LongCovid

Die Pandemie nähert sich ihrem vorläufigen Höhepunkt, zumindest wenn man sich an den publizierten Zahlen orientiert. Gleichzeitig verkündet der grösste aller Epidemiologen und Besitzer einer Partei, dutzender Zeitungen und ebenso vieler Milliarden, das Ende der Pandemie. Wem soll ich nun glauben? Den Fakten oder dem Selfmade-Milliardär aus Herrliberg und seinen Bücklingen. Ich stecke im Dilemma.

Dass die Berufsjammeris vom Gewerbeverband und Gastrosuisse ins gleiche Horn blasen und die Sprechpuppen von Herrlibergs Gnaden das selbe Lied singen, braucht uns also nicht zu wundern. Als Büttel des Finanzhochadels und deren Arschkriecher liegt es quasi in ihrer Natur. Und so tun sie, sekundiert von zurechtgebogenen Experten, kund, dass wir uns nun gefälligst dem Unvermeidlichen fügen, die Seuche unser Schicksal und jede weitere Massnahme überflüssig sei. Wissenschaft braucht niemand, besserwisserische Wissenschaftler noch weniger. Zumindest nicht jene, die etwas von ihrem Metier verstehen. Denn wer gesund ist, hat von Omicron angeblich nichts zu befürchten. Endlich ist Covid jenes Grippchen, welches Bolsonaro schon vor zwei Jahren belächelte, und mit dem man ruhig arbeiten gehen kann. Nur Weicheier fordern Massnahmen, sind krank und bleiben zu Hause. Das hört förmlich das Lied der neoliberalen Sozialdarwinisten.

So weit das wirtschaftsliberale, rechts-populistische Narrativ, welches sich zur Zeit gerade in unsere Köpfe frisst. Und das Narrativ hat ein leichtes Spiel, denn wir alle haben die Pandemie satt, sehnen uns nach „Normalität“ und sind empfänglich für frohe Botschaften. Ausserdem war Covid gestern. Jetzt bekommt man Omicron. Und Omicron boostert dein Immunsystem fit für die Endemie. Der „angeblich milde“ Krankheitsverlauf verliert seinen Schrecken. Wenn sich pro Woche 10% der Bevölkerung ansteckt, bin ich wohl bald der Nächste. Egal ob mit oder ohne Zertifikat, Impfung, Quarantäne oder Maskentragen. Das Ende der Pandemie ist nah. Omicron macht gesund. Schicken wir die Wissenschaft zum Teufel.

Das fällt uns umso leichter, als sich die Schweizerische Pandemiepolitik nie an der Eindämmung des Virus und der Gesundheit ihrer Bevölkerung, sondern immer an der Funktionsfähigkeit der Wirtschaft und den Kosten orientiert hat. Erst galt die Aufmerksamkeit dem drohenden Kollaps des Gesundheitswesens, heute den Personalengpässen. Erst nahm man Tote in Kauf, heute LongCovid. Es trifft ja nur die Schwachen. Hauptsache der Rubel rollt. Die Exporte erklimmen Rekordniveau. Mitten in der (angeblich) grössten Krise seit dem 2. Weltkrieg, plant der Staat sogar Steuersenkungen für Firmen und hohe Managerlöhne. Offenbar hat die Schweizerische Pandemiepolitik ihre Ziele erreicht – Schutz der grossen Vermögen (+ 115 Milliarden für die 300 reichsten Schweizer:innen) und weiterhin sprudelnde Gewinne. Die Kollateralschäden tragen die Toten, deren Angehörige, LongCovid-Patienten, das Pflegepersonal und alle die den Karren am Laufen halten. Derweil uns der Bundessäckelmeister schon mal auf enge Gürtel (Schuldenabbau) und eine Mehrwertsteuererhöhung einstimmt. Den Rest der Drohkulisse erledigen die Aussichten auf exorbitant steigende Krankenkassenprämien, eine überlastete Psychiatrie und ein Tsunami von IV-Anträgen wegen LongCovid. Immerhin lässt niemand darüber Zweifel aufkommen, wer für diese Krise bezahlt. Tipp: Es sind nicht jene, die man mit Steuergeschenken bei Laune hält.

Um es klar zu stellen – auch ich kann ein Leben ohne pandemiebedingte Einschränkungen kaum erwarten. Zwei Jahre Verzicht auf spontane Beizenbesuche, Kino, Theater, Sport oder Ferien und Ausflüge sind genug. Insofern ist der bisherige Verlauf von Omicron tatsächlich ein Lichtblick. Es sieht fast so aus, als könnte man damit leben. Wir tun es ja auch mit der Grippe, HIV und anderen Viren. Die Intensivstationen scheinen sich erfreulicherweise zu leeren und es sterben, angesichts der hohen Fallzahlen weniger. Zeit zur Entwarnung also?

Die Zahl hospitalisierter Kinder steigt. Die Impfquote stagniert auf bescheidenen 68%, über LongCovid spricht kaum jemand, ausser die direkt Betroffenen – es gibt nicht einmal eine Übersicht oder Meldestelle. Virologen befürchten weitere Mutationen. Eine Garantie, das diese harmloser als ihre Vorgänger sind, gibt es nicht, und solange die weltweite Impfrate bei gerade mal 50% liegt, sind genügend Wirte für weitere Mutationen vorhanden. Wer also behauptet, Covid sei vorbei, lügt, trotz besserem Wissen. Im Gegenteil. Wir sind vermutlich in der gerade schwierigsten Phase der Pandemie – zumindest was die öffentliche Gesundheit betrifft. Wollen wir das Ende der Pandemie ausrufen um wieder die ersehnte Normalität geniessen zu können – mit dem Risiko einer neuen Variante mit noch verheerender Folgen – oder sollen wir noch etwas durchhalten bis die Wissenschaft die Risiken besser abschätzen kann? Wie sieht eine Exit-Strategie aus, ohne das Erreichte zu gefährden? Genügt eine Proklamation und das Gesundschreiben durch Lobbyisten der Wirtschaft? Oder, ganz konkret: Wer hat den Lead? Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft?

Die Antwort ergibt sich von selbst. Immerhin hat uns diese Pandemie die Augen geöffnet (oder sollte es eigentlich), wer den Takt vorgibt in diesem Land. Es ist weder die Politik noch die Wissenschaft. Letztere darf zwar die Stirn runzeln, ihre Empfehlungen werden trotzdem in schöner Regelmässigkeit ignoriert. Ebenso die Politik, die, um nicht ganz als Hampelmann dazustehen, die Direktiven der Wirtschaftslobbys, mit einwöchiger Verzögerung umsetzt. Die Langzeitfolgen dieser Pandemie werden deshalb weit über höhere Krankenkassenprämien, ein Heer von LongCovid-Patienten, ausgebranntes Pflegepersonal, höhere Steuern und noch mehr Ungleichheit gehen. Zu befürchten ist ein doppelter Vertrauensverlust in Politik und Institutionen. Als wäre das Abdriften der Impf- und Massnahmengegner in Verschwörungstheorien einerseits und die rechtsextreme Szene andererseits, nicht schon besorgniserregend genug, verliert nun auch ein Grossteil der loyalen Bevölkerung ihr Vertrauen, weil sie sich beschissen fühlt. Die Parteien müssen sich auf jeden Fall warm anziehen. Kumuliert mit all den anderen Herausforderungen der Zukunft, eine schlechte Ausgangslage. LongCovid ist mehr als ein Gesundheitsproblem.

Sprachlos

Ja, ich bin sprachlos. Ich mit x Aus- und Weiterbildungen in Rhetorik und Kommunikation, stehe kurz vor der Kapitulation und verstumme. Weder Methoden der Gewaltfreien Kommunikation, Miltons Metamodell der Sprache, noch Phöms Schlagfertigkeitstechniken helfen weiter. Ich bin ratlos. Es scheint als wäre alles sinnlos, nutzlos. Es ist als redete man mit einer Wand. Entsprechend übellaunig bin ich dieser Tage. Nicht weil mir jemand zu nahe trat, sondern aus schierer Verzweiflung.

Und wie es scheint, bin ich damit nicht der einzige. Selbst aus Fach- und Regierungskreisen sind Stimmen der Resignation zu vernehmen. Verzweifelte Appelle, sich doch um Himmels Willen endlich impfen zu lassen, Unverständnis und Wut von Ärzten und Pflegern. Die Verzweiflung ist zu spüren. Auch im kleinen Familien- und Freundeskreis. Die Emotionslage pendelt im Stundentakt zwischen „Schnauze voll“, Wut, Hoffnungs- und Hilflosigkeit. Ein Karussell der Gefühle strapaziert unsere Nerven.

Meldungen über neue Mutationen, Massnahmen, 3G, 2G, 2G+, Impfpflicht oder nicht, sich widersprechende Expertenmeinungen, schwachsinnige Forderungen, steigende Fallzahlen und überfüllte Spitäler mit erschöpftem Personal nagen am Nervenkostüm. Quälend langsam die Politik. Ein Kakophonie ungefragter Möchtegern-Experten. Kein Wunder wird der Ton gehässiger. Ich merke es an mir selber.

Es ist offensichtlich. Diese Pandemie ist mehr als ein fieser Virus. Sie besitzt das Potential zur Zerstörung, weit über unsere Gesundheit hinaus. Schonungslos deckt sie unsere Schwächen und Versäumnisse auf. Es gibt kein Entrinnen. Die Seuche trifft Menschen so unterschiedlich, wie Länder. 100 Millionen zusätzlich (!) verarmte Kinder, 160 Millionen ohne oder kaum (mehr) Schulbildung, Impfstoffe nur für die Reichen, Marode Gesundheitssysteme die zusammenbrechen, Angehörige auf der Suche nach Sauerstoff, Milliardenhilfen für die Wirtschaft, Gewaltsame Demonstrationen, Überwachung und Kontrolle in China…. Selbst wenn der Käfer morgen verschwinden würde (was er nicht tun wird), werden wir noch lange an den Folgen leiden. Auch das in unterschiedlichen Masse. Und als ob das nicht schon genug wäre, sitzt uns auch noch die Erderwärmung und der Niedergang der Demokratien, allen voran der USA, im Nacken. Lustig ist anders.

Und ob Corona oder Klima, die Reaktionen darauf sind vergleichbar und reichen von Panik bis Verleugnung. Doch wenn diese Verhaltensweisen auch von Psycho-, Sozio- und Politologen noch so wortreich erklärt werden können, helfen sie nicht über die Krise hinweg. Ausser einem stummen Nicken und scheuen Aha, sind diese Deutungsversuche wenig hilfreich. Zumindest solange, wie sie in der Politik nicht ankommen. Aus dieser Misere raus kommen wir nur gemeinsam. Und damit drohen wir zu scheitern. Denn es fehlt das Gemeinsame.

Zwar sitzen wir alle im gleichen Boot, doch rudern die einen vor- und die andern rückwärts, nippen andere am Prosecco auf dem Sonnendeck, während die Mannschaft Kohle schippt (um das Bild der Titanic zu bemühen). Derweil streiten sich die Offiziere auf der Brücke über den Kurs. Der Eisberg lässt sich davon wenig beeindrucken. Das Ende kennen wir. Rose wird hundert Jahre alt, während Jack von der 3. Klasse, noch in der Nacht des Untergangs absäuft. Soweit nichts Neues unter der Sonne. Krisen trafen und treffen Oben und Unten seit je unterschiedlich. Damit mussten wir uns zwangsläufig arrangieren – es ist seit Jahrtausenden bittere Realität. Weit gefährlicher als das dünkt mich aber die derzeit grassierende babylonische Sprachverwirrung. Als lebten ganze Sippen auf verschiedenen Planeten ist eine gemeinsame Verständigung, selbst ein gemeinsames Verständnis, kaum mehr möglich. Wer den offiziellen Zahlen misstraut, meint er/sie werde nur noch belogen und sich ausschliesslich über zwielichtige Kanäle informiert, ist nur noch schwer erreichbar. Wo von verschiedenen Realitäten ausgegangen wird und gemeinsame Grundannahmen fehlen (z. B. wissenschaftliche Fakten), wird eine Diskussion unmöglich. Von gemeinsamen Lösungen ganz zu schweigen. Das Resultat: Sprachlosigkeit, Wut und/oder Repression. Selbstredend, dass sich damit destruktive Kräfte profilieren. Die unsäglich zynische Pandemiebewirtschaftung der $VP dürfte uns allen geläufig sein.

Doch zurück zu meiner Sprachlosigkeit. Diese verschwindet weder durch gut gemeinte Ratschläge zur Mässigung noch dem Appell die Parallelwelt doch bitte auch zu verstehen. Das kommt mir vor, als verlange mein Mathelehrer von mir, dass 2+ 2 fünf ergibt. Gefühlt das erste mal in meinen bald 70 Jahren, verstumme ich. Die Wut weicht einer stillen Resignation. Und ich glaube zu spüren, dass es nicht nur mir so ergeht. Aber wie kommen wir da raus? Denn Scheitern ist schlicht keine Option. Die Gefahr dass wir es trotzdem tun, ist aber real und war selten so nah. Zynikern mag das egal sein. Diese kümmern sich so oder so nur um sich. Uns Übrigen kann es das nicht. Denn wir sind es, die wegen überfüllten Spitälern Gefahr laufen zu sterben, keine adäquate Behandlung zu bekommen oder monatelang auf eine Operation warten müssen. Wir sind es, die Kinder ungeschützt einem Risiko aussetzen, in Quarantäne müssen und Gefahr laufen den Job zu verlieren. Jede Verlängerung der Krise öffnet die Schere zwischen Gewinnern und Verlierern noch weiter. Diese Spaltung ist real und muss auch nicht herbeigeredet werden, sie ist schon da. Da aber eine Lösung auf Basis eines ausgehandelten Kompromisses, die eine Debatte voraussetzen würde, ausser Reichweite liegt, wird die Krise andauern und sich verschärfen – inklusive Kollateralschäden.

Im Wissen darum, mit Wänden zu sprechen verzichte ich hier auf weitere Impfappelle und das Einfordern von Solidarität. Ebenso nutzlos der Appell an die Vernunft. Wände haben weder diese, noch Ohren. Ausserdem lesen mich die Gemeinten hier so oder so nicht. Als traurige Alternative bleibt der Gesellschaft wohl nur der Zwang und die Ausgrenzung der Unwilligen. In einer Gesellschaft, zumal noch einer Demokratie, kann die Mehrheit auf Dauer nicht in Geiselhaft einer Minderheit gehalten werden. Wenn Worte nicht mehr durchdringen, muss die Kommunikation auf einer anderen Ebene stattfinden. Worte (oder der Inhalt einer Nachricht) machen gerade mal mickrige 7% aus. Der grosse Rest ist nonverbal. Und da man gem. Paul Watzlawick „nicht, nicht kommunizieren kann“, gewinnen Gesten, Taten, Ton, Zeit und Ort eine noch grössere Bedeutung. Das hiesse dann, schmerzhafte Konsequenzen statt Worte. „Wer nicht hören will muss fühlen“, wusste schon meine Grossmutter. Bitter, aber nötig. Und lieber jetzt, als zu spät.

Leider ist zu befürchten, dass auch das zu spät kommt. Eine Pandemie erfordert rasches und konsequentes Handeln. Das fehlt seit mind. 1 1/2 Jahren. Statt die Pandemie zu bekämpfen wird versucht die Wirtschaft und den Staatshaushalt zu retten. Die Kosten tragen wir. Mit Infektionen, Unsicherheit, dem Tod, und einem kollabierenden Gesundheitssystem. Laut gesagt wird das natürlich nicht. Ebensowenig wie vor den langfristigen Konsequenzen dieser Politik – Vertrauensverlust – gewarnt werden. Gedroht wird dafür mit der Horrorvision einer Triage. Quasi einer Katastrophe mit Ansage. Sprachlos schaut man den Ärzten und Pflegern auf den Intensivstationen zu und hofft der Hurrikan verschwinde von alleine vom Radar – im Wissen, dass das nicht passiert. Gerade als ob dieser Sturm aus dem Nichts käme, wird vergessen, dass sich dieser nur deshalb nähert, weil wir zu wenig und zu spät reagierten, sich zu viele gegen das Impfen stellen, die Politik die Prioritäten von der Wirtschaft diktieren und sich von einer lauten Minderheit gängeln lässt. Auch hier fehlen mir die Worte. Kann man wirklich so zynisch sein? Blöde Frage. Man kann.

Bleibt die Frage nach einem Ausweg. Ist ein Systemkollaps von massgebenden Kreisen, vielleicht sogar gewollt? Da ich keine Antworten habe, bleibt nur die Vermutung.

Frohe Festtage.

Bewusstsein und bla bla

Die Pausen zwischen meinen Blogs werden länger. Nicht weil es nichts zu kommentieren gäbe – im Gegenteil. Noch selten war der Bedarf an Klärung und Debatte so gross, wie gerade jetzt. Krisen und beklagenswerte Thema häufen sich und verschwindet eines aus den Schlagzeilen, macht sich ein halbes Dutzend neue breit. Bei aller Wachheit, Neugier und Interesse: Es ist zu viel. Was vor allem fehlt, ist die Zeit zur Reflexion und zur Einordnung der Ereignisse. Das einzige was wächst, ist das Bewusstsein über die eigene Ohnmacht. Endlospandemiebedingt pendelt der Gemütszustand dann zwischen müde, wütend (auf was und wen auch immer) und Resignation. Schlimmer macht dieses nur das Bewusstsein, dass im Hinterhalt weit grössere Krisen lauern. Ein Alarm löst den nächsten ab. Daueralarm wird zum Normalzustand. Fieber zum neuen Normal.

Die Befürchtung, dass der Patient in diesem Zustand irgendwann kollabiert, kann jeder Feld Wald und Wiesen Arzt, ohne Konsultation des Diagnosehandbuchs, bestätigen. Eine Befürchtung die auch ich teile. Was aber bringt mir dieses Problem-Bewusstsein, ausser Sorgen, schlaflose Nächte und zynische Kommentare auf den Sozialen Medien? Vielleicht ein Erkenntnisgewinn? Z. B. dass sich unsere Gesellschaft in einer Sackgasse befindet und keinen Platz zum Wenden findet? Wir so oder so am Arsch sind? Oder wir mehr dunkles Mittelalter mit uns schleppen, als uns lieb und bewusst ist? Was als Erkenntnis bleibt, führt bei mir gerade zu einer tiefen Verunsicherung. War alles, was ich bisher glaubte falsch? Liege ich gar falsch?

Ich war immer stolz auf meine Belesenheit und das „richtige“ Bewusstsein. Das Bewusstsein auf der richtigen Seite der Barrikade zu stehen. Aufgeklärt. Progressiv. Offen und zumindest der meisten meiner Vorurteile bewusst. Und nun muss ich feststellen, dass mich das mehr belastet als mir wirklich weiter hilft. Alles Wissen dieser Welt nützt nichts, wenn es ins Leere fällt. Auch eine noch so grosse Bubble (früher hiess es mal Milieu), in der man sich wohl und geborgen fühlt, täuscht irgendwann nicht mehr darüber hinweg, dass sich etwas bewusst zu sein, allein noch nichts bewirkt. Zu Deutsch: „Richtiges“ Bewusstsein beruhigt zwar das „schlechte“, Gewissen, ändert aber nichts an den Tatsachen. Wissen ohne Macht ist Ohnmacht. Noch selten war mir das so bewusst, wie gerade heute.

Soweit zur Kränkung meiner narzisstischen Seele. Andererseits heisst Bedeutungslosigkeit auch Freiheit. Das Privileg die Wahrheit auszusprechen, hatte nicht umsonst der Hofnarr. Es gibt durchaus miesere Rollen – immerhin blieb sein Kopf auch dann auf seinem Hals, wenn er unangenehme Wahrheiten aussprach. Auch wenn ich nicht über die schauspielerischen Fähigkeiten eines Leonardo Di Caprio verfüge, reichen meine doch, die Ruhe stören. Eine Rolle die mir liegt. Und diese werde ich auch weiterhin spielen. Vielleicht braucht es auch einfach mehr Narren. Laut Volksmund sind es diese, die Kinder und der Wein, aus denen die Wahrheit spricht. Mit Wein und Narr kann ich dienen. Das Kind in mir wird dafür bei Schokolade schwach.

Gerade poppen die Hochrechnungen zum Covid-Gesetz rein und besänftigen mein erhitztes Gemüt. Eine Schlacht ist geschlagen und es bleibt alles beim Alten. Denn entgegen der verlogenen Spalterpropaganda, des durch Milliardäre finanzierten Nein-Lagers, wird morgen weder die Diktatur errichtet noch jeder und jedem eine Spritze verpasst. Es bleibt einfach, wie es ist. Der Bundesrat wird sich weiter durch die Krise wursteln. Einmal diesen und einmal jenen ein Stöckchen hinwerfen, während das Virus elegant darüber springt. Irgendwann wird so jede:r geimpft, genesen oder gestorben sein – versprochen. Die gute Nachricht: Covid ist zum Glück nur ein Trainingscamp. Ein Übungsfeld quasi. Ausserdem lenkt es schon fast idealtypisch von den wirklichen Herausforderungen ab. Zwar sind auch diese längst benannt und bekannt, werden aber eher dazu benutzt hehre Ziele zum Machterhalt, als handfeste Realpolitik zu produzieren. Jede:r (ausser für ein paar Ewiggestrige), der/die auch morgen noch gewählt werden will, ist deshalb grün, für das 1,5 Grad Ziel und Innovationen. Und selbstverständlich für Wachstum. Denn ohne Wachstum keine Zukunft, bzw. keine Wählerstimmen. Dass sich dies widerspricht, fällt niemandem auf, oder wird verschwiegen. Eine Zukunft mit weniger, ist schlicht nicht vorstellbar. Weniger heisst schlicht und einfach: Krise. Deshalb sollen es Tesla, Photovoltaik und Green Fuel richten. Mehr Innovation verspricht mehr von allem. Wohlstand, Profite, Arbeitsplätze und Lebensstandard. Und da die Gefahr besteht, dass doch das eine oder andere verboten oder teurer wird, noch schnell einen Flug auf die Malediven buchen, bevor sie in den steigenden Fluten versinken, zur Profitmaximierung noch schnell eine billige Ölheizung in den Keller schrauben oder zur Beruhigung des schlechten Gewissens einen Ökotrek auf den Kilimandscharo machen. Egal und wie auch immer, geht in China wöchentlich ein neues Kohlekraftwerk ans Netz, plant Frankreich munter weitere Atomkraftwerke, während die Messstation auf dem Mount Mauna Loa Jahr für Jahr mehr CO2 in der Atmosphäre misst. Klimapolitik ist gut für Konferenzen, Parteiprogramme und Wahlkampfreden, aber schlecht für die Tagespolitik. Wähler mögen weder höhere Preise noch Verbote. Wähler mögen eine goldene Zukunft. Falls diese grün sei soll, sei sie halt grün. Wenn man scheitert, hat man ja genügend Schuldige zur Hand. Das erwähnte China, die unwilligen Wähler oder die Fehlprognosen der Wissenschaft. Und wie die Klimakrise gemanagt bzw. missbraucht wird, geht es bei der Artenvielfalt , der Migration, der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich usw. Lösungen werden in die Zukunft geschoben, während die Tagesgeschäfte munter weiter brummen. Treffender als Greta Thunberg kann man es kaum formulieren: Bla bla bla bla.

Male ich wieder mal zu schwarz? Ich fürchte nein. Ich gebe lediglich Beobachtungen weiter. Das mag schmerzen, ist aber leider die Realität. Kurz gesagt: Zwischen (Problem)Bewusstsein und Sein öffnen sich Abgründe. Wären diese so leicht zu überwinden, wie die Massnahmenkrise mit dem Ja zum Covid-Gesetz, könnten wir optimistisch in die Zukunft schauen. Immerhin wurde in Zürich das Energiegesetz angenommen – ein Kerzchen in der Dunkelheit. Ob dieser Optimismus gerechtfertigt ist, wird diese zeigen. Dummerweise entzieht sich diese jeder Prognose. Derweilen mache ich weiter. Dazu gehört nebst Ruhestörung und einem geschärften Bewusstsein auch eine Photovoltaikanlage auf meinem Haus. Ohne Tat bleiben Worte leer. Bla bla eben.

Nebelpetarden

Mein langes Schweigen hat einen Grund. Ich ärgere mich seit Wochen grün und blau und meine Blogbeiträge verwandelten sich zu Müllkippen. Fünf Entwürfe habe ich deshalb wieder gelöscht. Aber wie besser machen? Ein Patentrezept fehlt mir noch. Trotzdem wage ich einen sechsten Versuch, mit einem Beitrag über eine Kriegslist, wie sie schon Sunzi, ein chinesischer Stratege und Philosoph, vor 2500 Jahren beschrieben hat – das Ablenkungsmanöver bez. das Verschleiern und das Werfen von Nebelpetarden. Eine zur Zeit im Übermass zu beobachtende Taktik. Ob es am nebligen Herbst liegt, kann ich nicht sagen.

Nehmen wir das in den letzten Wochen strapazierte Thema Blackout, dass uns offensichtlich für kommende Stromlücken sensibilisieren soll. Tagelang waren die Zeitungen mit solchen Szenarien voll. Experten wurden bemüht, wildeste Szenarien in schwärzesten Farben gemalt. An forderster Front die $VP mit Bundesrat Permelin und NR Martullo-Blocher. Und dann noch die Elektrifizierung der Autos, die Stilllegung der Atomkraftwerke…. Wie soll das gehen? Eine albtraumhafte Zukunft. Die Nebelgranate wirkt. Die Angst vor kalten Wohnungen und stillstehenden Autos verunsichert und bereitet den Boden grüne „Träumereien“ und CO2-Abzocke zu verhindern und lenkt ab vor der Tatsache, dass diese (theoretische) Stromlücke in erster Linie das Werk der $VP-EU-Blockadepoltik ist – sprich der Verhinderung des Rahmenabkommens. Und weil eine Nebelpetarde nicht reicht, wirft die $VP eine zweite, mit der Forderung nach neuen Atomkraftwerken, hinterher. Wohlwissend, dass diese nie gebaut werden, weil viel zu teuer (man lese dazu das Interview des Axpo-Chefs vom 23.10.2021 in watson) und politisch chancenlos und einzig der Verhinderung griffiger CO2-Massnahmen im Auge haben. Wer über neue AKW’s nachdenkt und Angst vor kalten Wohnungen hat, meidet „grüne Experimente“ – so das Kalkül.

In den blumigen Worten Sunzis (aus die 36 chinesischen Strategeme) werden die sieben Verschleierungsstrategien (oder Kriegslisten) wie folgt beschrieben:

Den Himmel (also den Kaiser) täuschend das Meer überqueren
Handeln Sie so unauffällig und vertrauensvoll, dass Sie keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Tarnen Sie das eigentliche Ziel Ihrer Handlung, senden Sie falsche Signale und verfolgen Sie unsichtbare Ziele (Tarnkappenstrategem). Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Piratenschiff, das ein scheinbar harmloses Handelsschiff erspäht und entern will. Hinter der friedlichen Fassade jedoch verbergen sich ebenfalls Piraten, die sich für den Gegenangriff bereit machen.

Mit dem Messer eines anderen töten
Schonen Sie Ihre eigenen Kräfte und nutzen Sie lieber die eines Dritten, um Ihren Gegner zu besiegen. Suchen Sie sich einen Stellvertreter, der für Sie die Arbeit erledigt, machen Sie sich nicht verdächtig. Schaden Sie Ihrem Gegner nur indirekt oder ohne aktives Zutun. Besonders erfolgreich ist es, die Kraft des Gegners gegen ihn selbst zu richten.

Im Osten lärmen, im Westen angreifen
Nutzen Sie ein Ablenkungsmanöver, um die tatsächliche Absicht oder Ihr eigentliches Vorhaben zu verschleiern. Verwirren Sie Ihr Gegenüber, sodass dieses seine Deckung verlässt, sich neu orientieren muss und in diesem Moment angreifbar und verletzlich wird.

Sichtbar die (verbrannten) Holzstege wieder instand setzen, insgeheim (aber vor beendeter Reparatur) nach Chengcang (zu einem Angriff auf den Gegner) marschieren
Zeigen Sie offen Aktivitäten, während Sie an anderer Stelle heimlich agieren. Das lenkt den Gegner ab und er kann keinen Gegenschlag planen – denn sobald er realisiert, was passiert ist, ist es schon zu spät. Wenn Sie innerhalb des täglichen Geschäfts Betriebsamkeit vortäuschen, können Sie im Geheimen große Projekte planen, die erst von anderen bemerkt werden, wenn sie bereits abgeschlossen sind.

Hinter dem Lächeln den Dolch verbergen
Wiegen Sie Ihr Gegenüber in Sicherheit und halten Sie das Vertrauen aufrecht. Insgeheim arbeiten Sie aber auf Ihr Ziel hin, ohne dass es bemerkt wird. So können Sie dann handeln, wenn der Gegner es nicht mehr erwartet.

Einen Weg (durch den Staat Yu) für einen Angriff gegen (dessen Nachbarstaat) Guo ausleihen (um danach ebenfalls Yu zu erobern)
Zwei Gegner, die ebenfalls miteinander in Konkurrenz stehen, erobern Sie am besten nacheinander. Sorgen Sie dafür, dass der erste Gegner dem zweiten schadet, ihn schwächt oder gar direkt besiegt und nutzen Sie die Tatsache aus, dass Sie einen gemeinsamen Konkurrenten haben.

(Ohne Veränderung der Fassade eines Hauses) die Tragbalken stehlen und die Stützpfosten austauschen
Greifen Sie Ihren Gegner so an, sodass seine inneren Strukturen mürbe werden, keinem Angriff mehr standhalten können und nach einer Weile zusammenbrechen. Sabotieren Sie seine Machtstrukturen wie Bündnisse, Partnerschaften oder auch innere Organisationsstrukturen und unterhöhlen Sie so die Stärken Ihres Gegners.

Wem kommt das eine oder andere bekannt vor? Wie ist es mit der (sinnlosen) Forderung nach Atomkraftwerken um griffige Klimamassnahmen zu sabotieren? Oder um ein anderes, aktuelles Beispiel zu bemühen – wie ist es mit der Nein-Parole der $VP zum Covid-Gesetz? Geht es ihr wirklich um die befürchtete Spaltung der Gesellschaft? Seit wann kümmert das diese Partei, die seit Jahrzehnten nichts unversucht lässt die Mehrheit gegen Minderheiten zu hetzen (Ausländer, Muslime, IV-Bezüger, Land gegen Stadt etc.)? Spontan fällt mir dazu nur die letzte Strategie (die Tragbalken stehlen und die Stützpfosten austauschen) ein. Zu Deutsch: Die Schwächung des Staates, die Untergrabung des Vertrauens in die Institutionen und das Sähen von Misstrauen in Wissenschaft und Politik(er).

Weitere Beispiele aus diesen Tagen:

Nehmen wir die Werbung der Credit Suisse für ihr Privat Banking. Wieso tut das die CS? Wieso Werbung im Fernsehen für einen verschwindend kleinen Kundenkreis (Privat Banking) in einem Massenmedium? Macht das Sinn? Aus der Sicht der angeschlagenen CS, die von Skandal zu Skandal schlitert und mit hunderten Millionen gebüsst wird, offenbar schon. Nichts ist schädlicher für eine Bank, als ein ramponiertes Vertrauen. Welche der sieben Ablenkungsmanöver hier zur Awendung hängt davon ab, was die Bankstrategen im Schilde führen. Die Vermutung, die Öffentlichkeit einzulullen, um weiterhin ungestört lusche Geschäfte zu machen, liegt nahe.

Selbstverständlich wird auch rund um die Pandemie gepokert. Da „verbünden“ sich scheinbar gegensätzlich politische Lager im Kampf um die Freiheit. Liberärtäre Superegoisten kuscheln mit Supernationalisten und Hakenkreuzträgern. Natur-, Globuli und Gesundheitsanbeter verbünden sich mit Überwachungsphobikern der (angeblich) linken Szene und treichelnde Bauernsöhne aus den Tälern der Innerschweiz geben den Rahmen für hysterisch Verschwörungsgläubige. In den Worten Sunzis: „Im Osten lärmen, im Westen angreifen“. Wie weit diese Strategie einem kranken Hirn entsprungen ist (Alt Right lässt grüssen), ist umstritten, liegt aber nahe. Steve Bannon, der ehemalige Trump Berater hat mehrmals dargelegt, wie die (neue) Rechte zur Macht gelangen will – durch die Zerstörung des Vertrauens in die Medien, die Wissenschaft und den Staat. Genau das, was diese Bewegung (möglicherweise sogar unbewusst) bewirkt. Bekannt sind einzig die direkten und indirekten Profiteure. Die politische Rechte mit ihrem Plan das Vertrauen in den Staat zu untergraben und ein paar Geschäftemacher, die ihre nutzlosen Pülverchen und Druckerzeugnisse an den Mann, bzw. Frau bringen. Nur um eines geht es garantiert nicht – um unsere Gesundheit nicht, um die angebliche Spaltung der Gesellschaft nicht und auch nicht um den drohenden Überwachungsstaat. So steht auf den Plakaten „Osten“, während im „Westen“ der Angriff auf die Festung geplant wird.

Das grösste aller Ablenkungsmanöver aber findet zur Zeit ausserhalb der Schweiz, in Glasgow statt. Die COP26 – die internationale Klimakonferenz. Dass in Verhandlungen gepokert wird, gehört zum Handwerk des Verhandelns. Dass der Öffentlichkeit aber seit Jahren und Jahrzehnten vorgelogen wird, man würde etwas gegen die sich anbahnende Klimakatastrophe unternehmen, gehört in den Bereich der strategischen Kriegsführung. Dabei verwenden die Akteure durchaus unterscheidliche Strategien an. Eine beliebte ist „Sichtbar die (verbrannten) Holzstege wieder instand setzen, insgeheim (aber vor beendeter Reparatur) nach Chengcang (zu einem Angriff auf den Gegner) marschieren„. Man tut so, als würde man etwas tun, tut aber das Gegenteil (z.B. wird immer noch deutliche mehr in fossile als in nachhaltige Energie investiert). Dabei gibt es durchaus Unterschiede zwischen den Systemen. Während Diktaturen bemüht sind ihr Gesicht mit wohlklingenden Verlautbarungen gegen aussen zu wahren, oder mit dem Finger auf andere zu zeigen, setzen Demokratien auf das Mittel der Verwirrung. Dazu gehört, dass man die Wähler solange mit Daten füttert, dass niemand mehr weiss wovon eigentlich die Rede ist. Im Idealfall geben sich die „Konsumenten“ gegenseitig die Schuld und die Politik ist der lachende Dritte. Was du isst noch Fleisch, fährst noch einen Verbrenner, heizt noch mit Öl, fliegst auf die Malediwen und trägst Billgklamotten von Zalando? Pfui! Ziel erreicht – Manöver gelungen. Die Geschäfte können weiter laufen.

Wer Erfolg haben will, steigt also ins Nebelpetardengeschäft ein. Wachstumschancen intakt, Potential grenzenlos. Bleibt nur die Frage, wann sich der Nebel lichtet. Stürmische Zeiten könnten dabei helfen, Licht ins Dunkle zu bringen. Vielleicht hilft auch Sunzis Strategie „Etwas aus dem Nichts erzeugen“. Darauf zu hoffen, ist allerdings keine erfolgsversprechende Strategie.

Ohnmacht

Seit Wochen und Monaten sinniere ich über ….. ja, über was eigentlich? Den Zustand der Welt? Die Verrohung der Debatten? Die Erosion der Vernunft und den Siegeszug von Fake-News und Verschwörungsmärchen? Oder bin ich einfach von Schwachköpfen umzingelt? All dies ist lamentabel und schlägt aufs Gemüt. Bei den Einen mehr, bei den Andern weniger. Am besten sind wohl jene dran, die sich ausserhalb ihrer Wohlfühlblase, überhaupt um nichts kümmern. Bis sie dann jäh aus ihrem Luftschloss katapultiert werden. Die Kränkung ist dann umso heftiger und die Reaktion darauf reichen von Orientierungslosigkeit, Trotz, Verweigerung bis zum gewaltsamen Protest. Ein idealer Nährboden für Despoten und Agitatoren und ihre Umsturzpläne. Deren Drehbuch heisst Vertrauen zerstören (in die Politik, Wissenschaft und Eliten), Lügen verbreiten, Verwirrung stiften und Wut erzeugen um die Gesellschaft zu spalten. Wer sich in Geschichte ein wenig auskennt, hat ein unheilvolles Deja vu. Remember 1933. Neu – und deshalb besonders erschreckend – es sind nicht einfach ein paar Dunkelmänner mit Umsturzfantasien, es greift mitten in die Gesellschaft. Der Widerstand dagegen verstummt und zieht sich zurück. Bestenfalls hört man noch ein paar Appelle für mehr Vernunft und Toleranz. Die wenigen die noch dagegen halten, werden als Provokateure und intolerante Spalter beschumpfen. Der Rest versinkt in Ohnmacht, Resignation und schweigt.

Und damit wäre ich bei der Eingangsfrage. Weshalb diese trüben Gedanken und weshalb das Grübeln und Sinnieren? Es ist Ohnmacht! Eine Ohnmacht, die uns einerseits unsere Beschränktheit, vor allem aber die ungeschminkte Realität vor Augen führt. Vorbei die Illusionen von „es wird schon gut kommen“, vorbei der Glaube an die „Vernunft“ und vorbei das Narrativ einer aufgeklärten Gesellschaft. In der Krise offenbart sich, woran wir wirklich kranken: Einer enthemmten Ich-Gesellschaft. Getopft nur noch von all den entzweiten Freundschaften. Wenn selbst in bisher als intakt empfundenen Freundschaften Diskussionen unmöglich werden und langjährige Beziehungen in Brüche gehen, läuft definitiv etwas schief. Es ist als krachten ganze Wände in sich zusammen. Gewissheiten verschwinden. Der Boden wankt. Müdigkeit und Ohnmacht machen sich breit.

Vielleicht mache ich mir auch zu viele Sorgen und ich bin einfach gekränkt, weil ich mich in Freund:innen getäuscht habe. Vielleicht mache ich mir auch einfach zu viele Sorgen über die Welt, die ich sowieso nicht ändern kann. Who cares. Tatsache bleibt, dass sich die Spirale der Entzweiung schneller und schneller dreht. Angesichts der zu meisternden Herausforderungen, eine Tragödie. Ginge es nur um die Beendigung dieser Pandemie, die wir nur gemeinsam oder aber gar nicht bewältigen können, könnten wir auf den Faktor Zeit hoffen und die Massnahmen aussitzen. Wenn einem Millionen von Toten und der Kollaps der Wirtschaft egal ist, setzt man sein Vertrauen in das sozial-darwinistische Prinzip des „survival of the fittest“ – schliesslich überstand die Menschheit auch Pest, Cholera und die Spanische Grippe – ohne Impfung. Und damit wären wir mitten im eigentlichen Thema: Der egomanen Gesellschaft. Denn was wir gerade an gesellschaftlichen Verwerfungen erleben, ist auch das Resultat von 40 Jahren Gehirnwäsche durch den Neoliberalismus. Es ist die Ernte von 40 Jahren jede:r gegen jede:n, von der Macht des Stärkeren, der Rendite um jeden Preis und dem maximalen Gewinn für sich selber. Der Selbstoptimierungswahn treibt nicht ohne Grund die seltsamsten Blüten. Und obwohl wir spätestens seit der Finanzkrise 2008 wissen, dass dieses System zum Scheitern verurteilt ist, Wissenschaft und Philosophie seit Jahrzehnten vor den Folgen warnt (Grenzen des Wachstums) und uns die sich anbahnende Klimakatastrophe Warnung genug sein sollte, meinen wir (ich rede von den meisten) es ginge weiter wie gehabt. Und statt sich zusammenzuschliessen und sich den (notabene gigantischen) Problemen zu stellen, lassen wir uns entzweien. Jeder für sich (das ist mein Körper, meine Meinung, meine Entscheidung), alle gegen alle (ihr Idioten, Schafschafe etc. …). Befeuert durch Parteien, zwielichtige Gestalten, (soziale) Medien und einer narzisstischen Denke des „ich zuerst“. Dass sich dieses Phänomen des Trotzes, der Wut und Verweigerung, vor allem in gesättigten Wohlstandsoasen, wie der Schweiz, manifestiert, ist daher kein Wunder. Hier kann man es sich leisten. Im Notfall gibt es die Krankenkasse, Spitäler und einen Rechtsstaat. Trotzdem reibt man sich die Augen, ist sprachlos und fragt sich: „Habe ich mich so sehr getäuscht?“ Getäuscht über die Vernunft der Menschen, viele meiner Freunde:innen, unsere Bildung, unser System? Bröckelt am Ende gar die dünne Kruste der Zivilisation und marschieren wir straight away zurück ins Mittelalter (oder was uns auch immer Angst macht). Oder kommt die Pandemie den destruktiven Kräften sogar gelegen? Schliesslich lassen sich eigennützige Interessen in einem schwachen, destabilisierten System besser realisieren. Und an potentiell gefährlichen Herausforderungen mangelt es nicht. Hinter der nächsten Kurve lauert die Klimakrise, mit weit grösserer Tragweite als die gewärtige Gesundheitskrise, und da stünde ein einiges Volk den Profiten mächtiger Kartelle im Wege. Das gilt es zu verhindern. Oder verläuft alles in Minne und wir können in 5 Jahren darüber lachen? Ich würde gern an diese Option glauben – sie entspricht ja auch weitgehend unserer Lebenserfahrung. Es kommt schon irgendwie gut und sonst Pech gehabt. Allein, mir fehlt der Glaube.

Denn damit es gut kommt, braucht es Anstrengungen. Und ohne Engagement überlassen wir das Feld jenen, die nur für sich schauen. Hätte sich in der Vergangenheit nie jemand gewehrt oder der Vernunft zum Durchbruch verholfen, lebten wir immer noch in Höhlen oder beteten zu blutrünstigen Rachegöttern. Das mag weit hergeholt sein, im Kern geht es jedoch darum, welche Zukunft wir anstreben. Eine die vorwärts schaut, sich um Probleme kümmert und das Wohlergehen der Menschen im Auge hat, oder eine Welt der Starken und des dumpfen Dahinvegetierens. Ein Vorteil dieser Pandemie ist das Sichtbarwerden dieser Bruchlinien. Auch wenn sich viele dieser Brüche nicht mehr überbrücken oder kitten lassen, so führt sie zur Erkenntnis für was es sich zu kämpfen lohnt und verdeutlicht, was wir zu verlieren haben. Dass dabei einiges in Brüche geht, ist vermutlich nicht mehr zu vermeiden. Dafür sorgen andere. Das Bedauern darüber ist eher dem Wunsch nach Harmonie geschuldet. In Wirklichkeit geht es jedoch um die Frage, ob man Teil der Lösung oder des Problems sein will. Dabei mögen kurzzeitige Ohnmachtsgefühle hinderlich sein. Diese lassen aber auch erkennen, welche Anstrengungen es braucht um aus der Machtlosigkeit zu kommen. Denn machtlos ist man nur allein, zusammen aber stark. Das führen uns gerade die mass-los nervig und lautstarken Freunde der Seuche (aka Schwurbler, Covidioten und Ver(w)irrte) vor, die bald täglich treichelnd durch irgend eine Einkaufsstrasse latschen um Grösse vorzutäuschen. Schaut man genauer hin, sind es die immer gleichen Schreihälse, die sich wichtig machen. Es heisst nicht umsonst: „Wer schreit, hat unrecht“. Die Zeit ist reif diese in die Schranken zu weisen. Wir müssen vom Staat nur laut genug die Durchsetzung der Gesetze einfordern. Zuviel Toleranz schadet bzw. liegt im Interesse jener, die Probleme lieber bewirtschaften, als zu lösen. Es heisst also: „Impft euch verdammtnochmal“ und nicht „Jede:r kann tun und lassen, wie er/sie will“. Der Ruf Brücken zu bauen und andere Meinungen zu tolerieren, ist gut gemeint, letztendlich aber nutzlos. Wo ein gemeinsames Fundament fehlt (z. B. die Anerkennung von erhärtetem Wissen und Fakten), stürzt jede Brücke ein. Weiter hilft uns eher die Epidemiologe. Das Zauberwort dort, heisst Isolation. Nur so verhindern wir die Ausbreitung von Viren. Corona-, wie Meme (Viren des Geistes) gedeihen nur dort, wo der Boden bereitet ist. Geben wir ihm nicht auch noch Dünger. Ohnmacht entsteht, wenn das vergiftete Biotop auch noch gedüngt wird. Das zu verhindern gibt uns die Kontrolle zurück.

Unbegreiflich

Letzte Woche traf ich mich wieder einmal mit meinen Freunden aus den Sturm- und Drangjahren. Der Zeit also, als wir die Welt noch aus der Angel heben und die proletarische Revolution ausrufen wollten. Symbolträchtig fand unser Männergipfel bei Pasta und Wein, an dem Ort statt, wo wir uns vor bald 50 Jahren, beim Verteilen von Flugblättern an die Arbeiterschaft der Sulzer Winterthur, die Füsse abfroren.

Sinnbildlich für die Veränderungen der letzten 50 Jahre steht das Restaurant und das Tössfeld-Quartier. Anstelle von Ghackets und Hörnli serviert man jetzt edle italienische Spezialitäten, und dort wo einst die Schlote qualmten, der Dampfhammer das Eisen bog und Hammerschläge durchs Quartier hallten, stehen heute hippe Einkaufszentren, werden Muskeln gestählt und Studenten unterrichtet. Velos und Kinderwagen haben Lastwagen und Gabelstapler von der Strasse verdrängt. Tischgespräch war, wie schon damals, der blamable Zustand unserer Welt. An Stoff fehlte es, nach fast zweijähriger coronabedingter Zwangspause, wahrhaft nicht. Und so mäandrierte die Diskussion zwischen KI (Künstliche Intelligenz), autonomen Fahren, Corona, Impfen, $VP, Klima und Afghanistan. In Dialektik geschult, fehlte natürlich eine gehörige Portion Selbstkritik und Reflexion dazu. So auch die hypothetische Frage, ob wir es denn besser gemacht hätten, was die Menschen gleichgültig und träge macht und wie man mit den permanenten Rückschlägen umgeht. Wie bleibt man Teil der Lösung und wird nicht selber zum Problem? Und ja, es ging auch um meinen Blog, der oft genug von pessimistischen Tönen durchzogen ist. Was also trägt ein Blog, der in oft sarkastischem Ton, die Versäumnisse in Gesellschaft und Politik anprangert, zur Lösung der beklagten Defizite bei?

