
Kaum ist der Verpackungsmüll des Singles Day (11.11.) entsorgt, rollt der Black Friday – oder gleich eine ganze schwarze Woche auf uns zu. Da das Christmas-Shopping in New York dieses Jahr pandemiebedingt ausfallen muss, konzentriert sich das Weihnachtsgeschäft dieses Jahr wohl auf das Online-Shopping. Zumindest in jenen Ländern, wo die Geschäfte wegen des Lockdowns geschlossen sind. In Frankreich ruft deswegen sogar die Politik zum Boykott von Amazon – dem grössten Profiteur der gegenwärtigen Krise – auf. Hierzulande natürlich auch, wobei auch die Einkaufszentren und Warenhäuser zur Konsum- und Rabattschlacht rufen. Wer dieser Tage ein solches besucht, weiss was ich meine.
Nichts neues also. Der Konsumrausch vor Weihnachten wird ja schon seit Jahrzehnten mit Glitzer, Glamour und bunten Faltprospekten angekurbelt. Mit Erfolg – die Umsätze steigen Jahr für Jahr und dies obwohl diese Konsumorgie mindestens ebenso lange in der Kritik steht – erfolglos. An Weihnachten verhallen Warn- und Mahnrufe offensichtlich ungehört. In Zeiten des Online-Handels umso mehr – die 85 Milliarden Vermögenszuwachs des Amazon-Besitzers Jeff Bezos (allein in diesem Jahr), liefern dafür einen eindrücklichen Beleg. Doch – was ist den eigentlich so verwerflich an dieser Schnäppchenjagd, dem Online-Shopping oder Black Friday? Vor allem – wieso sollten wir uns schlecht fühlen, wenn wir uns über ein günstiges Schnäppchen freuen?
Müssen wir natürlich nicht. Wer freut sich nicht über ein günstiges Schnäppchen, vor allem dann nicht, wenn er/sie sich dieses mit seinem Lohn, sonst nicht leisten könnte oder nur auf Kredit. Im Idealfall natürlich doppelt gemoppelt – noch mehr Schnäppchen gibt es natürlich auf Kredit. Wer die Angebote zum Black Friday studiert, bekommt auch gleich die „Finanzierung“ mitgeliefert. Kauf jetzt – bezahle später (in bequemen Raten). Ein Idiot wer da nicht zugreift. (wer erinnert sich nicht an die unsägliche Media-Markt Werbung „Ich bin doch nicht blöd?“). Heute braucht es diese Slogans nicht mehr – die „Geiz ist geil Mentalität“ ist zwischenzeitlich Teil unserer DNA. Nur Blöde kaufen zu teuer. Die Online-Riesen Amazon und Alibaba haben sie sogar zum Geschäftsmodell gemacht. Ihr Weihnachten feiern diese nicht nur an Black Friday, sie feiern diese 365 Tage im Jahr – insbesondere in Zeiten von Lockdown und Pandemie. Soll man sich deshalb daran stören oder gar mit-boykottieren? Soll man sich in Verzicht üben? Nur noch die lokalen Kleinstprozenten aus der Region berücksichtigen? Ausschlieslich Qualitätsprodukte vertrauenswürdiger Hersteller kaufen? Wo liegt den eigentlich das Problem – falls es überhaupt eines ist?
Nein – es ist nicht ein Problem, es ist DAS Problem schlechthin. Und nein – es ist nicht das Problem des sparsamen Konsumenten, der sich mit günstigen Produkten eindecken will – es ist weil unser gegenwärtiges Wirtschaftssystem nur durch ewiges Wachstum am Leben erhalten werden kann. „Ewiges Wachstum“ in einem endlichen System, ist wie unaufhörlich Luft in einen Ballon zu pumpen – irgendwann platzt er. Denn es gilt: Je mehr von allem, desto mehr Jobs, mehr Umsatz, Gewinn, Steuern usw. Ohne „mehr“ droht der Kollaps. So gesehen, folgen wir nur der Logik des Systems. Also alles in bester Ordnung?
John Maynard Keynes, der wohl bedeutenste Oekonom des 20igsten Jahrhundert (1883-1946) progonostizierte bereits in den 30iger Jahren eine 15-Stunden Arbeitswoche, da er davon ausging, dass der technologische Fortschritt viel menschliche Arbeit überflüssig machen würde. Der (technologische) Fortschritt fand unbestrittenermassen statt – sogar schneller und umfassender als je geahnt. Aber weshalb arbeiten wir dann immer noch 40 und mehr Stunden in der Woche? Und weshalb sah er die gegenwärtige Entwicklung nicht voraus?
