob wir noch Teil dieser Gesellschaft sind oder an den Rand gedrängt werden.

Auf meiner Visitenkarte, die ich nach meiner Pensionierung vor 2 Jahren habe drucken lassen, steht als Beruf, Digital Coach. Ich verrmute ein „Job“, der in den nächsten Jahren noch deutlich an Bedeutung gewinnen wird.