Kurz gesagt: natürlich nichts. Der Anspruch wäre auch zu vermessen. Dazu braucht es a) mehr als 50-100 Leser:innen und b) reicht das Benennen von Problemen oder das blamieren von Akteuren kaum um etwas zu bewegen. Die andernorts bedauerte Feststellung, dass es heute an Visionen fehlt oder sämtliche Alternativen historisch gescheitert oder diskreditiert sind, schlägt sich durchaus auch hier und in meinem Denken nieder. Es weht quasi ein Hauch von Nihilismus (alles ist egal, nichts hat einen Wert, etc. ) durch die Gesellschaft. Aber weshalb? Warum fehlen das Engagement, bzw. Mehrheiten für überfällige Veränderungen? Beginnend mit dem Klima (CO2- Gesetz), der EU (Rahmenabkommen), der Altersvorsorge (Demographie), Pandemie (Impfpflicht) bis hin zur Migration (Afghanistan, Mittelmeer usw.), der $VP (ihre trumpeske Politik wird immer gefährlicher) oder der wachsenden Ungleichheit (hier und weltweit). Ist es Bequemlichkeit? Gleichgültigkeit? Sind wir Gefangene im Hamsterrad von Alltag, Beruf und Karriere? Lassen wir uns zu sehr manipulieren oder gar „kaufen“? Oder übertreiben wir hier am Tisch masslos und alles ist halb so schlimm? „Unbegreiflich“ für uns, unbegreiflich für viele.

Der Sommer war lausig, die Ferien bescheiden, wohin fährt ihr im Herbst? Das sind Themen die bewegen. Man kann sich das privilegierte Leben auch kaputt reden. Ist es das? Interessiert sich überhaupt noch irgendwer für etwas anderes, als sich selber. Oder ist es einfach immer das gleiche Grüppchen Stänkerer, das alles besser zu wissen glaubt? Fragen die auch hier schon breitgetreten wurden. Ohne wirklich beantwortet zu werden. Aber wer liefert uns diese? Politiker:innen? Philosoph:innen? Gurus? Die Wissenschaft? Alle – samt und sonders – auf die eine oder andere Weise diskreditiert. Das Vertrauen verloren. Ausverkauf der Ideen – der Wühltisch der Ideen ein einziges Durcheinander. Statt Schnäppchen landet Ramsch im Einkaufskorb. Nichts von Dauer, nichts von Wert. Das Resultat beklagenswert – es ist unbegreiflich.

An Theorien, weshalb es so ist, wie es ist – weshalb wir z. B. so träge und zögerlich auf Probleme reagieren – gibt es viele. Sind wir einfach wohlstandsverwöhnt – sprich zu faul – um den Finger aus dem Allerwertesten zu kriegen und an unserem Verhalten etwas zu ändern? Oder sind wir nicht einfach zu beschäftigt mit unserem Alltag, dem Beruf, der Familie oder Karriere? Fehlt es an drängenden Problemen oder werden diese nicht als solche wahrgenommen? Fehlen Vorbilder, Visionen und Ziele – oder fehlt einfach die Fantasie? Manche würden diese Fragen unbesehen mit Ja beantworten. Ich hüte mich davor. Die Welt ist zu komplex für einfache Antworten.

Zumindest an drängenden Problemen dürfte es nicht mangeln, sofern diese als solche überhaupt erkannt werden. Doch wie beim Arzt, beginnt die Heilung mit der Diagnose. Wie schwierig es ist, sich auf eine solche zu einigen, führt uns Corona vor Augen. Entsprechend wirr und diametral sind die Lösungsansätze. Einige leugnen sogar dessen Existenz und wittern eine Verschwörung von ganz ganz oben. Das Resultat ist eine endlose Pandemie. Ähnlich die Klimakrise. Ist es nur das Wetter das spinnt, oder sind wir schon mitten drin? Hat die Wissenschaft recht oder will uns der Staat nur abzocken? Sicher ist nur: Es fehlt sowohl ein gemeinsames Verständnis, als auch eine von allen anerkannte Methode. Wer aber (generell ) der Wissenschaft misstraut, ist umso anfälliger für Scharlatane und Manipulationsversuche. Die Trychlerumzüge der „Massvollen“ legen davon ein eindrückliches Zeugnis ab. Es scheint als wäre ein Krieg der verschiedenen Wahrheiten im Gange (bei Trump hiess es noch Alternative Fakten). In Wahrheit ist es ein Krieg gegen die Vernunft, d.h. die Aufklärung, Wissenschaft und Demokratie. Wer Lügen mit Fakten gleichstellt, verfolgt eine düstere Agenda, die nur im Aberglauben, Despotie und einer Form der Diktatur enden kann. Was unbegreiflich erscheint, bekommt so einen Sinn. Die „Aufklärung“ ist also noch lange nicht zu Ende. Um es mit Kants Worten zu sagen: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. In diesem Sinne verstehe ich auch meinen Blog – er ist mein kleiner bescheidener Beitrag zur Aufklärung. Und so endete der Abend im Konsens und der Absicht, lieber Teil der Lösung, als des Problems zu sein.

Beim Barte des Propheten

Beim Barte des Propheten

Was kümmert uns Afghanistan? Weit weg, irgendwo in den Weiten Asiens. Uns so fremd wie Aliens von einem andern Stern. Frauen unter Sacktüchern, Männer in Pluderhosen, Turban und AK-47. Dazu die schrecklichen Bilder am Fernseher, die Meldungen über Terror, Tod und Gräueltaten. Dabei hätten wir selber genug Sorgen. Corona, Klima, lausiger Sommer. Und doch lassen uns die Bilder nicht los. Beim Barte des Propheten – der Versuch, die Dinge zu orten.

In nur zwei Wochen zurück ins Mittelalter. Man reibt sich die Augen und sitzt ungläubig vor der Glotze. Bilder aus einer längst tot geglaubten Zeit laufen über den Bildschirm. Zum Unglauben mischt sich Ohnmacht und zu dieser gesellt sich Entsetzen. Wie ist so etwas möglich? Es fühlt sich an, als würde eine ganze Ära geschreddert. Alles an was „man“ glaubte, löst sich auf und macht Platz für eine diffuse Angst. Am Horizont erscheint ein neues dunkles Zeitalter. Die bärtigen Koranschüler vom Hindukusch wecken tiefste Ängste und erinnern an abgehackte Hände, gesteinigte Frauen und baumelnde Leichen an Laternenmasten. Alles wofür sie stehen, Frauenverachtung, Gräuel und Tod, kehrt uns den Magen. Angewidert wendet man sich ab wünscht sich der Albtraum fände ein Ende. Leider hat dieser aber erst begonnen.

Clever sind sie – zumindest ihre bärtigen Führer. Mutig auch – auf jeden Fall die armen ungebildeten Kerle aus den ausgedorrten Tälern des Nori Shah und des Koh-i-Baba. Wie sonst hätten sie es geschafft in nur 2 Wochen das ganze Land zu kidnappen? Das Tempo mit dem sie das Land überrannt haben lässt deshalb nur einen Schluss zu: Sie waren nie weg und immer mitten in den Dörfern und Städten – wenn nicht physisch, so doch als „Meme“ (tief verwurzelt in den Köpfen und der Kultur des Landes). Nicht umsonst machten sie sich das arabische Sprichwort, „Ihr habt die Uhren, wir die Zeit“ zu eigen. Ideen gedeihen mit der Zeit, wenn sie auf fruchtbaren Boden fallen. Und dieser ist und war fruchtbar für die „Gotteskrieger“. Armut, Hoffnungslosigkeit, kaum Bildung und eine korrupte, geldgierige Elite, Warlords und Drogenhändler, liefern dazu den Dünger. Und nun steht Afghanistan als Symbol und Mahnmal für das Scheitern. Das des westlichen Denkens, der westlichen Politik, der Menschenrechte, der Aufklärung und für den Sieg der Arroganz und Ignoranz. Ein Debakel mit Ansage, das angeblich niemand kommen sah. Wie blind und ideologisch verblendet kann man eigentlich sein? Einzig die Vorstellung, dass das von all den hochintelligenten Geheimdiensten niemand voraussah, ängstigt mich noch mehr. Das hiesse nämlich, dass wir es an den Schaltstellen der Macht, mit absoluten Dilettanten oder schamlosen Lügnern zu tun haben. Ich vermute beides. Klarer ist dafür, wer für dieses Versagen den Preis bezahlt – andere. Die afghanischen Frauen als erste, die kleine Bildungselite, das ganze afghanische Volk, welches um Jahrzehnte zurückgeworfen wird, die umliegenden Länder, in welche viele flüchten werden und selbstverständlich wir (der sog. Westen), der nun mit abgesägten Hosen im Regen steht. Doch Halt! Ist das etwa neu? Überraschend? Und was hat das mit uns zu tun? Solange wir hier und die dort sind, – ist die Welt doch in Ordnung. Wirklich?

Götterdämmerung

Das Jammern und lamentieren der westlichen Politiker:innen und Verantwortungsträger ist herzzerreissend. Ihr Versagen kolossal, ihre Scham marginal. Nicht mal die chaotische Schadensbegrenzung mag die Schande zu mindern. Das Vertrauen in die politische Führung ist dahin. Flächendeckend – von Berlin bis Washington und London bis Canberra. Beifall klatschen dafür Islamisten, Terroristen und die Pragmatiker in Beijing. Ihnen winken Macht und Profite. Ihnen erschliessen sich neue Pfründe. Es winken Seltene Erden, Kupfer, Lithium und Erdöl. Ein Bombengeschäft – fast umsonst, wenn man die Geflüchteten und Toten, die verhöhnten Menschenrechte und das Elend der Afghan:innen als unvermeidbaren Kollateralschaden abbucht. Was zynische Politiker und Geostrategen gerade tun. Die Sorgenfalten gelten eher den drohenden Flüchtlingsströmen – den „Strömen“ natürlich, nicht den Geflohenen. Leider aber ist es nicht nur eine Götterdämmerung der westlichen Hegemonialansprüche, es markiert ebenso das Ende vieler uns liebgewordener Gewissheiten. Die Gewissheit, dass Menschenrechte irgend jemand schützen, die Gewissheit, dass die Wahrheit über die Lüge siegt, die Gewissheit, dass wir von kompetentem „Personal“ regiert werden und nicht zuletzt der Gewissheit, dass Probleme mit Sachverstand und Vernunft angegangen und gelöst werden. Makulatur! Entsorgt in der Gerümpelkammer der Illusionen. So sicher wie das Amen in der Kirche ist dafür das Erstarken des islamischen Terrorismus, der nun wieder eine Heimat hat, das Verschwinden der Frauen aus der Öffentlichkeit Afghanistans und der Aufstieg rechter Hetzer quer durch Europa und die Staaten. Während in Kabul verzweifelte Mütter ihre Babys über Stacheldrahtzäune werfen und sich Menschen in Panik an Flugzeuge klammern und in den Tod stürzen, verkünden diese bar jeder Scham, wir hätten es hier mit Vergwaltigern und Bombenlegern zu tun und hätten keinerlei Anlass diesen Menschen zu helfen. So wie das Vertrauen in die politische Führung zerbröselt, dienen sich diese Menschenverachter als Retter der Nation und der weissen Rasse an. Wers nicht glaubt lese hier Roger Köppel ($VP) in watson von heute, Donnerstag den 19.8.2021. Drei gut gefüllte Kühlschränke reichen nicht, für das was ich kotzen könnte. Und wer meint, dies wäre der Gipfel der Menschenverachtung und Erbärmlichkeit, werfe einen Blick über die Grenzen. Statt Verantwortung für das selbst verursachte Debakel zu übernehmen, üben sich die Politiker der Natoländer in mea culpa und machen auf Schadensbegrenzung. Selbstverständlich nicht für die Opfer ihres Tuns, sondern für sich selber. Panisch versichern sie ihrem staunenden Wahlvolk, dass sie ein zweites 2015 zu verhindern wissen. Anders gesagt: Sie stehlen sich aus der Verantwortung. AfD, $VP und die Retter eines arischen Europa von Wien bis Budapest bringen sich schon mal in Position. Es gibt verängstigte Wählerstimmen zu ernten. Die Taliban sind mitten unter uns. Wer dachte, diese versteckten sich in den Höhlen des Hindukusch, sieht sie plötzlich in der Arena, der Tagesschau und an den Parteitagen der $VP. Der gleiche mittelalterliche Schwachsinn, der gleiche Hass auf die „Gstudierten“, das städtische, aufgeklärte Leben. Die gleichen verlogenen Mythen des gesunden, hart arbeitenden Landvolkes. Ob Aeschi, Glarner, Bircher, Köppel und Chiesa auch eine Koranschule besucht haben? Was fehlt ist einzig der Bart, aber der kann ja noch wachsen.

Was sie alle verschweigen ist das kollektive Totalversagen der gesamten verlogenen Hegemonialpolitik des Westens seit dem 2. Weltkrieg. Von Vietnam über den Irak, Syrien, Lybien bis Afghanistan – Debakel über Debakel. Verschwiegen auch die guten Geschäfte mit den Saudis, Kataris, Scheichs und Mullahs am Golf. Statt Demokratie und Menschenrechte, wie vollmundig verkündet – Armut, Despotie, abgehackte Hände und Leichenberge. Auch nicht gesprochen wird von der Ignoranz und Borniertheit, mit der geplant und gehandelt wird. Statt auf Kenner der Verhältnisse, die Wissenschaft und Fachleute zu hören, wird in den Hinterzimmern, fernab der Wirklichkeit, um Einfluss und Macht gepokert. Es erinnert krass an Pipi Langstrumpfs kindliches Gemüt, allerdings um 180 Grad gedreht: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Nur blöd, weiss diese nichts davon. Und damit wären wir bei des Pudels Kern. Der Triumph des Irrationalen! So wie man die Klimakrise mit verleugnen und Greenwashing „bekämpft“ und Corona mit lavieren, verleugnet man rund um den Globus Realitäten, verhöhnt die Wissenschaft und lügt sich die Hucke voll. Trump hat’s vorgemacht. Seine Nachahmer sind zahlreich. Wenn die Probleme zu gross werden, greift die „Elite“ zu den altbewährten Keulen: Aberglaube, Religion und Schwert. Das Zeitalter der Taliban ist angebrochen. Zeit sich einen Bart wachsen zu lassen. Pech für die Frauen.

Restart – Resignation oder Aufbruch

Insgesamt 66 Blogs habe ich zwischen April 2020 und Juni 2021 geschrieben. Man könnte sie auch als Krisen- oder Corona-Blog bezeichnen. Natürlich ging es nicht nur um die Pandemie und ihre Folgen. Oft war diese nur der Aufhänger für andere Aufreger und Krisen. Im Wissen um meinen nicht selten dystopischen Unterton (wir sind am Arsch), war ich auch immer wieder um hoffnungsvolle und versöhnliche Töne bemüht. Bis im Juni, als eine Mehrheit der Stimmberechtigten in ihrer Weisheit, das zahnlose CO2-Gesetz beerdigte, und Gift in ihrem Trinkwasser (man sieht es ja nicht) auch weiterhin cool fanden. Wo die Prioritäten im Jahre 2021 liegen, war somit klar gemacht. Das eigene Portmonee. Das war der Moment, wo ich eine Pause einlegte. Zum einen zum Selbstschutz, um euch vor meiner Wut, Ratlosigkeit und Enttäuschung zu schützen, zum andern um der drohenden Langeweile durch den ewig gleichen Sermon zu entkommen. Und natürlich auch um mir Gedanken über die Zukunft dieses Blogs zu machen. Diese Zeit habe ich genutzt.

Vorab die nüchterne Erkenntnis: Durch Pausen hält man den Lauf der Welt nicht auf.

Zwar reduzierte sich der mir selbst auferlegte Druck, wöchentlich ein Thema zu finden (wobei es meist umgekehrt war – die Themen fanden mich) und zu kommentieren, aber die Ereignisse liessen mich trotzdem nicht in Ruhe. Und davon gab und gibt es wahrlich genug. Zum Beispiel lag am 11. Juni (am Tag als ich beschloss zu pausieren) die Zahl der Corona-Inifzierten bei 394, heute am 12. August bei 2124 – also 5,4 mal höher. Die damalige Hoffnung dieser Seuche durch eine Impfung endlich Herr zu werden, hat sich somit in Luft aufgelöst – den Impfverweigerern sei Dank. Die Illusion mit dem Versenken des CO2-Gesetzes wäre das leidige Thema Klimakrise endlich erledigt, war ebenso ein Trugschluss. Die Waldbrände von Sibirien (aktuell 6 Millionen Hektar im Brand) über das Mittelmeer bis Kalifornien und die Sintfluten in Mitteleuropa können selbst von den hartnäckigsten Ignoranten nicht geleugnet werden – sollte man meinen. Weniger beachtet, aber nicht weniger tragisch, auch des Versagen des „Westens“ in Afghanistan, wo gerade die Frauen den Religioten der Taliban ans Messer geliefert werden. Die Aussetzung der Rückschiebung afghanischer Migranten in letzter Minute, hört sich dabei schon fast wie eine Erfolgsmeldung an. Da sind die 993 (allein 2021) ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer auch kaum mehr der Rede wert. Auch kaum zu reden gibt unsere Selbstdemontage in Europa. Dem weisen Ratschluss unseres Bundesrates sei Dank. Dank diesem sind wir von europäischen Forschungsprojekten (Horizon) ausgeschlossen (wer hat Wissenschaft und Forschung schon nötig) und bald werden wir wohl um Strom betteln müssen (fehlendes Stromabkommen). Dafür hat uns die $VP eine neues Feindbild beschert. Neu zieht diese tiefe Gräben um die Städte. Mit velofahrenden Luxussozialisten (vermutlich sind damit auch die Klimaforscher an der ETH gemeint) und Freunden streunender Wölfe (den diese Grünversifften ums Verrecken nicht zu Abschuss freigeben wollen) will das hart arbeitende Landvolk nichts (mehr) zu tun haben – sagt die Partei der Milliardäre. Dazu passt die gestrige Aussage meiner ehemaligen Nachbarin: „Die, die nicht ins Gymi gehen, sind die, die arbeiten.“ (Im Umkehrschluss: „Studierte“ hocken auf der faulen Haut). Die Wirkung der o.g. Parteiparole wäre somit belegt. Und während ich hier in die Tasten haue, trycheln die „Freunde der Seuche“ durch die Strassen Berns und sorgen für die Verlängerung der Pandemie und weitere Tote. Wie diese Auflistung zeigt: Es ist August wie Juni.

Was nun?

Zuerst ein paar Worte zu meinem Blog. Den Wochenrhythmus gibt es nicht mehr. Die Qualität leidet, wenn man zu sehr unter Schreibstress steht. Ausserdem wurde ich nicht pensioniert, um wieder im Hamsterrad des „Lieferns um jeden Preis“ zu landen. In Zukunft also erscheinen meine Beiträge, wenn ich das Gefühl habe etwas wäre wichtig genug um kommentiert zu werden. Damit gewinne ich auch mehr Zeit um mich mit dem jeweiligen Thema zu befassen. Ich bemühe mich aber weiterhin Texte kurz zu fassen. Zeit ist bekanntlich ein rares Gut. Nichts ändern wird sich vermutlich an meiner Ironie und meinem Sarkasmus. Ohne sie ist die gefühlte Ohnmacht nur schwer zu ertragen. Die Lage ist zu ernst, um ernst zu bleiben.

Wie einleitend erwähnt entzieht sich der Lauf der Dinge unserem Willen und Wollen. Zumindest jenen von uns, die nicht an den Schalthebeln der Macht sitzen. Selbst in unserer hochgerühmten direkten Demokratie, in der wir sogar über das Tragen von Kuhhörnern abstimmen können, gewinnt in aller Regel jene Seite mit dem grösseren Geldbeutel. Wer behauptet das Stimmvolk liesse sich nicht kaufen, könnte sich folglich – würde er selber an seine Behauptung glauben – jeden Franken für Wahlplakate und Abstimmungsparolen sparen. Die derzeit anstehende 99%-Prozentinitiative der Juso – die notabene nichts anders als eine faire Besteuerung von Kapitaleinkünften will (also Aktiengewinne, Mieten, Firmenverkäufe etc) – wird nicht scheitern, weil sie nicht in unser aller Interesse wäre, sondern weil sie mit Lügenpropaganda, Angstmacherei und Mythen und Märchen zu Grabe getragen wird. Auf eine Gegenwette verzichte ich.

Wer, wie ich, seit 50 Jahren praktisch an jedem Abstimmungssonntag eine Niederlage zu verdauen hat, kann natürlich resignieren. Eine durchaus bewährte Ausrede um nichts zu tun. In guter Gesellschaft mit Ignoranz, Egoismus und Gleichgültigkeit, der sichere Weg in den Kollpas. Denn gleich aus welchen Gründen wir die Karre in den Dreck fahren oder dort belassen, Probleme lösen sich nicht von selber. Im Gegenteil. Die aktuellen Krisen führen uns gnadenlos vor Augen, was nichts tun bedeutet. Die Probleme häufen und verschärfen sich.

Also weiter machen. Jede:r wie er/sie kann und mag.

Nehmen wir als Beispiel die nächste Corona-Welle, die sich wegen der mangelnden Impfbereitschaft, mit einer wöchentlichen Verdoppelung der Fallzahlen gerade ankündigt. Statt energisch dagegen zu halten, scheinen die Behörden aus Angst vor den finanziellen Folgen und den Hütern tiefer Steuern, sekundiert von den treichelnden Schreihälsen, zu kapitulieren und lassen es schleifen. In seltener Nonchalance heisst es darum, wer sich nicht impfen lässt, kann sich nicht mehr auf staatliche Massnahmen verlassen. Einverstanden. Wenn es denn nur die Ungeimpften träfe. Leider aber können die unter 12-jährigen immer noch nicht geimpft werden und werden so dem Virus quasi zum Frass vorgeworfen. Die Chance, dass sich das Virus bis zur Impfresistenz durchmutiert steht bereits drohend im Raum. Weshalb nicht endlich ehrlich und mutig ein Impfobligatorium verfügen (das Epidemiegesetz macht es möglich)? Zwar wäre der Aufschrei gross, der Schaden aber unendlich viel kleiner, als der, der praktizierten Durchwurstelpolitik. Wie uns die Natur lehrt, verhandelt sie nicht. Weder mit Banausen noch Taktierern. Was hilft, ist sie zu verstehen und ihr mit den eigenen Waffen ein Schnippchen zu schlagen. Kräutertee, viel frische Luft und beten stärkt vielleicht die Seele und gibt ein gutes Gefühl, helfen tut einzig das Impfen (oder vielleicht einmal ein Medikament). Wir können es freiwillig tun, unter Zwang oder aber auf die harte Tour. Objektiv gesehen aber haben wir keine Wahl. Die Natur wird siegen – so oder so.

Nehmen wir das Klima. Wir können noch so viele Gesetze versenken, das Klima kümmert es nicht. Es gehorcht einzige der Physik, die im Falle von CO2 besagt, dass dieses Gas die Wärme in der Erdatmosphäre hält. Glück und Pech zugleich. Den ohne diesen Effekt schlotterten wir bei durchschnittlich minus 18 Grad; mit zu viel davon, droht uns ein Glutofen. Nicht irgendwann. Jetzt. In Kanada waren es 49,7, in Sizilien gerade 48,8 Grad. Und selbstverständlich sind dies Extreme, so wenig wie die Überflutungen in Deutschland oder die Waldbrände am Mittelmeer, ursächlich dem Klimawandel zuzuordnen. Schmelzende Gletscher, die Statistik und das eigene Empfinden lassen allerdings keinen Zweifel offen. Wir befinden uns am Beginn einer Katastrophe. Es wäre also an der Zeit dagegen zu halten. Wäre es! Zu hören bekommen wir dafür laue Absichtserklärungen (nur ja niemandem weh tun – aktuelle der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative), Nebelpetarden (Atomkraftwerke sollen es richten – bis diese gebaut sind, müssen wir die Wohnungen vermutlich auch im Winter kühlen), Greenwashing (man tut so, als würde man etwas tun – zum Beispiel CO2-Kompensation im Ausland), usw. Solange wir, bzw. die Politik:er:innen nicht begreifen (wollen), dass wir es mit einer existentiellen Krise zu tun haben, nähern wir uns dem Abgrund. Das genaue Datum wurde uns zwar noch nicht bekannt gegeben, vielleicht haben wir es aber auch nur verpennt.

Nichts Neues also. Alles bekannt, alles wie gehabt, nur etwas mehr davon. Während die einen auf ein Wunder namens „Normalisierung“ hoffen (das Synonym für zurück zu den alten Tagen), resignieren die andern. Nur vor dem Kollaps sind alle gleich. Wären da nicht die Überlebenswilligen, wie z.B. die Klimajugend oder die unzähligen Bewegungen und Aktionsbündnisse zur Rettung von Walen bis hin zu Flüchtlingen aus dem Mittelmeer, der Rettung des Amazonas, der Hilfe vor Ort für die Ärmsten usw. stünde die Welt auf verlorenem Posten. Es bleibt einzig die Frage, ob diesmal die Zeit reicht die Titanic am Eisberg vorbei zu manövrieren. Die Mittel dazu hätten. Mittlerweile können wir Eisberge aus dem Weltall beobachten. Ignorieren wir dieses Wissen weiterhin, so müssen wir uns über den weiteren Verlauf nicht wundern. James Cameron hat uns 1997 epische Bilder und eine rührende Geschichte dazu geliefert. Ob Rose diesmal das „Herz des Ozeans“ (der blaue Diamant im o.g. Film) retten kann, muss allerdings offen bleiben – ich fürchte eher, sie säuft diesmal zusammen mit Jack gleich mit ab.

Alles viel zu pessimistisch?

Vielleicht. Wer kann schon in die Zukunft schauen? Bekanntlich sind Prognosen, die Zukunft betreffend, schwierig oder gar unmöglich. Das trifft für unerwartete Lebensereignisse mit Bestimmtheit zu, nicht aber für Ereignisse mit Ankündigung. Und genau um solche handelt es sich bei den ob genannten Beispielen. Wir wissen genug über das Verhalten von Viren, wir kennen die physikalischen Gesetzmässigkeiten in fast allen Details und wir kennen die Geschichte. Wer also meint wir wären dem Schicksal hilflos ausgeliefert, lügt, ist nicht richtig informiert oder will ganz einfach nichts ändern. Wir können etwas tun. Wir müssen nicht mal etwas erfinden. Der Ausstieg aus der fossilen Energie ist vorgezeichnet – wir müssen nur die entsprechenden Vorgaben (Regeln/Gesetze) beschliessen. Seuchen lassen sich mit impfen oder Medikamenten bekämpfen – wir müssen es nur wollen. Unser Verhältnis zu unserem wichtigsten Handelspartner (EU) lässt sich regeln – wir müssen nur vom hohen Ross steigen und die Flüchtlingskrise an den Grenzen lässt sich bewältigen – wir müssen nur erkennen, dass wir diese bald dringend brauchen werden (unsere Gesellschaft altert rapide). Dafür und für viele andere Sachen lohnt es sich zu streiten und zu kämpfen. Wer damit aufhört, resigniert oder auf ein Wunder hofft, hat mit Garantie verloren. Nie war die Zeit für einen Aufbruch reifer, wie heute. Denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Mein bescheidener Beitrag dazu: Blog schreiben, aufklären, Bewegungen unterstützen (materiell und ideell) – jede:r wie er kann.

PS: Es ist Sommer, es bläst ein lauer Wind, die Sonne scheint und ich geniesse meinen neuen grossen Sonnenschirm, während ich über diesen Zeilen brüte. Es sind oft die kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machen.

11.06.2021: Pause

Ich brauche eine Pause. Nach über einem Jahr wöchentlichem Blog, ist für ein paar Wochen Schluss. Viele Themen wiederholen sich und sind mit der Zeit ausgelutscht. Das langweilt – mich und vermutlich auch meine Leser:innen. Deshalb verordne ich mir eine Pause und kehre mit neuen Ideen und Format(Ende) zurück. Irgendwann im August. Einfach ab und zu reinschauen.

Ich wünsche allen einen schönen Sommer.

05.06.2021: Das Unglück der Glücklichen

Was sind wir doch für ein armes gebeuteltes Volk. Wahlweise durch eine despotische Regierung geknechtet – immer dann, wenn uns etwas nicht in den Kram passt – oder bevormundet durch linksgrün versiffte Heuchler und Weltverbesserer, die uns unseren Male-Urlaub vermiesen, uns in die Hungersnot treiben und den Subaru 4×4 verbieten wollen. Wir leben in wahrhaft miesen Zeiten. Und doch flattert an jeder Ecke die Fahne des glücklichsten Landes der Welt. Das Schweizer Kreuz. Garantiert EU-frei und reich das es stinkt. Zumindest statistisch. Denn davon merkt man im Alltag nicht allzu viel. Die Dukaten sind schlecht verteilt, verstecken sich und so denkt jede:r, der oder die hätte mehr davon und beäugt neidisch das neue Auto in der Garage des Nachbarn. Bliebe es dabei, könnte man über die kleine menschliche Schwäche hinwegsehen und schmunzelnd seines Weges ziehen. Leider bleibt es nicht dabei.

Die so Zukurzgekommenen suchen alsbald Schuldige. Mangel an diesen gibt es wahrhaft nicht, und sie werden erst noch frei Haus geliefert. Ungefragt, wie Werbewurfsendungen werden sie uns dieser Tage wieder an den Strassenrändern und Heuschobern um die Ohren gehauen. Quartalsweise, fein abgestimmt auf das aktuell konstruierte Feindbild, sind es mal Messerstecher, schwarze Schafe, rotes Gewürm und aktuell all jene, die dem steuergeplagten Bürger das Autofahren, Fliegen und Heizen vergällen wollen. Die gleichen Extremisten, die Gülle und Chlorotanonyl in ihrem Trinkwasser hassen. Wie kann man da noch glücklich sein?

Lästig wie Greta und ihre Schulschwänzer. Lästig wie die grünen Spinner, die sich von bio-veganem Gemüse und Quinoa ernähren. Lästig wie die EU, Flüchtlinge und bald wohl Joe Biden. Wie ein Mahnfinger lauern sie hinter jeder Hecke. Das mögen wir gar nicht. Man soll uns bitte in Ruhe lassen. In Ruhe Geld scheffeln, in Ruhe Geschäfte machen, in Ruhe tun und lassen, was das Herz begehrt. Was kümmert uns Morgen? Eben.

Hauptsache schön bequem. Hauptsache rentabel. Hauptsache weiter wie bisher. Also weg mit allem das stört. Weg mit (neuen) Verträgen, Vorschriften und Gesetzen. Weg mit Ausländern. Weg mit all den linken und grünen Stänkerern. Die Sonne winkt am Horizont. Nur ob sie auf oder unter geht, ist noch nicht entschieden. So bedeutet sie den einen Glück und ist den andern Drohung. Zwischenzeitlich ängstigt sie mich. Nicht so sehr wegen der drohenden Klimakatastrophe, viel mehr wegen dem was uns hinter dem Horizont erwartet. Es gibt aktuell genug Beispiele, von Polen, Weissrussland, der Türkei bis zu den Putschfantasien amerikanischer Politiker, die uns Angst machen sollten. Und wer nun glaubt, uns könnte sowas nie passieren, hat in Geschichte gepennt. Spätestens wenn die Aussichten auf eine bessere Zukunft schwinden und ein paar Geldsäcke sich um ihren Reichtum fürchten, steht auch bei uns die Demokratie zur Disposition. Es beginnt damit, dass sich die Presse in immer weniger Händen konzentriert, Angriffen aufs Fernsehen und Gesetzen, wie dem neuen Antiterrorgesetz, dass zur Abstimmung steht. Wir sind gewarnt.

Wie weit es mit dem Demokratieverständnis vieler Mitbürger ist, zeigen aktuell die haufenweise zerstörten Abstimmungsplakate. Noch deutlicher wird die Gemütslage, wenn man die Kommentare in den Online und Sozialen Medien verfolgt. Lügen scheint das neue Normal. Angst schüren tägliches Handwerk und Ressentiments an der Tagesordnung. Nur um die Inhalte geht es nie. Weder bei den Agrarinitiativen noch dem CO2-, dem Covid- oder dem Antiterrorgesetz. Es geht einzig um die Erhaltung von Pfründen. Stillstand ist Programm. Rückwärts das neue Vorwärts. Auf den festgefahrenen Karren folgt das Herz. Exitus.

Es ist offensichtlich. Das Glück der Glücklichen ist in Gefahr. Selbstverständliches ist in Frage gestellt. Alte Gewohnheiten stehen am Pranger. Das mag niemand. So viel ist klar. Wie bei Jeremia (15.10 15-21) soll oder wird der Überbringer der schlechten Nachricht geköpft. Also prüglet man auf alle ein, die mahnend den Finger heben, ein inne halten oder gar eine Umkehr fordern. So lässt es sich die gute alte Zeit noch für eine Weile in Ruhe und Frieden geniessen – was danach folgt, egal. Um es mit Ghandi zu sagen: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie sich und dann gewinnst du.“ Hat er Recht, können wir beruhigt sein.

28.05.2021: Digitalisierungsblödsinn

Den gehässigen und verlognen Abstimmungskampf rund um Landwirtschaft, Klima und Terrorismus, bis hin zu Morddrohungen, lass ich heute ruhen. Während das Rahmenabkommen in Herrliberg begraben liegt und die Sünnelipartei jubelt, werden die Lügner und Brandstifter umso dreister. Die Schweiz im Mai 2021. Hoffen wir, dass sich der Hass nach dem 13. Juni wieder legt (was ich allerdings bezweifle). Es ist genug und deshalb widme ich mich heute einem anderen Alltagsthema, welches uns ebenfalls alle betrifft: Der Digitalisierung – bzw. dessen Blödsinn.

Kaum ein Tag, an dem sich ein:e Politiker:in nicht für die „Digitalisierung“ in die Bresche wirft oder deren Fehlen lautstark beklagt. Sei es der digitale Impfpass, die gefaxten Coronazahlen oder die Drohkulisse wegdigitalisierter Arbeitsplätze – die Digitalisierung soll es richten oder eben nicht. Es ist wie beim Impfen. Was den einen Rettung, ist den andern Fluch. Da die Digitalisierung aber in etwa der babylonischen Sprachverwirrung gleicht, versteht darunter jede:r etwas anderes, zumal das Wissen darüber in den meisten Fällen, etwa dem Niveau eines YouTube-Virologen entspricht. Entsprechend dürftig ist auch die Debatte darüber. Diese schwankt zwischen Angst und Allheilmittel, Verweigerung oder exzessivem Gebrauch, Apokalypse und Leichtfertigkeit. Beginnen wir mit einer Auslegeordnung.

Als IT-Profi mit 35 Jahren „Digitalisierung“ auf dem Buckel, der unzählige Firmen mit den Segnungen der modernen Informationstechnologie beglückt hat, erlaube ich mir den Digitalisierungshype beurteilen zu können. So viel sei vorweggenommen, es wird keine Laudatio. Das Problem beginnt bereits mit der Frage: „Was ist Digitalisierung überhaupt?“ Sind damit Computer gemeint? Handys, das Internet, selbstfahrende Autos, 5G oder doch eher die viel zitierten Algorithmen, die Künstliche Intelligenz (KI) oder Roboter, welche uns arbeitslos machen? Vor allem aber: Was heisst das für mich, meinen Alltag und darüber hinaus, die Gesellschaft?

Wer nun denkt, Digitalisierung wäre einfach eine besonders raffinierte Technologie, der man sich wahlweise verweigern oder virtuos bedienen kann, ist auf dem Holzweg. Im Lichte betrachtet sind diese Optionen längst passé. Erstens weil uns die Kontrolle darüber fehlt – diese hat freundlicherweise das Silicon Valley übernommen – und zweitens, bestimmt sie unser Leben jetzt schon bis in den Schlaf. Sei es die Zahlung an der Kasse, die Nachricht an den Enkel, ein Impftermin oder der Anruf bei der Swisscom – immer ist ein Stück Digitalisierung am Werk. Und auch wenn ich mich persönlich den Segnungen der neuen Möglichkeiten und Techniken verweigere, so bin ich trotzdem davon betroffen. Wie und wo offenbart ein Streifzug durch den Alltag.

Eigentlich sollte uns die sog. Digitalisierung den Alltag und das Leben erleichtern. So zumindest lauten die damit verbundenen Hoffnungen. Wie einst die Dampfmaschine schwere körperliche Arbeit ersetzte, so machen heute Computer und Algorithmen nervtötende Routinearbeiten an unserer statt. Doch so wie einst der Dampf, die Menschen nicht wirklich von der Mühsal befreite, sondern diese nur beschleunigte und vermehrte, so ist es heute mit den binären Codes. Dazu gesellen sich Probleme, welche viele sehnsüchtig an die gute analoge Zeit zurück denken lässt. Von der gestohlenen Lebenszeit durch ungefragte Updates, abgestürzte Laptops, vergessene Passwörter, das millionenfache Ausfüllen schwachsinniger Registrierungsformulare und die stoische Erduldung nerviger Popup-Werbung, will ich nicht mal sprechen. Mit viel Wohlwollen kann man das mit Kinderkrankheiten und der sog. Lernkurve schönreden. Beängstigend auch, wie wir von Cloud, Handy und Co. unbemerkt und schleichend in Geiselhaft genommen werden. Sei es, weil die Daten plötzlich und unwissend, irgendwo auf einem Datenspeicher in Nevada liegen oder liebgewordene Funktionen über Nacht verschwinden oder ihr Gesicht derart verändern, dass man sie nicht mehr wiedererkennt. Ich gestehe: Selbst als Profi verliert man oft die Übersicht. Sei es über die aktuellsten Sicherheitsrisiken, Funktionen oder Trends – es ist schlicht zu viel und zu schnell. Und umso mehr verlieren wir die Kontrolle. Sowohl als Einzelner, wie als Gesellschaft. Dazu drei Beispiele aus dem realen Leben.

Irgendwann vor rund fünf Jahren, lange vor Corona, musste ich mich wegen einer Afrikareise impfen lassen. Also kramte ich mein altes, zerfleddertes Impfbüchlein hervor. Viele der 60 jährigen Einträge waren kaum mehr zu entziffern und so entschied ich mich für die digitale Variante „myviavac“ von meineimpfungen.ch und schmiss mein verblichenes und abgegriffenes Schmuddelheft in den Ofen. Im Vertrauen und stolz, von nun an mit dem Zeitgeist zu gehen, trug ich meine digital erfassten Impfdaten von nun an mit meinem Handy herum – bis ich vor vier Wochen meine Covid-19-Impfungen eintragen lassen wollte. Hoppla – falsches Passwort. Also Passwortsafe. Alles richtig. Login weiterhin unmöglich, Ergo – Passwort zurücksetzen. Rien na vas plus. Also Support bemühen. Lapidare Antwort: Betrieb, wegen eines angeblichen Datenlecks, eingestellt – aber keine Angst, ihre Daten sind bei uns sicher aufgehoben. Wo? Auf einem Datenfriedhof, in einem Massengrab? Und – wie komme ich nun an meine Impfdaten? Auf diese Antwort warte ich und vermutlich tausende Andere seit Wochen. Die sicher geglaubte Cloud hat sich beim ersten Lüftchen in Luft aufgelöst. Dafür bin ich jetzt stolzer Besitzer eines neuen, immer noch blauen Impfpasses, mit zwei Pfizer-Covid-19 Impfeinträgen – handgeschrieben.

Als Digital-Junkie muss man unbedingt mit der Zeit gehen – dachte ich. Also wackelte ich vor zwei Jahren als Erster auf die Gemeinde, um mich für die neue Digitale ID (eID+) des Kantons verifizieren zu lassen. Nach vierwöchiger Bedenkzeit und umfangreichen Recherchen seitens der Gemeindeschreiberin, hat es sogar geklappt. Ab nun also sollte ich Amtliches online erledigen können – hat man versprochen. Dabei blieb es dann auch. Und so ruhte die App auf meinem Handy, bis ich vor vier Wochen ein amtliches Anliegen hatte. Warum also nicht mit der eID? Wer weiss, vielleicht wurden in den letzten zwei Jahren das Angebot ja erweitert. Schliesslich stirbt die Hoffnung zuletzt. Loginfehler. Aha, vielleicht braucht es einen Update. Versionscheck. Alles auf dem neusten Stand. App und Betriebssystem brandnew. Da muss der Support ran…. und wie befürchtet – auch der weiss nicht mehr als ich…. In der Zwischenzeit habe ich ein App-Icon weniger auf meinem iPhone und erledige das Amtliche wieder mit Telefon, Kugelschreiber und zu Fuss.

Und dann wäre da noch eine Kollegin, die in Spanien Plätze in einer Arena reservieren und Tickets kaufen möchte – online versteht sich. Online-Formular ausgefüllt, Kreditkarte gezückt, pagar – bestätigen sie ihre Zahlung mit „one“??? Vorgang abgebrochen. Nun – „one“ ist ein Online-Tool des Kreditkartenherausgebers Viseca (muss man, sollte oder könnte man wissen). Eine nette Handy-App mit der man die Übersicht über seine Kreditkarte erhält und als Sicherheitsfeature Online-Zahlungen bestätigen kann. Blöd nur, dass das die wenigsten wissen, und so läuft man auf. Und wer nun glaubt diese App wäre so husch husch installiert, glaubt auch an den Weihnachtsmann. Erst Code beantragen, tagelang warten und dann erst ein Handy-Update… Digitalisierung als Ergotherapie. Und die Tickets in Spanien schimmeln weiter vor sich hin. Aber keine Angst, zusammen haben wir es doch noch geschafft. Uff!

Da ich weiss, dass es auch anders ginge, ärgert mich solcher Blödsinn umso mehr. Vor allem kenne ich auch den Nutzen einer Digitalisierung und kenne gleichzeitig ihre Schattenseiten. Und wie bei der Dampfmaschine im 19. Jahrhundert, ist nicht die Maschine schuld am Elend der Fabrikarbeiter, sondern wie und zu welchem Zweck die neue Technik genutzt wird bzw. wurde. Anders gesagt: Wer die Kontrolle über eine Technologie hat, bestimmt auch deren Einsatz und dieser heisst in der Regel, mehr, schneller und profitabler. Dafür werden auch Kollateralschäden in Kauf genommen. Und weil der Konsument kaum eine Wahl hat, zahlt dieser den Preis dafür. Sei es mit Bananensoftware (Software reift beim Kunden), lausiger Qualität (nix geht mehr), verlorenen Daten (wo sind meine Bilder) oder Zeitverschwendung (siehe oben). Haufenweise vertane Chance und verlorenes Potential. Zum Glück bin ich pensioniert und brauche es nicht mehr zu verantworten. Heimlich aber „schäme“ ich mich, einmal Teil dieser Branche gewesen zu sein.

21.05.2021: Keinen Pfifferling wert

Ist etwas wertlos, so ist es keinen Pfifferling wert. So will es der Volksmund. Und wie es gerade scheint, herrscht gerade eine Pfifferlingsschwemme. Sie sind noch weniger Wert als sonst – sie werden einem regelrecht nachgeschossen. Aber der Reihe nach.

Letzte Woche kündigte ich für heute den Start einer Trilogie unter dem Titel „Was tun?“ an. Statt immerzu mit den Fingern in Wunden zu stochern und auf böse Buben zu zeigen, sollte für einmal das Positive im Mittelpunkt stehen. Eine Skizze über das Wünschenswerte – ein möglicher Fahrplan für eine lebenswerte Zukunft. Und wie so oft, muss das Wünschenswerte zurückstehen. Die Aktualität fordert ihren Tribut. Denn es droht gerade die Gefahr, dass wir unsere Zukunft, vor allem aber diejenige unserer Kinder und Enkel, für ein paar läppische Rappen verzocken. Wie das?

Liessen die Umfragen vor zwei Wochen, mit einem Ja-Anteil von 64%, noch auf die Annahme des CO2-Gesetzes hoffen, so ist dieser Anteil diese Woche auf magere 50% zusammengeschmolzen. Wie die Gletscher unter der Sommerhitze, schmilzt die Aussicht auf ein Ja dahin. Einmal mehr sieht es so aus, als dass eine millionenschwere Angstkampagne ihr Ziel erreicht. Vergessen das ratifizierte Pariser Klimaabkommen, mit seinen verbindlichen CO2-Zielen, vergessen die Dürresommer, die Klimabewegung und erst recht die Klimaflüchtlinge in Asien und Afrika. Eine drohende Benzinpreiserhöhung von läppischen 12 Rappen (innert 10 Jahren) und netto 100 Franken mehr pro Jahr, genügen um unsere Zukunft aufs Spiel zu setzen. Wer dabei an apokalyptische Wetterkapriolen denkt, liegt nicht ganz falsch, aber davon rede ich nicht. Nein, ich meine damit nicht das Abschmelzen unserer Gletscher, das Verdorren unserer Wälder und Versiegen des Grundwassers – dazu ist der Einfluss dieses Gesetzes aufs Weltklima tatsächlich zu gering. Erstens weil es in vielen Punkten zu lasch ist (Beispiel Flugticketabgabe) und weil es die Kompensation im Ausland zulässt, und zweitens, weil wir das Klima nur gemeinsam (international) „retten“ können. Wir verpassen aber einmal mehr die Ausfahrt in eine lebenswerte Zukunft, nur damit wir weiter mit vollem Tank, Richtung Wand rasen können. Wie dumm muss man dafür sein?

