
Kürzlich fragte mich die 16-jährige Freundin meiner Enkelin, als wir am Tisch wieder einmal über das absurde Theater Donald Trumps sprachen: „Was erwartet uns denn in Zukunft?“ Und ich muss zugeben, die Frage warf mich einen Moment lang, ziemlich aus dem Tritt. Was antwortet man auf diese Frage einer 16-jährigen, ohne sie in Panik zu versetzen, überheblich und abgeklärt zu wirken, selbstkritisch und ohne zu lügen? Ich begann also zu stottern.
Bereits mein Einleitungssatz war ein rethorischer Rohrkrepierer. „Ich vermute mal nichts Gutes„. Genau die Einleitung, die ich eigentlich tunlichst vermeiden wollte. Der negative Frame (so nennt man den Rahmen, den man mit einer Einleitung setzt) bestimmte folglich den Rest der Antwort. Da halfen auch Begründungen und Erklärungen wenig. Ich hätte mich im Nachhinein dafür ohrfeigen können. Die junge Gymnasiastin war auf jeden Fall mehr irritiert, als zufrieden. Folglich habe ich lange über diese Frage nachgedacht, bin aber – wie ihr hier lesen könnt – nach wie vor unsicher, was wir dazu sagen sollten. Deshalb einige Gedanken dazu.
Ein Weg wäre das Dozieren (etwas, was ich besonders gut „beherrsche“). D.h. das belehren, liefern von Fakten, das begründen und lehrmeistern. Ob das allerdings ankommt, darf bezweifelt werden. Nicht nur, weil Fakten (oft) langweilig und Besserwisserei überheblich daherkommen, sondern vor allem, weil unsere Generation eine besondere Verantwortung für den Zustand der heutigen Welt trägt. Wir sind vermutlich die Letzten, die den moralischen Zeigfinger hochhalten dürfen und die Jugend in die Pflicht nehmen dürfen. Diese hat den angerichteten Schlamassel so oder so auszubaden – auch ohne unsere Besserwisserei. Eine Besserwisserei, die zumal etwas gar spät kommt und die vor allen Dingen zum zweifelhaften Zustand der Welt von heute geführt hat. Oder besser gesagt: Wir hätten es gewusst, die Bequemlichkeit hat uns aber daran gehindert, es besser zu machen. Und trotzdem steht da die Frage im Raum: Was erwartet uns?
Also Klappe halten oder sich rausreden, nach dem Motto: „Wer weiss schon was kommt„? Zwar richtig – die Zukunft vorhersagen konnte nicht mal das Orakel von Delphi – aber billig, denn wir wissen ziemlich genau, wie es um uns steht, wenn wir ehrlich sind. Vom Klima, zur Biodiversität, der wachsenden Ungleichheit, dem Rassismus bis hin zur Gewaltspirale an allen Ecken und Enden, liegen die Fakten auf dem Tisch. Geht es in gleicher Richtung und im gleichen Tempo weiter, ist eine Prognose nicht mehr schwer – mein „Ich vermute mal nichts Gutes„, entspringt genau dieser Denke. Es ist aber feige, denn eigentlich drückt man sich damit a) von der eigenen Verantwortung und b) unterbindet damit eine Diskussion. Also doch die ungeschminkte „Wahrheit“?
Aber was ist „die Wahrheit“ und an was messen wir unsere Erwartungen? Erwartungen sind nicht nur individuell sehr unterschiedlich und abhängig vom Alter, der gesellschaftlichen Stellung, sowie der Herkunft und der sozialen Klasse; sondern zeigen auch in unterschiedliche Richtungen. Entweder sind es Hoffnungen oder aber Ängste – je nach persönlicher Prägung und/oder Erfahrung. So wie für den Optimisten das Glas halb voll, so ist es für den Pessimisten halb leer. Und so wie für den Hungernden ein Stück Brot das Glück auf Erden, so ist für den Reichen das Haus an an der Côte d’Azure bestenfalls ein Statussymbol. Endgültig den Unterschied macht aber die Sicht auf die Welt von heute. Für die einen leben wir in der besten aller Welten (das dürften wohl vor allem jene sein, die in von den Segnungen unseres Systems profitieren) und für die andern stehen wir kurz vor dem Weltuntergang. Extrapoliert man jeweils das eigene Weltbild in die Zukunft, erscheint diese damit naturgemäss entweder golden oder tief schwarz. Was also antwortet man einem jungen Menschen auf seine Frage, was uns erwartet?
