06.05.2020: Grenzerfahrungen

Wie könnte es anders sein – einmal mehr die Corona-Pandemie. Ja – das politische Theater, welches zur Zeit darum veranstaltet wird auch. Es geht aber um unseren Alltag und unser Zusammenleben im Corona-Zeitalter. Grenzerfahrungen aus denen wir lernen (.sollten)

An der Grenze zu Deutschland, Mai 2020

Wie wahrscheinlich alle, habe auch ich die Nase voll von Corona und deshalb wollte ich diese Woche einmal über etwas anderes schreiben. Themen hier und auf der Welt gäbe es wohl genug. Klimakrise, Arm und Reich, Gift im Wasser, Bienensterben oder das Verhältnis der Schweiz zu Europa lassen sich vom Corona-Virus kaum beeindrucken. Und nur weil etwas nicht als Schlagzeile in der Presse steht, heisst es nicht, dass es nicht existiert. Im Gegenteil – im „Verborgenen“ entwickeln sich oft die Probleme, die uns morgen beschäftigen.

Leider nimmt das Virus keine Rücksicht auf unsere Befindlichkeiten und Absichten und belastet auch unseren Alltag. Dabei stressen uns weniger die empfohlenen Massnahmen oder die geschlossenen Beizen – deren Sinn wir ja einsehen – Sorgen machen uns die politischen Begleiterscheinungen, sowie der Umgang mit den unterschiedlichen Ansprüchen und Verhaltensweisen.

Über die zahlreichen kruden Verschwörungstheorien, die in den Sozialen Medien und auf der Strasse herumgereicht werden, brauche ich mich nicht mehr auszulassen. Diese werden (zum Glück) auch von der „seriösen“ Presse thematisiert und zur Diskussion gestellt. Heikel wird es jedoch dann, wenn sich aus einer abstrusen Behauptung und FakeNews Handlungsmaximen entwickeln und z.B auf Abstandsregeln gepfiffen und Versammlungsverbote ignoriert werden.

Doch nicht genug, dass es welche gibt, die sich um solche Regeln futtieren, sie werden auch noch durch politische Parteien gestärkt, die das Virus wie einen lästigen politischen Gegner behandelt und meinen man könne diesen mit Mehrheiten im Parlament, abstrusen Forderungen oder dem Druck der Strasse besiegen. Was in der Klimakrise zu funktionieren scheint – Experten negieren, beschimpfen und Feindbilder (Greta, Grüne und Linke) basteln – soll es auch in der Pandemie richten. Ein gefährlicher, wenn nicht gar tötlicher Trugschluss. Der Unterschied: Die Klimakrise lässt sich „verdrängen“, da sie sich schleichend entwickelt – ein Virus entwickelt sein Potenzial deutlich schneller. Das die Sorgen der Wirtschaft ernst zu nehmen sind, ist unbestritten. Diese über das Leben von Tausenden zu stellen, halte ich für inakzeptabel.

Stress

Letzten Sonntag haben wir unseren Enkeln (im Teeniealter) zeigen wollen, was geschlossene Grenzen konkret bedeuten. Hier an der Grenze zu Deutschland materialisiert sich der ganze Spuk besonders deutlich und begleitet uns tagtäglich. Nicht nur, dass die Armee ständig über unser Dorf fliegt und Ausschau nach „illegalen“ Grenzübertritten hält – auch die unterbrochenen Buslinien, die geschlossenen Tankstellen und die Betonblöcke mitten in den Strassen zeugen von der Ausnahmesituation. Wer von geschlossenen Grenzen träumt, wie zum Beispiel die $VP, soll doch bitte mal einen Blick auf die Grenze werfen – es ist ein trauriges Bild. Schon fast rührend war es dann am Sonntag, als sich Verwandte, Bekannte und Freunde an den Betonblöcken und Absperrgittern besuchten um einen Schwatz zu halten oder um sich einfach wieder einmal zu sehen. Es war nicht nur für unsere Enkel beklemmend und beeindruckend zugleich.

Wirklichen Stress aber machen uns all die unterschiedlichen Meinungen, Ansprüche und Haltungen, mit denen wir konfrontiert werden. Die Verhaltenspalette reicht von locker-legere, über vorsichtig-zurückhaltend bis penibel-übertrieben. Welche Haltung ist nun die Richtige? Stösst man Freunde und Familie vor den Kopf, wenn man ein anderes Verhalten einfordert? Wo liegt die Toleranzschwelle. Welche Haltung nehme ich (wir) ein und wie kommunizieren wir das? Wir geben es zu, wir haben den goldenen Mittelweg noch nicht gefunden und ringen jeden Tag mit neuen Ansprüchen und Verhaltensweisen. Wir wissen instinktiv, dass Angst ein schlechter Ratgeber ist – wie aber auf jemanden reagieren, der sich genau davon leiten lässt? Genau so gefährlich das Gegenteil – wie reagiere ich auf Menschen die mir zu nahe kommen und auf Abstandregeln pfeiffen? Ängste ernst nehmen und respektieren – ja, den Lockdown-Überdruss – auch. Sich dazwischen zurecht zu finden, ohne sich selbst zu verleugnen, Freunde zu bruskieren oder gar Freundschaften zu riskieren, ist der eigentliche Stress. Manchmal wünschten wir, wir können zurück auf unser Schiff und weit draussen im Ozean die Krise aussitzen. Traümen ist zum Glück noch erlaubt.

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