Wäre ich ein Prophet würde ich diese hier noch so gerne präsentieren. Vielleicht ist es ein Glück, dass ich es nicht bin, denn viel Positives käme dabei wohl nicht heraus. Noch weit düsterer als die befürchteten Wetterkapriolen, dürften jedoch die ökonomischen und gesellschaftlichen Konsequenzen sein, wenn wir uns jetzt weigern die richtigen Schritte einzuleiten. Denn eines ist so sicher, wie das Amen in der Kirche – was wir heute nicht tun, kostet morgen das x-fache. Sei es um (vermeidbare) Schäden zu reparieren oder unter Zwang Anpassungen finanzieren zu müssen. Von den erwarteten sozialen und gesellschaftlichen Verwerfungen rede ich nicht mal. Kurz gesagt: Jedes vertane Jahr kostet Milliarden, die wir heute in eine CO2-neutrale Technologie und zukunftsfähige Jobs investieren könnten. Wenn, wie in den letzten Tagen publiziert, selbst die Internationale Energie Agentur den Ausstieg aus dem Erdöl fordert, muss der Wecker wohl schon über der Schmerzgrenze klingeln. Nur Taub-Blinde, wie die $VP, Teile der FDP, Ölscheichs und belogene Stimmbürger:innen haben den Schuss noch nicht gehört. Sie schicken darum lieber weiterhin Milliarden nach Saudi Arabien und Aserbaidschan und meinen wohl e-Cars und Solarstrom wäre nur etwas für grüne Spinner mit schlechtem Gewissen und dickem Portemonnaie. Der „Verzicht“ auf drei Kaffee crème pro Monat (bei 150 lt Benzinverbrauch) sind ihnen für eine lebenswerte Zukunft offensichtlich zu viel und 30 Franken mehr für ein Flugticket nach London lassen den Ruin befürchten. Dass die Rückvergütung via Krankenkasse und der Fördertopf für Innovationen und energetische Massnahmen (z. B. für den Ersatz alter Ölheizungen) nicht erwähnt werden, grenzt schon beinahe an Betrug. Noch bedenklicher ist nur die Tatsache, dass überhaupt nur über Kosten (Geld) gesprochen wird und weder die Zukunft unserer Kinder noch ein intakter Lebensraum eine Rolle zu spielen scheint. Anders gesagt: Die Zukunft ist vielen keinen Pfifferling wert.

Wie die Jugend bei einem allfälligen Nein reagieren wird, weiss ich nicht. Viel hält die Klimajugend – wahrscheinlich zu Recht – nicht von diesem Gesetz. Eine Ablehnung wäre trotzdem ein fatales Signal. Der Vertrauensverlust in Politik und die „Alten“ dürfte noch schwerer zu reparieren sein. Bei harmlosen Schulstreiks am Freitag Nachmittag dürfte es nicht bleiben. Wenn die „Mehrheit“ glaubt ihr gesamtes Versagen auf die zukünftigen Generationen abwälzen zu können, dürfte sie schnell eines Besseren belehrt werden. Sich selber und andere bescheissen, war noch nie wirklich klug.

Und there is one more thing…..https://tagesanzeiger.ch/unglaubliche-30-grad-in-der-arktis-548421991879

14.05.2021: Überdruss

Im Moment wirkt alles ausgelutscht, abgenagt und ausgeweidet. Zu jedem Thema scheint alles gesagt. Selbst die Empörung ziert sich und will nicht mehr zünden. Es ist wie tagein tagaus Haferbrei. Irgendwann hat man es satt. Tote Hose – nix geht mehr. Egal ob Corona, seine Leugner, die Plakatorgie der Agrar- und Erdöllobby und erst recht die Raketen in Gaza und Tel Aviv, es langweilt – selbst dann, wenn Wut und Protest angesagt wäre. Zermürbung als Taktik um den Gegner weichzuklopfen. Denn irgendwann hört und sieht man weg, zuckt mit den Schultern und überlässt das Spielfeld den Nölern und Kriegstreibern. Forfait! Der Gegner jubelt, die Probleme schiessen ins Kraut und kehren doppelt so gross zurück. Genau dieses Tote-Hose-Gefühl begleitet mich seit Tagen. Grund: Ohnmacht.

Nichts mag mich richtig zu begeistern. Nichts aber auch wirklich zu ärgern. Selbst Herzensthemen, über welche ich sonst stundenlang debattieren kann, lassen mich kalt. Das Irritierenste aber, ich fühle mich weder depressiv noch traurig. Es reisst mich einfach nichts aus den Socken. Es ist als wäre plötzlich nichts mehr wichtig. Ich habe mir sogar überlegt meine News-Apps auf dem Handy zu löschen und Facebook und Co. tschüss zu sagen. Denn – und das ergab meine Kurzanalyse – es wiederholt sich gerade alles – bis zum Überdruss. Den Ausschlag gab für mich der erneute Gewaltausbruch in Israel. Die selben Bilder, die gleichen Drohungen, die selben Feindbilder und die alten Konflikte, wie vor 7, 12, 20, 30 und 50 Jahren. Der einzig messbare Fortschritt: Mehr und noch effektivere Waffen. Und ob ich dazu nun eine Meinung habe (habe ich natürlich), ist seit ebenso vielen Jahren völlig egal. Es kümmert niemand und nix. Ohnmächtig muss man zuschauen, wie zynische Akteure ihre Agenda auf Kosten und dem Buckel des Normalbürgers durchziehen. Die Motive: An der Macht bleiben. Die Methoden: Angst und Hass. Die Mittel: Mord und Terror. Das Ende: Voraussehbar.

Genau so voraussehbar wie die Politik der $VP, welche sich wieder einmal mehr der Angst bedient, um dringende Veränderungen anzustossen. Die Propagandaschlacht um die Trinkwasser- und Pestizidinitiative habe ich schon thematisiert. Sie operiert nach dem immer gleichen Muster: Angst, Untergang und Ruin. Den Gipfel der Unverschämtheit aber liefert diese Partei rund um das CO2-Gesetz. Da es – ausser der Kritik, dass das Gesetz zu wenig weit geht – kein vernünftiges Argument gegen griffige Massnahmen gegen die Klimaerwärmung gibt, müssen es einmal mehr Lügen richten. Lügen über angeblich horrende Kosten, geschröpfte Autofahrer, angeblich technische Lösungen, die keine sind usw. Was wirklich im Gesetz steht, ist egal. Hauptsache man bedient die Profitinteressen der Fossilen Lobby. Dafür wird auch die Zukunft Aller aufs Spiel gesetzt. Kurz gesagt: Der Sättigungspunkt ist erreicht – ich kann mich nur noch angewidert wegdrehen. Auch hier Überdruss und Ohnmacht.

Bleibt die Frage: Wie reagieren wir auf solches Gebaren? Reicht es sich weg zu drehen oder muss man Widerstand leisten? Wenn ja, aber wie? Richten es die besseren Argumente oder braucht es mehr? Wo aber eine gemeinsame Basis fehlt, ist eine Diskussion sinnlos. Wer die Existenz von Viren leugnet, kann mit allen Fakten dieser Welt nicht vom Nutzen einer Impfung überzeugt werden. Wer den Frieden nur in der Vernichtung des Gegners sieht, wird jede Verhandlung boykottieren und wer nur nach persönlichem Reichtum und Macht strebt, interessiert das Gemeinwohl nicht. Wohin solches führt, lehrt uns die Geschichte. Ich kann auf eine Wiederholung verzichten. Bleibt mein Überdruss.

Nutzen wir diesen produktiv und schreien ihn gemeinsam hinaus. Machen wir den Despoten, Nölern und Leugnern klar, dass wir ihr Spiel durchschaut haben. Weigern wir uns auf ihre Lügen und Winkelzüge einzugehen. Nennen wir Lügen Lügen und Betrug Betrug. Sagen wir ihnen, dass wir es überdrüssig sind, ihren Lügen zuzuhören. Ignorieren wir ihr Ränkespiel. Entweder man sucht gemeinsam, faktenbasiert nach Lösungen oder man darf zu Hause bleiben.Wir haben Besseres zu tun als über eure haarsträubenden Lügenkonstrukte zu debattieren – wir haben Probleme zu lösen. Und wenn ich Überdruss konstatiere, so richtet sich dieser allein gegen eure Spielchen, die wir durchschaut haben. Redet also was ihr wollt, ich höre einfach nicht mehr zu. Wer die Spielregeln nicht akzeptiert, darf am Spielrand stehen. Vielleicht liegt darin ein Teil der Lösung. Überdruss schützt uns vom „zu viel“ und lenkt unsere Aufmerksamkeit auf Neues. Denn es ist eine Binsenweisheit: Die Zukunft liegt vor, das Alte hinter uns.

Vorankündigung: Was tun? Eine Trilogie über die Frage was uns wirklich kümmern sollte, ist in der Pipeline. Start: Teil 1 am 21.5.2021 – Überschrift: Utopie oder Dystopie?

07.05.2021: Bauernfängerei

In der Schule lernen wir, wie die freiheitsdurstigen Bauern und Hirten aus dem Schächen-, Muota- und Melchtal die arroganten Habsburger aus ihren Tälern vertrieben. Und wenn wir diesen Mythos auch einem Deutschen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts verdanken, so hält sich dieser auch noch in den Köpfen der globalisierten Vorstadtbewohner des 21. Jahrhunderts. Abzulesen auch an den Trychler-Aufmärschen der Frei-und Leerdenker dieser Tage. Der Bauer im Hirtenhemd, als heilige Ikone einer unbezwingbaren Schweiz. Eine Groteske, die man erst einmal verdauen muss. Durchaus aber Sinnbild für den Zustand von so Vielem in diesem Land. Wagen wir den Realitätscheck.

Ich könnte jetzt, wie der neoliberale Think-Tank „avenir suisse“, mit einer eindrücklichen Exceltabelle und bunten Grafiken belegen, wie marginal, unrentabel und kostspielig unsere Landwirtschaft ist. Die daraus folgende Schlussfolgerung wäre schnell gezogen: Macht euren Laden dicht – ihr rentiert nicht – hoch lebe der freie Markt! Euer lächerlicher Beitrag zum Bruttosozialprodukt verschleudert die Credit Suisse weit besser an einem verregneten Vormittag. Da ich aber weder ein Vertreter der Rollkoffer-Brigade McKinseys, noch Säckelmeister des Steuersparvereins bin, überlasse ich die Buchhaltung diesen Erbsenzählern und widme mich den kulturellen und politischen Aspekten unseres Bauernstandes. Denn es gibt durchaus ein paar Auffälligkeiten die ins Auge stechen. Da wäre z. B. das überproportionale Gewicht des Bauernverbandes in der Politik (29 in Bern, also 12% bei einem Bevölkerungsanteil von 1,4%). Das gleiche Bild in den Gemeinden, quer durchs Mittelland. Wir sind eine Bauernrepublik. Abzulesen auch an den üppig sprudelnden Subventionen und den zahlreichen Sonderregelungen und Extrawürsten, wie den steuerbefreiten Diesel für ihre Monster-Trucks, die Mehrwertsteuerbefreiung für Hofläden, die Zollschranken zum Schutz vor Billigimporten, freie Familienzulagen, usw. (hier eine Auflistung). Eine heilige Kuh in den Strassen Neu-Dehlis muss sich dagegen diskriminiert fühlen. Was aber weit schwerer wiegt als diese monetäre Vorzugsbehandlung ist die Beinahe-Heiligsprechung eines ganzen Berufsstandes. Besser gesagt, die Überhöhung und Idealisierung der bäuerlichen Lebensweise. Der hart arbeitende Bauersmann mit den schwieligen Händen, gebückt auf den Feldern. Die Bäuerin im Hofladen mit Biogemüse und Freilandeiern umringt von glücklich gackernden Hühnern. Und wenn wir auch unser Geld im Export, am Paradeplatz und in den Giftküchen der Basler Pharma verdienen, so tun wir so, als wären wir alle (noch) Bauern und Hirten. Werbung mit Gans und Barry, Puurezmorge mit Züpfe und selbstgemachter Konfi tun den Rest. Und mit diesem Bild im Kopf lassen wir uns jeden Mist aufschwatzen – sei es im Laden oder in der Politik. Ok, nicht alle. Aber genug, um damit Mehrheiten zu gewinnen.

Erklärungen für dieses Paradox gibt es viele und hat tiefe Wurzeln. Historisch, durch die Überhöhung der Bauernscholle durch die Sieger des Sonderbundkrieges (Geburtsstunde der modernen Schweiz), als Heilungsprozess für die tief gespaltene junge Nation (Motto: Die Schweiz ein Volk von Bauern und Hirten). Dann das politische Zweckbündnis der Liberalen mit den Konservativen gegen die erstarkende Arbeiterschaft um die Jahrhundertwende. Im 2. Weltkrieg die Blut- und Bodenpropaganda um Réduit und Anbauschlacht und schliesslich heute, die Pflege des Mythos einer heilen autarken Schweiz, als Modernisierungsplacebo. Grüne satte Wiesen, weidende Kühe und Landfrauenküche als Globuli gegen die Zumutungen des modernen Lebens. Treichelnde Mechatroniker, KV-Lehrlinge und Web-Designer in Hirtenhemd und Ochsen-Joch, stehen dafür so verlogen wie symbolisch – dieser Tage vorzugsweise an Aufmärschen der Freunde Coronas zu finden. Seit dem heroischen Kampf der $VP gegen alles Ausländische und Europäische, sind sie das Symbol des Widerstandes und gegen das Fremde schlechthin. Wo getreichelt wird, ist das „Vouch“ und die $VP nicht weit. Als gälte es die bösen Geister der Moderne zu vertreiben, wird gescheppert, bis das Trommelfell platzt. Auf der Strecke bleibt alles, was uns weiter bringen könnte und Zukunft verspricht.

Soweit die Symbolik einer längst abgedankten Kultur und Lebensweise. Diese wird nun aber nicht nur für zahlreiche Privilegien benutzt, vermehrt noch, dient sie der politischen Bauernfängerei. Seien es die verlogenen Auftritte der $VP-Milliardärsprominenz in Hirtenhemd und Trychel, oder deren Schlacht gegen sauberes Trinkwasser und den Klimaschutz, immer wird die gleiche Symbolik bemüht und der Landmann in die Schlacht geschickt. Aber warum auch etwas Neues erfinden, wenn es schon im Mittelalter half, als die eidgenössischen Lokalfürsten das rebellische Bauernvolk als Reisläufer auf Europas Schlachtfeldern verschickte, um im eigenen Land Ruhe zu haben. Heute hängen die Gleichen am Subventions-Nasenring und dienen gierigen und skrupellosen Machtpolitikern als willfähriges Werkzeug. Ihre „Rebellion“ (auch als Frust bekannt) richtet sich gegen ihre eigene Zukunft. Das Traurigste dabei: Trotz allen den Privilegien geht es den Landwirten immer schlechter. Die Kontroll- und Regelungsdichte wächst ins uferlose, die Preise sinken ins bodenlose, die Böden werden ausgelaugt, die Biodiversität verarmt, das Wasser wird vergiftet und das Klima spielt verrückt. Egal ob es um Wasser, Böden, gesunde Lebensmittel, Preise oder CO2 geht: Der Bauer badet es aus, der Konsument bezahlt die Zeche, und Handel, Agrochemie und die Sünnelipartei reiben sich die Hände. Alternativen werden erst gar nicht in Erwägung gezogen – ein Extrawürstchen mehr, wird es schon richten. Selbst einfachste Einsichten, wie die Tatsache, dass sich biologische Wachstumsprozesse nicht beliebig beschleunigen lassen und fruchtbarer Boden endlich ist, werden negiert. Wer also auf gleichem Boden immer mehr, mit immer höherem Mitteleinsatz, zu immer tieferen Preisen, produzieren soll, wird früher oder später scheitern. Vermutlich eher früher… Ich frage mich nur, wie lange sich die Bauern dieser Einsicht noch verschliessen wollen.

Aktuell zum Beispiel die sog. Agrarinitiativen, gegen die schon seit Monaten an den Scheunentoren von Sankt Gallen bis Genf plakatiert wird. Genauso das CO2-Gesetz welches mit Lügengeschichten, gefälschten Zahlen und Studien, von Swissoil, Autolobby und $VP, gebodigt werden soll. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen wo der Schilderwald mit den Nein-Parolen aufgepflanzt wird – in den Kartoffeläckern von Rheineck bis Chancy. Dass dafür hier im Dorf, nachts, die Plakate der Befürworter von den Hauswänden „verschwinden“ spielt kaum mehr eine Rolle. Es zeugt nur von einer zweifelhaften demokratischen Gesinnung und ist vermutlich Ausdruck von Ohnmacht und Verzweiflung. Denn instinktiv wissen sie vermutlich, dass sie damit am Ast sägen, auf dem sie sitzen. Das für diese Themen kaum ein Bauer eintritt, grenzt schon beinahe an Schizophrenie, denn kaum jemand dürfte so abhängig von der Natur sein, wie sie. Wessen Ernten verdorren, wer erntet weniger Obst, wenn die Bienen sterben, welche Böden werden vergiftet? Aber der Bauernfänger heissen nicht umsonst so. Er fängt Bauern. Aber solange sich diese am Nasenring in der Manege vorführen lassen und wir dazu Beifall klatschen, brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir alle an der Nase herumgeführt werden.

30.04.2021: Nera Verzasca

Nera Verzascageiss

Es gäbe wahrlich viele Themen über die ich heute schreiben könnte. Da wäre das einjährige Jubiläum meines Wochenblogs. Der erste Beitrag trägt die Überschrift „Landkrank“ und widmet sich dem ersten Lockdown und unserer Heimkehr von unserer abgebrochenen Weltreise. Wer hätte gedacht, dass uns diese Pandemie ein Jahr später immer noch beschäftigt. Gefühlt 3/4 meiner Wochenbeiträge handeln davon. Und jede Woche zermartere ich mir den Kopf, ob es nicht doch spannendere Themen gäbe und scheitere regelmässig. Auch diese Woche gäbe es dazu viel zu sagen, aber ich verkneife es mir, sonst muss ich mich übergeben oder werde noch auf Schmerzensgeld verklagt. Der Aktualität geschuldet läge der „Tag der Arbeit“ nahe. Ich lass es aber und widme mich heute dem Gegenteil: Dem Lob auf die Faulheit und dem Schönen vor unserer Haustür. Dem Verzascatal, wo wir diese Woche sind bzw. waren.

Seit die berühmte Römerbrücke „Ponte dei Salt“, die sich bei Lavertezzo elegant über die türkisblaue Verzasca schwingt, über Instagram zum „Ort wo man gewesen sein muss“ gekürt wurde, ist das einst verarmte Tal, welches in den „Schwarzen Brüdern“ traurige Berühmtheit erlangte, zum Fotosujet handybewehrter Tagestouristen geworden. Und in der Tat, das Gewusel vor, auf und rund um den alten Fussgängersteg, ist auch Wochentags einem Popkonzert ebenbürtig. Wohin sich vor fünfzig Jahren bestenfalls Aussteiger mit ihrem rostigen Bulli verirrten, um aufgelassene Rusticis und Alpweiden wieder zu beleben, wird heute der Postautokurs doppelt und dreifach geführt. Die Sitze rappelvoll. Und auch die Wiederbelebung der alten Gemäuer scheint gelungen. Auf die langhaarigen Aussteigern folgte sichtbar das Geld. Sognogno, das Dörfchen im hintersten Tal, erstrahlt in frischem Glanz. Herausgeputzt, geplästert und frisch gestrichen. Ein Check auf dem Immobilienportal bestätigt den Eindruck. Unbezahlbar.

Einst waren die Talbewohner gezwungen, ihre Kinder zum Reislaufen, nach Mailand in die Kamine oder gleich zum Gold schürfen nach Klondike zu schicken. Ein Glück sind diese dunklen Zeiten vorbei. Die Spuren der damaligen Armut sind heute steingewordene Ferienträume. Und wenn man über gewisse Auswüchse, wie den Hype um die pittoreske Brücke in Lavertezzo, oder das Bungee Jumping von der 220- Meter-Staumauer im Taleingang, die Nase rümpfen mag, so ist und bleibt das Tal doch weitgehend von Tourismussünden verschont. Keine Hotelkästen, keine Retortensiedlungen und keine Schickmickipaläste. Dafür viel Natur, herrliche, liebevoll gestaltete Wanderwege (z. B. der Sentiero del Arte zw. Brione und Lavertezzo) und, zumindest optisch, intakte Dörfchen. Und wenn auch die Mehrheit der ehemaligen Ziegenställe und Heuschober umgenutzt wurden, so kann das Leben im Tal so erhalten werden. Die Alternative wäre wohl die Abwanderung und Verwilderung. Beispiele in Norditalien gibt es genug. So aber grast die schwarze Verzascaziege von Species rara weiterhin auf den spärlichen Wiesen im Tal. Ein besonderer Genuss der „formaggio di capra“, der im Tal produziert wird. Vielleicht haben die neugierigen Vettern Julius Cäsars (die gehörnten Viecher sind direkte Nachfahren der einstigen Römerziege) gerochen, dass ich ihren Käse mag – sie folgten mir auf Schritt und Tritt und erinnerten mich an meinen einstigen Bubentraum, Schafhirte zu werden.

Nebst diesen kulturellen Hinterlassenschaften sticht auch eine wilde, ungezähmte Natur ins Auge. Unzählige, mehrere hundert Meter hoher Wasserfälle tosen in die Verzasca und ohne extra suchen zu müssen, queren Vipern, Feuersalamander und Smaragdeidechsen die Wege. Man wähnt sich in einer anderen Welt, und doch, ist man noch in der Schweiz. Ein Schatz den wir hüten sollten.

Wer jetzt glaubt, das Touristoffice Ticino hätte diesen Text gesponsert, liegt falsch. Er entwuchs allein meiner Begeisterung über eine kurze Woche in einem 30 m2 Steinhäuschen in Brione. So klein, dass wir nachts über eine roh behauene Aussentreppe auf die Toilette mussten. Mit den 1.65 hohen Türrahmen lernten wir sogar freiwillig die gebückte Demutshaltung. Teil des Dorflebens ist man ebenso schnell. Die Nachbarn sitzen quasi mit am Tisch und dem 103-jährigen Talältesten begegnen wir täglich auf der Piazza, wo er offenbar einen grossen Teil seiner Zeit verbringt. In jedem Fall eine Woche zum Abstand nehmen vom Wahnsinn unserer Zeit und eine Woche um Kraft zu tanken. Für einmal hat nur die Nera Verzasca-Geiss etwas zu meckern. Der Blogger faulenzt, schweigt und geniesst.

23.04.2021: Sonderfail

Ob Siegfried der Drachentöter oder Achill im trojanischen Krieg, beide waren sie unverwundbar und starben doch. Und so wie das Römische Reich und das Empire zerfielen, wird es auch allen anderen Unbezwingbaren ergehen. Das lehrt uns die Geschichte. Ausser uns natürlich. Denn die Schweiz ist ein Sonderfall. Seit Morgarten haben wir jeden Fremdling in die Flucht geschlagen (den peinlichen „Unfall“ mit Napoleon lassen wir mal beiseite) – mal mit Hellebarden, mal mit Bunkern und Tresoren, heute mit „Steuergesetzen“ und „guten Diensten aller Art“. Unser Abschreckungsdispositiv ist effektiv und macht uns unangreifbar – meinen wir. Wenn also jemand auserwählt ist, dann wir. Und dann kam eine chinesische Fledermaus.

Im ersten Schreck darüber, hiess es vernünftigerweise noch: „Bleiben sie zu Hause“. Für einen kurzen lichten Moment schien es, als stünde das Leben über dem Profit und Wissenschaft vor Mauschelei. Doch schon bald klaffte in Uelis Kässeli ein gar schröcklich Loch und die ausbleibenden Profite gefährdeten Dividenden wie Boni. Ein unhaltbarer Zustand. Und so besann man sich des alten guteidgenössischen Sonderfalls. Was also kümmern uns Wissenschaft und Expertise? Wir stehen doch über so profanen Dingen, wie Lockdown und geschlossenen Gaststätten. Erst noch verhalten, zwischenzeitlich aber offen obszön, werden Erkenntnisse in den Wind geschlagen. So kam die zweite Welle und so nimmt die dritte gerade Anlauf. 10’000 Tote und ungezählte Long-Covid-Opfer subsumieren sich zur Quantité négligeable. Allen voran fordern die Statthalter der Wüsten und Reichen, mit im Schlepptau, die der ganz schön Reichen, das Ende aller Einschränkungen, welche die Profitmaximierung stören könnten. Die Drecksarbeit auf der Strasse erledigt währenddessen ein unappetitlicher Haufen Ver(w)irrter – angeführt von edelweissbehemdeten Treichlern, aufgehetzt von faschistoiden Hipstern, verstärkt durch Jünger Christi, anthroposophische Impfgegner und betagter Anhänger jenseitiger Heilslehren. Resultat: Wir sind schlauer als sämtliche Virologen und Epidemiologen, schlauer als alle unsere Nachbarn und scheren uns einen Teufel um Mutationen und überfüllte Intensivpflegebetten. Wir sind die Ausnahme der Ausnahmen. Wir können Corona – Hauptsache der Rubel (sorry der Franken natürlich) rollt. Offen und zynisch wird das Leben und die Gesundheit ganzer Generationen in die Waagschale geworfen. Notabene, kaum drei Monate vor dem selbst deklarierten Ziel einer Herdenimmunität dank Impfens. Dafür schreddert man die eigenen Richtwerte und foutiert sich einen Deut um das was gerade passiert. Sei es in den Schulen, den Spitälern und schon gar nicht im Rest der Welt. Denn wir können es besser. Wir sind ein Sonderfall!

Wirklich? Was können wir denn besser? Schneller impfen vielleicht? Bessere Impfstoffe entwickeln? Haben wir wirkungsvollere Teststrategien? Ein lückenloses Tracing? Haben wir mehr Intensivstationen, bessere Ärzte und Pflegepersonal? Setzen wir verordnete Massnahmen besser um und durch? Die Antwort ist schnell gegeben. Nichts von alledem!Bestenfalls sind wir Mittelmass, schlimmstenfalls sind wir gescheitert. Wie begründet sich unser Sonderweg, über den das gesamte Ausland (ausser Bolsonaro vielleicht) den Kopf schüttelt, dann? Wissen unsere Politiker vielleicht mehr als die Wissenschaft? Mehr als alle übrigen Regierungen dieser Welt und mehr als wir alle? Wenn ja, dann sollten sie es uns sagen. Bisher scheint es aber eher als beugten sich unsere Verantwortungsträger dem Druck des Geldes und dem populistischen Geschrei der Sozialdarwinisten von $VP, Gastrosuisse und Arbeitgebern. Saubannerzüge werden wohlwollend geduldet und Krawalle herbeigeschrieben. Die Kapitulationsurkunde des Bundesrates hängt schon eingerahmt im Sekretariat der $VP-Parteizentrale – Kopien davon bei economiesuisse, Gastrosuisse und FDP. Vor lauter Kopfschütteln droht mir schon ein Schleudertrauma. Zurück bleiben Fragen. Wieso verschärft Deutschland (welches in etwa in der gleichen Lage ist, wie wir) seine Massnahmen im gleichen Augenblick, wo wir öffnen? Sind die Deutschen vielleicht krankheitsanfälliger, gar Mimosen? Impfen sie (noch) langsamer? Die vorliegenden Zahlen sagen etwas anderes. Das gleiche in Frankreich. Wieso meint Macron, Ausgangssperren würden etwas bringen, während wir es mit offenen Terrassen versuchen? Das gleiche Bild in einigen Bundesländern Österreichs und Italiens. Sind die alle blöd?

Oder sind wir vielleicht die Dummen? Die Vermutung liegt nahe, dass wir es am Ende sind. Ohne irgendwelche Horrorszenarien bemühen zu wollen – das erledigen die wissenschaftlich fundierten Prognosen der Epidemiologen von alleine – ist jetzt schon klar wer die Rechnung für diese Politik bezahlt. Wir alle! Vor allem aber alle unter 65, die man seit Wochen hängen lässt. Fehlt nur noch eine Lotterie für Impftermine. Denn sie zahlen es mit ihrer Gesundheit, dem Leben und Existenznöten. Über den zu erwartenden Reputationsschaden im Ausland, sei hier vornehm geschwiegen. Ein Tourist wird sich künftig zwei mal überlegen, wo er seinen Urlaub verbringt. So wie wir uns zieren mit der EU in einer vernünftigen Beziehung zu leben (Rahmenabkommen), so meinen wir auch bei Corona Rosinen picken zu können. Will heissen, wir tun das Minimum und erwarten das Maximum – die DNA unserer Politik seit Menschengedenken. Blöderweise ist das Virus aber kein Politiker, mit dem man dealen kann, sondern ein fieser Mistkäfer, der nur nach dem Gesetz des Überlebens funktioniert. Schlussfolgerung: Wir sind die Laborratten der Politik, die eine Wette auf unsere Zukunft abgeschlossen hat. Für einmal hoffe ich, sie gewinnen sie und ich habe unrecht. In solchen Zeiten sind solche Hoffnungen, wie Glühwürmchen in einer mondlosen Nacht.

Angeblich soll bei Angst in der Nacht, lautes Singen helfen. So betrachtet sind die Lockerungen für Chöre weitsichtig. Vielleicht hilft uns ja lautes Singen über die nächsten Monate hinweg. Besser allerdings wäre Turbo-Impfen, vorsichtig bleiben, Menschenansammlungen meiden, geschlossene Räume sowieso und draussen viel frische Luft tanken. Eigenverantwortlich, wie es so schön heisst. Support von Wirtschaft und Politik können wir dabei nicht erwarten. Es bleibt nur der Selbstschutz und die baldige Abwahl jener, die uns das einbrocken. Wer sich aber zufälligerweise oder weil er muss, an einen Hotspot oder in die Stadt verirrt, kann nur noch beten, singen oder flüchten. Als wollten wir der Welt beweisen, wie sonderlich wir sind, tun wir alles für unseren Sonderfail.

16.04.2021: Erstweltprobleme

Wer kennt es nicht? Man ist auf dem Bahnsteig und der Zug kommt und kommt nicht. Der Zeiger der Bahnhofsuhr quält sich im Rund. Die Anzeige vermeldet Verspätung. Die kalte Bise kriecht unter die viel zu dünne Jacke. Verdammt, wann endlich kommt mein Zug? Genau so fühlt sich das Pandemiedesaster an. Es will und will nicht. Und statt ein Ende, sind höhere Fallzahlen in Sicht. Kurz gesagt: Es ermüdet und zerrt an den Nerven. Zumindest an den meinen oder denen von uns Verwöhnten, die sich gewöhnt sind, dass alles wunschgemäss und wie am Schnürchen klappt. Also schmollen die einen, harren die andern und nölen die dritten. Alle wurden in diesem Blog schon durch den Kakao gezogen. Heute bin ich an der Reihe, oder meinetwegen Meinesgleichen.

Was habe ich Wohlstands-Rentner in dieser Pandemie eigentlich zu klagen? Meine Rente kommt pünktlich und reicht zum Leben, ich bin gesund und wohne sicher im eigenen Häuschen, draussen in der grünen Pampa. Und trotzdem müffel ich seit Tagen vor mich hin, bin lust- und antriebslos. Irgendwas fehlt. Etwas nagt. Aber was? Abwechslung? Inputs? Aufgaben? Sind es die geschlossenen Restaurants? Das geschlossene Hallenbad oder ist es einfach das tägliche Einerlei, welches zermürbt? Fehlt das Unbeschwerte? Das Easy Life? Das heute hier und morgen in Spanien? Im Ernst, ist es das? Gehöre ich auch schon zu den notorischen Nölern?

So oder so, allein der Gedanke ist ein erschreckender Befund. Schwingt auch hier der Bauch das Zepter und hinkt der Verstand hinterher? Urteil: Bedenklich! Wieso gelingt es nicht einmal einem Verstandesmenschen (Selbstdeklaration) wie mir, mit kühlem Kopf und ohne emotionale Blessuren, durch diese Krise zu kommen? Sind es wirklich die oben genannten Einschränkungen und Entbehrungen, welche mein Nervenkostüm strapazieren? Oder ist es doch etwas anderes? Aber was? Liegt es daran, dass wir verwöhnt sind? Dass wir meinen alles tun und lassen zu können? Wir Einschränkungen als Zumutung empfinden? Ist unser Narzissmus gekränkt, weil uns ein unsichtbares kleines Ding den Meister zeigt oder weil unser notorisches Jammern auf taube Ohren stösst? Wie oder was auch immer, wirkliche Probleme sind es nicht – wir reden von Befindlichkeiten. Wirkliche Probleme haben die täglich 4000 Toten in Brasilien, die 200‘000 Infizierten in Indien und die Millionen Brot- und Arbeitslosen rund um den Globus. Wir dagegen haben Erstweltprobleme. Peanuts also.

Probleme, für die andere, aus verständlichen Gründen, wenig Verständnis haben. Ja, selbst ich verstehe es nicht (ganz). Aber als „Kind“ dieser Gesellschaft ist ein Entrinnen leichter gesagt, als getan. Der Peinlichkeit geschuldet, versuche ich es trotzdem. Denn, wenn das diffuse Bauchgefühl auch den „luxuriösen“ Lebensumständen geschuldet ist, so ist der Verstand noch intakt. Und dieser kommt zu einem gänzlich anderen Befund. Einem der auf zwei Erkenntnissen ruht. Müde macht nicht das Virus, müde macht das stümperhafte Krisenmanagement und nervig sind nicht die verordneten Massnahmen, sondern deren lausige Umsetzung. Und beide Befunde werden uns noch lange über Corona hinaus beschäftigen. Die miserable Vorstellung der involvierten Behörden grenzt dabei schon an Dienstverweigerung. Eine Armeeapotheke die 700‘000 Tests vermodern lässt, nicht oder zu spät bestellte Impfstoffe, das politische Schmierentheater gegen den Bundesrat, Massnahmen und Wissenschaft und die leeren Impfversprechen seit Monaten, sind ein blanker Hohn. Das ermüdet und untergräbt das Vertrauen in Politik und Staat. Die Duldung von immer aggressiven Massnahmengegnern, das Vertrauen in Polizei und Justiz. Und während ich das hier schreibe, verlängert der Bundesrat die Pandemie gerade um Monate mit einer waghalsigen Öffnungsstrategie. Die wahren Herren in diesem Land sind offensichtlich weder Vouch noch Stimmbürger:in, sondern $VP und Wirtschaftslobby. Frei nach dem Gesetz der ungeschönten Marktwirtschaft werden die Risiken ausgelagert (ans Vouch) und der Gewinn privatisiert. Wenn es dann um die Verantwortung geht, wird es niemand gewesen sein. So weit, so bekannt. Mein angeknackstes Nervenkostüm und meine Lustlosigkeit gewinnen dafür Konturen. Irgendwie beruhigend. Denn es ist weder mein wohlstandsverwöhntes Bauchgefühl, noch die Pandemiemassnahmen, die mich ärgern. Ich ärgere mich nur grün und blau über unsere Politik und Politiker, welche ihr Fähnchen in den Wind halten. Einmal mehr bleibt das laue Lüftchen der gebotenen Vernunft ungehört. Auch das ist nicht neu und allein bin ich damit auch nicht. Der Frust über das Risiko, dem uns der Bundesrat damit aussetzt, macht sich in den Sozialen Medien gerade Luft. Dafür sind Twitter und Co. gemacht. Eine Lärmkulisse für Frustrierte. Fakten schaffen andere. Am Samstag werde ich geimpft – immerhin.

09.04.2021: Resilienz

Ein sperriges Wort und den meisten wohl nicht bekannt. Verwandt mit robust oder resistent, beschreibt es unsere Fähigkeit, mit Ungemach umzugehen. Es gilt: Je höher die Resilienz, desto „geschmeidiger“ sind wir. Wer eine hohe Resilienz besitzt, ist also nicht einfach nur ein „zäher Hund“ und hart im nehmen – er oder sie ist auch anpassungsfähig. Also quasi die Paradedisziplin in dieser Pandemie. Besser gesagt: Sollte es sein. Aus mehrfach, auch hier schon beklagten Gründen, spielen wir aber nicht in der Championsleague, sondern bestenfalls in der Regionalliga. Vielen bleibt sogar das Grümpelturnier verwehrt, da sie niemand in der Mannschaft haben will.

Wer befürchtet, es ginge einmal mehr um das Corona-Impf-Test-Dauergedöns liegt falsch und auch nicht. Mehr Gejammer braucht niemand. Es genügt, wenn es die Profis tun. Was es dagegen braucht, sind: Verstand auf der einen und Ausdauer auf der anderen Seite. Wie WC-Papier in der ersten Welle, sind diese zur Zeit aber Mangelwahre. Im Sonderangebot wird uns dagegen „mütend“ serviert – ein Mischwort aus müde und wütend. Ob sich die brasilianische P.1-Mutation davon beeindrucken lässt, ist aber leider nicht bekannt. Bekannt hingegen ist das Virus, welches uns „mütend“ macht: Das Treten an Ort, auch als Dauerschleife oder Sedativum bekannt. Dass mein LG-Bildschirm nach der hundertnenundneunzigtausendsten Oberarminjektion, allerspätestens aber mit dem neunhundertneunundneunzigsten Lieferversprechen für Impfstoffe in den nächsten Wochen, noch nicht in die Brüche ging, grenzt deshalb an ein Wunder. Ich kann es weder hören noch länger sehen. Selbst bei längerem Nachdenken erschliesst sich mir Sinn und Absicht hinter diesem Dauerbombardement nicht. Es ist, als gäbe es seit Monaten drei mal täglich Haferbrei und sonst nichts. Auf jeden Fall wird meine Resilienz arg strapaziert.

Wenn Krisenkommunikation die tausendfache Wiederholung der Wiederholung auf allen Kanälen, das endlos gleiche Palaver auf endlosen Pressekonferenzen, mit den immer gleichen Fragen, und ein Wirrwarr an widersprüchlichen Informationen bedeutet, ist unser Krisenmanagement top. Aber nur dann. Im realen Leben aber hört man weg, schaltet auf Durchzug oder schüttelt ungläubig den Kopf. Die Gefahr dabei einmal wirklich wichtige Informationen zu verpassen, ist gross. Wenn die Devise „weniger ist mehr“ Gültigkeit hat, dann in einer Krise, die kein Ende hat. Als genügte uns die Kakophonie der Lobbyisten und Politiker nicht, werden wir auch noch zu Tode gelangweilt. Gepikste Oberarme lösen bei mir schon heftige Traumatas aus. Diagnose: Meine Resilienz ist futsch.

Was also tun? Den Fernseher verschrotten? Das Handy in die Schublade und alle Zeitungsabos kündigen? Oder gleich die einsame Insel ohne Empfang? Das mag für Puritaner und Asketen die Lösung sein, ändert aber nichts an der miserablen Kommunikation durch Behörden und Presse, die uns Normalos nervt. Es liegt also einmal mehr an uns selbst. Also zu lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und den Restmüll zu entsorgen. Dabei hilft uns der alte Sokrates aus dem antiken Griechenland, mit seinen drei Sieben.

Einst wandelte Sokrates durch die Strassen von Athen. Plötzlich kam ein Mann aufgeregt auf ihn zu. „Sokrates, ich muss dir etwas über deinen Freund erzählen, der…“ „Warte einmal, „unterbrach ihn Sokrates. „Bevor du weitererzählst – hast du die Geschichte, die du mir erzählen möchtest, durch die drei Siebe gesiebt?“ „Die drei Siebe? Welche drei Siebe?“ fragte der Mann überrascht. „Lass es uns ausprobieren,“ schlug Sokrates vor. „Das erste Sieb ist das Sieb der Wahrheit. Bist du dir sicher, dass das, was du mir erzählen möchtest, wahr ist?“ „Nein, ich habe gehört, wie es jemand erzählt hat.“ „Aha. Aber dann ist es doch sicher durch das zweite Sieb gegangen, das Sieb des Guten? Ist es etwas Gutes, das du über meinen Freund erzählen möchtest?“ Zögernd antwortete der Mann: „Nein, das nicht. Im Gegenteil….“ „Hm,“ sagte Sokrates, „jetzt bleibt uns nur noch das dritte Sieb. Ist es notwendig, dass du mir erzählst, was dich so aufregt?“ „Nein, nicht wirklich notwendig,“ antwortete der Mann. „Nun,“ sagte Sokrates lächelnd, „wenn die Geschichte, die du mir erzählen willst, nicht wahr ist, nicht gut ist und nicht notwendig ist, dann vergiss sie besser und belaste mich nicht damit (Stangl, 2021).

Verwendete Literatur
Stangl, W. (2021). Die drei Siebe des Sokrates – Wahrheit – Güte – Notwendigkeit – arbeitsblätter news. Werner Stangls Arbeitsblätter-News.
WWW: https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/die-drei-siebe-des-sokrates-wahrheit-gute-notwendigkeit/ (2021-04-09).

Da dieses Sieb weder den Behörden noch der Presse bekannt zu sein scheint, tun wir gut daran, die auf uns einprasselnden News durch die drei Siebe – Wahrheit, Güte und Notwendigkeit – zu prüfen. Bleibt eine Nachricht in einem der Siebe hängen, ist es wichtig – die anderen dürfen wir getrost im Restmüll entsorgen. Das entlastet uns nicht nur von 99% Medienlärm, es stärkt auch unsere Resilienz. Ich z. B. lese einfach ein Buch. Aktuell Decameron von Giovanni Boccaccio. 100 Geschichten von zehn jungen Menschen zur Zeit der Pestepidemie in Florenz des 14ten Jahrhunderts. Der Lerneffekt in Bezug auf menschliches Verhalten in einer Pandemie, könnte kaum grösser sein.

02.04.2021: Der Bauchnabel

Es ist ein Affront. Nein – eine bodenlose Frechheit. Ein Komplott gar. Da zieht wer an einem Freitagnachmittag in eine neue Wohnung, schliesse den Fernseher an und nichts! Schwarz! Die Dose tot. Also Anruf bei UPC. Und nun folgt der Hammer! Die schicken ihren Techniker erst am Montag. Am Moooontag! Und „ich“ guck am Wochenende in die Röhre. Was ist das für ein Saftladen? Und dann meine Ferien. Gestrichen! Die wollen dass ich nach meinem Strandurlaub zwei Wochen in Quarantäne gehe. Die können mich mal! Und impfen soll ich mich auch noch. Ich lass mich doch nicht chipen! Ich wandere aus.

Das erste Beispiel (Fernseher) ist authentisch, alle anderen den Medien entnommen. Alle bringen sie aber eine Haltung zum Ausdruck, die zwar nicht neu ist, sich aber in dieser Pandemie, wie ein aggressives Virus verbreitet. Die Bauchnabelitis. Jener Charakterzug, genährt aus Egoismus und Anspruchshaltung, der unsere Zeit prägt. Dazu gesellt sich eine Ignoranz für die simpelsten Zusammenhänge, eine jämmerliche Opferhaltung und eine Arroganz des Nicht- oder Halbwissens. Und über all dem prangt das Lebensmotto: „Das steht mir zu!

Gründe und Erklärungsversuche für diesen „Zeitgeist“ gibt es viele. Sie reichen von der neoliberalen Elbogengesellschaft (jede:r gegen jede:n), dem Populismus, bis zu den Algorithmen der Sozialen Medien. Vermutlich ist es von allem etwas. In jedem Fall ist er aber toxisch. Toxisch, weil Egoist:innen meinen, auf andere keine Rücksicht nehmen zu müssen. Toxisch, weil Ignorant:innen (ihre) Meinung über Fakten stellen und weil das Gejammer der (angeblich) Zukurzgekommenen ein Affront gegenüber allen wirklichen Opfern ist. Stilikone dieser Jammergestalten ist der Judenstern, als Symbol für die angebliche Coronadiktatur, der ohne Scham, am Revers, durch die Strassen getragen wird. Eine grössere Verhöhnung der Opfer des Holocaust ist kaum denkbar. Wer aber sein Bauchgefühl zum Nabel der Welt erkürt, für den/die gibt es kein grösseres Opfer, als sich selbst. Da mutieren schon mal zwei fernsehfreie Tage zur Zumutung und sind Anlass für Wut, Protest und tief empfundene Kränkung.

Das Phänomen hat viele Namen. Wohlstandsverwahrlosung, fehlende Frustrationstoleranz bis hin zum Schneeflöckchen (für Jammeris und Weicheier). Doch wie man es auch nennen mag, es ist Ausdruck eines Gefühls des „zu kurz gekommen seins“, des „beschissen worden seins“ und des „das steht mir doch zu“. Und Gefühle täuschen sich angeblich nie – ich spüre sie ja in meinem Bauch. Die Wut, die alles verkrampft und die Ohnmacht, die mir den Appetit verdirbt. Das persönliche Wohlbefinden als Massstab der Welt, welche die Vernunft zu FakeNews erklärt. Jeder nur noch mit sich selbst beschäftigt.

Wie einfach es doch wäre, jetzt mit dem Finger auf „die Andern“ zu zeigen (denn es sind immer „die Andern“) – die Verschwörungsgläubigen, Impfgegner, die Ferienhungrigen, partysüchtigen Jugendlichen und Maskenverweigerer. Doch verbirgt sich hinter dem Gejammer um fehlende Impfstoffe und Termine nicht eine ähnliche Anspruchshaltung? Wieso steht „mir“ eine Impfung zu, dem Slumbewohner in Bogota aber nicht? Ist es weil wir hier ein funktionierendes Gesundheitssystem haben und in Kolumbien nicht? Oder ist es, weil wir reich (ergo „besser“) sind und die Slumbewohner arm? Die Antwort gibt sich selber. Dabei mutiert das Virus in den Elendsvierteln Macaos unter den Ungeimpften munter weiter und trifft uns wahrscheinlich früher oder später mit voller Wucht. Boris Johnson meinte kürzlich, das hohe Impftempo in Grossbritannien wäre das Resultat von Gier und Kapitalismus. Vermutlich war er noch nie so ehrlich. Nur – diese Impfdosen fehlen jetzt andernorts, wo sie vielleicht noch Schlimmeres verhütet hätten. Dummerweise hat der Bauch keine Augen – er ist blind. Das (momentan) gute Gefühl in der Magengrube aber ist trügerisch. Wie die Auswirkungen von Völlerei und ungesunden Essen – diese machen sich auch erst hinterher bemerkbar. Wenn es schon zu spät, oder teuer wird.

26.03.2021: (Sch)Impfen

Eigentlich habe ich die Schnauze von diesem Coronagedöns gestrichen voll. Man verzeihe mir die Tirade. Trotzdem dreht es sich heute ein weiteres Mal um das nervtötende Thema Pestilenz und ihre Folgen. Diesmal geht es ums Schimpfen und ums Impfen.