Erzählt man von den eigenen Ängsten? Bemüht man die Philosophen, die Wissenschaft oder zitiert man eine Parteilinie? Will man in Ruhe gelassen werden und klemmt die Frage mit einem banalen Spruch ab oder sucht man eine ernsthafte Antwort? In jedem Fall aber erzählt man mehr von sich, als von der möglichen Zukunft, die man erwartet. Denn eine objekte Wahrheit gibt es tatsächlich nicht. Und trotzdem ist die Frage der Jugend mehr als nur berechtigt, denn die Antwort darauf ist auch gleich eine Handlungsanweisung. Das aktuelle Geschehen liefert dazu anschauliche Beispiele.
Das vom Parlament ausgehandelte Co2-Gesetz zum Beispiel wird gleich von mehreren Seiten mit einem Referendum bekämpft. Von jenen Klimajugendlichen, für die es viel zu wenige weit geht (tut es, wenn man sich an die wissenschaftlichen Fakten hält) und für die andern bedeutet es den Verluste von Arbeitsplätzen und Profit (logischerweise das Autogewerbe und die Erdölimporteure). Wir alten Hasen wissen: Politik ist die Kunst des Machbaren. Die Kunst des Notwendigen ist leider nur in Krisen möglich – und solange die Klimakrise nicht als solche erkannt wird, wird es auch bei faulen Kompromissen bleiben. Wir dürfen also weitere Jahre auf eine Veränderung warten. In die Zukunft extrapoliert: Mehr Co2 in der Atmosphäre = mehr Dürren, Waldbrände, Stürme, Fluten, steigende Meeresspiegel und Flüchtlinge. Wir wissen nur noch nicht wann, wo was in welchem Umfang eintritt, aber wir (können) wissen, dass es eintritt. Das macht den einen Angst, während es die andern nicht wahr haben wollen oder im schlimmsten Fall gar leugnen, weil ihnen der kurzfristige Profit oder die eigene Bequemlichkeit wichtiger ist. Welche Seite der Geschichte erzählen wir nun? Die der Bedenken, die des Profites oder wiegeln wir ab, weil wir es selber nicht wissen (wollen)?
Nehmen wir ein anderes naheliegendes Beispiel. Die Corona-Pandemie, welche gerade zur 2ten Welle ansetzt. Selten hat sich in einem einzelnen Ereignis das Irrationale des Menschen deutlicher manifestiert, als der Umgang mit dieser Seuche. Die Verhaltenspalette ist in etwa so breit, wie der Pazifik und macht vor keiner Hierarchiestufe halt. Während die Virologen um Fakten ringen und Politiker um ihre Wiederwahl, fordern die andere ein Ende aller Massnahmen und proben gar den Aufstand. Dabei wird gelogen, negiert, laviert und um Kompromisse gerungen. Je nachdem ob das Virus für mich eine Lüge, ein Mittel zum Zweck (zum Beispiel um uns alle überwachen zu können) oder eine ernsthafte Bedrohung ist (persönlich und/oder für das Gesundheitssystem), fällt die Antwort auf die Frage, was uns erwartet anders aus. Donald Trump meint wir sollten uns nicht fürchten, er hätte es ja überlebt – die WHO spricht weiterhin von einer möglichen Katastrophe. Was sage ich der jungen Gymnasiastin?
Erwartungen, vor allem aber Prognosen die Zukunft betreffend, sind immer eine Frage des eigenen Standpunktes und dieser hängt davon ab, wo ich gerade stehe. Die Antwort des Präsidenten von Swissoil auf die Klimakrise wird so zwangsläufig anders ausfallen, als jene des Maisbauern in Mexiko, der auf seinem verdorrten Feld steht. Es gibt allerdings einen durchaus verlässlichen Kompass, der uns auch in der Vergangenheit schon gute Dienste erwiesen hat. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Menschenrechte. Beide nicht perfekt, aber etwas besseres haben wir nicht. Auf die Frage nach den Erwartungen gibt es also nicht die eine Antwort, sondern bestenfalls Hinweise. Hinweise was man z.B. lesen könnte, wo man nachschauen und fragen kann und sich Gedanken macht, wie man selber gerne leben möchte. In der Summe, entsteht dann idealerweise eine Handlungsanweisung. Allein diese führt uns in die Zukunft.