04.12.2020: Advent, Advent der …

Christbaum brennt – heisst es in einem doppeldeutig gemeinten Reim. Ist es das Leuchten der Lichter in der dunklen Jahreszeit oder aber die sich anbahnende Katastrophe, die uns bewegen? Es ist Anfang Dezember und die Lichterketten an Häusern, in Gärten und den Strassen strahlen um die Wette. So weit also, alles wie gehabt – das Jahr neigt sich dem Ende zu, die Kinder freuen sich auf die Geschenke, die Geschäfte auf Umsatz und die Skigebiete auf Gäste. Doch der Schein trügt – wir schreiben 2020 und es ist alles anders. Wirklich alles?

Gerade macht die Schweiz im Ausland eine ziemlich miese Falle. Das ZDF berichtet davon in ihrem Auslandjournal und reibt sich verwundert die Augen. Und im Tagesanzeiger schreibt ein Deutscher enttäuscht, von der Schweiz als Drittweltland, dass Profit über Menschenleben stellt. Die halbherzigen Massnahmen, trotz rekordhoher Toten und Infizierten, und das offensichtliche Primat der Wirtschaft vor Menschenleben, irritiert zutiefst. Die Schweiz – einst leuchtendes Vorbild und Hort von Freiheit, Stabilität und Demokratie (Selbstwahrnehmung) verspielt gerade ihr grösstes Kapital – ihren guten Ruf. Unter dem Lichterglanz erscheint die dunkle Seite eines privilegierten, verwöhnten und egoistischen Landes, welches an ihrem Sonderfall mit Zähnen und Klauen festhält – egal was es den einfachen Bürger kostet.

5000 Tote, volle Spitäler, überlastetes Gesundheitspersonal – egal. Ein Gejammer und Gemotze wenn nur schon Einschränkungen diskutiert werden – was kümmern uns die Alten? Die $VP probt den Aufstand gegen die Forderung der Nachbarländer die Skibetriebe erst im Januar zu öffnen, während sie die eigenen Restaurants im Regen stehen lässt – der teilweise Erlass der Geschäftsmieten wurde vom Parlament eben gebodigt. KMU sind nur dann von Interesse, wenn man sie gegen Menschenrechtsverletzungen und Umweltsünden der Grosskonzerne im Ausland missbrauchen kann (Konzernverantwortungs-Initiative). Wahrlich – nicht nur das Wetter ist grau und trübe – auch meine und die Stimmung im Lande. Selbst die unzähligen Girlanden und Glühbirnen leuchten vergebens gegen diese Dunkelheit an.

Male ich wieder einmal zu schwarz? Bin auch ich ein Opfer des weitverbreiteten Pandemietrübsinns? Ist es am Ende nur der Nebel? Ober bin ich einfach frustriert über die verlorene Abstimmung, in die so viele engagierte Schweizerinnen und Schweizer Hoffnungen gesetzt haben. Die Hoffnung, dass Anstand, Moral und Verantwortung endlich über die Profitgier siegt. Ja – ich bin frustriert, wenn auch nicht überrascht. Denn, was sowohl unsere Pandemie-Politik, wie das Abstimmungsresultat zeigen, hat schon Berthold Brecht vor 80 Jahren gewusst: „Das Fressen kommt vor der Moral„. Ein Prinzip, dass wir in der Schweiz zur Perfektion getrieben haben. Nicht erst seit heute. Wer den kürzlich ausgestrahlten Film „Frieden„, im Schweizer Fernsehen, gesehen hat, weiss wie es um die „Moral“ der politischen und wirtschaftlichen Schweiz bestellt war und (immer noch) ist. Brutal gesagt: Inexistent!

Während wir also unseren letzten Kredit im nahen Ausland verspielen und sogar das WEF, wegen unseres Corona-Sonderzugs, nach Singapur auswandern will, jammern die Lobbyisten aller Branchen über ihren nahenden Untergang und das Parlament übt sich in unterlassener Hilfeleistung (kein Mieterlass, Bürokratie statt Hilfe, der Kanton Zürich zahlt frühestens im März – die Liste der Versäumnisse ist unendlich lang). Man fragt sich unweigerlich: Für wen wird hier gesorgt? Welche Interessen werden hier bedient? Was reitet unsere Wirtschafts- und Politelite? Ist es Unvernuft, Unwissen, Unwillen oder einfach nur Bosheit? Ich weiss es nicht – vermutlich ist es einfach „Ideologie“, also ein unverrückbares Weltbild, dem man stur folgt. Auf jeden Fall verspielen sie alle gerade ihren letzten Kredit – nicht nur bei mir, bei vielen.

Was ich auf jeden Fall konstatiere: Was in ruhigen, normalen Zeiten als Erfolgsmodel gilt (das föderalistische System, die Kompromissfähigkeit und die direkte Demokratie), versagt in der Krise grandios. Im In-, wie im Ausland. Der Reputationsschaden ist kaum zu beziffern und die Legitimation nimmt immensen Schaden. Nicht nur wegen der Gleichgültigkeit gegenüber den täglich 100 Toten – das Hängenlassen ganzer Branchen wird sich noch auf Jahre hinaus auswirken. Die Pleitewelle zeichnet sich am Horizont bereits ab. Und um der Verlogenheit noch die Corona aufzusetzen, verweigern die Bürgerlichen nicht nur eine angemessene Unterstützung, sie protestieren auch gegen längst fällige Massnahmen (Restaurants, Schulen, Läden schliessen z. B.) um Tote und Infektionen auf ein erträgliches Mass zu senken und jammern gleichzeitig, wenn sich das Ausland abwendet und über Grenzschliessungen nachdenkt. Mehr Schizophrenie ist kaum mehr möglich.

In 3 Wochen ist also Weihnachten und in 4 rückt der Zähler um eine Eins vor. Wer freut sich nicht darüber, dieses Kriesenjahr endlich abhaken zu können. Allerdings sind wir drauf und dran mit einer dritten Welle ins neue Jahr zu starten – zwei sind wohl nicht genug. Ja, wir „können Corona“ *ironieoff. Eine Impfung ist bis dahin noch in weiter Ferne. Denn während die Nachbarländer Impfzentren aufbauen, schauen und warten wir zu. Immerhin das beherrschen wir in absoluter Vollendung.

Um aber doch noch einen versöhnlichen Schluss zu finden, sei an dieser Stelle erwähnt, dass sich die grosse Mehrheit der Krise bewusst ist und sich „eigenverantwortlich“ zurück hält. Die wenigen Querköpfe sind Quantité négligable, welche wir gestrost ignorieren können. Ohne die Vernunft der Mehrheit wären wir nicht nur knietief, sondern bis Unterkannt Oberlippe im Seich. Wer an dieser Mehrheit vorbei-politisiert muss sich dann über zukünftige Wahlergebnisse einfach nicht wundern – vorausgesetzt, das Gedächtnis leidet nicht unter Langzeit-Covid.

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