Wie viele Reiche, Staaten und Imperien seit der Antike, von den Sumerern bis zum Römischen Reich durch Seuchen ausgelöscht wurden, werden wir wohl nie genau wissen. Es waren viele. Allein das Römische Reich wurde mehrfach, von den Pocken (Antoninische Pest 165-180 n Chr.) und am Ende von der Pest selbst (Justianische Pest 541-770 n. Chr.) heimgesucht. Mit Millionen von Toten. Im 14. Jahrhundert raffte dieselbe die Hälfte Europas Bevölkerung dahin. Seuchen hiessen bis zur Erfindung von Antibiotika und des Impfens: Tot, Elend und oft das Ende von Imperien und Kulturen (die Ureinwohner Amerikas wurden zu 90% von eingeschleppten Krankheiten, wie Pocken, Masern und der Diphtherie ausgelöscht). Und noch im letzten Jahrhundert tötete die Spanische Grippe, weltweit geschätzte 100 Millionen Menschen – zehn mal mehr, als der gesamte Erste Weltkrieg in den Schützengräben. Grund genug also, sich vor der Pest (als Sammelbegriff für Krankheit und Seuchen) zu fürchten. Diese Angst steckte auch noch in meiner Grossmutter, die 1918 ihren Bruder an die Spanische Grippe verlor, und sogar in meiner Mutter, die jeden Schnupfen ihrer Kinder, für einen Abgesandten des Sensenmanns hielt. Ihre Hauptlektüre war deshalb ein dickes „Doktorbuch“ – ein schwerer, anthrazit-grauer Wälzer, in dem sämtliche Seuchen, von der blutigen Ruhr bis zur Schwindsucht, mit allen Symptomen, verzeichnet waren. Krank sein hiess eben: Angst, Hilflosigkeit, Elend und (oft genug) Tod. In vielen Entwicklungsländern ist es auch heute noch so.

Und dann kam die Wissenschaft und machte diesen Geisseln der Menschheit ein Ende – oder zumindest fast. 1796 „impfte“ Dr. Eduard Jenner in England einen Jungen mit dem Sekret einer Rinderpockenpustel, gegen die Pocken. Es wirkte – der Jung war immun und wurde von den Blattern, dem möglichen Siechtum und Tod verschont. Kaum 20 Jahre später wurde die Pockenimpfung in vielen Ländern zur Pflicht erklärt. Man sah in einer Sterberate von (nur) 3% durch das Impfen, gegenüber den 30% durch die Pocken, einen grossen Fortschritt. 1978 verstarb Janet Parker als Letzte von hunderten Millionen, an dieser Seuche. Impfpflicht sei Dank. Die Pocken waren besiegt. Es folgten weltweite Impfkampagnen gegen Masern, Polio, Diphtherie, Mumps, Röteln usw. Ausgerottet sind diese bis heute nicht ganz, aber sie verloren ihren Schrecken. Statt Millionen töten sie „nur“ noch Tausende. Den Heulsusen hier scheint das aber egal zu sein. Ihr Geheul, wenn unter einer Million Covid-Geimpfter, sechs allergisch reagieren, ist ohrenbetäubend. Die bisher 2,8 Millionen Toten durch Covid sind ebenfalls kein Thema. Die wären ja sowieso an „Altersschwäche“ gestorben….(*ironieoff). Und statt sich über den raschen Erfolg der Wissenschaft in der Entwicklung eines Covid-Impfstoffes zu freuen, schimpfen die einen, weil es zu langsam geht und demonstrieren andere gegen eine angebliche Impfpflicht – Todesdrohungen inklusive.

Wohl keine Entwicklung der Wissenschaft hat mehr zum Wohle der Menschheit beigetragen, wie Antibiotika und das Impfen. Keine Technik mehr Leben gerettet und Leid vermieden. Und doch „fürchten“ sich immer mehr vor diesem Piks. Für viele Naturheilkundler:innen Homöopathe:innen und esoterischen Kreise ist Impfen gar des Teufels. Horrorgeschichten von Autismus (auf Grund einer nachweislich gefälschten Studie) bis zu Gen-Manipulation, impfen von Chips (angeblich von Bill Gates um uns fernzusteuern) und gar die Ausrottung der Menscheit, machen die Runde. Den Vogel schiessen jene ab, die ihre Kinder an Masernpartys schicken, um sie zu immunisieren. Dank solchen Impfskeptikern starben 2019 weltweit wieder über 200‘000 Kinder an dieser „harmlosen“ Kinderkrankheit. Und nun folgt Covid.

Während Regierungen, Wirtschaft und Millionen pandemiemüder Bürger um mehr Impfstoff von Pfizer bis Sputnik betteln, weigert sich 1/3 standhaft sich piksen zu lassen. In auffälliger Personalunion mit den sog. Coronaskeptikern tragen sie ihre Wut in die Stadtzentren von Rapperswil bis Liestal, um uns systemgläubigen Impflinge vor dem drohenden Untergang zu warnen. Fast könnte man meinen die Zeugen Jehovas verkündeten den nahenden Weltuntergang. Das Virus freut sich und klatscht Beifall. Um vor diesem halbwegs sicher zu sein, wären aber laut Epidemiologen mind. 70, besser wohl über 80% Geimpfte nötig. Gewinnen die Impfverweigerer, dürfen wir uns auf sich ewig wiederholende Seuchenherde, Reisebeschränkungen und lästiges Maskentragen freuen. Danke!

Selbstverständlich gibt es viele Gründe für Fragen und Skepsis rund ums Impfen. Das beginnt mit der Profitgier der Pharmaindustrie. (Wobei, auch das sei angemerkt: Auch mit Globuli, Ayuverda und Hokuspokus werden Millionen verdient.) Dann die Erinnerungen an geheime Menschenversuche in psychiatrischen Kliniken im letzten Jahrhundert und die Medikamentenskandale (Contergan etc)., mit Toten und scheusslichen Missbildungen. Das Misstrauen in die Moderne Medizin hat Gründe. Man braucht sich also nicht zu wundern. Trotzdem ist die jetzt vorgebrachte Kritik irrational und kaum zu verstehen. Denn es werden nicht (aktuelle) Missstände kritisiert, sondern das Impfen generell in Frage gestellt. Statt z. B. darauf zu pochen, dass die Firmen ihre (staatlich finanzierten) Patente frei geben um das Vakzin schneller und billiger produzieren zu können, wird das Tempo der Impfstoffentwicklung (Pfusch wird impliziert) kritisiert. Selbst der unsägliche Impfnationalismus ist kein Thema – im Gegenteil, man macht fröhlich mit. Dass sich die Heilmittelbehörden und die Wissenschaft den Arsch aufreissen, scheint nicht von Belang. Das eigene Bauchgefühl erklären wir zum Massstab aller Dinge. Auf der Strecke bleibt nicht nur unsere Gesundheit, wir riskieren auch irreparable Schäden an Institutionen und dem friedlichen Zusammenleben. Und statt sich über das baldige Ende der Pandemie zu freuen, verbreiten wir das Virus fröhlich weiter. Man gewinnt den Eindruck, als wünschten sich viele ein Zurück zu Schamanen, Quacksalbern und Gesundbetern. Es fehlen nur noch die Scheiterhaufen für die Hexen.

Wenn wir einigermassen heil aus diesem Schlamassel herauskommen wollen, bleibt uns, bei allen Fehlern der Vergangenheit und der berechtigten Kritik an Pharma und Schulmedizin, nur der Weg über das Impfen möglichst vieler Menschen. Die Alternativen sind schlicht zu teuer – ethisch, politisch und wirtschaftlich. Das setzt eine Portion Geduld und Vertrauen voraus. Die zur Zeit zwei kostbarsten Güter. Also lassen wir das Schimpfen – und impfen.

19.03.2021: Psychodiagnostik

Im Film „Und täglich grüsst das Murmeltier“ gerät der leicht missmutige Wetterfrosch Phil Connors in eine Zeitschleife und muss den gleichen Tag wieder und wieder durchleben. Fast so grausam wie die Strafe für Sisyphos, der auf ewig einen Felsblock auf eine Bergspitze hinaufwälzen muss, worauf dieser gleich wieder ins Tal rollt. Endlos, grausam und sinnlos.

Wer es dieser Tage wagen sollte den Fernseher einzuschalten oder in der Zeitung zu blättern, wird ahnen, wovon ich rede. Nein, ich spreche nicht von Fischers Bettwarenfabrik und seinem 90%igen Gänsedaunenduvet – es ist aber genauso nervig. Die Rede ist auch nicht von diesem alles beherrschenden Virus, der uns seit einem Jahr an den Eiern hat. Sich über Dinge zu ärgern, die man nicht ändern kann, macht nur krank. Die Rede ist vom Dauergenöl, welches diesen begleitet. Ob damit unsere Resilienz (also unsere Belastbarkeit) getestet werden soll oder ob es sich einfach nur um eine Überdosis Kupfersulfat (ein bewährtes Brechmittel) handelt, ist noch nicht entschieden. Auf jedem Fall werden wir auf die Probe gestellt. Fast so, als wären wir Probanden in einem Psychodiagnostik-Labor. Verloren hat, wer zuerst mit dem Kopf auf die Tischplatte knallt.

Wenn es stimmt, dass jede Generation ihre eigene Prüfung zu bestehen hat, so sind wir drauf und dran, bereits im Vorkurs zu scheitern. Denn statt uns um den Schulstoff (die Folgen der Pandemie) zu kümmern, lümmeln wir auf dem Pausenhof herum, dröhnen uns mit psychogenen Substanzen zu und prügeln uns um die Rangordnung im Rudel. Derweilen mutiert das Virus und freut sich über jede unbedeckte Nase im Getümmel.

Hiess es zu Beginn der Pandemie noch: Bleiben sie zu Hause (bei gerade mal der Hälfte der aktuellen Fallzahlen), so schreien heute alle: Wir wollen raus! Raus in die Restaurants, raus in die Fitnesszentren, in die Ferien, ins Hallenbad. Raus aus der Pandemie und raus aus der Diktatur! Ja – eine solche wurde still und heimlich, hinter unserem Rücken errichtet – sagt eine die es wissen muss – die Alleinherrscherin von Ems. Wie Dreijährige in der Quengelzone, denen Mami den Schokoriegel verwehrt, schreien die Entmachteten ihren Frust aus dem Leib. Die Vollpfostendichte erreicht sowohl im Parlament, wie auf den Leerdenkerdemos der Realitätsverweigerer, Höchstwerte. Dabei wissen wir spätestens seit den Psychotests mit den Marshmellows, dass Kinder die warten können, im Leben deutlich erfolgreicher sind, als jene die ihrem Impuls folgen und von den Süssigkeiten naschen. Aber was kümmert uns die schnöde Wissenschaft, wenn uns Mammons leuchtender Stern, den Weg weist?

Und so verplempert das Parlament seine wertvolle Zeit mit sinnlosen Debatten über eine angebliche Diktatur und ein gesetzlich verankertes Ende der Pandemie. Fordert Kreti und Pleti – bzw. all jene mit einer gut geölten Lobby – das sofortige Ende aller Einschränkungen und Massnahmen, während die Presse das Leid und den Schmerzen von uns Coronamüden beklagt. Wohin man auch schaut: Opfer! Und wo Opfer sind, sind die Schuldigen nicht weit. Wenn dieser gar einen Hut trägt, umso besser.

Eigentlich könnte ich über die miese Vorstellung von $VP bis Mitte, frohlocken. Niemand schaufelt so behände am eigenen Grab. Statt Wege aus der grössten Krise seit bald einhundert Jahren zu suchen, jammern sie über offene Terrassen und geschlossene Fitnesszentren. Statt schnelle und effektive Hilfe für die lahmgelegten Branchen, werden bürokratische Hürden errichtet, und über Schuldenberge lamentiert. Anstatt das Krisenmanagement (den Bundesrat) zu stärken, wird dieses torpediert. Statt über bessere Massnahmen zur Verhinderung einer 3. Welle (wie effizientes impfen, testen oder Contact-Tracing) wird das Ende der Pandemie beschworen. Und statt auf Wissenschaft und Fakten zu bauen, setzt man auf Maulkörbe und das Prinzip Hoffnung. Auf der Strecke bleibt: Eine lebenswerte Zukunft für uns alle. Nicht nur wegen des unseligen Gejammers über den Miniatur-Lockdown, vielmehr noch wegen der konsequenten Weigerung unsere Zukunft zu gestalten. 25 Jahre AHV-Gebastel ohne Aussicht auf Erfolg, ein Kuhandel anstelle einer zukunftsfähigen Landwirtschaftspolitik (nur ja den allmächtigen Bauernpräsidenten nicht verärgern), dafür viel Lobbying für sterbende Branchen (Tabakindustrie). Mein Frohlocken könnte nicht bitterer sein, denn wenn die Mehrheit versagt, tragen wir alle die Konsequenzen. Vor allem aber unsere Kinder. Selbst dann, wenn diese den Marshmallow-Test bestanden haben.

12.03.2021: Eine subversive Waschmaschine

Symbolbild

Wer kennt das nicht? 3 Wochen nach Ablauf der Garantiefrist brennt der Toaster durch. Alle 2 bis 3 Jahre schwächelt die Handybatterie und wenn man eine neue App installieren will,heisst es: Nur mit der aktuellsten Version möglich. Der ganze Ärger hat sogar einen Namen: Obsoleszenz (auch als künstliche Alterung bekannt). Wo die Sollbruchstelle nicht schon im Werk eingebaut wurde, wird mit technischen Erneuerungen nachgeholfen. Dafür sind Laptop, Handys und Ladekabel die besten Beispiele. So hält man den Umsatz in Schwung. Der Müll landet bestenfalls im Recycling, schlimmstenfalls auf einer Müllkippe in Afrika. Dass es nicht immer so war, hat unsere Waschmaschine Jahrgang 1978 bewiesen. Eine Bauknecht WA 700. Diese läuft nun sage und schreibe schon seit 43 Jahren. Trotzdem mussten wir uns diese Woche von ihr trennen. Ein Nachruf.

Waschen ist nicht meine Domäne. Würde man mir das Waschen ohne“Anleitung“ überlassen, wären unsere Bettlaken rosa oder hellblau und die Pullover alle 3 Nummern zu klein. Wasche ich alles bei nur 40 Grad, hält sich der Schaden in Grenzen. Auch dies beherrschte unsere WA 700. Den simplen analogen Drehschalter für die Programmwahl, habe sogar ich verstanden. Keine überflüssige Optionen, kryptischen Einstellungen und seltsamen Fehlermeldungen. Wäsche rein, Drehschalter auf 40 und los. Alles ohne Studium der Pflegeetiketten und einem Master in Textilkunde. Wie schön einfach war die Welt doch 1978. Und trotzdem mussten wir uns diese Woche von ihr verabschieden. Nicht weil sie den Dienst eingestellt hätte, sondern weil wir unser Walliser Chalet für die Nachfolger geräumt haben.

Ob die 7-jährige digitalisierte Novomatic hier im Keller auch so lange Dienst tut? Zweifel sind leider angebracht. Die leidvolle Erfahrung mit Haushaltgeräten der neueren Generation sind mir nur zu gut in Erinnerung. Geschirrspühler: kaputt nach 8 Jahren. Microwelle nach 12 Jahren, Kühlschrank 9 Jahre. Tiefkühler 7 Jahre. Der Heizkessel stieg nach 17 Jahren aus. Von den obsoleten Handys will ich hier gar nicht reden. Spätestens als ich die Covid-App des BAG installieren wollte, wurde mir unmissverständlich klar gemacht, dass es Zeit für ein Neues ist. Und als dieses kam, mussten selbstverständlich neue (überteuerte!) Ladekabel besorgt werden. Diese Liste liesse sich endlos fortsetzen. Was bleibt ist ein Früstchen. Nicht nur weil jede Neuanschaffung kostet. Mehr noch, weil noch funktionierende Geräte auf dem Müll landen, denn repariert wird kaum mehr. Oder es ist so teuer, dass man es „freiwillig“ unterlässt.

Oft wird über unsere sog. Wegwerfmentalität lamentiert. Meist mit einem Stirnrunzeln und einem moralischen Unterton. Wer umweltbewusst ist, wirft nichts weg und wenn er es doch tut, ist er/sie ein/e Frevler:in. Bleibt die Frage: Wer ist hier der eigentliche Sünder? Der Konsument (der es wagt ein Gerät kostengünstig zu entsorgen) oder der Produzent, der ihm dies „leicht“ macht, weil eine Reparatur unmöglich oder abartig teuer ist? Dazu ist Amazon nur gerade einen Klick entfernt und die Ware wird schon Morgen frei Haus geliefert. Ein Umstand der den einstigen Werbeslogen von Media Markt verblüffend lebensecht macht: „Ich bin doch nicht blöd!“ Das gleiche passiert mit Klamotten. Bestellt – einmal getragen (oder gar nicht) – in den Sack damit oder gleich retourniert. Die Ware ist spottbillig. Produktion und Entsorgung weit weg. Produziert um (möglichst schnell) zerstört zu werden. Einziger Zweck: Profit!

Das Konzept „(billig) produziertverramscht (auf allen Kanälen) – (schnell) entsorgt, (egal wo)“ ist der Motor unserer Wirtschaft. Ohne diesen müssten wir kaum noch 20 Std pro Woche arbeiten, hätten weniger Schulden, die Umwelt wäre intakt, das Wasser sauber, die Klimaerwärmung (vermutlich) kein Thema und die Kinder in Ghana müssten keine giftigen Dämpfe einatmen. Nicht umsonst heisst es: Weniger ist mehr. Weshalb ändern wir es nicht?

Die Welt hat genug für jedermanns Bedürfnisse, aber nicht genug für jedermanns Gier, meinte einst Gandhi. Und diese wird gefüttert. Nicht (nur) durch die Erweckung neuer Bedürfnisse durch die Werbung, sondern mehr durch die Gier nach Profit um jeden Preis, der sich in immer weniger Händen konzentriert. Da macht es eben einen grossen Unterschied, ob ich in meinem Leben 2 oder 6 Waschmaschinen, 3 oder 7 Kühlschränke oder 8 oder 20 Handys „verbrauche“. Da steht eine Waschmaschine, die 43 Jahre klaglos ihren Dienst tut, ziemlich quer in der Landschaft und untergräbt die (Profit)Gier aufs schändlichste. Ja, sie ist geradezu subversiv. Deshalb wünschen wir unserer WA 700 noch viele weitere glückliche Jahre im Dienste der sauberen Wäsche.

05.03.2021: Entfesselt

ACHTUNG: Der nachfolgende Text basiert auf Hörensagen und kann Spuren von Ironie und Sarkasmus enthalten. Lesen auf eigene Verantwortung und Gefahr. Der Verfasser lehnt jede Verantwortung ab. Sonst fragen sie ihren Arzt oder ihre:n Apotheker:in.

Vergangene Woche fand – von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt – die G19 statt. Die Konferenz der Gruppe der 19 grössten Autophilen. Einer unter diesem Namen kaum bekannten Zusammenrottung fundamentalistischer Sekten, profitgeiler Egomanen. Wie die ebenso öffentlichkeitsscheue Bilderberg-Konferenz der Reichen und noch Reicheren (in Insiderkreisen auch als Lenkungsausschuss der G7 bekannt) versteht sich die G19 als selbstermächtigte Elite mit missionarischem Auftrag. Überlappungen mit den Bilderbergern wären daher weder überraschend noch zufällig. Gerüchten zufolge fand die Tagung in einem geheimen Bunker, unweit des Pfannenstiels, statt. In einem mit Anker- und Hodler-Bildern (der Holzfäller) dekorierten Konferenzraum, bei einem Glas Räuschling der Kellerei Lindentröpfli aus Laufen-Uhwiesen, sowie Häppchen aus dem „Haus der Freiheit“ , wurde – immer laut unseres anonymen Informanten – der mörderischen Diktatur den Krieg erklärt. Diese soll angeblich von einen coronasozialistischen Diktator, unter dem Vorwand einer angeblichen Pandemie, in der Schweiz errichtet worden sein. In einem detaillierten Aktionsplan soll diesem Sozialismus allgemein, dem Bundesrat im besonderen und der Wissenschaft im speziellen, der Garaus gemacht werden. Allfällige Kollateralschäden, wie das Ende der Aufklärung, der Meinungsfreiheit oder der Demokratie, werden nicht nur in Kauf genommen, sie sind gewollt. So lasst uns also hören, was die erlauchte Runde verhandelt und beschlossen hat. Aus Gründen der Diskretion und um unseren Informanten nicht zu gefährden, haben wir Personen und Orte anonymisiert – sind der Redaktion aber bekannt.

Die diesjährige Tagung stand ganz im Zeichen der Befreiung. Frei von allem quasi, dass der freien Entfaltung des profitstrebenden Individuums im Wege steht. Namentlich wird (Corona)Sozialisten, faulen (Corona)Sozialhilfeschmarotzern, der Wissenschaft und sämtlichen staatlichen Institutionen, die ausser Geld auch noch Geld kosten, der Kampf angesagt. Auch der zu bekämpfende Sündenbock war schnell gefunden. Es ist, wie könnte es anders sein, ein Roter aus dem Fribourgerland. Dieser ist – immer gemäss den weisen Worten des grossen G19-Vorsitzenden – an allem schuld. Am Virus, der Pandemie, den geschlossenen Terrassen und dem Wählerschwund der eigenen Sekte. Unhaltbare Zustände also. Taten sind gefragt und wurden beschlossen.

Leider sind die einzelnen Voten der Tagungsteilnehmer nicht bekannt. Unser Informant verlor den Zutrittsbatch. Immerhin aber liegt ihm der (streng geheime) Aktionsplan vor, den ihm die serbische Putzfrau aus dem Mülleimer fischte. Überschrieben ist dieser mit „Entfesselung“. Genannt werden darin 3 Ziele. Die Rückkehr zur Aristokratie mit einem Sünnelikönig als Alleinherrscher – Alchemie, Wünschelruten und Kristallkugeln anstelle kritischer Wissenschaftler – und drittens die Huldigung, bzw. Heiligsprechung des Profitstrebens. Um die Öffentlichkeit nicht allzu sehr zu erschrecken, läuft der Plan unter dem Label „Schluss mit dem Lockdown – öffnet die Spunten am 22. März – Nieder mit der Diktatur!“ Verantwortlich zeichnet niemand. Genannt werden aber verschiedene Akteure und ein Netzwerk von Verbündeten.

Als erstes soll der Heilige Zorn der lockdown-gebeutelten Wirte entfesselt werden. Steuerstreiks, offene Terrassen und eine kalte Suppe löffelnde Büezer werden darin ausdrücklich erwähnt. Ebenso Online-Petitionen und dümmliche 20-Minuten Artikel. Die Speerspitze im Kampf gegen Diktatur und Diktator aber übernimmt das Politbüro der Sekte persönlich, sekundiert von rückgratlosen Trittbrettfahrern, ohne eigenes Profil (namentlich genannt werden Politiker:innen wirtschaftsnaher Strippenzieher). Dem Propaganda-Ministerium obliegt die Dämonisierung der Diktatur, den Verbündeten die Entmachtung der Wissenschaft und dem Fussvolk das Auskotzen in den Sozialen Medien. Wobei Letztere angehalten sind, die Verlautbarungen ihrer Sektenführer mit Dreck aller Art zu bereichern. Der Sturm aufs Capitol (aka Bundeshaus) ist vorerst den Parteisoldaten und ihren Rucksackträgern vorbehalten.

Wer’s nicht glaubt, der lese die Zeitung und schaue fern. Eben stimmten 97 Nationalräte einem Aufruf für die Entmachtung des Bundesrates zu. Die Pandemie soll per Gesetz am 22. März für beendet erklärt werden. Das „Volk“ ist angeblich lockdownmüde. Die wissenschaftliche Taskforce soll vorsorglich stumm geschaltet werden. Ein Wurstfachmann EFZ aus dem Rheintal möchte den Gesundheitsminister auch gleich impeachen und Schuld an allem hat sowieso die Ratslinke. Diese möchte die gebeutelten Pandemieopfer nämlich nicht nur finanziell unterstützen, sondern präsentiert dummerweise auch noch praktikable Lösungen und übernimmt sogar Verantwortung. Es riecht nach Sozialismus und Staatsterror! Die G19 (Parallelen zur Geheimarmee P26 sind rein zufällig) ruft DEFCON 1 (Alarmstufe Rot) aus!

Die „Volksherrschaft“ liegt nach eigenen Worten, zum greifen nah und der Sünnelikönig fühlt sich berufen die schwere Last des Amtes zu schultern. Auch die Nachfolge ist schon geregelt – es ist ein Prinz. Er kommt aus dem Hause Ems und ist als Prinzessin gewandet. Universitäten und ETH werden geschlossen. An ihre Stelle tritt Harry Potters Zauberschule und Trudi Gerster. Einfalt ersetzt Vielfalt und die Weltwoche wird Pflichtlektüre, die, wohl ihrem Vorbild nacheifernd, in „Stürmer“ umbenannt wird. Das Parlament erhält einen Schnellkurs im Klatschen (gem. handschriftlicher Randnotiz dient ein Video des nationalen chinesischen Volkskongresses zu Schulungszwecken) Ausserdem erhalten die Delegierten das Handbuch „The Seven Thinking Steps“. Frauen wird eine Karriere als Cheerleader nahegelegt oder aber der Küchendienst. Mit der endgültigen Entfesselung des neoliberal-nationalistischen Traums, steht dem unendlichen Profit der G19-Mitglieder nichts mehr im Wege. Ein Sieg wird vorausgesetzt, da weitere Krisen (wie z. B. die Klimakatastrophe) zu befürchten sind. Ein Scheitern wird ausgeschossen – auch Trump hat die Wahlen schliesslich gewonnen.

Deshalb: Lang lebe der Sünnelikönig – hoch lebe der Profit – nieder mit der Aufklärung – Tod der Corona-Diktatur! Freie Sicht aufs Mittelmeer!

PS: Der 3. März wird zum Feiertag erklärt und als „Bullshitday“ gefeiert werden.

26.02.2021: Entlarvt

Ich bin geladen! Man könnte auch sagen, so richtig angepisst. Und deshalb muss es jetzt raus. Andernfalls wächst mir trotz jodiertem Salz noch ein Kropf. Um was geht es? Ihr ahnt es vermutlich – um Politik. Konkret um die $VP und ihre rückgratlosen Helfershelfer von FDP und Mitte.

Was diese Gurkentruppe dieser Tage abzieht, wurde in Zürich einst niedergeknüppelt. 1980, als der Ruf „Macht aus dem Staat Gurkensalat“ der aufgebrachten Jugend durch die Langstrasse hallte. Die Geknüppelten landeten schliesslich an der Nadel auf dem Platzspitz, während Roger Köppel in den Redaktionsräumen des neuen Stürmers (auch bekannt als Weltwoche) ein warmes Plätzchen fand. Und während sich die „bösen“ Buben und Mädchen von der Langstrasse längst etabliert haben, führt eine kleine Clique von den Hügeln der Goldküste, mit machiavellinischer Raffinesse den Gurkenhobel gegen Staat und Gesellschaft. Was die brennenden Container 1980 nicht schafften, erledigt diese elitäre Truppe mit viel Geld und Demagogie. Dazu bedient sich ihr Sprachrohr von der Förrlibuckstrasse auch mal einer Rhetorik die mehr an Winkelried und die Dreissigerjahre erinnert, als ans 21. Jahrhundert. O-Ton: Wer der Obrigkeit folgt ist hörig und wer verbotenerweise Fastnacht feiert, gilt als Freiheitskämpfer, wie zu Zeiten der Innerschweizer Saubannerzüge. Rhetorik die mehr über den Absender verrät als über den angeblichen Diktatoren.

Entlarvend die Ereignisse der letzte Woche. Da schwadroniert Christof Blocher höchstselbst von einer angeblichen Diktatur Bersets, sekundiert von seiner Tochter, die aus dem fernen Bündnerland, ins gleiche Horn bläst. Dass der Bundesrat kollegial entscheidet, wird selbstverständlich ausgeblendet – es könnte ja die eignen Bundesräte treffen. Kaum aber verteidigt ihr eigener Bundespräsident Parmelin das Kollegialitätsprinzip, ist er in den Augen der eigenen Partei nur noch ein halber Bundesrat. Und da die $VP die Diktatur von allen Parteien am besten versteht – China wird nicht umsonst als grosses Vorbild gepriesen – verbreiten sowohl ihr Parteipräsident, ihr Fraktionschef als auch ihr Propagandaminister das gleiche Narrativ. Gleichschaltung wie im Reich der Mitte. Gleichzeitig fordert Albert Rösti in der bürgerlich dominierten Gesundheitskommission ein Gesetz zur sofortigen Beendigung des Lockdowns – faktenfrei und unbesehen der epidemiologischen Lage. Andere sammeln 250000 Unterschriften, in der gleichen Sache und $VP Nationalrat Egger will ein Impeachment (Absetzung) für Bundesrat Berset. Das I-Tüpfelchen aber liefern ein paar renitente Kantonsregierungen – allen voran Nidwalden, mit seiner $VP-Gesundheitsdirektorin – die sich weigern ihre Terrassen zu schliessen. Man wähnt sich beinahe im Sonderbundskrieg von anno 1847. Damit riskiert diese Partei eine Staatskrise, wie sie die Schweiz wohl seit damals nicht mehr hatte. Denn, welches Recht gilt nun? Dass des Bundes, der Kantone, der Gemeinden oder das eigene? Irritierender ist nur das laute Schweigen der anderen Parteien und der Betroffenen selber.

Ein Jahr Pandemie und Föderalismus, Direkte Demokratie und Konkordanz stehen zur Disposition. Die $VP macht’s möglich! Wir können nur hoffen, dass sie den Bogen diesmal überspannt hat und grandios scheitert. In der Terrassenposse bahnt sich zum Glück eines an. Dass nicht hinter jeder hübschen Larve ein hübsches Gesicht steckt, zeigt gerade das strahlende Sünneli der $VP. Was dahinter hervorlugt, lässt mich erschauern. Es ist die ungeschminkte Fratze einer verantwortungslosen egoistischen Kaste, die weder vor Lügen noch Rechtsbrüchen zurückschreckt, um ihre Ziele – den ominösen Vouchswillen aka Alleinherrschaft – zu erreichen. Vielleicht ist dieser Schock heilsam. Man möge mir die klaren Worte verzeihen. Um Hoffnung zu schöpfen, sind solche ab und zu nötig.

19.02.2021: Alt-68iger

Von David Wilson – https://www.flickr.com/photos/davidwilson1949/6056934707/in/photolist-5coszA-aeenEK-2CqzzK-8QZ5mo, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=48476311

Letzten Sonntag war es endlich soweit. Amtlich bestätigt und somit hochoffiziell darf ich für ein Jahr den Ehrentitel Alt-68iger tragen. Ihr ahnt es – ich hatte Geburtstag. Um alle Zweifel an der Rechtmässigkeit dieses Titels auszuräumen, sei daran erinnert, dass ich in der Lage bin ein Wandtelefon mit Wählscheibe zu bedienen, mir bei „Bunker“ nicht der Gotthard, sondern prügelnde Polizisten und bei „Easy Rider“ keine Pferde, sondern Peter Fonda, in den Sinn kommt. Es lässt sich also nicht leugnen: Ich bin ein Alt-68iger. Was für die Einen ein Schimpfwort, ist für mich Tatsache. Lasst mich davon berichten.

Letzhin warf ich einen Blick auf unser Hochzeits-Fotoalbum (ja sowas gibt es noch) und stellte mit grossem Erschrecken fest, dass ich nicht einmal mehr alle Gäste kenne. Abgesehen von den wenigen Verwandten, die noch leben, sind es genau noch zwei Hochzeitsgäste, zu denen wir noch Kontakt haben. Der Rest verschwand unter dem Radar. Selbst Namen sind verblasst. Was hat uns damals eigentlich bewogen, genau diese Menschen an unsere Hochzeit einzuladen? Ich habe heute keine Antwort mehr darauf – es waren andere Zeiten und andere Umstände. Noch ferner sind mir nur jene Mitstreiter, mit denen ich zusammen Plakate klebte, vor der Sulzer Flugblätter verteilte und durch die Gassen Zürichs, Berns und Genf , Transparente trug. Es ist als hätte es sie nie gegeben. Aus ihnen wurden Professoren, Lehrer, Sozialarbeiter, Berufsberater, Politiker und Unternehmer. Tragende Säulen unserer Gesellschaft also – das rote Banner längst entsorgt und auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Von manchen liest man ab und zu in der Tageszeitung. Allzuoft Meinungen, gegen die wir damals auf die Strasse gingen. Was aber wurde aus den Idealen, für die wir damals mit Tränengas eingenebelt wurden?

Geburtstage sind immer auch Gelegenheit, Rückschau zu halten, und je älter man wird, desto mehr gibt es zurückzuschauen. Aber keine Angst, ich verfalle jetzt nicht in Nostalgie und verklemme mir das Fischerlatein über geschlagene Schlachten, geworfene Molotow-Cocktails oder eingeschlagene Fensterscheiben. Bemerkenswertes gibt es trotzdem zu berichten. So z. B. wie die Zeit und Umstände unser Leben prägen. Gerade für ein „Kind“ der 68iger eine besonders wiedersprüchliche Erfahrung. Gestartet mit dem Anspruch die Welt zu verändern, es besser als „die Väter“ zu machen, kritisch gegenüber autoritärem Staat und althergebrachten Konventionen und politisch aktiv auf der Strasse und in unzähligen Gruppen und Grüppchen, mussten wir die letzten 50 Jahre erleben, wie unser Aufbruch in ein neues Zeitalter, ins Gegenteil verkehrt wurde. Nicht nur allein durch „böse“ Mächte, auch durch uns selber.

Ob es nun der Alltag ist, der uns „zurecht“ schleift oder Verrat an den eigenen Idealen, ist nicht von Belang. Das Urteil darüber drückt bestenfalls aus, wie weit man sich von den einstigen Ideen entfernt hat. Und selbstverständlich gab es damals, wie heute Irrtümer, die man nicht ungeschehen machen kann. Diese sind Teil von uns und unserer (Lebens-)Geschichte. Genauso bedenklich wäre es, wenn sich in den letzten 50 Jahren nichts verändert hätte. Nicht umsonst wird Stillstand mit Rückschritt gleichgesetzt. Sich entwickeln, auch seine Meinungen zu ändern, gehört zum Leben und zeichnet dieses aus. Man nennt es auch Anpassung. Um mich richtig zu verstehen – dies ist weder ein Freipass, noch eine Rechtfertigung für das was sich die letzten fünf Jahrzehnte in Politik und Gesellschaft angespielt hat – es ist eher ein Plädoyer für Fortschritt und Entwicklung. Die Frage ist nur welchen Fortschritt und welche Entwicklung. Wertneutral ist weder das eine, noch das andere.

Kurz vorweg gesagt: Nicht in jene Richtung, welche von uns 68igern, angestrebt wurde. Zwar schafften wir es viele gesellschaftliche Zwänge und Konventionen aufzubrechen (Konkubinatsverbot, Gleichstellung, Homosexuelle Partnerschaften usw.), nicht aber das System zu verändern oder auch nur an ihm zu kratzen. Im Gegenteil: Ewiges Wachstum ist so sakrosankt, wie je (oder schon fast eine heilige Kuh) und die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich von Jahr zu Jahr schneller. Die Folgen davon spüren wir alle. Das System stösst an seine Grenzen. Unruhen in allen Teilen der Welt, Klimakrise, Verschwörungsmythen und die Rückkehr totgeglaubter Geister (Nationalismus), füllen die Schlagzeilen. Man reibt sich die Augen und denkt man sei im falschen Film. Ja man könnte schon fast zum Schluss kommen, wir hätten damals den Boden für diese Entwicklung bereitet. Denn wir waren es, die die Gesellschaft aus alten Zwängen befreiten. Allerdings nicht nur vom Mief der vergangenen Jahrhunderte (Kirche, Patriachat, Institutionen etc.), sondern auch vor von moralischen und ökonomischen Fesseln. Was mit einer Kulturrevolution begann, endete in einer Entfesselung der Wirtschaft. Deregulierung, Internetblase, Finanz- und Klimakrise sind das Resultat.

Was man heute Alt-68iger schimpft, prägte damals zwar eine Epoche (Pariser Unruhen, Anti-Vietnam-Demonstrationen, Zürcher Krawalle etc.) und gab ihr den Namen, nicht aber die darauf folgende Entwicklung. Denn Krawalle sind zwar laut und lösen Empörung aus, wurden aber nur von einer Minderheit getragen. Das war damals so und ist es heute. Die Mehrheit folgte ein Jahrzehnt später dem Ruf der Deregulierung (interessanterweise auch als Befreiung deklariert), deren „Früchte“ wir nun ernten. Die Ikonen dieser Zeit heissen Reagan und Thatcher und sie haben den folgenden Jahrzehnten – bis heute – den Stempel aufgedrückt. Die Sorbonne- und Berkleystudenten machten derweil Karrieren, andere flüchteten sich in kulturelle Nischen, stürzten ab oder gründeten Firmen und wurden Milliardäre. Wir bastelten an unsere Karriere, waren mit Geldverdienen beschäftigt und legten die einstigen Überzeugungen, wie alte Kleider ab. Wir genossen den Wohlstand und mutierten zu Stützen der Gesellschaft. Die Klimajugend nennt uns die „Boomer“. Etwas ungerecht zwar, weil, was können wir dafür, dass wir so zahlreich in den Nachkriegsjahren gezeugt wurden, aber eben auch Ausdruck davon, dass wir zu den Satten gehören, die sich im System eingerichtet haben.

Da wir in der Zwischenzeit fast alle pensioniert sind und über viel Zeit und Wissen verfügen, wäre es an der Zeit sich unserer Wurzeln zu besinnen und die Jugend in ihrem Kampf gegen die kommenden Krisen – die allesamt Systemkrisen sind – zu untersützen. Ein verwegener Anspruch, da sich viele von uns weit von den damaligen Idealen entfernt haben. Jene aber, die zwischen den damals falschen Vorbildern und dem Ideal einer gerechten Gesellschaft unterscheiden können, sollten es tun – das ist mein Appell. Zumindest das, sind wir unserer Nachfolgegeneration schuldig. Nicht weil wir Schuld auf uns geladen haben, sondern weil es die (logische) Fortsetzung unseres damaligen Aufbruchs ist. Alt 68iger ist man nicht, weil man damals auf den Strassen mitmarschierte, sondern weil man sich für ein Ideal einsetzt – damals wie heute.

12.02.2021: Leichte Kost

Nach der schwer verdaulichen Trilogie der letzten drei Wochen, etwas leichtere Kost. Wir haben an der Pandemie schon genug zu kauen. Freuen wir uns also über all die kleinen Dinge, die unser Leben leichter machen. In Vor-Coronan-Zeiten wären solche leicht zu finden (gewesen): Konzerte. Theaterbesuche, Grillabende mit Freunden, Reisen und so weiter. Verstimmt und von Medien und Dauernörgelern auf Missmut gestimmt, fällt dies aber immer schwerer. Doch nichts ist unmöglich! Denn seien wir ehrlich, den Meisten von uns, geht es gut. zumindest hier in der Schweiz und Europa. Dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, dass viele auf Gratislebensmittel und Mahlzeiten angewiesen sind, viele um ihre Zukunft oder Gesundheit bangen müssen und so weiter, ist damit nicht vom Tisch. Darüber nur zu lamentieren, ändert es aber auch nicht. Ein kleiner Stimmungsaufheller zwischendurch kann deshalb nicht schaden. Trübsal blasen tun genug andere für uns.

Nun aber zum Thema. Leichte Kost und die kleinen Dinge des Alltags. Zum Beispiel unser spontener Ausflug an den Rheinspitz in Altenrhein. Ein mir bisher völlig unbekanntes kleines Naturparadies am Alten Rhein an der Grenze zu Österreich. Achtlos fuhr ich bisher an diesem kleinen Zipfel Schweiz vorbei, wenn ich von meinen Kundenbesuchen im Rheintal zurück ins Büro fuhr. Dank Pandemie, frühlingshaftem Wetter und Lockdown lernten wir so ein Fleckchen kennen, den wahrscheinlich nur die Einheimischen und ein paar Jachtbesitzer (es gibt eine Marina mit Jachthafen, dort wo der Rhein in den Bodesee mündet) kennen. Gefunden haben wir diese Ecke aus reinem Zufall. Geplant war die Fortsetzung unserer Thurwanderung, von Alt St. Johann an die Thurfälle. Als wir dann die vollen Parplätze an der Talstation Selamatt und die Schlangen vor dem Sessellift sahen, verging uns der Appetit auf Touristenhotspots und fuhren weiter ins Rheintal. Dort hatte der Föhn den Winter bereits vertrieben und sie Sonne liess den nahen Frühling erahnen. In der grossen Kurve bei Rheineck verliessen wir die A13 und bogen in eine Seitenstrasse. Ein paar Autos am Strassenrand verrieten, dass es hier offenbar um ein Naherholungsgebiet handelt. So montierten wir die Wanderschuhe und steuert als erstes eine sonnige Bank an, um uns mit unserem Picknick zu stärken. Bei Sandwich, Ei und Gemüsedipp tankten wir Vitamin D und wähnten uns im Tessin. Die nachfolgende Wanderung entlang des Alten Rheins an den Bodensee war dann unsere Sahnehaube der Woche. Eine versteckte Idylle, direkt hinter dem Flughafen Altenrhein. Ein Vogelparadies, Auenwälder mit schönen Wanderwegen. Einzig die Motorsägen auf der österreichichschen Seite, verrieten dass wir hier mitten in der Zivilisation sind. Die Wasservögel schien diese nicht zu stören. Sie übten bereits für die Balz. Wer kann, dem seien solche kleine Auszeiten ans Herz gelegt. Es braucht wenig um der Tristesse der Pandemie zu entkommen.

Wenn uns dieser Lockdown eines gelehrt hat, dann dies: Wohlbefinden und Zufriedenheit hat wenig bis gar nichts mit Jubel – Trubel – Heiterkeit zu tun. Sehr viel aber mit der eigenen Einstellung, bzw. woraus man seine „Energie“ bezieht. Dass wir dazu auch andere Menschen, Gruppen, Ablenkung, Inspiration und Zerstreuung brauchen, ist unbestritten. Und das fehlt zur Zeit. Manchen fällt das schwerer, andern leichter. Aber wir alle können das Virus nicht wegreden. Selbst verdammen nützt nichts. Es gilt: Der Käfer mag uns. Je grösser die Gruppe umso lebendiger fühlt er sich. Wir tun also gut daran, ihm dies Plattform zu entziehen. Will heissen, wir müssen unsere Energie woanders suchen. Solange bis ihm der Schnauf ausgeht und wir immun sind. Und es wäre ja gelacht, wenn wir das nicht schaffen, denn einer der grössten evolutionären Vorteile, den wir besitzen, ist unsere Anpassungsfähigkeit. Nutzen wir diese Fähigkeit und schlagen der Seuche ein Schnippchen.

Das Gute liegt ja meistens näher, als uns bewusst ist. Man sagt auch vor der Haustür. Wer dieser Tage, trotz Kälte und Schnee nach draussen geht, ist erstaunt, wie viele andere es auch so sehen. In alle den Jahren sah ich nie so viele Spaziergänger, rund ums Dorf, wie in den letzten Wochen und Monaten. Und draussen liegt ein kleiner Schwatz immer mal drin. Tut gut, lenkt ab und gibt Kraft zum weiter ausharren. Oder der gute Nachbarschaftsklatsch über die Gartenhecke (falls vorhanden), oder im Hausgang. Er kann das gemütliche Beisammensein zwar nicht ganz ersetzen, aber er hilft über das Alleinsein hinweg, zumal das rettende Ufer (die Impfung) in Sichtweite ist. (Ich weiss es gibt noch viele offene Fragen und vieles läuft schief – es ist trotzdem ein Hoffnungsschimmer). Denn dass ist gewiss: Die Natur verhandelt nicht, wir können uns in ihr nur einrichten.

Und vergessen wir nicht – auch wenn es gerade nicht danach aussieht – der Frühling steht vor der Tür. Die Tage werden schon merklich länger und wenn die Sonne scheint, spürt man ihre Kraft. Die Schneeglöckchen täuschen sich nicht – sie strecken bereits ihre Köpfchen aus dem Schnee, als wollten sie uns auf bessere Zeiten aufmerksam machen. Wir müssen es nur sehen. Wer den ganzen Tag nur jammert, Schuldige sucht und nichts zur Lösung beiträgt, als miese Laune und idiotische Forderungen, braucht sich nicht zu wundern, wenn er (oder sie) als Miesepeter gemieden wird. Wir Menschen brauchen die Hoffnung (bzw. das Wissen, dass wir es besser können), wie die Luft zum Atmen. Statt drinnen im Lärm, finden wir diese derzeit halt draussen und in der Stille. Der Lärm kommt früh genug zurück.

05.02.2021: Trilogie der Entfremdung Teil III – Wirklichkeit

Vermutlich habe ich mich mit der Beantwortung der Frage. weshalb wir so oft gegen unsere eigenen Interessen handeln, etwas überfordert. Egal wie oft ich sie drehe und wende, ich finde fast ausschliesslich Aspekte und Gründe, welche diese „Schizophrenie“ erklären oder gar rechtfertigen. So ist es mit der Entfremdung in Teil I und so mit dem Selbstbetrug in Teil II. Wahrscheinlich zu Recht, warf mir eine kritische Leserin vor, es drehe sich zu sehr um die Befindlichkeiten privilegierter Wohlstandsbürger. Und sie hat Recht.

Es beginnt schon mit der Frage. Diese stellt nur jemand, der sich überlegen fühlt und die Antwort zu kennen glaubt. Sie ist ichbezogen und nimmt die Antwort vorweg, die nur „unsere Dummheit“, lauten kann. Sie ist arrogant und elitär, und führt in die Irre. Denn wenn uns auch menschliche „Schwächen“ zu irrationalem Denken und Handeln verleiten, so finden die nie in einem luftleeren Raum statt. Entscheidend ist vielmehr das Setting oder der Rahmen, in. dem dieses erst zum tragen kommt und Wirkung entwickelt. Die Frage müsste also lauten: Wer oder was bringt uns dazu, gegen unsere eigenen Interessen zu handeln?