Dazu drei (mögliche) Antworten.
Früher (also noch bis vor ca. 75 Jahren) produzierten wir vorwiegend Produkte die wir wirklich brauchten. Also Möbel (die ein Leben lang benutzt wurden z.B.), Lebensmittel die wir täglich brauchen oder Geräte, die wir täglich nutzten (Sensen, Sägen, Körbe etc.). Die Produkte waren wertvoll und teuer – man hielt ihnen entsprechend Sorge und reparierte sie, wenn sie kaputt gingen. Mit der industriellen Massenproduktion änderte sich dies nachhaltig. Es wurde, trotz Bevölkerungswachstum, immer mehr und mehr produziert, als wir zum Leben wirklich brauchten. So entstand die Konsumgesellschaft, das „Marketing“ (Bedarf ankurbeln) und die Müllberge. D.h heisst: Die Produkte sind billig, von mässiger Qualität (das Kaputtgehen ist sozusagen eingebaut) und der Lebensszyklus wird (künstlich) verkürzt – schon nach wenigen Jahren ist es überholt und man erhält kaum mehr Ersatzteile oder es lässt sich überhaupt nicht mehr reparieren. Die Müllberge wachsen und die Umwelt (also wir!) leidet.
Wo bis vor wenigen Jahrzehnten in grossen Fabriken eifrig produziert wurde, werden diese Fabrikhallen heute als Einkaufszentren, Eventhallen, sowie Freizeit und Sport genutzt (man denke nur an Sulzer in Winterthur). Die Waren welche wir kaufen, werden längsten in Asien produziert. Kleider in Bangladesh, Schuhe in Kambodia, Handys in China usw. Die Rohstoffe liefert Afrika und wir kaufen billig ein. Am günstigsten bei den grossen Online-Händlern wie Amazon oder Alibaba natürlich. Der Black Friday (der nicht ohne Grund von diesen Firmen nach Europa gebracht wurde), dient im Prinzip nur dem Abverkauf der weltweiten Überproduktion. Wir kaufen, weil es ein Schnäppchen ist, freuen uns und die Müllberge wachsen weiter.
Wir sind also in einer doppelten Abhängigkeit, aus der es kaum ein Entrinnen gibt. Ewiges Wachstum, weil sonst das ganze System kippt und die Abhängigkeit von ausländischen Zulieferern und günstigen Transporten – also billigem Erdöl. Das Klima dankt.
Sind wir also alle schuldig, wenn wir auf Schnäppchenjagd gehen?
Schuldgefühle kann man dann haben, wenn man etwas mit-verantwortet und es besser machen könnte. Aber haben wir wirklich Einfluss auf die weltweite Produktionsweise und den Vertrieb? Haben wir natülich nicht. Das liegt ausschliesslich in den Händen jener, die diese Woche einmal mehr gefeiert werden (die 300 Reichsten….) – anders gesagt, bei jenen, die das Geld haben und bestimmen wo sie am (billigesten) produzieren lassen. Und vergessen wir nicht: Für viele sind die sog. Schnäppchen auch überlebensnotwendig. Fehlt ein gutes und gesichertes Einkommen (und in der Pandemie wird der Graben zwischen Arm und Reich noch tiefer), ist günstig Einkaufen eine Überlebensstrategie. Moral kann sich (leider) nur leisten, wer das Geld dazu hat. Dummerweise fehlt diese oft aber gerade bei jenen, die am meisten davon haben. Der schmutzige Abstimmungskampf der Gegener der Konzernverantwortungsinitiative lassen nur diesen Schluss zu.
Bleibt die Erkenntnis: Es ist verzwickt und wir sollten uns vor vorschnellen Urteilen hüten. Es bleibt aber auch die Erkenntnis, das wir etwas daran ändern müssen – sonst platzt der Ballon, auf dem wir sitzen. Über das was und wie, können und dürfen wir streiten – das ob und wann ist keine Option mehr – dieser Zug ist abgefahren. Pandemie und Klimakrise sollten uns Warnung sein. Machen wir also Druck auf all jene, die etwas zu bewegen haben . Die Reichen, die Politik und die Konzerne. Immerhin haben wir hier in der Schweiz noch die Möglichkeit dazu. Nutzen wir sie!