Nehmen wir den Fischer, der zusammen mit einhundert anderen Berufskollegen zum Fischen hinausfährt um möglichst viele Fische zu fangen, obwohl er weiss, dass so die Fanggründe bald leergefischt sind und er damit seine Lebensgrundlage verlieren wird. Fährt er aber nicht hinaus, weiss er, dass „seine“ Fische einfach von den 99 anderen Kollegen mitgefischt werden. Also, warum zu Hause bleiben – auch wenn es die Vernunft gebietet? Ein Dilemma – was ist wichtiger: Persönlicher Nutzen jetzt, oder Gewinn für Alle, in der Zukunft?

Wir können fast jedes aktuelle Thema nehmen – das Dilemma manifestiert sich immer gleich. Ich oder wir, jetzt oder später. Verzichte ich auf den Flug nach New York oder verzichte ich zu Gunsten des Klimas – der Flug findet trotzdem statt. Ist mir ein grosser Ertrag wichtiger, als das Trinkwasser der Gemeinde? Verzichte ich auf Chemie und schütze den Boden auch für meine Kinder? Ist mein Wohlbefinden wichtiger, als das Tragen einer Gesichtsmaske um damit das Leben anderer zu schützen?

Zum oben beschriebenen Dilemma gesellt sich noch ein weiteres. Das Einhalten von Regeln und der Verzicht auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung ist selten lustig. Im Gegenteil. Jeder der mal mit Rauchen aufhören wollte, kann davon ein Lied singen. Ob es gelingt oder nicht hängt von der Beantwortung einer einzigen Frage ab. Wer ist hier der Chef? Das Objekt der Begierde (z. B. die Zigarette) oder ich? Ebenso fallen Verbote schwer die uns einschränken. Egal ob schnelles Fahren, Party feiern in der Pandemie oder die Nutzung umweltschädlicher Gifte – der „Verzicht“ nervt. Wir wissen aber auch, dass alles Wissen über die Konsequenzen unseres Handelns nichts nützt, wenn ich keinen Mehrwert durch meine Verhaltensänderung zu erwarten habe – und sei es nur Lob und Anerkennung. Dass dies auch im Kollektiv funktioniert, beweisen z. B. die zum Teil seit Jahrhunderten funktionierenden Allmeinden oder Alpgenossenschaften. (Beispiel dafür sind die Suonen im Wallis) Diese bringen dank selbstbestimmten Satzungen Einzel- als auch Gesamtinteressen perfekt unter einen Hut. Das Geheimnis des Erfolgs: Die Regeln sind selbst gemacht – also selbst bestimmt.

Und damit nähern wir uns auch der Antwort auf die eingangs gestellte Frage. Sie lautet: Selbstbestimmung! Denn wer selbst bzw. mitbestimmt – also Teil von etwas ist, akzeptiert auch seine Regeln. Wer fremdbestimmt ist, lehnt sie (mehrheitlich) ab. Zumindest hier in der Schweiz hätten wir die Instrumente dazu. Sie heissen Demokratie, Föderalismus und Gemeindeautonomie. Nur werden sie immer weniger genutzt, bzw. jenen überlassen, die das System zu ihren eigenen Gunsten zu wissen nutzen. Den Lobbyisten, Egoisten und Demagogen.

Wie das aktuell funktioniert, sehen wir gerade an den drei Vorlagen, über die wir am 7. März abstimmen können. Die an sich sinnvolle Schaffung eine elektronischen Identität (E-ID) wird mit den Interessen der Privatwirtschaft verknüpft (denn diese, und nicht der Staat soll diese ausstellen können). Das Freihandelsabkommen mit Indonesien spült in erster Linie 25 Millionen zusätzliche Gewinne in die Kasse der Lebensmittelmultis (Palmöl) und rettet nicht einen Quadratmeter Regenwald – auch wenn das behauptet wird. Und zu guter letzt, die Burkainitiative. Hand aufs Herz – wer sah letztmals eine vollverschleierte Frau in der Schweiz (ausser man wohnt in Interlaken)? Und glaubt jemand ernsthaft, den Initianten (einem ominösen Altherrenclub um $VP und EDU) ginge es um die Befreiung der Frauen? Ihre Plakate sprechen eine andere Sprache (man beachte die Augenpartie). Es geht einzig um Angst. Angst vor Fremden. Darum, dass wir sie (die selbsternannten Retter der Schweiz) zukünftig wählen. Selbstbestimmt handeln heisst somit: Hinter die Kulissen schauen und die verborgenen Absichten aufdecken. Es beginnt mit dem Erkennen der Lüge. Daraus folgt das Erkennen der Wirklichkeit. Dies ist der beste Garant nicht betrogen zu werden.

29.01.2021: Trilogie der Entfremdung Teil II – Selbstbetrug

Teil I meiner Trilogie endet mit der Feststellung, dass wir uns oft selbst betrügen. Nicht weil wir „dumm“ sind, sondern weil wir uns durch einfache „Lösungen“ in die Irre führen lassen. Leider unterstützt uns dabei auch noch die „menschliche Natur“, welche zu Kurzschlüssen neigt. Im Fachjargon auch als „Heuristiken“ bekannt. Was heisst das?

In der Regel wird ja unsere Vernunft und Rationalität beschworen. Stolz tragen wir diese vor uns her und meinen, uns könne niemand etwas, weil wir ja so schlau sind – die „Mutter aller Irrtümer“, quasi. Denn, was wir schlau nennen, ist nichts anderes als die vorherrschende Meinung des sozialen Milieus, (Mehrheitsmeinung) in dem wir leben. Das sagt jedoch nichts darüber aus ob diese gut oder vernünftig ist. Sie ist bestenfalls akzeptiert, meistens manipuliert und schlimmstenfalls diktiert (z. B. in Diktaturen). Beispiele dazu folgen weiter unten im Text. Der zweite Irrtum dem wir unterliegen, ist die Überzeugung, unsere Entscheidungen und Handlungen wären unserem Verstand geschuldet. Doch da ist unser „Bauch“, der das Rennen meist gewinnt und am Ziel ist, bevor der Verstand überhaupt startet. (Parallelen zur Fabel vom Igel und dem Hasen, sind rein zufällig). Um Energie zu sparen ruft unser „Bauchhirn“ nämlich Muster ab. Es greift auf „Bekanntes“ (oder eben Heuristiken) zurück und reagiert blitzschnell, bevor wir den Denkapparat überhaupt einschalten – dieser darf das Resultat dann bestenfalls noch rechtfertigen, bzw. begründen. Dank diesem Reflex, hat ein Geräusch im Gebüsch, viele Steinzeitjäger vor dem Säbelzahntiger gerettet. Seit diese ausgestorben sind, wendet sich diese Überlebensstrategie jedoch gegen uns. Denn genauer hinschauen, wäre in einer komplexen Welt von Vorteil, und eine weitaus bessere Überlebensstrategie. Diese Ausgangslage spricht also schon mal gegen die Überlegenheit der menschlichen „Vernunft„. Erst recht nicht in einer sozialen Gemeinschaft, auf deren Wohlwollen wir angewiesen sind. Das Resultat kennen wir – es nennte sich Schwarmdummheit und führt mehr und mehr zu Krisen.

Aus dem bisher Gesagten könnte man jetzt schliessen, das die ganze Misere den Defiziten der menschlichen Natur geschuldet ist. Und da diese sozusagen „gottgegeben“ (oder eben evolutionär) auch nicht zu ändern ist. Was sich also abmühen? Der Mensch ist, wie er ist. Beschränkt, gierig und träge. Oder wie anders erklärt es sich, dass wir konsequent gegen unsere eigenen Interessen handeln und uns selbst belügen?

Schauen wir dazu ein paar Beispiele an. „Wir“ (die meisten Landwirte) spritzen unser Gemüse mit Pestiziden, im Wissen darum, dass wir damit unser eigenes Trinkwasser vergiften – die möglichen Ertragseinbussen wiegen schwerer. „Wir“ (die es sich leisten können) fliegen um die halbe Welt, im Wissen darum, dass wir damit das Klima belasten – der Wunsch nach Sonne, Meer und Party ist eben grösser. „Wir“ (die überwiegende Mehrheit) isst Fleisch in rauen Mengen, im Wissen darum, wie stark die Fleischproduktion Umwelt, Tierwohl und Klima belastet – Genuss und Gewohnheit sind stärker. Wir nutzen Google, WhatsApp, Amazon, weil es bequem und günstig ist und ärgern uns wenn wir mit Werbung zugemüllt und Läden geschlossen werden. Wir kaufen Kleider die unter widrigsten Bedingungen in Bangladesch zusammen genäht werde, gehen auf Kreuzfahrt, schliessen Freihandelsverträge mit Diktatoren und wählen Politiker, die uns verarschen – die Liste ist endlos. Auch ich bin von dieser nicht ausgenommen. Selbstbetrug ist Alltag und Teil unseres Systems. Wie ist das möglich?

Das Erkennen unserer „Natur“ ist das Eine („Erkenne dich selbst!“ riet schon das Orakel von Delphi vor 2500 Jahren), das Andere ist das Durchschauen des Systems, in dem wir leben. Kurz gefasst könnte man sagen: Das System baut auf unsere Schwächen und macht es uns einfach „dumm“ zu sein – also sich selbst und sich betrügen lassen. Man kann sogar sagen, es belohnt den (Selbst)Betrug und bestraft jene, welche der Wahrheit verpflichtet sind. Dieser Pakt mit dem Teufel (Belohnung durch Selbstbetrug), hält unser System im Gange. Ein System, das in Wirklichkeit wenigen dient und allen Schaden zufügt. Und hier kommt wieder die Entfremdung ins Spiel. Denn es ist diese, die uns in die Irre führt. Aber wie?

Je grösser die zeitliche und geografische Distanz zwischen unserem Handeln und den daraus folgenden Konsequenzen, desto einfacher fällt der (Selbst)Betrug. Und je fremder uns jemand oder etwas (also Menschen oder ihre Religion/Kultur z. B.) ist, umso leichter fällt es uns, diese abzulehnen oder auszugrenzen. So fällt es dann leicht, das Flüchtlingselend am Rande Europas auszublenden. Denn dieses ist a) weit weg und b) betrifft es Fremde. Ein fataler Trugschluss, denn es ist „unsere“ Politik, die zu diesem Elend führt und es ist unsere Glaubwürdigkeit die zerstört wird. Es ist stets das gleiche Muster. Solange andere, möglichst weit weg oder viel später, die Folgen unseres Tuns zu tragen haben, umso leichter fällt es uns nicht über unser Handeln nachzudenken. Dazu gesellt sich, angesichts der Problemberge, eine „Ohnmacht“, die viele passiv werden lässt. Fast wie im Mikado geht es darum: Wer (was) sich zuerst bewegt, hat verloren. Bestes Beispiel dafür ist wahrscheinlich die Klimakrise, die alles oben Beschriebene in sich vereint. Trifft es uns dagegen direkt, wie z. B. die aktuelle Pandemie, ist Widerstand programmiert. Zu diesem gehört das Leugnen des Unabänderlichen genauso, wie die Schuldzuweisungen. (es sind immer die Andern). Wie kommen wir da raus, ist die grosse Frage. Denn dass wir da raus kommen müssen, steht ausser Frage. Selbstbetrug mag bequem sein, endet in der Regel aber in einem Fiasko.

Wie wir da rausfinden können ist Thema im 3. Teil, nächste Woche. Titel: Wirklichkeit . Dazu schon mal ein Zitat von Greta Thunberg vorab (aus ihrer Rede vom 25.1.2021 am virtuellen WEF):

Hoffnung ist für mich das Gefühl, welches dich am Laufen hält, auch wenn alle Chancen gegen dich stehen. Hoffnung kommt für mich nicht aus Worten, sondern aus Taten. Für mich sagt die Hoffnung, wie es ist, egal wie schwierig oder unangenehm das sein mag.“

21.01.2021: Trilogie der Entfremdung Teil I

Schon seit Jahre grüble ich an der Frage herum, die mich manchmal fast zur Verzweiflung bringt. „Wieso handeln so viele Menschen gegen ihre eigenen Interessen?“ Anders gefragt: Warum wählen so viele Menschen einen Trump, Bolsonaro, die AfD oder $VP? Zumindest wer die $VP wählt ist mir als Sohn einer Kleinbauernfamilie aus dem Zürcher Weinland bekannt. Teile der Familie, viele Nachbarn und ehemalige Schulfreunde. 58,1% sind es aktuell in meiner Wohngemeinde, dort wo ich aufwuchs sind es 60%+. Was also bringt so viele Menschen dazu eine Politik zu wählen, die gegen Andersdenkende hetzt (die Linke und Nette mit Würmern vergleicht), Ausländer für jedes Problem verantwortlich macht (selbst wenn diese vor ihren Augen die dreckigsten und schwersten Arbeiten zu lächerlichen Löhnen verrichten), gegen jede Vernunft Fakten leugnet (z. B. den Klimawandel) und ausser Steuersenkungen für die Reichen kaum mit Zukunftsvisionen glänzet? Bauern, Handwerker, Garagisten und Bürogummis. Mitglieder der Feuerwehr, der Landfrauen und des Turnvereins. Zumindest in den Landgemeinden gehören sie mit zu den engagiertesten Mitbürgern. Die $VP sitzt in den Gemeinderäten, Schulbehörden und Kommissionen. Sie schauen im Winter für die Schneeräumung, kümmern sich ums Wasser und flicken Strassen. Kein Grund also, sie nicht zu wählen – wenn da nicht die politische Agenda einer zynischen Clique von Milliardären und Opportunisten wäre, die eine komplett andere Agenda verfolgen. Eine der Ausgrenzung und der Selbstbereicherung. Das gleiche Programm wie Trump, Bolsonaro oder Orban, die es mit ihren Lügen und ihrer Menschenverachtung schaff(t)en, von Millionen angehimmelt zu werden. Eine Politik des Hasses und des Selbstbetrugs. Sind die alle gaga?

Nein, SIND sie nicht, und ja, ES IST gaga. Wenn die einzig verbleibende „Alternative“ zu konstruktiven Lösungen, die Wahl von Lügnern, Rassisten, Opportunisten oder gar Kriminellen ist, läuft etwas gewaltig schief. Ebenso bedenklich ist, dass die Lösung dringend anstehender Probleme, in deren Leugnung, der Verunglimpfung der Mahner, der Ablehnung der Wissenschaft und dem Glauben an abstruse Verschwörungsmärchen gesehen wird. Und irrwitzig zu meinen mit Abschottung, Grenzschliessung und Isolation liessen sich globale Probleme lösen. Nicht nur aus der Sicht des politischen Gegners, auch rein objektiv und gestützt auf Fakten und Geschichte, ist eine solche Politik ein Desaster. Auch hier dient der eben in die Wüste geschickte Trump, als abschreckenderes Beispiel. Sein Nachfolger erbt ausser einem Scherbenhaufen auch noch Hass und Gewalt. Soweit, so gaga – Problem erkannt – nur Deppen wählen solche Politiker – egal wen, egal wo. Wenn es denn so einfach wäre.

Ist es natürlich nicht! Nicht die Menschen, die sich irrational verhalten sind gaga, sondern die Umstände, die sie soweit bringen. Gaga, im Sinne von bedenklich. Und um das besser zu verstehen, habe ich kürzlich zwei Bücher Amerikanischer Autoren gelesen. „Hillbilly Elegie“ von J. D. Vance und „Homeland Elegien“ von Akhtar Ayad. Beides Familiengeschichten aus den Trumplands – jenen Gegenden Amerikas, wo Trump auch heute noch die grössten und fanatischsten Unterstützer hat. Also über die „Deporablen“ (zu Deutsch: die Bedauernswerten, wie sie einst Hillary Clinton nannte) des Amerikanischen Rostbelt – den Opfern der Globalisierung und des gnadenlosen Neoliberalismus, der letzten 40 Jahre. Ich will und wollte verstehen. Verstehen, warum diese Menschen einem notorischen Lügner mehr glauben, als den offensichtlichen Tatsachen. FakeNews mehr vertrauen als Fakten. Die Wissenschaft verteufeln und Scharlatane bejubeln. Was es braucht, dass Menschen ihr Heil bei Kleptomanen, Rassisten und Lügnern suchen. Und ich wurde fündig. Nicht nur Amerika und Trump betreffend – es öffnete mir auch die Augen für viele andere Themen hier, direkt vor unserer Haustüre.

Das Eine sind die der Profitmaximierung der Konzerne geopferten Arbeitsplätze, die zu Millionen in „Billiglohnländer“ verlagert wurden (in Amerika vor allem nach Mexiko und China) – das Andere, was darauf folgte. Während in Amerika ganze Städte und Landstriche dem Profit „geopfert“ und die Menschen ihrem Schicksal überlassen wurden – also Food Stamps (Essensmarken), Schulden, Drogen und der Hoffnungslosigkeit – so griff bei uns das Bildungssystem und das Soziale Auffangnetz. Auf den ersten Blick also kein Vergleich mit den deporablen Zuständen in Wisconsin, Virginia oder Luisiana. Und trotzdem gibt es auffällige Parallelen. Hier, wie dort hat es mit „Entfremdung“ und „Entwurzelung“ zu tun. Was meine ich damit?

Das Sein bestimmt das Bewusstsein„, wussten schon Feuerbach, Hegel und natürlich Karl Marx – d.h. es sind die Lebensumstände (oder auch das Milieu bzw. die Kultur), welche unser Denken und Handeln bestimmen. Umgekehrt verändert unser Denken und Handeln natürlich auch unsere Umwelt. Unser ganzer Fortschritt, sei er technischer oder gesellschaftlicher Natur, beruht auf dieser „Naturkonstante„. Und somit wären wir mitten im Thema. Wem der Boden unter den Füssen entzogen wird, weil er z.B. den Job und die Krankenversicherung verliert, an der Kasse einer Fastfoode-Kette zum Mindestlohn von 7.25$ landet, aus dem Haus geworfen wird und kriminelle Gangs die Strasse terrorisieren, hat verständlicherweise wenig Bock auf das hochtrabende Geschwätz wohlmeindender Politiker, Soziologen und Wissenschaftler der Teppichetagen in Washington. Erstens hat er dafür keine Zeit, zweitens keinen Bock und drittens versteht er nicht einmal, was die meinen. Da haben es einfache Parolen, dumme Sprüche und leere Versprechungen leicht, wenn diese mit Zukunftsversprechen verwoben sind – gelogen oder nicht, spielt dabei kaum eine Rolle. Die Entfremdung ist beinahe total. Der Unterschied der Lebenswirklichkeit der Einen und dem privilegierten Leben der Andern, könnte kaum grösser sein. Der ideale Nährboden für Verschwöhrungsgeschichten, Misstrauen und Hass. Das perfekte Rekrutierungsfeld für Rassisten, Heilsversprecher und Hassprediger aller Schattierungen. Wer vom Staat allein gelassen (also entfremdet) wird, erwartet von diesem irgendwann nichts mehr und greift nach jedem Strohalm der vorbei schwimmt – selbst wenn dieser der Teufel selbst ist. Und was hat das mit der friedlichen Schweiz zu tun?

Was die Lebensumstände betrifft, wenig. Hier funktioniert meist noch der Sozialstaat. Bis unter die Brücke oder den Trailerpark am Stadtrand (gibt es bei uns nicht), ist es ein vergleichsweise weiter Weg. Was die Entfremdung von den politischen und gesellschaftlichen Eliten betrifft, gibt es jedoch viele Gemeinsamkeiten. Während in den USA Schulen vergammeln, Strassen verlottern und medizinische Hilfe unerschwinglich wird, beschleicht hier manche das Gefühl, wir würden von Firmen, Politik und Behörden nur noch gegängelt. Ist man über 50, wird entlassen, und tritt an meine Stelle noch ein junger, „günstiger“ Ausländer, ist der Fremdenhass nicht weit. Auch wenn der Ausländer dafür nichts kann. Wenn die Dorfbeiz schliesst, die Post ins Nachbardorf zügelt, der Nachbar plötzlich Kroatisch spricht und vor mir an der Ladenkasse eine Frau mit Kopftuch ihren Einkaufskorb leert, ist das Gefühl der Entfremdung nicht weit. Und wo Entfremdung um sich greift, liegt es nah, das Fremde zu entfernen. Problem gelöst. Währenddessen verändert sich das Leben immer schneller. An der Ladenkasse soll ich mit Twint, ApplePay oder sonstwas zahlen, für die Covid-Impfung muss ich mich online anmelden oder stundenlang in einer Warteschlaufe auf eine menschliche Stimme warten, währenddessen die Bank ihren Schalter für immer schliesst. Der Staat meldet sich bestenfalls mit neuen Vorschriften und Verboten. Bald will er noch Ölheizungen verbieten und das Benzin verteuern. Es gibt also „gute Gründe“ frustriert zu sein. Da liegt der Wunsch nach Idylle nah und der Ruf nach Durchgreifen und alter Ordnung wird lauter. Der Selbstbetrug nimmt seinen Lauf.

Trilogie Teil 2 am 27.01.2021: Selbstbetrug

15.01.2021: Zäh

Wer kennt das Gefühl nicht? Man erwartet etwas ungeduldig und es wird und wird nicht. Den 18ten Geburtstag, die geplante Weltreise oder das Trump und die Pandemie endlich verschwinden. Es tut beinahe körperlich weh. Und ist es dann endlich soweit, muss man feststellen, dass die Vorfreude oft grösser war, als die Freude selbst. Denn, ist eine Hürde genommen, lauert bereits die nächste um die Ecke.

Trumps Abgang ist uns gewiss, der 20. Januar rückt näher. Wie dieser aussieht, darüber wird gerade heftig spekuliert. Vorsichtshalber vernageln Bauarbeiter schon mal die Fenster von Regierungsgebäuden und das FBI warnt vor bewaffneten rechtsextremen Horden. 15‘000 Nationalgardisten sind in Washington eingerückt. Vorausgesetzt die Nationalgarde ist nicht korrumpiert (in diesen Tagen weiss man nie), dürfe Jo Biden der 46igste Präsident der Vereinigten Staaten sein und Trump auf einem Golfplatz, im Gefängnis oder bei seinem Zwilling in Brasilien. Auch wenn sein Abgang zäh ist, er ist in Sichtweite. Aufatmen wird nicht nur halb Amerika und die Welt, auch dem Klima wird es nicht schaden. Wir dürfen uns also erst mal freuen.

Wie lange diese Freude anhält, steht allerdings in den Sternen. Ernst zu nehmende Stimmen warnen bereits vor Terroranschlägen durch die unzähligen, bewaffneten Milizen und 15 Millionen christliche Fanatiker beschwören das Armageddon. Ob hier der Teufel an die Wand gemalt wird, wissen wir vielleicht in einem Jahr. Bis dahin hoffen wir das Beste und machen uns auf das Schlimmste gefasst. Hoffnung ist ein zäher Bursche, ermüdend ist diese wahr zu machen.

Weit ermüdender als der Abgang des Verlierers im Weissen Haus auf der anderen Seite des Atlantiks, ist das Aussitzen der Pandemie hier. Ich wähle „aussitzen“ ganz bewusst, denn anders lassen sich die zögerlichen Massnahmen kaum umschreiben. Gouverner c’est prévoir heisst es so schön – also „Regieren heisst Vorausschauen“. In den letzten Wochen und Monaten glich dies aber eher einen ReAgieren und einen ZUschauen. „Die Lage ist ernst, wir beobachten mit Sorge“ des Bundesrates und sein meist spätes Zaudern und Zögern, lässt nicht nur mich ratlos zurück. Fakt ist: „Wer zu spät kommt, bestraft das Leben“ – das wusste schon Gorbatschow und behielt Recht. Denn leider greift das „Prinzip Hoffnung“ bei einem Virus nicht. Der hält sich zäh und kümmert sich nicht um unsere Befindlichkeiten.

Zäh halten sich nicht nur Viren, egal ob sie Trump oder Covid heissen. Noch zäher erweist sich der Irrsinn in Gesellschaft und Politikbetrieb. Da sammelt eine unheilige Allianz ominöser „Freunden der Verfassung“ (aka Coronarebellen), zusammen mit JGLP und Jungen Grünen 140‘000 Unterschriften gegen ein Gesetz, das bereits in Kraft ist (Covid-Gesetz) welches uns vor den Folgen der Seuche schützen soll. Ebenso unheilig das Referendum von $VP/swissoil und Teilen von Fridays4Future gegen das dringend notwendige CO2 Gesetz, das den Klimawandel endlich ausbremsen soll (nicht perfekt – aber besser den Spatz in der Hand, als gar nichts). Gleich verlogen die Allianz der Bauern-Agrochemie-Lobby gegen sauberes Trinkwasser, die mit ihren Plakaten bereits die ersten Bauernhöfe verunzieren. Machiavellisch die $VP, welche Alain Berset entmachten möchte um von ihrem eigenen Versagen abzulenken. Da sind die Störmanövern der gleichen Partei gegen jegliche Pandemiemassnahmen und ihre Weigerung betroffene Branchen und Betriebe angemessen zu unterstützen, fast schon eine Randnotiz. Ideologische Scheuklappen (Schulden sind böse) und naive Träumereien (entweder alles oder nichts) sind zäh. In Krisen sind sie nicht nur lächerlich, sie sind ausgesprochen gefährlich. So endet der verbohrte Sparreflex für viele Menschen und Firmen im wahrsten Sinne des Wortes tödlich. Egal ob Covid, Trinkwasser oder Klima – Hauptsache ich Rette meine Pfründe oder Überzeugungen. Verhaltensmuster sind so zäh, wie Viren und kaum auszurotten.

Wie fast alles im Leben hat aber auch das Zähe eine gute und eine schlechte Seite. Schützt uns eine feste (zähe) Schuhsohle vor rostigen Nägeln, so beissen wir uns bei zähem Fleisch die Zähne aus. Und hilft sie uns beim Dranbleiben und Durchhalten in schwierigen Situationen (wie z. B. das Durchstehen dieser Pandemie), so steht sie uns beim zähen Festhalten an alten Verhaltensmustern im Wege. Fällt uns die Unterscheidung zwischen Schuhsohle und Fleisch leicht, ist diese dafür zwischen vernünftigem Dranbleiben und sturem Festhalten umso schwieriger. Das „cui bono“ (also wer hat einen Vorteil davon) hilft uns auch hier.

08.01.2021: Privilegiert

Oft hört man klagen, wir wären verwöhnt. Eine Wohlstandsgesellschaft. Ein moralinsaure Unterton meist nicht zu überhören. Ob es Diagnose, Vorwurf oder einfach nur Selbstverortung ist, ist selten klar. Klar ist nur, dass es lamentabel ist. Lamentabel und schlecht für uns selber (Weicheier sind Loser) und schlecht für die Gesellschaft sowieso (den Starken gehört die Welt). Interessanterweise sitzen die Lamentierer*innen immer auf einem bequemen Bürostuhl oder einem bequemen Sofa, in einer geheizten Stube. Besser gesagt: Es sind Privilegierte. Man könnte auch sagen, es ist Ausdruck einer Geisteshaltung, eines Lebensstils oder Weltanschauung. Denn wieso soll „Wohlstand“ – also die Tatsache, dass es uns materiell gut geht – plötzlich schlecht sein? Haben nicht Generationen genau dafür gekämpft und gelitten und tun es nicht weiterhin Millionen und Milliarden weltweit? Was daran ist also schlecht und wieso dieses Stirnerunzeln?

Wer in den Slums von Mumbai oder Nairobi lebt, (so vermute ich, denn ich lebe ja nicht dort) wird unter Wohlstand vermutlich etwas anderes verstehen, als ein Bewohner der Goldküste (auch das eine Vermutung, da ich auch dort nicht wohne). Armut und Wohlstand definiert sich naturgemäss aus dem Vergleich. In der Regel zum Nachbarn oder dem nahen Umfeld. Wissen ob es morgen noch etwas zu essen gibt, ist im Slum von Dahravi etwas anderes, als in Herrliberg. Dort ist es eher der schnellere Porsche des Nachbarn, der ärgert. Was also ist Wohlstand und was heisst verwöhnt?

Sozusagen die ultima ratio des Wohlstand-Lamentos gipfelt im Vorwurf der Wohlstandsverwahrlosung. Darunter wird alles subsumiert, was in unserer Gesellschaft schief läuft. Von den verwöhnten Kids, den laschen Erziehungsmethoden, den Ansprüchen der Generation Boomer, bis hin zu zugemüllten Stadtparks und Schulabbrechern – kein Thema, dass nicht dem angeblich zu grossen Wohlstand zugeschrieben werden könnte. Verwahrlost durch Wohlstand. Kategorien die per se nicht zusammenpassen. Verwahrlost sind in der Regel die Habenichtse, die Faulen und Obdachlosen. Also muss wohl mit diesem Wohlstand etwas nicht stimmen.

Implizit oder explizit mit dieser Diagnose wird auch gleich die Therapie mitgeliefert. Mehr Härte, mehr Disziplin, mehr Entbehrung sollen es richten. Auf den Punkt gesagt: Weg mit dem Wohlstand für alle. Bis man über Sozialschmarotzer schwadroniert und bei jedem Sozialwerk die soziale Hängematte wittert, ist es dann ein kleiner Schritt. Und man selbst hatte es ja auch nicht leicht… Steine klopfen hat noch niemandem geschadet…“eis an Grind und gut ist“. Ist es das, was damit gemeint und gewollt ist? Zurück zu den „guten alten Zeiten“, als die Welt noch heile war?

Selbstverständlich war sie auch früher nicht in Ordnung. Und selbstverständlich sind immer die Anderen gemeint, wenn es um blamable Zustände geht. Wir können dieses Wohlstandsgedöns also ruhigen Gewissens dorthin entsorgen, woher es kommt: Zurück an den Absender!

Ist damit alles geklärt? Mitnichten! Denn selbstverständlich sind die Diagnosen nicht telquel falsch und aus der Luft gegriffen. Es gibt in der Tat vieles zu beklagen, was auf unseren Wohlstand – also der Tatsache, dass wir materiell gut abgesichert sind – zurückgeführt werden kann. Dabei geht es aber nicht darum, dass der angebliche Wohlstand zur Verwahrlosung führt, sondern um die Ignoranz und Arroganz, die mit diesem einher geht. Gerade jene, denen es materiell besser geht, als dem Durchschnitt, pflegen oft eine Mentalität des „das steht mir zu“ und der Entsolidarisierung. Sein und Haben wird zum Synonym und zur Selbstverständlichkeit. Das Leben findet in einer Art Filterblase statt. Diese ist wahlweise ein gemachtes Bett oder aber wird bedroht. Wohin das führt, erleben wir täglich und verschärft in diesen Tagen.

Was wir gerade erleben ist eine tiefe Spaltung der Gesellschaft. Sowohl materiell, kulturell wie politisch. Materiell öffnet sich die Schere zwischen oben und unten seit Jahrzehnten. So sehr, dass es sogar dem ehemaligen Nationalbankchef , Philipp Hildebrand, Sorgen bereitet. Nicht nur bei den Vermögen, welche für die reichsten 0,1% ins astronomische steigen, sondern auch bei den Einkommen der privilegierten Berufsgruppen (Top 10% mit einem Einkommen > 125’000 p. a). Dagegen steht die grosse Mehrheit, deren Realeinkommen seit Jahren stagniert oder gar sinkt. Die kulturellen Verwerfungen sind fast noch schmerzhafter. Auf der einen Seite Heimatlose, welche unter dem rasanten Wandel leiden, auf der anderen die Globalisierungsgewinner, welche den Wandel begrüssen. Besonders sichtbar werden die Abgründe im gesellschaftlichen und politischen Alltag. Dieser Tage besonders deutlich im Capitol, wo offensichtlich zwei Welten aufeinanderprallen. Bei uns z. B. in den verhärteten Fronten rund um die Pandemie. Auffallend – hier wie dort – die fast vollständige Entsolidarisierung. Im Vordergrund steht das „ich“, ein „wir“ existiert kaum noch. Und wenn ein „wir“ – ist es ein diffuses „Wir sind das Volk“, das sich in einer Parallelwelt verschanzt hat. Die eigentliche Verwahrlosung ist der Verlust der Orientierung und der Bodenhaftung. Offensichtlich gilt: Je höher ich mich in der maslowschen Pyramide befinde, desto weniger kümmern mich andere. Und je weniger mich andere kümmern, umso weniger kümmert mich auch, woher mein Wohlstand kommt. Ein möglicher Verlust ist umso schmerzhafter.

Maslowsche Bedürfnispyramide

Wo man – wie hier in der Schweiz – auf die Sonnenseite des Planeten geboren wurde, löst ein möglicher Wohlstandsverlust besonders viel Ängste und Aggressionen aus. Wenn das vermeintlich Selbstverständliche zur Disposition steht, sind Tugenden fern. Der Besitzstand wird mit Zähnen und Klauen verteidigt – was kümmern mich andere. Gemeinsinn „verwahrlost“, das Privileg mutiert zum Spaltpilz. Deutlich sichtbar z. B. an der Covid-Impferei. In der Schweiz diskutieren wir darüber wer jetzt als erste/r an die Reihe kommt, während die Länder in Afrika froh sein können, wenn sie bis 2024 überhaupt Impfstoffe erhalten. Was wundert es, wenn die Welt auseinander fällt. Es wäre schon viel gewonnen, wenn wir uns wenigstens unserer Privilegien bewusst sind. Privilegien funktionieren nämlich nur, solange sie verdient sind. Leider ist dieses Bewusstsein bei vielen Privilegierten verkümmert. Denn sind sie es nicht, ist Ärger vorprogrammiert.

Silvester 2020: Sapere aude

Damals als – so wird erinnert. Damals also, als alle, oder wenigstens fast alle, Masken trugen…. zu Beginn der 20iger Jahre. Ein denkwürdiges Jahr. Was wird davon bleiben? War es der Beginn eines Umdenkens? Das Ende einer Epoche? Die Wende zum Guten oder Schlechten? Vielleicht sogar eine Zäsur? Da uns der Blick in die Zukunft durch die Vergangenheit verstellt ist, müssen wir raten. Selbst Indizien – Erfahrungen genannt – sind nur bedingt hilfreich, denn sie klammern zukünftige Ereignisse naturgemäss aus. Fazit: Die Zukunft findet in der Zukunft statt. Trotzdem sind wir den Ereignissen nicht ganz hilflos ausgeliefert, denn wir können aus vergangenen Ereignissen lernen, unser Verhalten anpassen und Fehler zu vermeiden versuchen. Dies setzt allerdings voraus, dass wir erkennen. Erkennen, woran es liegt, dass wir sind, wo wir sind. Es braucht dazu nicht zwingend das „sapere aude“ Immanuel Kants, es genügt ein ungetrübter Blick zurück. Ein Blick der (ein)ordnet, erhellt und erkennt. Ein Jahresrückblick bietet dazu Gelegenheit. 2020 ganz besonders.

Wo warst du am 16. März 2020 oder was machtest du am 11. September 2001? New York, World Trade Center, Twin Towers, Terror und Osama Bin Laden – 9/11 – ist vermutlich bei uns allen fest verankert. Deshalb wissen wir meist auch nach 20 Jahren noch, wo wir damals waren und was wir gerade taten, als die brennenden Türme, vor den Augen der Welt, in sich zusammen brachen. Aber der 16. März 2020? Am 16. März hiess es: „Bleiben sie zu Hause“ – Lockdown. Seither gibt es ein davor und ein danach. Mich traf es vor Tasmanien. Statt Port Arthur, Tasmanischer Teufel und spektakuläre Strände, hiess es: Zutritt verboten – Hobart ist verseucht. Unverständnis – Frust – und was jetzt?

Was jetzt – auch noch neun Monate später. Statt einer kurzen heftigen Grippe, die, wie es sich gehört, im Frühjahr Leine zieht, entpuppte sich der Krankmacher als fiese Seuche von beinahe alttestamentarischem Ausmass. Ungläubig verfolgen wir seither die steil ansteigenden Kurven der Infizierten und Toten, reiben uns die Augen und stellten erstaunt fest: Alles ist anders. Zwar geht die Sonne weiterhin im Osten auf und im Westen unter – alles Übrige aber ist in Frage gestellt – Gewissheiten inklusive. Und um die Gefühlslage zusätzlich zu verkomplizieren, reiht sich seit Oktober Lockdown an Lockdown, während der neue Impfstoff Normalisierung verspricht und das Virus mutiert. In etwa gleich verrückt, Trumps Abgang als groteske Inszenierung eines Irren. Abgang gewiss, Ausgang ungewiss. Auf dem Rost geröstet werden, ist dagegen Wellness im Jaccusi. Dazu eine Regierung, welche die wirtschaftlichen Sonderinteressen einflussreicher Lobbies offensichtlich höher gewichtet, als unsere Gesundheit. Über die Spätfolgen lässt sich bestenfalls spekulieren. Schaden genommen hat aber mit Bestimmtheit unser Vertrauen. Unser Vertrauen in die Politik und Institutionen – und noch tiefgreifender, unsere Verletzlichkeit. Die Erkenntnis, dass wir nicht die Herren der Schöpfung, sondern in unserem Habitat bestenfalls geduldet sind, grenzt an eine Beleidigung. Der Grat zwischen einem unbeschwerten Leben in Sicherheit, Saus und Braus und einem in Angst um Existenz und Zukunft, entpuppte sich als schmal und brüchig.

Und wo es bricht, öffnen sich Klüfte. Die Kluft zwischen armen und reichen Ländern, zum Beispiel, wenn es um Impfstoffe geht. Zwischen jenen mit Job und jenen ohne. Den Profiteuren des Online-Handels und den zwangsbeurlaubten Wirten, den unterbeschäftigten Selbständigen und jenen, die einsam in ihren Wohnungen sitzen und nicht wissen, wie die nächste Miete zahlen. Getoppt nur noch durch die tiefen Gräben zwischen Vernunft und Aberglaube, Wissenschaft und Scharlatanerie, sowie Dogma und Notwendigkeit. Die bittere Erkenntnis: Das Eis ist dünner, als wir denken. Ob es hält ist mehr Glück als Verstand. Die Aufarbeitung dieser Zäsur, wird Jahre oder Jahrzehnte dauern. Ein erster Test steht quasi Ante Portas. Er lautet: Haben genügend Menschen Vertrauen in die Wissenschaft und lassen sich impfen? Falls nicht, dürfte 2020 nicht das letzte Annus Horribilis gewesen sein.

Doch, auch wenn Corona omnipräsent und Trump nervtötend ist, dürfen wir uns nicht von den Scheinwerfern der Medien blenden lassen. Die Neigung dort zu suchen, wo Licht ist, ist natürlich, selten aber zielführend. Das Böse kommt nicht umsonst aus dem Dunkeln. Was also offensichtlich und in aller Munde ist, ist nicht zwingend dass, was uns Angst machen sollte. So wie Trump nicht Ursache, sondern Folge des Rassismus und des Niedergangs der Mittelschicht war, so ist Corona nicht verantwortlich für das Versagen unserer Politiker. So wie diese auf diese Pandemie reagieren, tun sie es auch beim Klima oder dem Pestizid im Trinkwasser. Erst der Profit, dann der Wähler. Angst sollte uns deshalb nicht das Offensichtliche, wie z. B. ein irrer oder korrupter Politiker, der ein schlechtes Gesetz voran treibt oder halbherzige Massnahmen verordnet, sondern die Mechanismen, die dazu führen. Wenn also der Amazonas oder halb Sibirien brennt, wie auch dieses Jahr, in Bosnien und Griechenland Flüchtlinge wie Dreck behandelt werden (wie gerade in diesen Tagen) und Menschen in Yemen verhungern, sind das tragische Ereignisse, nicht aber der Grund zur Sorge. Sorgen machen sollten wir uns über die Mechanismen, die dazu führen.

Aber welche sind das? Gerade in akuten Krisen und mitten in den turbulenten Ereignissen, sind Muster schwer zu erkennen. Trotzdem sollten wir ab und an etwas beiseite treten und einen nüchternen Blick, aus der Distanz, auf das vermeintliche Chaos werfen. Was also sehen wir? Eine Pyramide. Oben sitzen wenige Profiteure, denen die Politik mit Steuererleichterungen, laschen Gesetzen und billigem Geld dient. Unten all jene, die für sich selber schauen dürfen und hängen gelassen werden. Das Fatale: Die Pandemie verstärkt dieses Gefälle zusätzlich. Wo kleine Firmen ihre Existenz verlieren, treten Konzerne, welche die Konkursmasse zum Schnäppchenpreis an sich reissen. Befördert noch mit dem billigen Geld der Zentralbanken. Aus Vielfalt entsteht Einöde. Der konkurse Wirt darf in Zukunft Burger für einen Amerikanischen Multi braten. Die überschuldete Coiffeuse, Haare für eine hype Haarfabrik schneiden. Gross schluckt klein. Nicht neu – dank Corona nun aber mit Turbobooster. Solange niemand dagegen hält, gewinnt der Starke. 2020 waren das z. B. die 300 Reichsten Schweizer (+ 15 Milliarden) welche durch Steuergeschenke (Streichung der Emisionsabgaben) noch reicher werden. Dafür verloren die Ärmsten 19% ihres Einkommens. Wer genau hinschaut merkt rasch: Die „grosszügige“ Coronahilfe hilft nicht den Bedürftigen sondern den Banken, Immobilienbesitzern und sog. systemrelevanten Betrieben, wie der Swiss. Auf der Strecke bleiben all jene ohne Lobby in Bern, jene auf welchen die Pyramide steht.

Fast hätte ich noch den Brexit vergessen, der uns seit nunmehr fünf Jahren langweilt. Er findet am 31.12.2020 um 23:00 ein betrübliches Ende. Einen Vorgeschmack auf deren Vollzug durften die Briten kurz vor Weihnachten erleben, als Frankreich wegen des mutierten Sars-Virus ihre Grenzen schloss. LKW-Staus durchs halbe Land. Ob die Wähler damals wohl wussten, was sie erwartet? Gute Aussichten sehen anders aus. 2020 kann aber auch eine Chance sein. Viele haben gemerkt, dass es auch mit weniger geht. An vielen Orten konnte sich die Natur erholen. Die neu gewonnene Ruhe, lernten viele zu schätzen. Nicht zuletzt zeigt die Krise, wie wichtig ein funktionierender Staat, ein gut ausgebautes soziales Netzwerk und Solidarität ist. Es liegt an uns, dies einzufordern. Sapere aude – oder wie Horaz 20 vor unserer Zeit schrieb: Dimidium facti, qui coepit, habet: sapere aude, / incipe. Zu Deutsch: „Einmal begonnen ist halb schon getan. Entschließ dich zur Einsicht. Fange nur an!“

25.12.2020: Warum wir Märchen lieben.

Wer kennt sie nicht, die traurigen-schönen Weihnachtsgeschichten des Pfarrers am Weihnachtsabend. Immer mit Tränen, Ungerechtigkeit und unverhofftem Glück zum freudigen Happy-End. Ja, was wäre Weihnachten ohne Hoffnung auf Gerechtigkeit, Frieden und Glück? Nichts! Und getreu der christlichen Lehre, erfolgt die Wende zum Guten, fast immer durch die Läuterung, Umkehr und Reue eines Bösewichts. Wie wohltuend sich Weihnachten doch vom Alltag unterscheidet. Das Gute triumphiert, das Böse geht unter. Eine Welt, wie wir sie uns wünschen.

Aus bitterer Erfahrung nennen wir solche Geschichten Märchen. Erfundene, unwahre Geschichten. Eng mit dem Märchen verwandt ist die Lüge, denn auch diese ist frei erfunden. Gemeinsam wollen sie uns einen Bären aufbinden und uns etwas Glauben machen, was nicht wirklich ist. Sie manipulieren uns. Und trotzdem gibt es einen grossen Unterschied. Während uns Märchen in der Regel Hoffnung machen (das Gute besiegt das Böse) oder belehren (wenn du Böses tust, wirst du büssen), will uns die Lüge ausschliesslich in die Irre führen. So lieben wir in der Regel Märchen und hassen die Lüge.

Leider sind die Beiden nicht immer klar zu unterscheiden. Wenn uns Hoffnung verkauft wird, wo es keine gibt, ist es zwar ein schönes Märchen aber eine Lüge. Es zählt also die Absicht, mit der uns etwas erzählt wird. Sprich: Wem nützt die Geschichte? Mir oder dem Erzähler? Dies herauszufinden ist nicht immer leicht. Umso grösser unsere Enttäuschung, wenn wir dahinter kommen.

Weihnachten sind voll von solchen Geschichten. Die wohl bekannteste und schönste, die Weihnachtsgeschichte selbst, die damit endet, dass uns der Heiland geboren wird. Sie ist sozusagen die Vorlage für alle schönen Märchen – Hoffnung. Hoffnung auf Besserung, Erlösung (von was auch immer), Frieden und ein gutes Leben. Alte uneingelöste Menschheitsträume. Wer könnte da dagegen sein?

In Krisenzeiten sind wir in besonderem Masse auf Besserung abonniert. Im Gegensatz zu den Märchen, wo die Rettung sozusagen per Zufall vom Himmel fällt, sind wir für das Heilen aber selber zuständig. Sei es die Solidarität mit den Schwächsten, das tragen von Masken oder sich impfen lassen – es liegt allein an uns, ob sich etwas zum Guten wendet. Das ist anstrengend. Und deshalb mögen wir Märchen. Dort retten uns irgendwelche Engel und Prinzen. Eintauchen in solche Märchen ist Weihnachten. An Weihnachten haben wir Zeit um uns zu besinnen und Kraft zu tanken. Märchen gehören dazu – sie geben uns „Hoffnung“. Die Hoffnung, dass wir die Kraft haben, das zu ändern, was wir ändern können und müssen.

Ich danke allen, die meinen Blog lesen und mich immer wieder ermuntern weiter zu machen. Ich wünsche allen schöne Festtage und ein besseres neues Jahr. Wer will, liest mich.

Erich

18.12.2020: Offenbarung

Keine Angst, die Offenbarung des Johannes, gemeinhin als Apokalypse bekannt, steht heute nicht zur Debatte. Auch wenn der apokalyptische Reiter mit der Sense, der zur Zeit im Galopp durch Dörfer und Städte zieht, dies nahe legen würde. Die Exegese (Auslegung) der Bibel überlasse ich lieber der theologischen Zunft und konzentriere mich stattdessen auf weltliche Belange, die zur Zeit mehr offenbaren, als die düstersten Prophezeiungen der Bibel. Wer die Augen offen hält und sich nicht nur mit dem Kleinklein des politischen Gezänks um Lockdown oder Nicht-Lockdown beschäftigt, dem zeigt sich ein Bild, dass einer Offenbarung gleicht. Nachstehend meine „Heurekas“ der Woche.

Was sich wie ein Erfolg anfühlt, entpuppt sich nur allzuoft als Pyrrussieg. So zum Beispiel der grüne Erdrutschsieg bei den Nationalratswahlen vom letzten Herbst. Bilanz nach zwölf Monaten: Ernüchterung. Im Siegestaumel wurden die wirklichen Machtverhältnisse, wie so oft, wieder einmal übersehen. Die Wirtschaftslobby regiert unbeeindruckt und ungehindert weiter. Das Resultat erleben wir ganz konkret – tagtäglich. Profit vor Gesundheit, Wirtschaft vor Umwelt und Reich vor Arm. Statt Lockdown und ernsthafter Pandemiebekämfung werden Brancheninteressen bedient. Statt CO2 zu reduzieren, ergreift die $VP im Namen von swissoil und Ölscheichs, das Referendum und der Bauernverband sorgt dafür, dass Pestizide weiterhin unser Grundwasser vergiften dürfen. Einzig die Väter dürfen nun, dank einem Volksja zum Vaterschaftsurlaub, zwei Wochen zu Hause bleiben. Das Polittheater dient ganz offensichtlich mehr der Ablenkung, als uns Wählern. So können die Interessen der Wirtschaftslobby ungestört bedient werden. Das ist zwar nicht neu, war aber selten so deutlich.

Wir wähnten uns in der besten aller Welten. Reich, zivilisiert, demokratisch, mit einem Hang zum Perfektionismus. Wir waren/sind ein Sonderfall – immer von der Sonne beschienen. Niemand kann und konnte uns das Wasser reichen. Arrogant blickten wir auf die Unzulänglichkeiten unserer Nachbarn. Und seltsamerweise wurden wir für diese Arroganz auch noch bewundert. Jetzt offenbart aber ein fieses Virus, auf welch wackligem Füssen unser Sonderfall ruht. Das teuerste Gesundheitssystems Europas steht vor dem Kollaps. Überfüllte Spitäler (IPS), überlastetes Personal, Patienten auf Wartelisten und Hilferufe von verzweifelten Spitaldirektoren. Nichts scheint mehr zu funktionieren. Weder das Contact-Tracing noch die verfügten Massnahmen. Das föderalistische System der geteilten Zuständigkeiten und Verantwortung, entpuppt sich als Schönwetterkonzept. In der Krise versagt es kläglich. Besonders peinlich: Mitreden wollen alle, um die Verantwortung aber drücken sie sich. Beispiel gefällig? Natalie Rickli (Gesundheitsdirektorin des Kanton Zürich) fordert lautstark die Schließung von Restaurants und rügt dafür den Bundesrat. Wieso verfügt sie selber keine Schliessungen? Eine peinliche Show! Fakten schafft in der Zwischenzeit nur das WEF. Es flieht nach Singapur. Wenn aber selbst die Weltelite das Vertrauen in unser System verliert, sollten wir uns wirklich ernsthaft Sorgen machen.

Wie sind und waren wir doch stolz auf unsere Bildung, die Aufklärung und die Wissenschaft. Und hier spreche ich nicht nur von der Schweiz Eng verbunden damit: Unser Wohlstand. Aberglaube, Quaksalberei und religiöse Dogmen überliess man einigen Spinnern – Logik und Vernunft triumphierten. Dachten wir – und dann kamen Trump, die Klimakrise und Corona und aus den Löchern krochen all die Totgeglaubten. Plötzlich ist die Lüge wieder salonfähig, Behauptungen Fakten und Betrug Wahrheit. Wissenschaft ist des Teufels und bisher gesichertes Wissen in Frage gestellt. Scharlatane und Wirrköpfe feiern ein Comeback ungeahnten Ausmasses. Impfgegner*innen, Esoteriker*innen, Hakenkreuzträger und Jünger der absonderlichsten Verschwörungsmärchen proben Samstag für Samstag den Aufstand in den Innenstädten Europas und fluten die Sozialen Medien mit dem unglaublichsten Mist, den sich ein menschliches Hirn ausdenken kann. Man könnte weinen, wäre es nicht so ernst. Uralte Verhaltensmuster sind in der Krise offensichtlich stärker, als erworbenes Wissen. Wer bis anhin glaubte, uns schütze Logik und Vernunft, steht fassungslos vor den Abgründen, welche diese Krise öffnet. Unter Stress, greift der Mensch offensichtlich jeden Strohalm, wenn dieser Rettung verspricht. Bereitliegende Rettungsringe werden über Bord geworfen und gar als Teufelszeug verschrien. Besonders bitter: Diese Parallelwelt ist für Vernunft und Argumente kaum mehr zugänglich. Erschreckendes Beispiel: In den USA glauben 70% der Republikaner, Trump hätte die Wahlen haushoh gewonnen und Biden sei nur durch Betrug gewählt worden. 16% der Schweizer*innen glaubt, Corona existiere nicht oder ein Mittel um uns zu versklaven. Bildung ist pfui, Aufklärung ein Fehler und die Wissenschaft lügt. Es lebe das dunkle Mittelalter.

Der Mensch ist ein Egoist, heisst es. Allerdings wäre er ohne Kooperation längst ausgestorben. Das Mammut erlegen erfordert(e) Zusammenarbeit – ein Staat oder eine Firma ebenfalls. Und doch geniesst der ICHling (aka rücksichtsloser Egoist) allerorten allerhöchste Bewunderung. Ja, er dient sogar als Vorlage für unsere Ökonomen und ihre Theorien. Es gilt: Wenn jeder an sich selber denkt, ist an jede/n gedacht. Was das in der Krise bedeutet, sehen wir dieser Tage überdeutlich. Jede/r und jede Gruppe, jede Branche und jeder Club ist sich selbst der/die Nächste. Der Gewerbeverband und ihre Sockentruppe im Parlament, laufen Sturm gegen weitere Massnahen, während er ihre Mitglieder im Regen stehen lässt, wenn es um finanzielle Unterstützung geht. Weiss Geistes Kind sich hier Bahn bricht, kann man überall nachlesen. Ohne Scham heisst es: Lasst die Alten sterben, sie wären sowieso bald gestorben – lass uns dafür feiern, shoppen. skifahren und Profite machen. Wer jung ist und arbeitet, darf leben – unwertes Leben ist zu kostspielig. Profit vor Leben – Euthanasie 2.0 Ausgabe 2020 – dem Starken gehört die Welt.

Krisen klären auf. Krisen erfordern Entscheidungen. In Krisen offenbart sich der wahre Charakter von Menschen und Systemen. Ob wir daraus lernen, steht auf einem anderen Blatt Papier. Immerhin scheint es, als würden die demokratischen Institutionen die Trump-Krise überstehen. Welche Parteien und Politiker hier, die Pandemie überleben, muss sich noch zeigen. Ganz deutlich aber wird, dass Schönwetterkonzepte in der Krise nichts taugen. Genau so wenig wie Schönwetterpolitiker und Schönwetterreden. Von ewigem Sonnenschein mag der Bündner Tourismusdirektor träumen – wir tun trotzdem gut daran Dächer auf unsere Häuser zu bauen. Die nächsten Schlechtwetterfronten zeigen sich bereits am Horizont. Pleiten, Klima und eine gespaltene Gesellschaft verheissen Sturm. Wenn wir Corona als Lektion begreifen, wären wir gut beraten. Denn eine Prophezeiung kann ich wagen: Wenn wir diesen „Stresstest“ nicht bestehen, werden kommende Krisen zur Hölle.

11.12.2020: Schrödingers Katze

Woche für Woche beschäftigt mich die Frage: Gibt es noch irgendetwas anderes als Corona oder etwas, dass sich gut anfühlt oder sich gar verbessert hat. Doch fast jede Woche scheitere ich. Diesmal habe ich sogar meine Bubble auf Facebook um Vorschläge gebeten. Von Fussball (vom Klöppeln hätte ich wahrscheinlich mehr Ahnung), bis zu Marias unbeflekter Empfängnis (nicht zu verwechseln mit ihrer ewigen Jungfräulichkeit) war alles dabei. So entschied ich mich für „Schrödingers Katze“ – will heissen jenes Paradox, bei welchem je nach Sicht, etwas tot oder lebendig ist. Ein Zustand, der unsere aktuelle Lage perfekt beschreibt.

Mit besagter „Katze“ lässt sich die gegenwärtig Pandemiebekämpfung, als auch der bunte Strauss an mehr oder weniger verwirrenden, kantonal verordneten Massnahmen, perfekt beschreiben. Sie existiert und tut es doch nicht! (Ja, ich weiss, ich wollte nichts über Corona schreiben – Corona hat es anders gewollt). Ebenso passt es zur fehlenden Verantwortung für den sich anbahnenden Schlamassel und dessen Folgen. Ist es nur ungeschickte Kommunikation, nicht geregelte Zuständigkeiten oder aber eine Hidden Agenda (geheimer Plan), die zu diesem offensichtlichen Systemversagen führen? Böse gesagt (und schon beinahe verschwörungstheoretisch): Will da jemand die AHV sanieren, indem er die Alten sterben lässt (bisher geschätzte 100’000’000 CHF.pro Jahr) oder geht es „nur“ darum das Portemonee der Begüterten, vor drohenden Steuererhöhungen, zu schonen? Wir wissen es nicht! Es ist ein klassisches Dilemma. Was wir auch annehmen, es löst sich vor unseren Augen auf und verkehrt sich ins Gegenteil.

Was wir aber seit Wochen wissen: Was da verordnet oder eben nicht verordnet ist, genügt nicht. Für einmal versagt der freundeidgenössische Kompromiss aufs Kläglichste. Das Virus will und will ums Verrecken nicht verhandeln und zieht ungestört seine zerstörerische Bahn durch Kantone, Gemeinden und Heime. Unbeeindruckt von allen halbherzigen Massnahmen, verharren Infizierte, Hospitalisierte und Tote auf beängstigend hohem Niveau. Wir beobachten life und in Farbe, wie ein System vor unser aller Augen kollabiert.

Um zu verdeutlichen was ich mit Systemversagen meine – ein aktuelles Beispiel aus meiner engsten Familie: Seit Dienstag ist meine Enkelin in Quarantäre. Mehrere Schüler ihrer Klasse haben sich offenbar mit dem Virus angesteckt und sind positiv getestet. Angeblich gilt aber einer der Schüler bereits wieder als genesen, da er bereits vor 10 Tagen Symptome hatte, um die sich aber niemanden kümmerte. D.h. niemand wurde informiert und die Schule unternahm nichts. Getestet werden die Schüler auch jetzt nicht – zu Hause bleiben soll genügen. Lehrer*in und Schulleitung sind sich, auf Nachfrage, nicht einig ob nun getestet werden soll oder nicht. Auch Geschwister und Eltern hängen in der Luft. Ein Telefon beim kantonsärztlichen Dienst war ebenso erhellend. Kann man – kann man auch nicht – soll man – weiss man nicht – sinnvoll ja oder auch nicht – keine Ahnung – bleiben sie zu Hause….schreiben sie dem Kantonsarzt eine eMail. Fazit: Zuständig fühlt sich niemand – es ist zu vermuten, weil niemand die Verantwortung übernehmen will. Übrigens die gleiche Erfahrung, welche meine betagten Eltern vor über einem Monat, in einem anderen Kanton, machen mussten. Hätte mein 96-jähriger Vater (mit Symptomen und Hochrisikopatient) nicht geflucht und getobt im Ärztezentrum, wäre er nicht (übrigens positiv) getestet worden. Selbst dieses Ergebnis ging sowohl Arzt wie Gesundheitsbehörden so ziemlich am A**** vorbei. Es hat schlicht niemanden gekümmert. Meine betagten Eltern blieben allein gelassen – ohne ärztlichen Beistand. Zum Glück blieb es bei leichten Symptomen. Kurz gesagt: Was uns erzählt wird und was in der Praxis abgeht, findet in zwei verschiedene Welten statt. Etwas existiert und existiert doch nicht. Und jetzt soll mir jemand sagen, wie man das Vertrauen in ein solches System nicht verlieren soll. Alle Betroffenen sind ausser frustriert, noch frustriert.

Einfach mal all den gewählten Politikern, Beamten und wer sich auch immer angesprochen fühlt, ins Stammbuch geschrieben: Wundert euch nicht, wenn ihr auch noch den letzten Rest an Vertrauen verliert, wenn ihr abgewählt werdet und wenn sich kein Mensch mehr für eure Verlautbarungen interessiert. Was ihr hier bietet ist schlicht eine SCHANDE! Man könnte es sogar als Arbeitsverweigerung bezeichnen. Langsam verstehe ich sogar die Querdenker und Covidioten. Nicht weil diese Recht hätten – im Gegenteil – sondern wegen ihres Misstrauens. Denn dieses ist mehr als berechtigt. Nicht weil es eine Verschwörung gibt, das Virus angeblich nicht existiert oder die verhängten Massnahmen überflüssig wären, sondern weil zuwenig gemacht und zu spät gehandelt wird! Wenn man seine Legitimität dermassen verspielt, muss man sich um den Schaden nicht wundern. Und dieser ist bereits in grossem Umfang angerichtet. Wenn sich nur noch 50% der Bevölkerung gegen dieses Virus impfen lassen will, weil sie weder Pharma, Ärtzen noch der Politik vertraut, haben wir alle ein Problem. Freuen tut sich einzig der stille Profiteur im Verborgenen – das Virus.

Das Tragische: Statt die Erfahrungen in immer wirksamere Massnahmen umzusetzen, wird die Situation von Woche zu Woche schlimmer und die Sorgenfalten des Gesundheitsministers tiefer. La situation est grave! Offensichtlich ist dieser aber entweder Gefangener einer geheimen Lobby – wer weiss es schon – der bürgerlichen Konkordanz oder der Kantone, denn wie anders lässt sich sonst erklären, dass ausser: „Wir sind besorgt, wir beobachten und schauen dann nächste Woche„, seit 2 Monaten kaum mehr Substanzielles aus seinem Munde kommt? Und wenn was kommt, ist es bestenfalls Kosmetik. Effekt: Alle sind verärgert und die Spitäler füllen sich. Ist er nun Gesundheitsminister – und damit per Definition und Jobdescription, für unsere Gesundheit zuständig – oder trägt er diesen Titel nur zum Schein? Konsequenterweise müsste er zurücktreten, wenn er seinen Auftrag nicht mehr erfüllen kann. Ist er eventuell sogar „Schrödingers Katze“? Gibt es ihn oder gibt es ihn doch nicht? Das gleiche gilt auch für zahlreiche kantonalen Gesundheitsdirektoren, die sich bestenfalls dann bewegen, wenn ihnen der Gewerbeverband grünes Licht gibt (sinngemässes Zitat des unsrigen: …in enger Güterabwägung mit dem Gewerbeverband…). Die Vermeidung von Kosten zu Lasten der Staatskasse hat unter allen Umständen Priorität, ist die nicht erklärte, aber praktizierte Leitlinie – anders lässt ich diese Politik nicht interpretieren. Überhaupt stellt sich die Frage, weshalb man den Kantonen die Verantwortung übertrug. Wahrnehmen tut sie die wenigsten. Auch sie warten lieber ab.

Was auffält sind die Brüche, welche diese Krise offenbart. Man wähnt sich im falschen Film und reibt sich die Augen. Da lassen die selbsternannten (und bisher anerkannten) „Wirtschaftsvertreter“ (von $VP bis GLP) ihre Kundschaft (speziell die KMU) im Regen stehen, während sich die angeblich wirtschaftsfeindliche SP und die Grünen mit Vehemenz für deren Rettung und Unterstützung einsetzen (Erlass der Geschäftsmieten, Unterstützungsprogramm etc.) – werden aber regelmässig überstimmt. Auch die Brüche zwischen Bundesrat und den Kantonen wirft ein fahles Licht auf unseren hochgelobten Föderalismus – ein Schönwetterkonzept, welches in der Krise schlicht versagt. Und zu guter Letzt, die Konkordanz im Bundesrat, die immer mehr Risse offenbart. Die Kakaphonie der bürgerlichen Parteien muss nicht einmal mehr speziell erwähnt werden – sie ist einfach nur noch peinlich. Die Nachwirkungen dieser Krise dürften tiefgreifender sein, als bisher geahnt. Der Vertrauensverlust ist das eine, das Versagen des Systems und seiner Institutionen das andere. Der Schaden ist auf jeden Fall angerichtet – aber vielleicht – so ist zu hoffen – ist es auch eine Chance.

Weihnachten steht vor Tür. Wie jedes Jahr überladen mit Erwartungen und Sentimentalitäten. Diesmal aber nicht unter dem Stern von Bethlehem, sondern unter Corona. Distanz ersetzt Nähe, Angst und Vorsicht die Freude. Selbst die Hoffnung auf eine baldige Impfung ist angesichts der verbreiteten Impfskepsis getrübt. Die „Katze“ schlägt auch hier unbarmherzig zu: Es gibt eine Impfung, deren Zulassung steht noch aus, deren Wirkung steht noch in den Sternen, wann wer geimpft werden soll ebenfalls und wenn es soweit ist, verweigert die Hälfte den Pieks – das Virus freut‘s. Wir haben also eine Impfung und doch keine – eine Pandemie und doch keine, Massnahmen und doch keine und Weihnachten und doch keine. Willkommen in Schrödingers Welt.

04.12.2020: Advent, Advent der …

Christbaum brennt – heisst es in einem doppeldeutig gemeinten Reim. Ist es das Leuchten der Lichter in der dunklen Jahreszeit oder aber die sich anbahnende Katastrophe, die uns bewegen? Es ist Anfang Dezember und die Lichterketten an Häusern, in Gärten und den Strassen strahlen um die Wette. So weit also, alles wie gehabt – das Jahr neigt sich dem Ende zu, die Kinder freuen sich auf die Geschenke, die Geschäfte auf Umsatz und die Skigebiete auf Gäste. Doch der Schein trügt – wir schreiben 2020 und es ist alles anders. Wirklich alles?

Gerade macht die Schweiz im Ausland eine ziemlich miese Falle. Das ZDF berichtet davon in ihrem Auslandjournal und reibt sich verwundert die Augen. Und im Tagesanzeiger schreibt ein Deutscher enttäuscht, von der Schweiz als Drittweltland, dass Profit über Menschenleben stellt. Die halbherzigen Massnahmen, trotz rekordhoher Toten und Infizierten, und das offensichtliche Primat der Wirtschaft vor Menschenleben, irritiert zutiefst. Die Schweiz – einst leuchtendes Vorbild und Hort von Freiheit, Stabilität und Demokratie (Selbstwahrnehmung) verspielt gerade ihr grösstes Kapital – ihren guten Ruf. Unter dem Lichterglanz erscheint die dunkle Seite eines privilegierten, verwöhnten und egoistischen Landes, welches an ihrem Sonderfall mit Zähnen und Klauen festhält – egal was es den einfachen Bürger kostet.

5000 Tote, volle Spitäler, überlastetes Gesundheitspersonal – egal. Ein Gejammer und Gemotze wenn nur schon Einschränkungen diskutiert werden – was kümmern uns die Alten? Die $VP probt den Aufstand gegen die Forderung der Nachbarländer die Skibetriebe erst im Januar zu öffnen, während sie die eigenen Restaurants im Regen stehen lässt – der teilweise Erlass der Geschäftsmieten wurde vom Parlament eben gebodigt. KMU sind nur dann von Interesse, wenn man sie gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden der Grosskonzerne im Ausland missbrauchen kann (Konzernverantwortungs-Initiative). Wahrlich – nicht nur das Wetter ist grau und trübe – auch meine und die Stimmung im Lande. Selbst die unzähligen Girlanden und Glühbirnen leuchten vergebens gegen diese Dunkelheit an.

Male ich wieder einmal zu schwarz? Bin auch ich ein Opfer des weitverbreiteten Pandemietrübsinns? Ist es am Ende nur der Nebel? Ober bin ich einfach frustriert über die verlorene Abstimmung, in die so viele engagierte Schweizerinnen und Schweizer Hoffnungen gesetzt haben. Die Hoffnung, dass Anstand, Moral und Verantwortung endlich über die Profitgier siegt. Ja – ich bin frustriert, wenn auch nicht überrascht. Denn, was sowohl unsere Pandemie-Politik, wie das Abstimmungsresultat zeigen, hat schon Berthold Brecht vor 80 Jahren gewusst: „Das Fressen kommt vor der Moral„. Ein Prinzip, dass wir in der Schweiz zur Perfektion getrieben haben. Nicht erst seit heute. Wer den kürzlich ausgestrahlten Film „Frieden„, im Schweizer Fernsehen, gesehen hat, weiss wie es um die „Moral“ der politischen und wirtschaftlichen Schweiz bestellt war und (immer noch) ist. Brutal gesagt: Inexistent!

Während wir also unseren letzten Kredit im nahen Ausland verspielen und sogar das WEF, wegen unseres Corona-Sonderzugs, nach Singapur auswandern will, jammern die Lobbyisten aller Branchen über ihren nahenden Untergang und das Parlament übt sich in unterlassener Hilfeleistung (kein Mieterlass, Bürokratie statt Hilfe, der Kanton Zürich zahlt frühestens im März – die Liste der Versäumnisse ist unendlich lang). Man fragt sich unweigerlich: Für wen wird hier gesorgt? Welche Interessen werden hier bedient? Was reitet unsere Wirtschafts- und Politelite? Ist es Unvernuft, Unwissen, Unwillen oder einfach nur Bosheit? Ich weiss es nicht – vermutlich ist es einfach „Ideologie“, also ein unverrückbares Weltbild, dem man stur folgt. Auf jeden Fall verspielen sie alle gerade ihren letzten Kredit – nicht nur bei mir, bei vielen.

Was ich auf jeden Fall konstatiere: Was in ruhigen, normalen Zeiten als Erfolgsmodel gilt (das föderalistische System, die Kompromissfähigkeit und die direkte Demokratie), versagt in der Krise grandios. Im In-, wie im Ausland. Der Reputationsschaden ist kaum zu beziffern und die Legitimation nimmt immensen Schaden. Nicht nur wegen der Gleichgültigkeit gegenüber den täglich 100 Toten – das Hängenlassen ganzer Branchen wird sich noch auf Jahre hinaus auswirken. Die Pleitewelle zeichnet sich am Horizont bereits ab. Und um der Verlogenheit noch die Corona aufzusetzen, verweigern die Bürgerlichen nicht nur eine angemessene Unterstützung, sie protestieren auch gegen längst fällige Massnahmen (Restaurants, Schulen, Läden schliessen z. B.) um Tote und Infektionen auf ein erträgliches Mass zu senken und jammern gleichzeitig, wenn sich das Ausland abwendet und über Grenzschliessungen nachdenkt. Mehr Schizophrenie ist kaum mehr möglich.

In 3 Wochen ist also Weihnachten und in 4 rückt der Zähler um eine Eins vor. Wer freut sich nicht darüber, dieses Kriesenjahr endlich abhaken zu können. Allerdings sind wir drauf und dran mit einer dritten Welle ins neue Jahr zu starten – zwei sind wohl nicht genug. Ja, wir „können Corona“ *ironieoff. Eine Impfung ist bis dahin noch in weiter Ferne. Denn während die Nachbarländer Impfzentren aufbauen, schauen und warten wir zu. Immerhin das beherrschen wir in absoluter Vollendung.

Um aber doch noch einen versöhnlichen Schluss zu finden, sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich die grosse Mehrheit der Krise bewusst ist und sich „eigenverantwortlich“ zurück hält. Die wenigen Querköpfe sind Quantité négligable, welche wir gestrost ignorieren können. Ohne die Vernunft der Mehrheit wären wir nicht nur knietief, sondern bis Unterkannt Oberlippe im Seich. Wer an dieser Mehrheit vorbei-politisiert muss sich dann über zukünftige Wahlergebnisse einfach nicht wundern – vorausgesetzt, das Gedächtnis leidet nicht unter Langzeit-Covid.

27.11.2020: Black Friday

Kaum ist der Verpackungsmüll des Singles Day (11.11.) entsorgt, rollt der Black Friday – oder gleich eine ganze schwarze Woche auf uns zu. Da das Christmas-Shopping in New York dieses Jahr pandemiebedingt ausfallen muss, konzentriert sich das Weihnachtsgeschäft dieses Jahr wohl auf das Online-Shopping. Zumindest in jenen Ländern, wo die Geschäfte wegen des Lockdowns geschlossen sind. In Frankreich ruft deswegen sogar die Politik zum Boykott von Amazon – dem grössten Profiteur der gegenwärtigen Krise – auf. Hierzulande natürlich auch, wobei auch die Einkaufszentren und Warenhäuser zur Konsum- und Rabattschlacht rufen. Wer dieser Tage ein solches besucht, weiss was ich meine.

Nichts neues also. Der Konsumrausch vor Weihnachten wird ja schon seit Jahrzehnten mit Glitzer, Glamour und bunten Faltprospekten angekurbelt. Mit Erfolg – die Umsätze steigen Jahr für Jahr und dies obwohl diese Konsumorgie mindestens ebenso lange in der Kritik steht – erfolglos. An Weihnachten verhallen Warn- und Mahnrufe offensichtlich ungehört. In Zeiten des Online-Handels umso mehr – die 85 Milliarden Vermögenszuwachs des Amazon-Besitzers Jeff Bezos (allein in diesem Jahr), liefern dafür einen eindrücklichen Beleg. Doch – was ist den eigentlich so verwerflich an dieser Schnäppchenjagd, dem Online-Shopping oder Black Friday? Vor allem – wieso sollten wir uns schlecht fühlen, wenn wir uns über ein günstiges Schnäppchen freuen?

Müssen wir natürlich nicht. Wer freut sich nicht über ein günstiges Schnäppchen, vor allem dann nicht, wenn er/sie sich dieses mit seinem Lohn, sonst nicht leisten könnte oder nur auf Kredit. Im Idealfall natürlich doppelt gemoppelt – noch mehr Schnäppchen gibt es natürlich auf Kredit. Wer die Angebote zum Black Friday studiert, bekommt auch gleich die „Finanzierung“ mitgeliefert. Kauf jetzt – bezahle später (in bequemen Raten). Ein Idiot wer da nicht zugreift. (wer erinnert sich nicht an die unsägliche Media-Markt Werbung „Ich bin doch nicht blöd?“). Heute braucht es diese Slogans nicht mehr – die „Geiz ist geil Mentalität“ ist zwischenzeitlich Teil unserer DNA. Nur Blöde kaufen zu teuer. Die Online-Riesen Amazon und Alibaba haben sie sogar zum Geschäftsmodell gemacht. Ihr Weihnachten feiern diese nicht nur an Black Friday, sie feiern diese 365 Tage im Jahr – insbesondere in Zeiten von Lockdown und Pandemie. Soll man sich deshalb daran stören oder gar mit-boykottieren? Soll man sich in Verzicht üben? Nur noch die lokalen Kleinstprozenten aus der Region berücksichtigen? Ausschlieslich Qualitätsprodukte vertrauenswürdiger Hersteller kaufen? Wo liegt den eigentlich das Problem – falls es überhaupt eines ist?

Nein – es ist nicht ein Problem, es ist DAS Problem schlechthin. Und nein – es ist nicht das Problem des sparsamen Konsumenten, der sich mit günstigen Produkten eindecken will – es ist weil unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem nur durch ewiges Wachstum am Leben erhalten werden kann. „Ewiges Wachstum“ in einem endlichen System, ist wie unaufhörlich Luft in einen Ballon zu pumpen – irgendwann platzt er. Denn es gilt: Je mehr von allem, desto mehr Jobs, mehr Umsatz, Gewinn, Steuern usw. Ohne „mehr“ droht der Kollaps. So gesehen, folgen wir nur der Logik des Systems. Also alles in bester Ordnung?

John Maynard Keynes, der wohl bedeutenste Oekonom des 20igsten Jahrhundert (1883-1946) progonostizierte bereits in den 30iger Jahren eine 15-Stunden Arbeitswoche, da er davon ausging, dass der technologische Fortschritt viel menschliche Arbeit überflüssig machen würde. Der (technologische) Fortschritt fand unbestrittenermassen statt – sogar schneller und umfassender als je geahnt. Aber weshalb arbeiten wir dann immer noch 40 und mehr Stunden in der Woche? Und weshalb sah er die gegenwärtige Entwicklung nicht voraus?

Dazu drei (mögliche) Antworten.

Früher (also noch bis vor ca. 75 Jahren) produzierten wir vorwiegend Produkte die wir wirklich brauchten. Also Möbel (die ein Leben lang benutzt wurden z.B.), Lebensmittel die wir täglich brauchen oder Geräte, die wir täglich nutzten (Sensen, Sägen, Körbe etc.). Die Produkte waren wertvoll und teuer – man hielt ihnen entsprechend Sorge und reparierte sie, wenn sie kaputt gingen. Mit der industriellen Massenproduktion änderte sich dies nachhaltig. Es wurde, trotz Bevölkerungswachstum, immer mehr und mehr produziert, als wir zum Leben wirklich brauchten. So entstand die Konsumgesellschaft, das „Marketing“ (Bedarf ankurbeln) und die Müllberge. D.h heisst: Die Produkte sind billig, von mässiger Qualität (das Kaputtgehen ist sozusagen eingebaut) und der Lebensszyklus wird (künstlich) verkürzt – schon nach wenigen Jahren ist es überholt und man erhält kaum mehr Ersatzteile oder es lässt sich überhaupt nicht mehr reparieren. Die Müllberge wachsen und die Umwelt (also wir!) leidet.

Wo bis vor wenigen Jahrzehnten in grossen Fabriken eifrig produziert wurde, werden diese Fabrikhallen heute als Einkaufszentren, Eventhallen, sowie Freizeit und Sport genutzt (man denke nur an Sulzer in Winterthur). Die Waren welche wir kaufen, werden längsten in Asien produziert. Kleider in Bangladesh, Schuhe in Kambodia, Handys in China usw. Die Rohstoffe liefert Afrika und wir kaufen billig ein. Am günstigsten bei den grossen Online-Händlern wie Amazon oder Alibaba natürlich. Der Black Friday (der nicht ohne Grund von diesen Firmen nach Europa gebracht wurde), dient im Prinzip nur dem Abverkauf der weltweiten Überproduktion. Wir kaufen, weil es ein Schnäppchen ist, freuen uns und die Müllberge wachsen weiter.

Wir sind also in einer doppelten Abhängigkeit, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Ewiges Wachstum, weil sonst das ganze System kippt und die Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern und günstigen Transporten – also billigem Erdöl. Das Klima dankt.

Sind wir also alle schuldig, wenn wir auf Schnäppchenjagd gehen?

Schuldgefühle kann man dann haben, wenn man etwas mit-verantwortet und es besser machen könnte. Aber haben wir wirklich Einfluss auf die weltweite Produktionsweise und den Vertrieb? Haben wir natülich nicht. Das liegt ausschliesslich in den Händen jener, die diese Woche einmal mehr gefeiert werden (die 300 Reichsten….) – anders gesagt, bei jenen, die das Geld haben und bestimmen wo sie am (billigesten) produzieren lassen. Und vergessen wir nicht: Für viele sind die sog. Schnäppchen auch überlebensnotwendig. Fehlt ein gutes und gesichertes Einkommen (und in der Pandemie wird der Graben zwischen Arm und Reich noch tiefer), ist günstig Einkaufen eine Überlebensstrategie. Moral kann sich (leider) nur leisten, wer das Geld dazu hat. Dummerweise fehlt diese oft aber gerade bei jenen, die am meisten davon haben. Der schmutzige Abstimmungskampf der Gegener der Konzernverantwortungsinitiative lassen nur diesen Schluss zu.

Bleibt die Erkenntnis: Es ist verzwickt und wir sollten uns vor vorschnellen Urteilen hüten. Es bleibt aber auch die Erkenntnis, das wir etwas daran ändern müssen – sonst platzt der Ballon, auf dem wir sitzen. Über das was und wie, können und dürfen wir streiten – das ob und wann ist keine Option mehr – dieser Zug ist abgefahren. Pandemie und Klimakrise sollten uns Warnung sein. Machen wir also Druck auf all jene, die etwas zu bewegen haben . Die Reichen, die Politik und die Konzerne. Immerhin haben wir hier in der Schweiz noch die Möglichkeit dazu. Nutzen wir sie!

20.11.2020: Rückwärts im Vorwärtsgang

Es gibt Dinge, die werde ich wohl nie ganz verstehen – auch wenn ich mir noch so viel Mühe gebe. Da lese ich zum Beispiel in watson, dass in Amerika Coronaleugner selbst auf dem Sterbebett und nach Atem ringend, Covid leugnen und meinen sie stürben an Lungenkrebs. Bis in den Tod gilt: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Das gleiche Verhalten wie Trump, der immer noch einen Erdrutschsieg für sich reklamiert, obwohl sämtliche Resultate das Gegenteil beweisen. Diese krassen Beispiele stehen stellvertretend für ein Verhalten, welche ich schon seit längerem beobachte. Die (fast) vollständige Negation der Realität und das Festhalten an einmal gewonnen Überzeugungen. Die Lüge besiegt die Wahrheit. Ein Thema, was mich seit meiner NLP-Ausbildung vor 14 Jahren begleitet. Dort spricht man sinnigerweise von Glaubenssätzen. Damals dachte ich noch, mit der „richtigen“ Methode liessen sich diese ändern, in der Zwischenzeit habe ich meine Zweifel. Zumindest nicht, wenn es um grundlegende Überzeugungen geht. Wenn es 250 Jahre Aufklärung nicht geschafft haben, der Vernunft zum Durchbruch zu verhelfen, wie soll es da etwas gutes Zureden und ein bisschen Psychologie? Das Problem liegt offensichtlich tiefer. Aber wo?

Liegt vielleicht ein Konstruktionsfehler vor, für den wir gar nichts können? Welcher Mechanismus verhindert, dass so viele Menschen lieber irgendwelchen wohlklingenden Geschichten glauben, als die offensichtlichen Tatsachen zu akzeptieren? Wieso lassen sich Millionen von Lügengeschichten und leeren Versprechungen täuschen? Was bringt Menschen dazu gegen ihre eigenen Interessen zu handeln? Sind es einfach Ängste, wie viele behaupten oder steckt doch mehr hinter diesem irrationalen Verhalten?

Wären es nur Ängste, müsste sich das Verhalten mit ihrem Verschwinden ändern. Was es aber oft nicht tut. Wer Angst vor Spinnen hat, verliert diese selbst dann nicht, wenn man diese auf der Hand rumkrabbeln lässt, ohne dass diese beisst. Und eher gibt man „dem“ Ausländer die Schuld für die Kündigung, als dem raffgierigen Chef, der seine Produktion ins Ausland verlagert. Ja selbst billig gemachte YouTube-Videos geniessen bei Vielen mehr Vertrauen, als Professoren mit langjährigem Studium – solange sie das eigene Weltbild bestätigen. Womit wir uns des Pudels Kern nähern. Wir sehen was wir sehen möchten und glauben was wir glauben wollen.

Ist uns also die eigene Komfortzone, also das wohlige Gefühl im selbst gemachten Nest, wichtiger als nackte Tatsachen? Ganz offensichtlich. Doch welchen Nutzen und Vorteil haben wir dadurch? Ist es, weil es bequem ist, weil ausgetretene Pfade einfacher zu gehen sind oder es uns einfach an Fantasie mangelt? Der Fantasie, wie es anders sein könnte. Doch bleiben wir vorerst bei der oft zitierten Komfortzone, die zu verlassen so mancher Coach, Berater oder Psychologe rät. Nicht zu vergessen die Einpeitscher der Effizienz und Effektivität in den Teppichetagen. Dort heisst es: Arsch hoch, Finger aus dem A***, vorwärts zu neuen Höhenflügen. Und jede/r weiss instinktiv, was das heisst – Anstrengung, Unsicherheit, Schweiss und Tränen. Da lockt die eigene Komfortzone mit Fanfaren und Wimpeln. Wer sich angegriffen fühlt, sucht Schutz – soweit normal. Also den Rückwärtsgang einlegen und bekannten Mustern folgen – ein Hoch dem Altbekannten und Bewährten. Wenn es uns hierher gebracht hat, warum nicht auch weiter?

Womit wir beim nächsten Punkt – der fehlenden Fantasie wären. Nicht jene, von einem Haus am See oder Ferien im Südseeparadies zu träumen. Auch nicht jene, sich den neuen Tisch im Wohnzimmer oder das neue Haus auf der grünen Wiese, mit dem neuen BMW davor, vorzustellt. Diese entspringen fast ausschliesslich einem Mangel, den wir beheben möchten. Ob einem echten oder eingebildeten, ist dabei egal. Was zählt ist einzig die Hoffnung, dass uns die Beseitigung dessen, glücklicher oder zufriedener macht. Also füttern wir unsere Komfortzone. Ärger, Stress und Kummer bereitet uns alles, was diese stört. Und so schauen wir fast immer nur auf dass, was uns (vermeintlich) fehlt. Und selbst dann, wenn wir schon hundert mal enttäuscht wurden und eigentlich wissen müssten, dass das immer Gleiche zu immer gleichen Resultaten führt, halten wir daran fest. Fast immer. Was uns fehlt, ist die Fantasie, uns vorzustellen, wie es anders, ausserhalb der bekannten Komfortzone, sein könnte. Also machen wir weiter.

Ich lese dieser Tage oft, uns (damit sind „wir“ als Gesellschaft gemeint) würden Visionen fehlen. Wir wüssten zwar, was schlecht ist, nicht aber wie es anders sein könnte. Oder aber das Andere macht so viel Angst, dass wir den Schritt dahin nicht einmal wagen. Umso leichter fällt es jenen, die Pläne haben (in der Regel eigene, egoistische) uns dafür einzuspannen. Dazu braucht es nur zwei Dinge: Angst (du könntest etwas verlieren) und die Aussicht, dass alles so wird, wie es war. Vorwärts im Rückwärtsgang. Wo es an eigenen Plänen fehlt, es an Fantasie mangelt und Visionen mit George Orwell oder Dantes Hölle (wahlweise: Anarchie, Kommunismus, Gewalt und Niedergang) gleichgesetzt werden, hat es der Fortschritt schwer. Natürlich nicht jener, den wir täglich in Form neuer technischer Spielzeuge, dem Verschwinden lieb gewonnener Einrichtungen (Läden, Arztpraxen, Poststellen etc.) oder den digitalen Errungenschaften (Online-Shopping, Soziale Medien, Gaming etc,) erfahren. Hinter diesen steckt die Fantasie und Macht des Geldes. Dieses ist die wahre Kraft, welche uns aus unseren Komfortzonen holt. Nicht umsonst wird Macht mit Geld gleichgesetzt. Und ebenso wundert es nicht, dass viele gegenüber Veränderungen skeptisch sind und sich in rückwärtsgewandte Fantasiewelten flüchten. Oder anders gesagt: Solange wir die Gestaltung unseres Lebens dem Geld (aka Profitgier) überlassen, ist die Flucht in eine verklärte Vergangenheit attraktiv.

Dummerweise ist vorwärts fahren mit Blick in den Rückspiegel, kein Rezept auf lange Zeit. Und je kurviger die Strecke, desto wahrscheinlicher der baldige Crash. Wie anders lässt sich sonst ein Wahlresultat wie in den USA erklären, wo 50% einen offensichtlich Irren wählen, weil er ihnen den Himmel auf Erden verspricht und die Hölle liefert? Woran könnte es sonst liegen, dass fast überall auf der Welt, Despoten, Lügner und Kriminelle an die Macht drängen? Immer mit dem Versprechen, dass alles wird, wie es war – nur schöner. Dabei brauchen wir nicht einmal über die Grenze zu schauen. Vorwärts im Rückwärtsgang beherrscht unsere $VP schon seit 30 Jahren – nur besser.

Aber warum? Warum ist der Blick in den Rückspiegel so viel attraktiver als ein Blick vorwärts? Was machen diese Heilsversprecher besser als jene die vorwärts schauen und vor den Gefahren warnen? Die Antwort liegt auf der Hand. Sie bedienen unsere Komfortzone, während die lästigen Warner, Veränderungen einfordern. Im schimmsten Fall gar Verbote verlangen, uns aus der Komfortzone bugsieren und uns ein schlechtes Gewissen bereiten. Das ist anstrengend, kostspielig und stört unseren Tagesablauf. Derweilen gestalten die Macher mit den angehäuften Profiten die Welt nach ihren Plänen. Fantasien unerwünscht. Was bleibt ist der Blick in den Rückspiegel. Dort finden wir ein vertrautes Bild – bis zum Crash! Und sollten es doch mal neue Ideen in die Öffentlichkeit schaffen – wie z.B. ein Bedingungsloses Grundeinkommen, eine Finanztransaktionssteuer oder die Abschaffung der Armee – wird die Angst so lange geschürt, bis wir den Rückwärtsgang einlegen. Die aktuell anstehende Konzernverwantwortungsinitiative zeigt wie es geht. Über die ABgründe, welche sich hinter diesen Konzernen verbergen (Kinderarbeit, Umweltzerstörung, miserable Löhne etc.) wird nicht gesprochen – der Blick in den Rückspiegel zeigt das Bild blühender Landschaften und gut bezahlter Jobs.

13.11.2020: Unter dem Radar

Keine Angst – es geht heute nicht um die Weigerung des abgewählten Trumpeltiers sein Büro zu räumen. Auch nicht um Corona und Klima. Darüber habe ich schon oft genug geschrieben und Überdruss haben wir wohl alle mehr als genug. Im heutigen Blog wende ich mich deshalb Themen, die sozusagen unter dem Radar fliegen oder am Rande stehen – zu Unrecht, wie ich meine.

Ich weigere mich also, die alles dominierenden Themen erneut zu thematisieren. Sie sind so omnipräsent, dass sie alles andere – und sei es noch so wichtig – überdecken und lahm legen. Ein gefährlicher Trend, denn wir wissen alle, dass sich Unheil meist im Verborgenen entwickelt. Sie gären quasi unbemerkt vor sich hin. Bemerkt werden sie erst wenn es schon stinkt oder gar explodiert. Richten wir den Radar also mal in die Tiefe, wo es brodelt und gärt.

Wer z.B. hat in den letzten Wochen etwas über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich gelesen – abgesehen vielleicht vom gelegentlichen Achselzucken im Feuilleton eines Wochenmagazins?Die Kluft aber wächst Tag für Tag, (Jeff Bezos Vermögen allein um 73 Milliarden dieses Jahr) die Spannungen wachsen mit und wir nehmen es hin, wie ein Naturereignis. Kann man halt nix machen. Dass deswegen weltweit Menschen fliehen, hungern und sogar Kriege ausbrechen, wird selten in Zusammenhang gebracht. Das hat es schon immer gegeben – kein Newswert – reich wird sich unter dem Radar eben leichter. Das (kaum versteuerte) Geld fehlt ja nur für Spitäler und Intensivbetten oder die Altersvorsorge.

Ein weiteres Beispiel gefällig? Eines direkt vor unserer Haustüre? Hat noch jemand die Meldung vom 20. August dieses Jahres in Erinnerung, als ein deutlich erhötes Krebsrisiko bei Kinder im Flaachtal festgestellt wurde – immerhin um 20% über der Norm – mehrere Kinder starben oder sind an Krebs erkrankt. Kein Handlungsbedarf, hiess es damals, seitens der Kantonsregierung. Wirklich? Wie ist es denn mit den Pestizidrückständen im Grundwasser, von dem wir auch immer wieder mal lesen? Auch kein Handlungsbedarf oder reicht es, wenn man das kontaminierte mit dem sauberen Wasser der Nachbarsgemeinde mischt (solange dieses noch sauber ist)? Zwei willkürliche Beispiele – ich weiss – aber exemplarisch.

Elementare Informationen tauchen auf und gleich wieder ab. Das tägliche Schlagzeilengewitter fordert Klicks und diese holt man sich nicht mit schwierigen Themen. Dazu eignen sich Mainstreamthemen besser. Was alle schreiben, muss wichtig sein. Wichtiges und Unwichtiges steht gleichberechtigt auf der Frontseite – Hauptsache es generiert Aufmerksamkeit. Mit echter Wissensvermittlung hat das wenig zu tun, wohl aber mit Hysterie.

Jetzt könnte man natürlich sagen, dass war früher schon so. Als die Menschen weder Lesen noch schreiben konnten, war das Wissen auf Kirche und Adel beschränkt. Für den einfachen Landsknecht und Leibeigenen endete die Welt an den Grenzen seines Dorfes oder Städtchens und die Erde war flach. Mehr von der Welt brauchte man auch nicht zu wissen. Die Arbeit war jahrein, jahraus die gleiche – den Buckel auf den Feldern krumm machen. Wichtig hingegen waren Rituale, die Jahreszeiten und das Wissen um die „natürliche Ordnung der Welt“ – das half zu überleben. Das hat sich mit der Industriellen Revolution und erst recht mit der Dienstleistungsgesellschaft gründlich geändert. Ohne Information, Bildung und Ausbildung wäre unser Leben schlicht unmöglich. Und je komplexer die Welt, umso wichtiger wird Bildung und Verstehen. Die Frage ist allerdings, welche Informationen braucht es, um zu verstehen und welche Bildung setzt das voraus. Betrachtet man die aktuelle Entwicklung, so scheint es als würde Prozess- und Methodewissen (also Fachwissen) völlig ausreichen. Was darüber hinaus geht, ist Luxus. Ein gefährlicher Trugschluss.

Böse gesagt: wir werden zugemüllt. Zugemüllt mit unnützem Wissen, Belanglosigkeiten und unverdauten Informationen. Wer den Überblick behalten will, das Wichtige vom Unwichtigen trennen und die Lüge von der Wahrheit unterscheiden möchte, hat einen Fulltimejob – ohne Garantie auf Erfolg. Und leider sind uns die Medien, deren Aufgabe es mal war uns auf dem Laufenden zu halten und Zusammenhänge zu erklären, keine grosse Hilfe mehr. Entweder produzieren sie nur noch reisserische Schlagzeilen (Trigger) um Klicks zu generieren (online) oder gut recherchierte Beiträge „verschwinden“ in reichweitenschwachen Nischen, die kaum gelesen werden. Während der Fast-Food Online-Medienkonsum boomt kämpft der Qualitätsjournalismus mit ihren Hintergrundberichten, Analysen und Reportagen ums Überleben. Die traurigen Reste von Tages Anzeiger und NZZ sind dafür Beleg genug. Ohne fundierte Analysen und Zusammenhänge aber verkommen Debatten, welche sich zunehmend in den Sozialen Medien abspielen, zu Schlammschlachten. FakeNews und Verschwörungstheorien sind die Folge – das Gemeinsame verkommt.

Und damit wären wir bei einem weiteren Thema, dass ebenfalls unter unserem Radar läuft: Die Digitalisierung. Zwar wird diese immer mal wieder erwähnt – so wie das drohende Gewitter am Horizont – aber niemand kann sich wirklich vorstellen, was dies konkret bedeutet. Oft genug meint man damit einfach das Handy oder der Computer. Schlimmstenfalls wird noch mit dem Verlust von Arbeitsplätzen gedroht – bestanfalls mit der Aussicht auf neue unaussprechliche Berufe, die sich noch niemand vorstellen kann. Unerwähnt und unvorstellbar bleibt meist der Zusammenhang zwischen der Mcdonaldisierung von Arbeitsprozessen (Tütensuppe, statt kochen können) und der Digitalisierung dieser Prozesse. Mit anderen Worten: Die Intelligenz wird zuersten vom Mensch in den Prozess (Checkliste, Rezept…) und von dort zur Maschine (Computer) verschoben. Die Konsequenz ist eine schleichende Dequalifizierung für viele. Es entsteht eine 2-Klassen-Arbeits-Gesellschaft. Die eine welche den Maschinen zudient und die andere welche diese konzipieren und programmieren. Über diesen thronen die wenigen steinreichen Tech-Milliardäre im Silicon Valley und Shenzen. Die USA machen bereits vor wohin das führt: Auf der einen Seite eine grosse Masse abgehängter, schlecht ausgebildeter, mies bezahlter und verschuldeter Menschen, ohne soziale Absicherung und Perspektiven und auf der anderen eine kleine gebildete Elite hoch bezahlter Spezialisten. Zu sagen haben sie sich nichts mehr. Die Kluft ist zu gross. Das Resultat lässt sich an den Wahlergebnissen ablesen (sorry, das war jetzt trotzdem noch ein wenig Trump).

Die genannten Beispiele habe ich natürlich nicht zufällig gewählt. Alle drei (Arm/Reich, Presse und Digitalisierung) begleiten uns Jahrzehnte und verändern unsere Gesellschaft schleichend. Ein Grund, weshalb sie sich unter unserer Wahrnehmungsschwelle abspielen. Umso nachhaltiger und gefährlicher ist ihr Potential. Fatalerweise verstärken Krisen solche Trends und leiten oft eine neue Ära ein. An einer solchen Schwelle stehen wir und wir tun gut daran, uns auf Turbulenzen einzurichten. Daraus entstehen wieder neue Chancen. Das ging unseren Eltern und Grosseltern auch nicht anders – nur anders.

06.11.2020: 96

Heute feiert mein Vater den 96igsten Geburtstag. Anlass zur doppelten Freude gibt aber das glimpfliche Ende seiner Corona-Erkrankung – seit vorgestern, darf er sogar wieder aus dem Haus. Und da sich bisher auch bei Bruder, Onkel und Tante keine lebensbedrohlichen Symptome zeigen und meine Mutter verschont wurde, ist es eine Woche der Freude und der Dankbarkeit – zumindest in der Familie. Alles übrige ist Thema dieses Blogs.

Zum Zeitpunkt, wo ich diesen Blog schreibe schweben wir und die Welt zwischen Hoffen und Bangen. Wer glaubte, der 3. November würde uns vom Irrsinn und Wahnsinnigen im Oval Office befreien, wurde jäh in die Realität katapultiert. Und wie es aussieht, dürfte dieses Chaos noch einige Zeit die Schlagzeilen beherrschen. Was im Detail auch immer die Gründe für dieses knappe Resutat waren: Es zeigt vor allem eins – wie verzweifelt Menschen sein müssen, dass sie dermassen gegen ihre eigenen Interessen wählen. Oder tun sie das am Ende gar nicht? Von Bill Clinton stammt ja das berühmte Zitat: „It’s the economic stupid“ (sinngemäss: Es dreht sich alles um die Wirtschaft) und wenn man den ersten Analysten glaubt und die Börsenkurse verfolgt, könnte man meinen, dem wäre tatsächlich so. Dabei haben doch „dank“ der präsidialen Corona-Verharmlosung, Millionen ihren Job und Hundertausende ihr Leben verloren – warum zählt das nicht? Warum wählen Latinos, die Trump wahlweise als Vergewaltiger oder Kriminelle verunglimpft, und derentwegen er eine Mauer zu Mexiko baut, diesen Mann? Weshalb legt ein Rassist, der die Black Lives Matter Bewegung als Terroristen beschimpft, sogar bei Schwarzen Wählern zu? Ist es Dummheit, Hoffnung oder Kalkül. Also Kopf oder Bauch?

Ich leben nicht in Amerika und deshalb bin ich auch nicht in der Lage diese Fragen schlüssig zu beantworten. Und auch wenn ich über ein Dutzend mal durch das Land gereist bin und der augenfällige Graben zwischen Arm und Reich als erstes ins Auge sticht, so ist die Realität wohl komplexer, als wir hier in Mitteleuropa ahnen oder wissen. Vielen geht es dreckig, vielen fehlt eine Zukunftsperspektive, haben Schulden und keine Krankenversicherung. Wählt man deshalb jemanden, der mit Garantie nichts für mich tut, ausser mich mit billigen Sprüchen abzuspeisen? Oder reicht es, dass der Typ meiner Wahl „Law and Order“ schreit, den Kommunismus an die Wand malt und Steuern für die reichsten 10% senkt? Reicht das Versprechen Umwelt und Menschenrechte für Jobs zu opfern? Es scheint fast so. Doch Halt! Wer wählt denn hier in der Schweiz die $VP oder in Deutschland die AfD? Zwei Parteien welche konsequent auf dem Buckel des „sogenannt“ kleinen Mannes sparen, gegen jede soziale Absicherung Sturm laufen und ausser Steuern optimieren für Konzerne und reiche Geldsäcke nichts für ihre Wähler tun? Der Unterschied zwischen den Amerikanischen Republikanern und der Sünnelipartei ist in Wahrheit klein. Beide schüren sie Ängste (hier Europa, Ausländer und Sozialschmarotzer – dort China, Schwarze und kriminelle Latinos) und bedienen die Interessen einer reichen Oberschicht. Der einzige Unterschied ist der offensichtlich Wahnsinnige am Ruder.

Gerade lese ich den x-ten Bereicht und das x-te Interview eines politischen Kommentatoren in einer hiesigen Zeitung. Um mich auf die Wahlen einzustimmen, las ich x Bücher amerikanischer Autoren (sogar von Republikanern). Alle beklagen die tiefe Spaltung Amerikas und keiner macht wirklich Hoffnung. Manche sprechen gar von einem möglichen Bürgerkrieg. Aber wenn man es genau nimmt gleicht das Land eher Ozeanien. Es besteht aus vielen, kleinen, weit voneinander entfernten Inseln. Ob es wirklich zu Gewalt kommt, steht in den Sternen – die Angst ist aber berechtigt. Solange ein Irrer auf dem Atomkoffer sitzt, kann diese nicht gross genug sein. Sich davon aber lähmen zu lassen, wäre fatal. Ich merke persönlich, wie mir dieses Affentheater namens Wahlen 2020 an die Psyche geht. So sehr, dass ich mich aus aus den hysterischen Schlagzeilen über die wechselnden Mehrheiten in den einzelnen Gliedstaaten ausgeklinkt habe und nur noch auf ein Schlussresultat warte. Dabei schwingt die stille Hoffnung mit, das Getöse möge ein baldiges Ende finden. Eigentlich ist mir schon fast egal wer am Ende „gewinnt“. Noch schlimmer aber – meine Hoffnung ist vergebens, weil schon alle verloren haben:

Die Demokratie: Wenn nicht mehr jede Stimme zählt, oder zählen soll, wie Trump ununterbrochen twittert,(STOP COUNT VOTE) oder seine Behauptung seine (mögliche) Abwahl wäre Betrug etc. etc., der untergräbt direkt die Glaubwürdigkeit der Demokratie.

Die Legimität des Gewählten: Egal wer am Schluss im Weissen Haus sitzt, dessen Legimität ist in Zweifel gezogen. Was er auch immer tut, sein Handeln ist illegitim. Die Fronten verhärten sich.

Das Vorbild: Bzw. deren Diskreditierung in der ganzen Welt. Wenn es die Vorbilddemokratie Nummer 1 in der Welt nicht mehr schafft Vorbild zu sein, wer dann? Es stärkt genau jene Kräfte die Demokratie und Menschenrechte schon jetzt zumTeufel wünschen. Putin, Erdogan, Orban, Bolsonaro usw. reiben sich die Hände. Das Credo des „Ich zuerst“, wird sanktioniert und salonfähig. Jeder gegen jeden.

Selbst wenn am Ende der demokratische Kompromisskandidat gewählt wird, der Scherbenhaufen ist angerichtet und die Reparatur auf lange Jahre unmöglich. Und auch er wird die Gräben in 4 Jahren nicht zuschütten können. Statt echte Herausforderungen, wie Klimawandel, Digitale Revolution, Biodiversität, Migration, Armut und Migration, werden Energie und Ressourcen für sinnlose Gefechte um Position, Einfluss und Macht im Zentrum stehen – Gewalt, bis hin zu Kriegen nicht ausgeschlossen. Verschärft wird das Gemenge noch durch die Müdigkeit, die sich breit macht. Ja, ich denke viele sind müde. Müde von den Lügen, dem Getwitter , der Aussichtslosigkeit, der Pandemie und der Perspektivlosigkeit. Eine Verschnaufpause täte Not – leider ist sie nicht in Sicht. Bleibt nur noch das Stummschalten der Kanäle. Die dadurch gewonnene Ruhe hätten wir dann – allerdings eine trügerische. So geh ich dann den Geburtstag meines Vaters feiern. Prost!

23.10.2020: Auf Sand gebaut

Man sollte Häuser nicht auf Sand bauen. Das wusste schon Jesus in seiner Bergpredigt. Denn wer „weiss“, der wird sein Haus auf dem Felsen bauen und wenn die Wasserflut kommt, so ist dieses standhaftim Gegensatz zu jenem, welches auf Sand gebaut ist und von der Flut weggespült wird. Eigentlich eine Binsenwahrheit. Sandburgen sind was für Kinder und die Ferien am Strand. Unsere Häuser bauen wir auf feste Fundamente – wenigstens in unseren Breitengraden. Was aber für unsere Häuser gilt, fehlt an anderen Orten fast gänzlich. Schmerzlich wird einem das aktuell in dieser Pandemie bewusst, wo viele Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt werden und fest geglaubte Fundamente weg brechen. Und so beobachte ich mit Sorge, wie auch bei manchen Freunden und Bekannten die Fundamente errodieren und die Gebäude wanken.

Wer sich etwas für Geschichte interessiert, weiss von den verheerenden Pestpandemien des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Wer etwas weiter gräbt vielleicht sogar etwas von der Justinianischen Pest, welche dem Römischen Imperium den Rest gab und noch weiter zurück, die Seuchen, welche die ersten Hochkulturen (Sumerer, Assyrer etc,) ausradierten. Stehts war die „Pestilenz“ (meist im Verbund mit Klimakapriolen) der Totengräber für manch grosse menschliche Errungenschaft: wie Imperien, Kulturen und Religionen. Nicht umsonst gehört „die Seuche“ (das fahle Pferd) zu den vier apokalyptischen Reitern der biblischen Offenbarung. Sie ist das Schreckgespenst der menschlichen Zivilisation, das wir glaubten überwunden zu haben. Für was haben wir denn sonst Ärzte, Antibiotika und Spitäler? So dachten und so lebten wir – in der „Gewissheit, dass uns solch archaische Seuchen nichts mehr anhaben könnten. Doch falsch gedacht, wie uns Sars-COV-2 zeigt. Wie anno dazumal untergräbt diese Seuche Selbstverständlichkeiten, stellt Überzeugungen in Frage und wirft uns zurück auf die wesentlichen Fragen des Seins. Und genau da beginnen die Probleme. Auf was greifen wir zurück, wenn wir Gewissheiten und Vertrauen verlieren. Greifen wir ins Leere oder hält unser Fundament, auf welches wir gebaut haben – also unseren Überzeugungen?

Vertrauen ist die Grundlage unseres Zusammenlebens. Es ist das Fundament auf denen unsere Existenz, der Staat, die Regierung, unser Handel(n), Wirtschaften und Zusammenleben ruht. Vertrauen setzt Gewissheiten voraus. Die Gewissheit, das der morgige Tag dem heutigen gleicht, ich meinen Job, meinen Eheparter*in, meine Wohnung und was auch immer noch haben werde. Vertrauen (bzw, wie dieses wieder hergestellt werden kann) ist in Gesetzen codiert und macht menschliche Planung erst möglich. Denn wer würde in die Zukunft investieren (Häuser bauen, Geschäfte eröffnen, Kinder zeugen etc.), wenn er nicht an diese glaubt? Doch unser Vertrauen wird oft auf harte Proben gestellt. Regierungen lügen, Wissenschaftler tricksen, Konzerne betrügen. Sind am Ende alle korrupt? Kann man noch jemandem, irgendwas glauben? Misstrauen ist der Boden jeder Verschwörungstheorie und der Griff ins Leere. Den wer hinter Allem Betrug wittert, verliert den Blick auf die wahren Ursachen der Dinge und wird tatsächlich Opfer einer Verschwörung. Einer die ihn in die Irre führt. Den einmal belogen, immer betrogen. Wir glauben Muster zu erkennen, wo keine sind (wer hat nicht schon Gesichter in Wolken entdeckt). Die Zauberformel heisst somit: Misstrauen ist der Weg zur Erkenntnis (Wissenschaft) oder aber dient der Angst und der Spaltung. Und Angst macht Menschen gefügig und sind eine unerschöpfliche Geldquelle.

Aus den Geschichtsbüchern kennen wir die tragischen und oft auch skurrilen Reaktionen unserer Vorfahren auf solche Ängste. Im alten Rom fegte die Seuche nicht nur die alten Götter, sondern gleich das ganze Imperium hinweg. Im Mittelalter wurden Hexen verbrannt, Juden ermordet und Endzeitsekten prophezeiten den nahen Weltuntergang. Und vor 100 Jahren war die Spanische Grippe die Sternstunde der Verschwörungsgeschichten vom Weltjudentum. Den Ausgang kennen wir. Oder anders gesagt: Elend erzeugt Sündenböcke – und diese müssen weg! Damals wie heute.

Ob Corona das gleiche Zerstörungspotential besitzt, ist (noch) offen. Auffallend aber ist, wie wackelig manch Fundament in dieser Krise ist. Auffallend, weil selbst nach 250 Jahren Aufklärung, Bildung, Wissenschaft und modernster Technologie, die kollektiven Verhaltensmuster verdächtig jenen der Geschichtsbücher gleichen. Fälschlicherweise dachte ich, wir hätten in diesen 250 Jahren gelernt, dass wir es sind, die für den Mist, den wir bauen, selbst verantwortlich sind. Stattdessen gilt immer noch: Wo Gewissheiten weg brechen und an ihre Stelle wilde Geschichten treten hat abstruse Irrationalität Hochkonjunktur. Man wähnt sich im Mittelalter. Es fehlen nur noch die Scheiterhaufen.

Male ich zu schwarz? Bin ich (zu) pessimistisch? Eigentlich nicht. Ich erwarte weder morgen noch übermorgen den Weltuntergang – auch nicht das Ende unserer Zivilisation. Ich befürchte weder Progrome noch Leichenhaufen in der Quartierstrasse – zumindest nicht zu meinen Lebzeiten. Was ich aber duchaus befürchte ist das Wegbrechen „unserer“ Fundamente: das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen, die Wissenschaft und zivilisatorischen Errungenschaften – mit langfristig verheerenden Folgen. Selbstverständlich sind und waren die Genannten nie perfekt und es gibt und gab vieles daran zu kritisieren und zu ändern. Bedenklich ist jedoch der Rückfall in alte Muster. Die Suche nach Schuldigen und Sündenböcken und die Heilssuche bei dubiosen Figuren und Märchenonkeln. Es ist als hätte es die Aufklärung nie gegeben. Wissen(schaft) wird verteufelt, das Heil bei Scharlatanen gesucht. Am schlimmsten: Es sind nicht die ewig-dummen Plodderis an den Stammtischen oder die sog. Bildungsfernen, die sich verirren; es sind erschreckenderweise Bildungsbürger die sich haufenweise verrennen – zu beobachten auch in meinem Bekanntenkreis. Es ist gerade als hätten wir es mit zwei Pandemien zu tun: Der Corona-Pandemie und der der Abstrusitäten.

Bildung gilt oder galt zumindest als Schlüssel für vieles: Persönlichkeit, Wissen, Erfolg, Teilhabe, Fortschritt etc. Galt der Fokus des bürgerlichen Bildungsideals bis vor wenigen Jahrzehnten der Persönlichkeitsbildung, so mutiert dieses seit der neoliberalen Wende der 80-igerjahre zur Ressource für den persönlichen (wirtschaftlichen) Erfolg. An die Stelle der Herzensbildung traten Bologna-Punkte, Faktenwissen anstelle von Erkenntnissen. Bilden „Erkenntnisse“ das Fundament, ist Faktenwissen das Gebälk. Fehlt das Fundament, ist das Haus auf Sand gebaut und fällt beim ersten Sturm.

In früheren Zeiten wechselte man in der Not die Götter, vertrieb den Imperator oder schlug auf die Schwächsten ein. Hauptsache man fand eine*n Schuldige*n. Mit der Aufklärung dachen wir, wir hätten diese primitiven Muster hinter uns gelassen – den „Wissen“ ist Erkenntniss und diese hat uns den Fortschritt beschert, auf den wir so stolz sind. Der „Glaube“ hatte ausgedient. Doch weit gefehlt, wie wir gerade bitter erkennen müssen. Wieder sind es böse Mächte, die uns angeblich ausrotten und/oder versklaven wollen. Wieder glaubt man Irren, die uns Angst machen, Heilsbringern und Märchenerzählern. Auf der Strecke bleibt die Vernunft. Und es ist nicht allein das Corona. Sei es die Klimakrise, die wachsende Ungleichheit, der grassierende Rassismus oder das Artensterben: Die Verhaltensmuster gleichen sich. Es zählt nicht die Erkenntniss, dass es an uns liegt etwas zu tun, sondern der Wunsch es möge an uns vorbeiziehen. Notfalls findet man ja einen Sündenbock, dem man alles in die Schuhe schieben kann. Hier sei angemerkt, dass die Justitianische Pest trotz neuem Gott 200 Jahre wütete (541 bis 770 nChr.) und die Pest im 14ten Jahrhundert trotz Judenprognomen 50% der Europäer das Leben kostete. Es wäre vielleicht an der Zeit, wenn wir an unseren Fundamenten bauen und zur Erkenntnis gelangen, dass es niemanden gibt der uns erlöst und wir für den angerichteten Schlamassel ganz allein verantwortlich sind.

Ganz konkret und heute: Corona verdirbt uns die Laune und ich verstehe jede/n der die Schnauze davon voll hat. Doch wir haben es selbst in der Hand – Bleibt zu Hause! Das Virus tut was es seiner Natur gemäss tun muss – sich vermehren (Erkenntnis). Heute sind es 6600, bis in vier Wochen 500’000. Da helfen weder krumme Deals noch Demonstrationen gegen Masken und imaginäre Diktaturen. Was aber hilft, ist dem Virus den Weg in den Rachen meiner Mitmenschen zu versperren – dann verschwindet er, wie er kam. Aber nur dann oder wir haben irgendwann mal einen funktionierenden Impfstoff. Irgendwann… Bis dahin gilt: Nutzen wir die Zeit um an unseren Fundamenten zu bauen Wissen zu gewinnen), wir werden es noch brauchen. Feiern tun wir hinterher – maskenfrei. Versprochen!

16.10.2020: Heureka!

Heureka!

Nackt lief er vor über 2000 Jahren durch die Stadt Syrakus und rief Heureka! Die Erkenntnis kam ihm beim Besteigen seiner Badewanne. Endlich wusste er, weshalb Schiffe schwimmen und Steine absaufen. Archimedes entdeckte den Auftrieb bzw. die Verdrängung. Auch heute gilt dieser Ausruf noch als Zeichen grosser Freude, wenn man zu einer Erkenntnis gelangt. Heureka! Schau mal her, wie schlau ich bin! Ganz im Gegensatz zu seinem griechischen Verwandten und Philophen Sokrates, der meinte: „Ich weiss, dass ich nichts weiss“ oder noch deutlicher Albert Einstein mit: „Je mehr ich weiss, desto mehr erkenne ich, dass ich nichts weiss„. Ein Bescheidenheit und Demut, die wir zur Zeit alle ziemlich vermissen. Viel lieber schreien wir Heureka! Aber was haben wir eigentlich entdeckt?

Jede*r ist heutzutage ein Experte. Schliesslich gibt es ja Google, Youtube und Wikipedia. Alles Wissen dieser Welt „frei Haus„. Dumm nur, dass das geballte „Wissen“ der digitalen Welt nicht nach Wahrheitsgehalt kategorisiert und gekennzeichnet ist. Dummheit, Falschheit, Lügen und Schwachsinn stehen gleichberechtigt mit Wissenschaft, Wahrheit, Fakten und seriöser Berichterstattung – nein – dank der allmächtigen Algorithmen der Techgiganten sogar noch vor diesen. Aufreger und Skandale waren ja schon immer spannender als der normale Alltag. Und schon sind wir mitten im heutigen Thema: Wieder einmal Corona – das musste ja sein.

Und ich schreibe einmal nicht über jene, die das Virus leugnen und meinen, Masken wäre nur was für Weicheier oder schlimmstfalls ein Zeichen einer allmächtigen Diktatur. Angesichts der explodierenden Fallzahlen verstummen diese sowieso und geben sich der Lächerlichkeit preis. Viel bedeutsamer und wichtiger scheint mir die Frage, wie es eigentlich zu dieser 2ten Welle kommen konnte. Wobei ehrlicherweise auch diese Frage müssig ist – wer die Augen offen hielt, hat es kommen sehen. Seit dem Ende des eigentlichen Lockdowns (oder was als solcher bezeichnet wurde), lavieren die Politiker zwischen der einen Branchenlobby und er andern. Gegenüber dem Bürger gilt das Prinzip Hoffnung (auch bekannt als Eigenverantwortung). Begleitet wird der Zirkus von einer „Debatte“ um Masken oder nicht, bzw. darf man der Wissenschaft (noch) glauben oder sind alle von Bill Gates geschmiert.

An epidemologischen und historischem Wissen mangelt es wahrlich nicht. Auch Zeit hatten wir genug – neun Monate, um genau zu sein – seit das Virus in Wuhan wütete. Die spanische Grippe (50+ Millionen Tote) ist gerade mal 100 Jahre alt. Die Quarantäne kennt man seit der Antike als Massnahme zur Eindämmung von Seuchen und die Wissenschaft warnt nicht umsonst seit Jahrzehnten vor Epidemien und Zoonosen (von Tieren verursachte Krankheiten). Die Pandemie trifft uns also nicht ganz „unvorbereitet„, wohl aber „unerwartet„. Unerwartet, weil wir uns daran gewöhnt haben, dass es für alles eine Instant-Lösung gibt (die Antwort liegt immer nur einen Klick weit weg) oder es eh nur die Ärmsten – weit weg in Afrika (Ebola) – trifft. Umso härter und tiefer der Fall. Denn, was ist schlimmer in einer „Rundumsorglosgesellschaft„, als Verunsicherung, die Infragestellung von „Gewissheiten“ und des eigenen Lebensstils? Nichts!

Dabei sind wir, global betrachtet, noch in einer äusserst komfortablen Lage. Hier hungert niemand wegen Corona – weltweit schätzt man die Corona-Hungernden auf mittlerweile 270 Millionen, Tendenz stark steigend. Wir haben ein (noch) funktionierendes Gesundheitssystem, einen Sozialstaat, volle Kassen (40% Staatsverschuldung ist im Vergleich ein Klacks) und viele Freiheiten. Dinge, die an den meisten Orten dieser Welt – selbst im reichen Amerika – längst nicht mehr selbstverständlich sind. Dazu eine Politikerkaste, die sich wahlweises als ignorant, verantwortungslos, bösartig und dumm gebärdet. Spitzenreiter einmal mehr der Auferstandene im Oval Office, sekundiert von den üblich Verdächtigen im brennenden, brasilianischen Pantanal, der geldgierigen City of London und dem südlichen Afrika mit ihren bigotten Despoten. Wer solchen Vorbildern nacheifert (Roger Köppels Weltwoche sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt) braucht sich um den Schaden nicht wundern.

3105 Infizierte meldet das BAG heute. Ich fürchte nächste Woche sind es dann 4500, dann 6000, 12‘000 … – falls wir so weiter wursten, wie diesen Sommer. Viel zu spät reagieren die kantonalen Gesundheitsdirektoren und auch dass nur halbherzig. Das Contact-Tracing hat (bei allem Wohlwollen) vermutlich schon längst das Handtuch geworfen. Niemand wagt sich an einen zweiten Lockdown – auch wenn die Zahlen längst dafür sprechen (die Ansteckungszahlen sind doppelt so hoch, wie im März). Die Angst vor politischem Gesichtsverlust und Ärger mit den Branchen, Wirtschaftsverbänden und ihren Lobbyisten im Parlament, verhinderen griffige Massnahmen. Dazu kommt die Angst vor den nächste Wahl – schliesslich will man ja wiedergewählt werden. Das Virus wütet also praktisch ungebremst. Mit Positivitätsraten von deutlich über 10% (als0, 1 Infizierter auf 10 Getestete) ist die Dunkelziffer bei mind. Faktor 5. Wir reden also nicht von 3000, sondern von 15’000 tatsächlich Infizierten (das wäre also 1 auf 100 pro Tag und jeder steckt momentan bis zu 1,5 weitere an). Zum Glück waren es bisher eher Junge, die sich ansteckten, sonst wären die Spitäler schon längst kollabiert. Zustände wie im überfüllen Kantonsspital Schwyz dürften wir schweizweit dann ab mitte/ende November haben – sagt uns die Erfahrung und die Statistiker. Aber noch herrscht das Prinzip Hoffnung.

Jetzt, wo die 2te Welle abhebt und sich auch von hartnäckigsten Ignoranten nicht mehr leugenen lässt, kriechen die 26 Gesundheitsdirektoren aus ihren Löchern und verkünden Massahmen – für nächste Woche und so. Mit ernstem Gesicht, völlig perplex hinken sie dem Empfehlungen der Experten hinterher – viel zu spät und mit vielen unverständlichen Ausnahmen selbstverständlich. Am besten noch von Dorfplatz zu Dorfplatz verschieden – man ist ja so stolz auf den Föderalismus. Appelle statt griffige Massnahmen – Fussball und Hokey mit über 1000 Besuchern sind ja sooooo systemrelavant – Eigenverantwortung (die beste Ausrede um die Verantwortung von sich zu schieben) soll es richten. Besser der Bürger hat ein schlechtes Gewissen, als der Fussballclub eine leere Kasse. Ich kann es echt nicht mehr hören!

Damit man mich richtig versteht: Eine Pademie bekämpft man entweder gemeinsam (und da zählt auch das Verhalten jedes Einzelnen) oder man lässt es! Was fehlt, sind einheitliche, verständliche Regeln und deren Durchsetzung – auch als FÜHRUNG bekannt. Es fehlt an der Demut, sich Unwissen und Unvermögen einzugestehen. Es fehlt an der Erkenntnis (Heureka!), dass wir nicht alles per Mausklick vom Tisch wischen können, dass uns hier die Natur den Meister zeigt und wir uns entweder anpassen oder aber scheitern. Wenn wir das erkannt haben, wäre Jubel und ein herzhaftes Heureka! angebracht.

09.10.2010: Erwartungen

Kürzlich fragte mich die 16-jährige Freundin meiner Enkelin, als wir am Tisch wieder einmal über das absurde Theater Donald Trumps sprachen: „Was erwartet uns denn in Zukunft?“ Und ich muss zugeben, die Frage warf mich einen Moment lang, ziemlich aus dem Tritt. Was antwortet man auf diese Frage einer 16-jährigen, ohne sie in Panik zu versetzen, überheblich und abgeklärt zu wirken, selbstkritisch und ohne zu lügen? Ich begann also zu stottern.

Bereits mein Einleitungssatz war ein rethorischer Rohrkrepierer. „Ich vermute mal nichts Gutes„. Genau die Einleitung, die ich eigentlich tunlichst vermeiden wollte. Der negative Frame (so nennt man den Rahmen, den man mit einer Einleitung setzt) bestimmte folglich den Rest der Antwort. Da halfen auch Begründungen und Erklärungen wenig. Ich hätte mich im Nachhinein dafür ohrfeigen können. Die junge Gymnasiastin war auf jeden Fall mehr irritiert, als zufrieden. Folglich habe ich lange über diese Frage nachgedacht, bin aber – wie ihr hier lesen könnt – nach wie vor unsicher, was wir dazu sagen sollten. Deshalb einige Gedanken dazu.

Ein Weg wäre das Dozieren (etwas, was ich besonders gut „beherrsche“). D.h. das belehren, liefern von Fakten, das begründen und lehrmeistern. Ob das allerdings ankommt, darf bezweifelt werden. Nicht nur, weil Fakten (oft) langweilig und Besserwisserei überheblich daherkommen, sondern vor allem, weil unsere Generation eine besondere Verantwortung für den Zustand der heutigen Welt trägt. Wir sind vermutlich die Letzten, die den moralischen Zeigfinger hochhalten dürfen und die Jugend in die Pflicht nehmen dürfen. Diese hat den angerichteten Schlamassel so oder so auszubaden – auch ohne unsere Besserwisserei. Eine Besserwisserei, die zumal etwas gar spät kommt und die vor allen Dingen zum zweifelhaften Zustand der Welt von heute geführt hat. Oder besser gesagt: Wir hätten es gewusst, die Bequemlichkeit hat uns aber daran gehindert, es besser zu machen. Und trotzdem steht da die Frage im Raum: Was erwartet uns?

Also Klappe halten oder sich rausreden, nach dem Motto: „Wer weiss schon was kommt? Zwar richtig – die Zukunft vorhersagen konnte nicht mal das Orakel von Delphi – aber billig, denn wir wissen ziemlich genau, wie es um uns steht, wenn wir ehrlich sind. Vom Klima, zur Biodiversität, der wachsenden Ungleichheit, dem Rassismus bis hin zur Gewaltspirale an allen Ecken und Enden, liegen die Fakten auf dem Tisch. Geht es in gleicher Richtung und im gleichen Tempo weiter, ist eine Prognose nicht mehr schwer – mein „Ich vermute mal nichts Gutes„, entspringt genau dieser Denke. Es ist aber feige, denn eigentlich drückt man sich damit a) von der eigenen Verantwortung und b) unterbindet damit eine Diskussion. Also doch die ungeschminkte „Wahrheit“?

Aber was ist „die Wahrheit“ und an was messen wir unsere Erwartungen? Erwartungen sind nicht nur individuell sehr unterschiedlich und abhängig vom Alter, der gesellschaftlichen Stellung, sowie der Herkunft und der sozialen Klasse; sondern zeigen auch in unterschiedliche Richtungen. Entweder sind es Hoffnungen oder aber Ängste – je nach persönlicher Prägung und/oder Erfahrung. So wie für den Optimisten das Glas halb voll, so ist es für den Pessimisten halb leer. Und so wie für den Hungernden ein Stück Brot das Glück auf Erden, so ist für den Reichen das Haus an an der Côte d’Azure bestenfalls ein Statussymbol. Endgültig den Unterschied macht aber die Sicht auf die Welt von heute. Für die einen leben wir in der besten aller Welten (das dürften wohl vor allem jene sein, die in von den Segnungen unseres Systems profitieren) und für die andern stehen wir kurz vor dem Weltuntergang. Extrapoliert man jeweils das eigene Weltbild in die Zukunft, erscheint diese damit naturgemäss entweder golden oder tief schwarz. Was also antwortet man einem jungen Menschen auf seine Frage, was uns erwartet?

Erzählt man von den eigenen Ängsten? Bemüht man die Philosophen, die Wissenschaft oder zitiert man eine Parteilinie? Will man in Ruhe gelassen werden und klemmt die Frage mit einem banalen Spruch ab oder sucht man eine ernsthafte Antwort? In jedem Fall aber erzählt man mehr von sich, als von der möglichen Zukunft, die man erwartet. Denn eine objekte Wahrheit gibt es tatsächlich nicht. Und trotzdem ist die Frage der Jugend mehr als nur berechtigt, denn die Antwort darauf ist auch gleich eine Handlungsanweisung. Das aktuelle Geschehen liefert dazu anschauliche Beispiele.

Das vom Parlament ausgehandelte Co2-Gesetz zum Beispiel wird gleich von mehreren Seiten mit einem Referendum bekämpft. Von jenen Klimajugendlichen, für die es viel zu wenige weit geht (tut es, wenn man sich an die wissenschaftlichen Fakten hält) und für die andern bedeutet es den Verluste von Arbeitsplätzen und Profit (logischerweise das Autogewerbe und die Erdölimporteure). Wir alten Hasen wissen: Politik ist die Kunst des Machbaren. Die Kunst des Notwendigen ist leider nur in Krisen möglich – und solange die Klimakrise nicht als solche erkannt wird, wird es auch bei faulen Kompromissen bleiben. Wir dürfen also weitere Jahre auf eine Veränderung warten. In die Zukunft extrapoliert: Mehr Co2 in der Atmosphäre = mehr Dürren, Waldbrände, Stürme, Fluten, steigende Meeresspiegel und Flüchtlinge. Wir wissen nur noch nicht wann, wo was in welchem Umfang eintritt, aber wir (können) wissen, dass es eintritt. Das macht den einen Angst, während es die andern nicht wahr haben wollen oder im schlimmsten Fall gar leugnen, weil ihnen der kurzfristige Profit oder die eigene Bequemlichkeit wichtiger ist. Welche Seite der Geschichte erzählen wir nun? Die der Bedenken, die des Profites oder wiegeln wir ab, weil wir es selber nicht wissen (wollen)?

Nehmen wir ein anderes naheliegendes Beispiel. Die Corona-Pandemie, welche gerade zur 2ten Welle ansetzt. Selten hat sich in einem einzelnen Ereignis das Irrationale des Menschen deutlicher manifestiert, als der Umgang mit dieser Seuche. Die Verhaltenspalette ist in etwa so breit, wie der Pazifik und macht vor keiner Hierarchiestufe halt. Während die Virologen um Fakten ringen und Politiker um ihre Wiederwahl, fordern die andere ein Ende aller Massnahmen und proben gar den Aufstand. Dabei wird gelogen, negiert, laviert und um Kompromisse gerungen. Je nachdem ob das Virus für mich eine Lüge, ein Mittel zum Zweck (zum Beispiel um uns alle überwachen zu können) oder eine ernsthafte Bedrohung ist (persönlich und/oder für das Gesundheitssystem), fällt die Antwort auf die Frage, was uns erwartet anders aus. Donald Trump meint wir sollten uns nicht fürchten, er hätte es ja überlebt – die WHO spricht weiterhin von einer möglichen Katastrophe. Was sage ich der jungen Gymnasiastin?

Erwartungen, vor allem aber Prognosen die Zukunft betreffend, sind immer eine Frage des eigenen Standpunktes und dieser hängt davon ab, wo ich gerade stehe. Die Antwort des Präsidenten von Swissoil auf die Klimakrise wird so zwangsläufig anders ausfallen, als jene des Maisbauern in Mexiko, der auf seinem verdorrten Feld steht. Es gibt allerdings einen durchaus verlässlichen Kompass, der uns auch in der Vergangenheit schon gute Dienste erwiesen hat. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Menschenrechte. Beide nicht perfekt, aber etwas besseres haben wir nicht. Auf die Frage nach den Erwartungen gibt es also nicht die eine Antwort, sondern bestenfalls Hinweise. Hinweise was man z.B. lesen könnte, wo man nachschauen und fragen kann und sich Gedanken macht, wie man selber gerne leben möchte. In der Summe, entsteht dann idealerweise eine Handlungsanweisung. Allein diese führt uns in die Zukunft.

02.10.2020: Herbst

Kürzlich antwortete unser Enkel (15), auf die Frage, was er denn werden möchte, wenn es keinerlei Einschränkungen gäbe: „Rentner, wie Nani und Öpi„. Das Lachen hatte er auf seiner Seite, aber auch das Nachdenken darüber, wie er es wohl gemeint haben könnte. Vermutlich hat er einfach instinktiv begriffen, was ihn die nächsten 50 Jahre erwartet -kaum Zeit für die schönen Dinge im Leben. Genau das, was wir in unserem jungen Rentnerleben – quasi im Herbst des Lebens – seit kurzem haben: Zeit und die Freiheit zu tun, was uns gefällt.

Man kann jetzt natürlich einwenden, der Junge hätte keinen Biss, game und chille lieber als zu arbeiten und hätte den Ernst der Lebens (noch) nicht begriffen. Wobei – Hand aufs Herz – wer hat das schon mit 15? Ich auf jeden Fall, hatte es damals nicht und tat mehrheitlich das, was man von mir erwartet hat. Und auch wenn ich mein Leben, nach den geltenden gesellschaftlichen Massstäben, erfolgreich gemeistert habe, so blieben doch tausende Ideen und Pläne auf der Strecke. Nicht weil sie nicht machbar gewesen wären, sondern weil das Leben andere Prioritäten setzte. Das (Über)leben der Familie hatte Vorrang. Die „Selbstverwirklichung“ musste warten und ist in unserer Welt Lebenskünstlern, Egoisten und reichen Pinkeln vorbehalten. Uns „Normalsterblichen“ bleibt dafür die Zeit nach der Pensionierung.

Es ist der sog. „Herbst des Lebens“, den zu geniessen uns vergönnt ist und den unser Enkel offensichtlich als Lebensentwurf attraktiv findet. Mit 15 noch nicht genau zu wissen, was aus einem werden soll, ist soweit normal. Und selbstverständlich hat man in diesem Alter auch wenig Bock auf acht Stunden Maloche, nörgelnde Chefs, die Aussicht auf Konkurrenzkampf und Rechnungen vom Vermieter, der Krankenkasse und dem Steueramt. Rentner sein, ist da schon um einiges attraktiver. Dafür muss man nicht mal zwingend 50 Jahre warten und den Rücken krumm machen – es genügt reich geboren zu sein. Rentier (nicht zu verwechseln mit den Viechern im hohen Norden) gab und gibt es schon immer. Jene privilegierte Klasse also die von einer „Rente“ (sprich Vermögen) leben, ihre Zeit frei nutzen und eigene Projekte verwirklichen können. Fast scheint es, als hätte das Leben der grossen Mehrheit einen Konstruktionsfehler – oder wieso müssen wir erst 50 Jahre Dinge tun, die uns (allzu oft) keinen Spass machen, uns langweilen, ärgern, krank machen und stressen, bevor wir das Leben richtig geniessen und Dinge tun können, die uns wirklich am Herzen liegen? Immer vorausgesetzt natürlich, dass wir gesund sind, eine anständige Rente und/oder genug Vermögen haben. Voraussetzungen, die längst nicht für alle gegeben sind. Umso mehr schätzen wir es, dass wir zu diesen Privilegierten gehören, denn selbstverständlich ist das nicht, wenn man nicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde.

Wer nicht ins gemachte Nest geboren wird, für den ist Zeit sein einziges und kostbarstes Gut. Mit dem Verkauf dieser, bestreiten die meisten von uns ihren Lebensunterhalt. Kostbar und rar ist die Zeit, weil sie weder angespart, gelagert noch vermehrt werden kann. Umso wertvoller erscheint einem darum die Zeit, in der man die Fesseln der Fremdbestimmung – denn genau das ist es – hinter sich lassen kann. Feierabend, Freizeit und Ferien geniessen nicht umsonst einen so hohen Stellenwert. Manche arbeiten sogar nur dafür. Dabei ist es nicht nur das Bedürfnis nach Erholung, man will sich auch von Zwängen, Entfremdung und Fremdbestimmung „befreien„. Noch wertvoller ist nur noch die Zeit nach der Pensionierung, auf die so viele hinarbeiten, denn mit dieser gewinnt man endlich die Kontrolle über „sich selbst“ zurück. Denn Zeit ist nicht nur Geld, Zeit ist in erster Linie Leben!

Im Herbst wird geerntet. Und vor der Ernte steht die Saat. So lernt man uns und so „erleben“ wir die Natur bzw. die moderne Landwirtschaft. Dem wiedersprechend meinte einst Jesus in Matthäus 6:26, aber: „Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?“ Ein schlauer Bursche – leider in die Sonntagspredigten verbannt. Aus gutem Grund – zu Ende gedacht, ist die Aussage eine Kampfansage an unser ganzes Leben. Aktuell wird diese Aussage auch noch von modernen Historikern, wie Yuval Harari in seinem Bestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ geteilt. In diesem legt er eindrücklich dar, was wir mit der Sesshaftwerdung (als der landwirtschaftlichen Revolution vor 11 bis 7 tausend Jahren) alles verloren haben – die Herrschaft über unsere Zeit, ist nur eines davon. Eingehandelt dafür haben wir dafür Städte, geheizte Wohnungen und den Komfort der Technik – aber auch Umweltzerstörung und verheerende Pandemien. Die neusten Forschungen legen sogar nahe, dass selbst das Römische Reich an diesen „Errungenschaften der Zivilisation“ zu Grunde ging. Es war ein Klimawandel (Vulkanausbrüche, etc.) und verheerende Pandemien (Pocken, Ebola und die Pest), welche dem Imperium den Garaus machten. Die sog. römische Dekadenz, die Völkerwanderung und die halbverrückten Cäsaren, waren dabei nur die Begleitmusik. Dass diese Erkenntnisse ausgerechnet jetzt ans Tageslicht kommen, braucht uns nicht zu wundern – unsere Welt stösst ebenfalls an ihre Grenzen. Wir hätten die Chance daraus zu lernen.

Es stellt sich also die Frage, was es zu ernten gibt. Die süssen Äpfel, unter deren Last sich die Bäume biegen, die Zeit, welche wir durch Rationalisierung, Digitalisierung und Technologie gewinnen (könnten) oder Armut, Krankheit und Gewalt, weil wir immer mehr wollen, als die Welt uns zu geben vermag? Dass wir an einem Scheideweg stehen, dämmert dem einen oder andern. Welche Richtung wir einschlagen ist aber noch ungewiss. Zur Wahl stehen „rette sich wer kann“ (ich/wir zuerst) und „System change, not climate change“ (Fridaysforfuture). Treffen wir die Wahl, solange wir noch können! Ich fürchte allerdings das moralische Appelle verpuffen und im Lärm der Geschäftigkeit untergehen. Und so bleibt es dem Einzelnen überlassen, das Beste aus seinem Leben zu machen. Ob das reicht mag man bezweifeln. Mangels besserer Alternativen aber der einzig gangbare Weg.

Der Herbst ist die Zeit der Ernte. Sowohl in der Natur, wie im Leben. Damit meine ich aber nicht einfach lang ersparte Kreuzfahrten um die Welt oder Camperreisen quer durch Europa – die sollen und dürfen selbstverständlich auch sein – sondern das Verwirklichen von Herzensprojekten, das Engagement für Benachteiligte, das weitergeben von Erfahrung, Wissen und Zeit für Ideen und Projekte, für welche andern die Zeit fehlt. Denn diese haben wir jetzt im Überfluss und es wäre schade, sie zu verplempern.

25.09.2020: Tippingpoint

Foto: imago/Nature Picture Library

Heisst so viel wie Kipp-Punkt oder etwas plakativer: Ab hier geht‘s nur noch bergab. Die Ereignisse der vergangenen Woche haben uns diesem Punkt um einiges näher gebracht. Als Velofahrer könnte man sich darüber natürlich freuen, denn ab jetzt ist Schluss mit schnaufen und schwitzen, jetzt kann man den Fahrtwind geniessen. Blöderweise gibt es nebst Hügeln und Alpenpässen auch Klippen und Abgründe. Versagt die Bremse, ist der (Un)Fall garantiert – Ausgang ungewiss, denn einmal in Fahrt, gibt es kein Halten mehr.

Blöderweise ist nicht jeder Übergang so klar beschildert und nicht jede Klippe mit einer Warntafel versehen. Auch die Doomsday-Clock – jene (symbolische) Uhr, welche uns anzeigen soll, wieviel Zeit uns bis zum grossen Bumm noch bleibt, steht nicht auf dem Nachttisch und schrillt, wenn die Zeit abzulaufen droht. (aktuell steht der Zeiger übrigens bei 100 Sekunden vor Mitternacht!) Und so treten wir weiter kräftig in die Pedale, wo längst kräftiges Bremsen angezeigt wäre. Immerhin sind die Abgründe vor uns schon zu erahnen, auch wenn viele noch meinen, es wäre alles nur Panikmache.

Ohne gleich die apokalyptischen Reiter der biblischen Offenbarung bemühen zu wollen, so ist es doch unübersehbar, dass wir uns auf mehrere gefährliche Klippen zubewegen. Eine davon hat sich diese Woche direkt vor unseren Augen im und vor unserem Bundeshaus abgespielt. Nein, nicht das legitime aber „illegale“ Klimacamp auf dem Bundesplatz, umso mehr aber der Verlust jeder Contenance gewisser Politiker und der darauf folgende Shitstorm in den (Sozialen) Medien. Der Ruf gewählter Parlamentarier nach Güllenfässern, blutiger Gewalt, sowie rassistische Entgleisungen und die Beschimpfung der Demonstranten als Arschlöcher, Kommunisten, Anarchisten und Schnudderis, lässt nicht nur an deren Charakter, sondern auch an ihrem Demokratieverständnis zweifeln. Offensichtlich sind gewisse Kreise sehr schnell bereit diese zu opfern, wenn ihnen etwas nicht in den Kram passt. Wie solche Politiker in echten Krisensituationen handeln würden, will ich lieber nicht wissen. Erahnen lässt es wenig Gutes. Einen Vorgeschmack, was sie zu opfern bereit sind, gab uns die SVP ebenfalls diese Woche, als sie ihren „eigenen“ Bundesrichter abschiessen wollte, weil dieser ihnen nicht genehme Urteile fällte. Gewaltenteilung war gestern, die hohe Gerichtsbarkeit steht allein dem Landvogt zu. Apropos Vogt, Tyrann und Tyrannei: Wirklich gefährlich sind nicht oben genannte Gesellen, wirklich gefährlich ist, was sich zur Zeit in Amerika abspielt. Ob wir es dort im Januar 2021 noch mit einer Demokratie zu tun haben werden, ist mit dem derzeitigen Präsidenten, tatsächlich in Frage gestellt. Auf die Frage, ob er ein Wahlresultat gegen ihn akzeptieren würde, meinte Trump am Dienstag (sinngemäss) lapidar: „Mal sehen…. „. Was das für die USA und die Welt bedeutet, brauche ich wohl kaum zu betonen. Zur Disposition steht nicht weniger, als unser westliches Wertesystem – sprich unsere Demokratie. Die Riege der neuen Kaiser, Zaren und Kalifen dieser Welt, reibt sich schon mal die Hände. Jeder für sich und gegen alle. In Zeiten von Pandemie, Klimakrise und Migration, ein Horrorszenario, dass man lieber nicht zu Ende denkt. Die Doomsday-Clock rückt bedrohlich Richtung Mitternacht, die Klippe ist in Sichtweite.

Apropos Klima: Nicht nur das politische ist vergiftet. Jenes vor unserer Haustür entwickelt gerade heftige Fieberschübe. Es befindet sich schlicht in einer Krise. Brände, schmelzendes Eis, Dürren, Stürme, steigender Meeresspiegel und Überschwemmungen sollten eigentlich deutliche Signale sein. Dazu das weltweite Artensterben, das Verschwinden der Insekten, das Absterben der Korallenriffe. Die Wissenschaft warnt vor Tippingpoints – also Schwellen, ab denen es keine Umkehr mehr gibt. Dazu gehört das Abschmelzen des Grönlandeises, das Auftauen des Permafrostes oder die Abholzung des Amazonas. Werden bestimmte Schwellwerte überschritten, nützt auch eine drastische Reduktion unseres CO2-Ausstosses nichts mehr – das Klima kippt und es wird unkontrolliert wärmer.

Alles nur Panikmache? Schön, wenn es so wäre. Der steigende Meeresspiegel und die sterbenden Korallenriffe sprechen leider eine andere Sprache. Dass die junge Generation die Wissenschaft ernst nimmt und Angst vor der eigenen Zukunft hat, ist nachvollziehbar. Dass sie sich dagegen wehren und uns zum Marschhalt auffordern, ebenso. Traurig nur, dass sie von manchen wie lästige Fliegen behandelt werden. Bedenklich, dass uns der eigene Nachwuchs an unsere Verantwortung – ihnen eine lebensfähige und lebenswerte Zukunft zu hinterlassen – erinnern muss. Beschämend, dass es Schüler sind, die uns sagen müssen, was wir schon lange wissen (müssten): Ihr (also wir) steuert auf einen Abgrund zu und niemand bremst! Und im Gegensatz zum Fall von der Felsenklippe, kennen wir sogar den Ausgang. Auf den Plakaten der Klimajugend steht nicht ohne Grund: There is no Planet B.

Und nein, über den Ausgang dieser Entwicklung verhandelt das Klima (sprich die Naturgesetze) nicht. Das Einzige was wir tun können, ist es in Ruhe zu lassen. Sprich: Keine Treibhausgase mehr in die Atmosphäre pusten und zwar möglichst sofort. Besser noch, wir holen das raus, was schon zu viel drin ist. Die Wissenschaft (und darin sind sich diese zwischenzeitlich zu 100% einig) sagt uns auch ein Datum, wie lange wir dafür noch Zeit haben: 2030! (Ich hoffe sie haben sich nicht verrechnet). Auch das steht auf den Plakaten der Klimajugend.

Neu und deshalb besonders schwer zu akzeptieren, ist die Tatsache, dass es in dieser Sache keinen Verhandlungspartner gibt. Da nützen weder lügen, negieren, tricksen, schachern, bescheissen, fluchen, toben noch neue Kampfjets etwas. Je mehr CO2 in der Luft, desto wärmer. Punkt! Ein ziemlich lästiges Problem für Politiker, die auf faule und andere Kompromisse abonniert sind. Und welcher Politiker, der wiedergewählt werden will (Winston Churchill sei mal ausgenommen) sagt seinen Wählern schon, dass es ab jetzt nur noch Berg ab geht? Es also so, wie bis anhin nicht mehr geht. Also wird geleugnet, verharmlost und schlimmstenfalls auf die Überbringer der schlechten Nachricht „geschossen“ – im Fadenkreuz stehen Wissenschaft, „Greta“, die Klimabewegung und alle, welche den Mahnfinger erheben. Derweilen rückt der Zeiger vor und am Horizont erscheinen dunkle Wolken.

Selbstverständlich sind Prognosen, die Zukunft betreffend, immer falsch. Die Wolken könnten sich ja verziehen oder ein zweiter Toba (Vulkanausbruch auf Sumatra vor 75‘000 Jahren, der die Durchschnittstemperatur weltweit um 3 – 4 Grad über Jahrtausende auf Eiszeitniveau drückte) rettet uns den Arsch. Wer weiss…? Darauf zu hoffen, ist aber etwa so sinnvoll, wie die Pest mit Räucherstäbchen bekämpfen zu wollen.

Steve Jobs von Apple hat seine wichtigsten Ankündigungen immer so angekündigt: „Wait, there is one more thing…“ (da ist noch etwas) Mein „da ist noch was“ lautet: Es gibt Hoffnung auf Besserung! Dieser Tippingpoint heisst: Weltweit gehen die Menschen auf die Strasse und fordern Veränderungen. Das gefällt dem Machtkartell weder hüben noch drüben – sie sind ja auch die Profiteure des Ist-Zustandes. Misstöne, bis hin zur Gewalt, ist ihre Antwort. Uns gegeneinander hetzen, eine ihrer Methoden. Davon lassen sich aber immer weniger schrecken und lassen sich nicht beirren. Ein Sturz über die Klippen wäre tödlich, die Aussichten auf Erfolg verspricht dagegen Zukunft.

18.09.2020: Gift

Dosis facit venenum (Die Dosis macht das Gift – Paracelsus, 1493-1541). Wohl selten war diese Erkenntnis des Arztes der Renaissance, so aktuell wie heute. Gift im Blausee tötet zehntausende Forellen. In über 50% des Grundwassers werden Pestizidrückstände nachgewiesen. Die Russische Opposition wird mit Nowitschok vergiftet. Die CO2-Konzentration steigt munter weiter. Die Luft in Kalifornien ist wegen der verheerenden Waldbrände kaum mehr zu atmen und das Gift der Rechtsextremisten und Ver(w)irrten, aller Schattierungen, verursacht mehr als nur Bauchschmerzen und Brechreiz – es macht krank. Es ist offensichtlich: Wir leiden unter einer akuten Vergiftung. Körperlich, geistig und politisch.

Doch selbst das Offensichtliche vermag kaum mehr als ein Achselzucken hervorzurufen. Da baggert eine private Firma hochgiftigen Schotter aus einem Tunnel und kippt diesen kostenoptimiert und illegal in die nächste Kiesgrube. Weiter unten verrecken die Fische tonnenweise. Aber, nein – wir waren es nicht! Keine Ahnug wo das Gift herkommt. Der Kanton – welcher hätte kontrollieren sollen, es aber nicht tat, ist verlegen und will jetzt untersuchen. Der Blausee bleibt trüb und ob die Bewohner des unteren Kandertals ihr Wasser noch bedenkenlos trinken können, bleibt vorerst offen. Klagen sind in Vorbereitung, die Grünen verlangen eine Untersuchung. Zurück bleiben nicht nur das Gift und tote Fische, es verbreitet sich auch ein „Gschmäckle“ von Kungelei und Wegschauen, Man lerne: Profit ist Gift!

Seit Jahren lesen wir über Pestizidrückstände in unserem Grundwasser. Das halbe Mittelland – wir reden hier von Millionen Menschen – trinkt also Wasser mit Giftrückständen. Im Zürcher Weinland häufen sich Tumore bei Kindern. Gemeinden müssen Brunnen schliessen oder Wasser teuer von Nachbargemeinden zukaufen um damit ihren Giftcocktail zu „verdünnen“. Wie uns die kantonalen Laboratorien versichern, ist das Trinkwasser aber auch noch bei 17-facher Überschreitung des Grenzwertes „unbedenklich“ und kann „bedenkenlos“ getrunken werden. Krebs wird ja nur vermutet, was soll also die ganze Aufregung? Währenddessen klagt Syngenta gegen das Verbot ihrer Pestizide durch den Bundesrat und ein SVP Parlamentarier aus der Westschweiz will diese Gift wieder zulassen, weil die Zuckerrüben seines Nachbarn unter einem bösen Käfer leiden. Selbstredend. dass die Bauernlobby ihre Hände in Unschuld wäscht – keine Ahnung wie das Gift ins Wasser kommt, es fällt sicher vom Himmel. Den hängigen Pestizid- und Trinkwasserinitiativen scheint man gelassen entgegen zu blicken – das Agrochemie-Abstimmungskässeli scheint gut gefüllt. Man vertraut der Macht des Geldes. Man lerne: Profit und Gift gehen Hand in Hand!

Sehr neu und originell ist auch der Giftanschlag auf einen russischen Oppositionspolitiker – den einzig noch Ernstzunehmenden – nicht. Das „kurieren“ mit Nowitschok hat sich in Russland seit Jahren bewährt und mutiert zur Allzweckwaffe gegen politisches „Ungeziefer“. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Doch auch wenn der oder die Kurierten nicht gleich das Zeitliche segnen, so ist die Wirkung ungleich wirksamer. Wer mit einem Giftanschlag rechnen muss, hält in Zukunft wohl besser die Klappe und duckt sich. Gift macht stumm. Man lerne: Politik kann ihre Gesundheit gefährden!

Kommen wir zu den Waldbränden vom Panantal (Brasilien) über Kalifornien bis hinauf an die kanadische Grenze. Diese vernichten nicht nur Wälder von der Fläche der Schweiz, radieren ganze Dörfer aus, töten dutzende Menschen und treiben hundertausende in die Flucht; sie machen auch das Atmen schwer und führen zu gesundheitlichen Schäden. Der Himmel über San Francisco ist rot und selbst im 4000 km enfernten Washinton D.C. sind die Sonnenuntergänge noch tieforange. Gift in der Atmosphäre hat eben auch eine „schöne“ Seite. Aber keine Angst, es wird bald wieder kühler, in Wien leben die Menschen inmitten explosiver Wälder – ohne dass es brennt – und die Wissenschaft hat eh von Tuten und Blasen keine Ahnung. (D. J. Trump zur Klimakatastrophe) Man lerne: Die Blödheit eines Politikers toppt selbst die grössten Naturkatastrophen!

Und wie wenn das alles nicht schon genug wäre, so vergiften die Hilfstruppen des ungehemmten Profitstrebens – sprich Rechtsradikale, Verschwörungstheoretiker, Frauenhasser, Covid-Leugner usw. usw. (die Liste der Manipulierten wird täglich länger) unsere Sinne und Köpfe. Die tägliche Dosis Gift – sei es in Form von Lügen (FakeNews), Alternativen Fakten, (leugenen von Tatsachen), Trollen (Provokateure), Algoritmen (computergenerierte, personalisierte Falschmeldungen) usw., schwächt uns nachhaltig und lenkt uns von den wirklichen Problemen und Herausforderungen ab. Wer verunsichert ist, nicht mehr weiss wem oder was er glauben soll, ist dankbar für jedes Heilsversprechen – das kann auch der Wunsch nach einer Diktatur oder einem Diktatoren sein. Man lerne: Gift tötet!

Dosis facit venenum – zu viel ist zu viel. Selten waren Zitate und Parolen so wahr wie jetzt. „Zu viel Gift kann ihre Gesundheit gefährden“ – müsste vor jeder News-Schlagzeile stehen. Da wir aber nicht gewarnt werden, ist es besser, wenn wir dieses nur in gesunden Dosen zu uns nehmen oder uns immunisieren. Ein „Impfung“dagegen gibt es zum Glück schon. Sie ist erhältlich an jeder Schule, in guten Büchern und bei guten Freunden. Es gibt davon sogar unterschiedliche Marken. Sie heissen: Wissen, Aufklärung, Demokratie, Transparenz und Engagement. Eine gesunde Dosis davon bewahrt uns vor so mancher Giftattacke.

12. 09. 2020: Begrenzt

Die Grenze „bin“ ich. Seit Jahrzehnten wohne ich am Nordrand der Schweiz an der Grenze zu Deutschland. Die Grenze verläuft direkt am Dorfrand. Auf drei Seiten liegen Deutsche Gemeinden. Zur Schweiz führt genau eine Strasse über eine Brücke über den Rhein. Meine Enkel haben einen europäischen Pass. Meine besten Freunde kommen aus Spanien, Montenegro, Deutschland und Slovenien. Meine Nachbarn aus dem Osten der Slowakei, aus Singapur und Leipzig. Theater spiele ich mit Kollegen aus Brandenburg und Stuttgart. Meine Mieter kommen und kamen aus Sachsen, Uruguay und Alaska. Meine Zahnärztin aus München. Meine Pflegetochter aus Berlin. Ich coache Lehrlinge aus Kurdistan, Albanien, Amerika und Serbien. Beim Aufbau der Bühne helfen Asylbwerber aus Eritrea und im Geschäft hatte ich Kollegen aus Frankreich, Italien, Polen, Deutschland, Amerika und Südafrika. Beruflich war ich von Portugal bis Schweden in fast allen EU Staaten und selbstverständlich immer wieder in den USA. Bunt gemischt, international, vielfältig. Ein Leben im Herzen Europas, in der Schweiz zur Jahrtausendwende. Multikulti mokieren „böse“ Zungen. Zu viel ist zu viel, malen sie auf Plakate und möchten eine „Idylle“zurück, die es nie gab. Eine Idylle, wo man unter sich bleibt, ohne fremde Gerüche, Sprachen und Hautfarben. Eine Idylle in den eigenen Grenzen, den eigenen 4 Wänden.

An diese erinnere ich mich noch gut. Es waren die 60iger-Jahre. In unserem Dorf gab es genau einen Ausländer – einen Italiener. Er schob sein Velo Tag für Tag an unserem Haus vorbei. Hoch an den Waldrand des Irchels, wo er morgens und abends die Kühe versorgte, in einer schäbigen Kammer hauste und tagsüber, unten in Flaach Steine schleppte und Zement rührte. Er sprach leidlich Deutsch und erzählte uns oft von seiner Familie in den Abruzzen. Gesehen haben wir diese nie, denn er war Saisonnier. Kurz vor Weihnachten verschwand er und tauchte jeweils im April wieder auf. Frau und Kinder war der Aufenthalt in der Schweiz verwehrt. Irgendwann in den frühen 80iger-Jahren war Schluss. Santo kam nicht mehr. Es ist als hätte es ihn nie gegeben. Das Dorf meiner Kindheit im Flaachtal war nun wieder ausländerfrei und will es offensichtlich bleiben. Die Wahlresultate und Abstimmungsplakate am Dorfrand, lassen keinen anderen Schluss zu.

Seit 50 Jahren – seit der berühmten Schwarzenbach-Initiatve von 1970 – dominiert ein Thema die Schweizer Politik: Ausländer! Die Europäische Union steht dafür sinnbildlich. Ausländer und EU scheinen für viele das gleiche zu sein – lästig! Die Details der meist wüsten Kampagnen rund um Abstimmungen und Wahlen, die verbreiteten Lügengeschichten und hässlichen Debatten lasse ich hier beiseite. Sie dürften allen sattsam bekannt sein. Die Neuauflage, welche am 27. September – nun bereits zum 15. mal – zur Abstimmung kommt, ist nicht nur Ärgernis, es macht auch müde. Zu viel ist zu viel und genug ist genug! Über die einseitige Plakatflut im Zürcher Weinland habe ich mich schon ausgelassen. Das unverlangt zugeschickte „Extrablatt“ ging in Rauch auf, die zurechtgelogenen Statistiken liegen im Papiercontainer und in den Sozialen Medien tobt sich der Mob, sekundiert von Bundesratskandidaten, National- und Ständeräten, über Asylanten, Migranten, Sozialhilfeschmarotzer und Kriminelle aus. Die üblichen Lügen, die übliche Hetze, die üblichen Heilsversprechen. Diesmal versprechen sie uns staufreie Fahrt und ängstigen uns mit Betonburgen.

Man könnte also zur Tagesordnung übergehen und den bitteren Kelch an sich vorüberziehen lassen. Der 28. September kommt auch ohne, dass ich mich grün und blau ärgere. Leider aber ist es nicht so einfach. Es steht zu viel auf dem Spiel. Und damit meine ich nicht einfach die Bilaterialen Verträge I, welche seit 1999 unser Verhältnis mit unserem wichtigsten wirtschaftlichen Partner – der EU, also unseren Nachbarländern – regeln, sondern auch die Auswirkungen auf die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Ein paar Fragen seien deshalb erlaubt.

Geht es wirklich um eine Begrenzung der Zuwanderung? Wie war das zu den goldenen Zeiten, als wir die „Zuwanderung“ noch selber steuerten – also zu jener Zeit, als Santo sein Velo allabendlich hoch zum Irchel schob? Kamen da weniger Ausländer in die Schweiz? Im Gegenteil – die Firmen rekrutierte sogar über eigene Agenturen, ganz direkt Arbeitskräfte im nahen Ausland – sie brauchte sie für den Bau von Staumauern, Strassen und in den Fabriken! Der einzige Unterschied: Die „Fremdarbeiter“ hatten deutlich weniger Rechte als heute. Abzulesen auch daran, dass viele unserer „Secondo“-Freunde bei den Grosseltern in Italien, Portugal, Jugoslawien oder Spanien aufwuchsen, da sie in der Schweiz nicht willkommen waren. Einem Saisonnier war der Familiennachzug verboten. Als billige Arbeitskraft willkommen – ansonsten diskriminiert.

Wollen wir diese Zustände zurück, über die der Schriftsteller Max Frisch, schon 1961 sage: „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen!“ Wenn man der Abstimmungspropaganda glaubt, ja. Wenn man Frau Martullo-Blocher zuhört, wird schnell klar, sie will über Löhne, Aufenthalt, Qualifikation und Rechte ihrer Angestellten frei von Gewerkschaften und verpflichtenden Staatsverträgen entscheiden. Es geht einzig um den Abbau des rechtlichen Schutzes der Arbeiter und Angestellten – auch jenen der Einheimischen, welche durch die flankierenden Massnahmen vor Lohndrückerei geschützt sind. Über die Anzahl und Herkunft der „selbst gesteuerten Zuwanderung“ lässt sich diese Partei aus guten Gründen nicht aus. Frau Martullo-Blocher sucht derweil ihre Fachkräfte im Ausland. Zuwanderung à la carte!

Die Frage, was hier eigentlich begrenzt werden soll, ist darum schnell beantwortet. Unsere Rechte, die Zukunft unserer Enkel und Kinder und unsere Verpflichtungen gegenüber unseren Nachbarn. Treibende Kraft ist der grenzenlose Egoismus einer kleinen Clique, die uns und unser Land in Geiselhaft nimmt für ihre eigennützigen Interessen. Setzen wir dieser Gier zu 15ten mal eine Grenze und stimmen am 27. September NEIN zu dieser verlogenen „Begrenzungs“-Initiative. Zu viel ist zu viel und genug ist genug!

Lügen

Lügen haben kurze Beine, lernt man schon als Kind. Und selbst in den zehn Geboten heisst es: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden, wider deinen Nächsten“. Kurz gesagt: Lügen und Lügner sind geächtet. Der Volksmund fasst es treffend zusammen: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht!“ Soweit die Theorie.

In der gelebten Praxis sieht es aber deutlich anders aus. Damit meine ich nicht das tägliche Lügen zur Frage, wie gehts dir und du auch dann mit „gut“ antwortest, wenn es dir ziemlich beschissen geht. Vielleicht geht es den oder die Fragende/n auch einfach nichts an oder du willst einfach deine Ruhe haben. Ich meine auch nicht jene Lügen, die uns vor möglichen Nachteilen schützen oder uns selber in ein besseres Licht rücken. Ich war nie der tolle Hecht, für den mich alle halten, weil ich die grössten Räubergeschichten erzähle, aber ich lasse dich gerne im Glauben. Und ich war auch nicht beim Kunden, ich verbrachte den schönen Nachmittag am See. Ohne Alltagslügen (oder die Soziale Lüge, wie es im Fachjargon heisst) – wäre das Leben wahrscheinlich unerträglich. Denn wer hasst sie nicht, die Überkorrekten, die Korintenkacker und Kleingeister? „S Föifi la grad sii“ geniesst nicht umsonst den Ruf der Menschlichkeit.

Etwas kritischer wird es bei jenen Lügen, die uns ebenfalls bestens vertraut sind, aber quasi öffentlichen Charakter haben. Also die Lügen in der Werbung (die Produkteeigenschaften vorgaukeln, die nicht vorhanden sind), die Lüge des Autoverkäufers (der den Motorschaden verschweigt) und die des Politiker, der das Blaue vom Himmel verspricht. In aller Regel sind wir aber gegen solcherart Unwahrheit gewappnet. Die Werbung nehmen wir nicht ernst, den Autoverkäufer meiden wir und den Politiker wählen wir ab. Trotzdem nehmen diese Lügen grossen Raum ein. Sei es in Schlagzeilen (IKEA deklariert ihr Holz falsch, die Armee beschafft Masken, die nichts nützen), sei es mit Anwälten, Verträgen und Juristen, die uns vor Betrug schützen sollten oder Abstimmungskampagnen, die nicht nur unredliche Absichten verschleiern, sondern gegen unsere eigenen Interessen gerichtet sind. Trotzdem – damit haben wir zu leben gelernt. Entscheidend ist: Wir sind dagegen gewappnet, können uns dagegen wehren und Gesetze und Institutionen schützen uns davor.

Wirklich grosse Lügen, mit weitreichenden Konsequenzen, stammen fast ausschiesslich aus den Dunkelkammern der Macht. Sei es jene von „seit 5 Uhr 45 wird zurück geschossen„, mit dem der 2. Weltkrieg begann, dem „Tonkin-Zwischenfall„, welcher den Amerikanern als Vorwand für den Vietnamkrieg oder die Lüge über die angeblichen „Massenvernichtungswaffen„, mit der Georg W. Bush den Einmarsch im Irak legitimierte – die Lüge dient stehts dem Machtmissbrauch und kostet oft Millionen von Menschenleben. Nicht umsonst heisst es: „Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges“ – was nichts anderes bedeutet, als dass – in der Kriegslogik verbleibend – Lügen zur historisch erprobten Kriegsstrategie gehört. Die sog. 36 Strategeme der Chinesen, bezeugen dies eindrücklich – sie sind sogar Bestandteil der chinesischen Kultur und tausende Jahre alt.

Nicht Neues, könnte man also meinen. Alles altbekannt, alles schon einmal dagewesen. Warum sich also aufregen – gelogen wird seit je und heute ist es nicht anders. Richtig! Und trotzdem müssen wir uns ernsthaft Sorgen machen! Aber wieso?

Weil die Lügen von heute eine neue Qualität und Zerstörungspotential erreicht haben. Lügen dienen den heutigen Protagonisten nicht allein dem Vertuschen böser Absichten (z.B. Kriege rechtfertigen), dem Betrug oder der eigenen Bereicherung – sie dienen zunehmend der Zerstörung unsere Zivilisation und unser aller Zukunft. Spätestens mit dem Einzug Donald Trumps ins Oval Office ist die offensichtliche Lüge (bekannt als „Alternative Fakten“ oder FakeNews) fester Bestandteil der Politik. Nicht nur der Amerikanischen. Die Unkultur, die Lüge, trotz handfesten, für jede/n sichtbaren Gegenbeweise, zur Wahrheit zu erklären, ist erschreckend. Man könnte dies – was viele tun – als miese Charaktereigenschaft eines durchgeknallten Narzissten abtun und hoffen, dass der Typ am 3. November aus dem Amt gejagt wird – damit wird es aber wohl nicht getan sein. Das Gift der Lüge ist bereits so tief in unserm Alltag angekommen, dass es die Grundfesten unserer Gesellschaft angreift. Oder was ist die QAnon-Verschwörungstheorie (an die angeblich schon 8% der Amerikaner glauben) den DeepState Gläubigen, die einzige dem Zweck dienen jedwelche Autorität zu untergraben? Welche Interessen stecken hinter der Leugnung der Klimakrise? Was bezwecken „Corona-Skeptiker„, im Verein mit Reichkriegsflaggenträgern, auf den Treppen des Deutschen Bundestages? Und was jene, die Lügenpresse schreien und jede/n der/die noch alle fünf Sinne beisammen hat und (noch) den sog. Mainstreammedien „glaubt“ (also TV, Radio, Presse etc.) als Schlafschaf, welches keine Ahnung hat, beschimpft. Oder jene die nach dem Konsum von ein paar Youtube-Filmchen und Webseiten, mehr über Wirkung und Existenz von Viren wissen, als Wissenschaftler*innen, die sich schon ein halbes Leben damit beschäftigen. Und zu guter Letzt die Empörten, die sich wegen eines Stück Stoffes vor der Nase, in einer Diktatur wähnen und den Sturz der Regierung fordern. Der spanische Philosoh José Ortega y Gasset hat solche Menschen bereits in den 20iger Jahren, nicht ganz grundlos, als Hätschelkinder der Geschichte bezeichnet. Menschen welche die Realität (man könnte auch Wahrheit sagen) nicht akzeptieren, sich selber als Mass aller Dinge sehen und lieber einer einfachen Lüge glauben. Verwöhnt von den Umständen (das steht mir zu), ohne Bewusstsein was es für diese braucht. Die Perversion dieser Haltung wird spätestens dann deutlich, wenn man das Coronaleugnergeschrei mit den Demonstrationen in Belarus, wo es um „echte“ Freiheit geht, miteinander vergleicht. Skurilerweise gleichzeitig. Offenbar bestätigen Lügen und Selbstbetrug, Vorurteile, so dass man sich nicht mehr dem Schmerz der Wahrheit zu stellen braucht. Genau das passiert aktuell im Grossmassstab. Spätestens seit der Finanzkrise 2008, der Flüchtlingswelle 2015 oder der Klimakrise und Corona, ist die (falsche) Sicherheit des „ewig weiter so“, der komplexen und verwirrenden Realität gewichen. Nichts ist mehr garantiert. Gewissheiten verdampft und eine sichere Zukunft ist in Frage gestellt. Alles zusammen ergibt eine wahrhaft explosive Mischung.

Poitikbeobachter, Analysten, Journalisten und Politiker reiben sich die Augen und ringen nach Erklärungen. Wie konnte es so weit kommen – ist ihr Grundtenor. Wie wird ein notorischer Lügner Präsident der grössten Atommacht der Welt? Wie kann es kommen dass 2020 ein Nazistosstrupp auf den Stufen des Deutschen Reichstags ihre Flaggen hisst? Wie kommt es, dass sich Familen mit Kindern, Veganer, Hare Krishna-Jünger, Impfgegner und Heilpraktiker*innen mit Regenbogenfahnen, hinter Reichflaggen und johlenden Faschisten einreihen? In Zürich haben wir zum Glück keinen Reichstag, das Kunterbunt am Helvetiaplatz war jedoch kaum anders. Was hier wirkt sind Lügen! Lügen via Verschwörungstheorien verbreitet, Lügen über angeblich geheime Pläne uns auszurotten, Lügen über angeblich korrupte Organisationen und die Wissenschaft generell. Die Lüge dient zweierlei: Der Untergrabung der Glaubwürdigkeit der Institutionen, Wissenschaft, Presse und der sog. Eliten, sowie der Mobilisierung verunsicherter und wütender Menschen, die die Welt nicht mehr verstehen. Wer sich bisher gefragt hat, warum die Nazis und der Faschismus einst an die Macht kam, braucht heute nur die Zeitung zu lesen. Es sind Lügen, die als Hebel für die Machtergreifung genutzt werden. Lügen, welche dazu benutzt werden uns von der Wirklichkeit fern zu halten und Scharlatanen hinterher zu laufen.

Grund zu verzweifeln? Alles nur für die Sonntagspredigt oder die Apokalypse? Nein! Es gibt zwei einfache Faustregel, die uns vor diesem Irrsinn und Irren schützt. Die Erste stammt von den alten Römern und heisst: Qui bono? (Wem nützt es?). Allein diese Frage fegt manchen Zweifel vom Tisch und entlarvt manche Lüge und Lügner. Wem also nützen diese Lügen? Die Antwort liegt nah: Dem Lügner! Die Zweite lautet: Je einfacher die Antwort, desto grösser die Vorsicht. Es ist wohl kein Zufall, dass uns Populisten am rechten Rand mit den einfachsten Antworten bedienen.

Eine Überdosis Globuli

Ich „leide“ unter einem „Overload“ (zu Deutsch: zu schwer beladen). Nein – ich bin nicht mit Arbeit oder Terminen überladen, auch nicht mit schweren Problemen, Streit oder anderen Belastungen, die das Leben schwer machen. Es gibt schlicht zu viele Themen, die mir unter den Nägeln brennen. Dazu mein Anspruch, nicht immer in den gleichen Wunden zu bohren, von etwas zu berichten, was uns nahe liegt und nicht langweilig zu werden. Was also liegt diese Woche nahe und erfüllt meine Ansprüche? Die Gewaltausbrüche in Amerika, nach erneuter Polizeigewalt gegen einen Schwarzen? Betrifft uns das hier? Trumps Twitterkanonaden über seinen Herausforderer Joe Biden? Nicht wirklich aufregend, er twittert sich seit Jahren die Finger wund – es hat sich totgelaufen. Vielleicht Weissrussland und die getürkten „Wahlen“? Da müssten wir erst mal nachschauen, wo dieses Belarus eigentlich liegt. Doch über den Parteitag und die Wahl des neuen Präsidenten der $VP berichten? Ich befürchte, dass sich auch mit italienischem Akzent nicht viel ändert in dieser Partei. Oder doch etwas über Greta Thunberg, die seit Montag wieder zur Schule geht? Da wären wir wieder beim Klima – zwar wichtig, aber nicht besonders originell. Ich könnte auch über die Maskentragpflicht in den Läden von Genf bis Zürich berichten? Oder doch über Berlin und die angedrohten Demonstrationen der versammelten Neonazis gegen Staat und Masken? Da wären wir dann wieder bei Corona. Auch mehrfach kommentiert. Und wie sagte Alt-$VP-Präsident Rösti letzte Woche: „Wenn wir nicht mehr über Corona reden, verschwindet es von selbst“. Etwa so intelligent, wie sich darüber zu freuen, dass Greta nicht mehr die Schlagzeilen beherrscht und meint damit wäre das leidige Thema „Klimakrise“ erledigt.

Ein sehr guter Freund von mir liest seit Jahren weder Zeitungen, noch hat er eine Newsapp auf seinem Handy installiert. Ebenso meidet er Tagesschau, Reportagen und Newssendungen am Fernseher. Er schützt sich damit vor dem Infomüll, der uns täglich vor die Haustür, den Bildschirm, und ins Handy gekippt wird. Seine Ruhe sei ihm wichtiger, als die Welt – wie er meint. Die „Welt“, Corona, Unruhen, Gewalt und das Klima bleibt draussen vor der Tür – Thema also erledigt? Wenn es nur so einfach wäre!

Dummerweise hält sich „die Welt“ nicht an unsere Befindlichkeiten. Diese dreht sich unverdrossen weiter und konfrontiert uns täglich mit Ereignissen, die wir weder geplant, erhofft noch erwartet haben. Und selbstverständlich ist es für uns hier kaum von Bedeutung, wenn ein Hühnerstall auf Kiribati abbrennt, ein Bach in Kleinlützel über die Ufer tritt oder die Grossmutter einer deutschen Schlagersängerin stirbt. Anders ist es mit News aus Politik und Wirtschaft. Auch wenn wir diese für korrupt, verdorben und wenig glaubwürdig halten – früher oder später trifft es uns. Sei es, dass wir dafür die Rechnung erhalten oder auf die Strasse gestellt werden. Darüber Bescheid zu wissen, kann also nicht schaden.

Eine „Alles-oder-nichts-Strategie“ (ich verweigere mich ganz oder ich lasse mich zumüllen) ist keine befriedigende Lösung. Bleiben also noch Filter und/oder die Selbstdisziplin. Doch beide stehen auf wackeligen Füssen. Filter sind willkürlich und Selbstdizipin meist von kurzer Dauer. Die Alternative zwischen Globuli und einer Überdosis gleicht daher eher einem Dilemma, als einer Wahl. Bleiben noch die Kapitulation oder die Flucht in die Dunkelkammern der „Erleuchteten“ und selbsternannten „Weltenretter“. Alternativen, die sich momentan einer gewissen Beliebtheit erfreuen – zumindest wenn man die Sozialen Medien (wie z.B. Facebook und Zwitter) zum Massstab nimmt. Wie ein Seismograph registrieren diese Themen, Debatten und Befindlichkeiten, verstärken diese und werfen ein grelles Licht auf den Zustand der Gesellschaft. Aktuelle Diagnose: „Psychotischer Schub mit unspeziefisch somatischen Schmerzen“. Zu Deutsch: Realitätsverlust, Ich-Störung, Heulen und Zähneklappern“.

Ob die Ursache wirklungslose Globuli, die Irrungen und Windungen der Labyrinthe und Dunkelkammern oder eine Überdosis Müll ist, lässt sich nicht feststellen. Festellen lässt sich einzige der blamable Zustand. Da rotten sich Impfgegner gegen nicht existierende Impfungen zusammen, leugenen selbsternannte Virologen und Youtube-Akademiker die Existenz von Viren, „wissen“ andere von gefangenen und gefolterten Kinder in Tunnels, deren Blut von den Mächtigen dieser Welt zur Verjüngung getrunken wird und andere fürchten sich vor Sommarugas (oder Merkels etc.) Diktatur. „Denk mal selber nach“ – Fakten belanglos – Diskussion beendet. Wären es ein paar Spinner, könnte man zur Tagesordnung übergehen. Die Zahl der Verrückten aber steigt von Tag zu Tag. Dazu zählen selbst $VP-Delegierte, die sich einen Deut um Schutzkonzepte scheren und sich zu Hunderten ungeschützt in einen Saal zwängen. Und in Deutschland sind es Zehntausende, die den Aufstand proben. Die „Befreiung“ findet angeblich am nächsten Samstag in Berlin statt – zusammen mit AfD, Neonazis und dem Freundeskreis „Globuli gegen Aids“. Im Gegensatz dazu jene, die sich noch immer kaum aus dem Haus wagen, täglich die Infizierten zählen und Unmaskierte am liebsten wegsperren würden. Vergleichbar mit dem 30-jährigen Krieg, als sich Protestanten und Katholiken meuchelten, trennt Covid-19 Gläubig und Ungläubige in zwei Lager. Die Eingangstüren werden gerade zugemauert.

Ähnlich bei anderne Themen. Hier und weltweit. Wissenschaftliche Erkenntnisse werden zur Glaubensfrage. Glaube ersetzt Fakten. Auch wenn die Gletscher schmelzen, die Wälder brennen und das Meer steigt – Mumpiz – die Klimalobby (wer ist das eigentlich?), an deren Spitze ein 17 jähriges Mädchen aus Schweden steht, will uns nur das Auto vemiesen und unser sauer verdientes Geld aus der Tasche ziehen. Flüchtlinge? War da nicht mal was im Mittelmeer? Rassismus? Bei uns doch nicht und überhaupt, die Schwarzen sind entweder kriminell, gewalttätig oder beides. Demokratie? Ist was für Politiker, ich habe besseres zu tun. Wann endlich öffnet der Ballermann wieder – ich will hier raus!

Überdosis oder Globuli. Das Eine macht krank, das andere nicht gesund. Zu viel Informationen überfordern und treiben uns in den Wahnsinn. Sie zu ignorieren, führt uns in die Isolation und macht uns zu Egoisten. Sie durch FakeNews zu ersetzen, wiegt uns in falscher Sicherheit und treibt uns in die Fänge selbsternannter Gurus, Führer und Scharlatane. Was bleibt uns noch?

Ich kenne nur eine wirksame Therapie. Miteinander reden. Zuhören. Von einander lernen. Sich einfühlen. Andere Standpunkte verstehen lernen. Aber sich auch abgrenzen. Abgrenzen von jenen, die meinen sie hätten die alleinige Wahrheit gepachtet. Kritik an jenen, die in die Irre laufen und Kampf gegen jene, die uns ihr Weltbild aufzwingen wollen. Ein Überdosis Globuli ist genau so schädlich, wie eine Überdosis Schlaftabletten. Beide bringen uns um.

Liebe Bauern

Seckeln im Kreis

Wieder eine Woche voller Hader. Die Themenwahl für meinen Blog scheint unendlich, und doch schleichen sich immer wieder die gleichen Themen ein. Das wäre langweilig. Deshalb mal was anderes: Ein Brief an die Bauern.

Aber weshalb, an die Bauern? Ganz einfach. Ich komme selber aus einer Kleinbauernfamilie und wohne Zeit meines Lebens in einer bäuerlich geprägten Umgebung. Ich masse mir also an, zu wissen, wovon ich schreibe. Und es gibt einiges zu sagen. Hier also mein „Brief an meine eigenen Leute“.

Liebe Bauern

Es steht wieder einmal ein Abstimmung vor er Türe. Wer es noch nicht gewusst haben sollte, fährt am besten durchs Zürcher Weinland, denn hier draussen auf dem Land, findet auf euren Rübenäckern und Stoppelfeldern, wieder einmal eine Schlacht um „unsere Zukunft“ statt. Dies ist zwar weder neu, noch besonders originell, dafür umso nerviger. Nein, nicht das mit Plakaten an den Strassenrändern Abstimmungspropaganda gemacht wird – das gehört zu einer Demokratie – wohl aber die Tatsache, dass ihr seit Jahrzehnten (fast) ausschliesslich Plakate und Parolen einer einzigen Partei in eure Wiesen pflockt. Nicht eingeweihte Zeitgenossen könnten beinahe auf den Gedanken kommen, sie reisten durch die alte DDR oder Weissrussland. Und es scheint euch auch egal zu sein, was da auf den Plakaten steht, wen ihr damit unterstützt, wen ihr damit beleidigt und welchen Interessen sie dienen. Einmal sind es Würmer, dann Insekten, Messerstecher, schwarze Schafe und aktuell sind es Ärsche. Wenn eure Lebensmittel, die ihr für uns produziert, auch so unappetitlich wären, hättet ihr schon lange keine Kundschaft mehr und eure Kartoffeln würden auf den Feldern verfaulen. Also oder trotzdem muss ich davon ausgehen, dass ihr das gut findet. Den Tatbeweis erbringt ihr ja auch bei den Wahlen und die Zusammensetzung der Gemeinderäte hier draussen ist Beleg genug dafür – ihr stellt die Plakate nicht nur auf, ihr glaubt auch dem Geschmiere!

Ich weiss – Bauern sind „konservativ„. Müssen sie auch sein, denn Landwirtschaft heisst auch bewahren (den Boden z.B.), heisst langfristig planen (alles braucht Zeit zum wachsen), heisst Tradition (vieles hängt von Jahreszyklen ab) und bedeutet Abhängigkeit (von den Launen der Natur und der, der Obrigkeit). Bauern waren jene, die den modernen Staat erst ermöglichten – auf eurem Rücken entstanden die ersten Staaten (Babylon, Ägypten, China usw.) – und der Adel lebte Jahrtausende von eurem Schweiss auf den Äckern. Und auch heute gibt es (noch) kein Essen, ohne Landwirtschaft. Ihr dürft also stolz sein auf eure Rolle und euer Tun. Ihr dürft vom Rest der Bevölkerung (das heisst die übrigen 98% *zwinker) sogar etwas Unterstützung und Sympathie erwarten. Diese misst sich zum Beispiel an den Subventionen, den Zöllen und den billigen Erntehelfern aus Osteuropa. Das wars dann aber auch! Denn zu eurem „Pech“ marginalisiert euch die Industrielle Revoultion seit 250 Jahren systematisch. Erst wurdet ihr von euen Äcker in die Fabriken oder nach Amerika getrieben (500’000 im 19ten Jahrhundert), dann in die Büros und in Zukunft möglicherweise in die Bedeutungslosigkeit. Und trotzdem rennt ihr jenen hinterher, die euch nach Strich und Faden belügen, missbrauchen und im Namen von „Heimat, Selbstbestimmung und Tradition“, bescheissen. Warum tut ihr das?

Ihr seid doch keine ungebildeten Hillbillys aus den Appalachen, die jedem zujubeln, der ihnen ein „grossartiges Land“ und eine „Vergangenheit als Zukunft“ verspricht. Ihr müsstet eigentlich am besten wissen, dass das nicht funktioniert. Geerntet wird morgen, nicht gestern! Was ich nicht verstehen will und kann: Warum setzt ihr eure und unsere Zukunft, für solche leeren Versprechen aufs Spiel? Denn leer, das sind sie!

Seht ihr die verdorrten Wälder nicht? Kämpft ihr nicht Jahr für Jahr mit mehr Wetterkapriolen? Was ist mit den Bienen und Insekten los, die wegsterben? Wer sitzt in den Gemeinderäten und forciert die Zubetonierung unserer Dörfer? Wer lobbyiert für noch mehr Strassen, noch billiges Benzin, noch mehr Autos und wer will Busbetriebe und Bahn zu Tode privatisieren? Wer spart Postfilialen, unter dem Vorwand mangelnder Rentabilität, weg ? Wer hofiert Internationalen Konzernen und lockt diese mit einem ruinösen Tiefststeuerwettbewerb ins Land (und mit ihnen ein Tross „Expats“)? Wer senkt die Steuern für jene, die schon im Geld schwimmen? … Ihr kennt die Antwort!

Hat diese Politik eine Zukunft? Löst sie irgendein Problem – z.B. die Klimaerwärmung, von der ihr, liebe Bauern ja ganz direkt betroffen seid? Das Referendum gegen das neue CO2-Gesetzt beweist das Gegenteil. Ebenso der neuste Streich – den (geplanten) Erlass der Mehrwertsteuer auf Benzin und Diesel. Oder eine moderne, den heutigen Verhältnissen angepasste Sozialgesetzgebung – z.B. einem Vaterschaftsurlaub? Auch da unterstützt „ihr“ ein Referendum dagegen. Ein Viertelprozent auf die Löhne wäre angeblich der endgültige Ruin eurer KMUs. Oder das leidige Thema EU. Wir liegen (dummerweise) mitten im grössten Wirtschaftsraum der Welt. Wir importieren über 70% unserer Waren aus dieser und exportieren 55% unserer Produkte dorthin. 1,5 Millionen EU-Bürger leben und arbeiten hier, fast 500’000 Schweizer leben und arbeiten dort. Und doch tut ihr so, als könnten wir auf diese 27 Staaten verzichten. Man pfeifft auf Abkommen und Verträge und will sie sogar kündigen. Vorgegaukelt wird uns eine (Schein-)selbständigkeit – in Wirklichkeit geht es um „billige“ Arbeitskräfte (die man nach Bedarf holen und heimschicken kann, wie einst die Saisonniers aus Italien) und um den Abbau des Lohnschutzes (Flankierdende Massnahmen). Denn, das schleckt keine Geiss weg – ohne Ausländer gäbe es weder genügend Ärzte, Pflegepersonal, Informatiker, Erntehelfer noch Gleisearbeiter und Reinigungspersonal. Und es wird nicht besser. Jahr für Jahr gehen mehr in Pension, als wir Kinder zeugen. Wir sind also dazu „verdammt“ neue Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen. Da ist die sog. „Begrenzungsinitiative“ bestenfalls ein Trugschluss, in Wahrheit aber eine brandschwarze Lüge. Mit ihr, gäbe es keinen einzigen Ausländer und keine Ausländerin weniger in der Schweiz, die (angeblich) unsere Strassen verstopfen.

Zu viel ist zu viel, steht auf „euren“ Plakaten. Dem stimme ich voll und ganz zu!

Zu viel CO2 in der Luft, zu wenig Windkraft und Photovoltaik. Zu viel Konsum, zu viel Müll und zu wenig Nachhaltigkeit. Zu viel Reichtum in zu wenig Händen. Zu viel Autos, zu wenig Radwege. Zu viel Pestizide, zu wenig Bio. Zu viel Profit, zu wenig Gerechtigkeit. Zu viel Egoismus, zu wenig Solidarität. Zu viel Lügen und zu wenig Ehrlichkeit.

Denn seien wir ehrlich, liebe Bauern (und jene die hinter obiger Politik stehen), wenn ihr und wir eine lebenswerte Zukunft haben wollen, müssen wir weg vom zu viel. Bevor wir es aber mit unseren Nachbarn verscherzen, sollten wir bei uns selber anfangen. Lügen helfen uns dabei nicht – schon gar keine Selbstlüge.

Ich freue mich in Zukunft deshalb auf viele bunte und vielfältige Plakate in euren Äckern. Solche ohne uns zu beleidigen und zu belügen. Und solche die uns den Weg in die Zukunft weisen!

Es grüsst freundlich – einer aus eurem Stamm

PS: Mit „man“ und „ihr“ sind nie Alle gemeint. Die Betroffenen wissen Bescheid.