
Heute feiert mein Vater den 96igsten Geburtstag. Anlass zur doppelten Freude gibt aber das glimpfliche Ende seiner Corona-Erkrankung – seit vorgestern, darf er sogar wieder aus dem Haus. Und da sich bisher auch bei Bruder, Onkel und Tante keine lebensbedrohlichen Symptome zeigen und meine Mutter verschont wurde, ist es eine Woche der Freude und der Dankbarkeit – zumindest in der Familie. Alles übrige ist Thema dieses Blogs.
Zum Zeitpunkt, wo ich diesen Blog schreibe schweben wir und die Welt zwischen Hoffen und Bangen. Wer glaubte, der 3. November würde uns vom Irrsinn und Wahnsinnigen im Oval Office befreien, wurde jäh in die Realität katapultiert. Und wie es aussieht, dürfte dieses Chaos noch einige Zeit die Schlagzeilen beherrschen. Was im Detail auch immer die Gründe für dieses knappe Resutat waren: Es zeigt vor allem eins – wie verzweifelt Menschen sein müssen, dass sie dermassen gegen ihre eigenen Interessen wählen. Oder tun sie das am Ende gar nicht? Von Bill Clinton stammt ja das berühmte Zitat: „It’s the economic stupid“ (sinngemäss: Es dreht sich alles um die Wirtschaft) und wenn man den ersten Analysten glaubt und die Börsenkurse verfolgt, könnte man meinen, dem wäre tatsächlich so. Dabei haben doch „dank“ der präsidialen Corona-Verharmlosung, Millionen ihren Job und Hundertausende ihr Leben verloren – warum zählt das nicht? Warum wählen Latinos, die Trump wahlweise als Vergewaltiger oder Kriminelle verunglimpft, und derentwegen er eine Mauer zu Mexiko baut, diesen Mann? Weshalb legt ein Rassist, der die Black Lives Matter Bewegung als Terroristen beschimpft, sogar bei Schwarzen Wählern zu? Ist es Dummheit, Hoffnung oder Kalkül. Also Kopf oder Bauch?
Ich leben nicht in Amerika und deshalb bin ich auch nicht in der Lage diese Fragen schlüssig zu beantworten. Und auch wenn ich über ein Dutzend mal durch das Land gereist bin und der augenfällige Graben zwischen Arm und Reich als erstes ins Auge sticht, so ist die Realität wohl komplexer, als wir hier in Mitteleuropa ahnen oder wissen. Vielen geht es dreckig, vielen fehlt eine Zukunftsperspektive, haben Schulden und keine Krankenversicherung. Wählt man deshalb jemanden, der mit Garantie nichts für mich tut, ausser mich mit billigen Sprüchen abzuspeisen? Oder reicht es, dass der Typ meiner Wahl „Law and Order“ schreit, den Kommunismus an die Wand malt und Steuern für die reichsten 10% senkt? Reicht das Versprechen Umwelt und Menschenrechte für Jobs zu opfern? Es scheint fast so. Doch Halt! Wer wählt denn hier in der Schweiz die $VP oder in Deutschland die AfD? Zwei Parteien welche konsequent auf dem Buckel des „sogenannt“ kleinen Mannes sparen, gegen jede soziale Absicherung Sturm laufen und ausser Steuern optimieren für Konzerne und reiche Geldsäcke nichts für ihre Wähler tun? Der Unterschied zwischen den Amerikanischen Republikanern und der Sünnelipartei ist in Wahrheit klein. Beide schüren sie Ängste (hier Europa, Ausländer und Sozialschmarotzer – dort China, Schwarze und kriminelle Latinos) und bedienen die Interessen einer reichen Oberschicht. Der einzige Unterschied ist der offensichtlich Wahnsinnige am Ruder.
Gerade lese ich den x-ten Bereicht und das x-te Interview eines politischen Kommentatoren in einer hiesigen Zeitung. Um mich auf die Wahlen einzustimmen, las ich x Bücher amerikanischer Autoren (sogar von Republikanern). Alle beklagen die tiefe Spaltung Amerikas und keiner macht wirklich Hoffnung. Manche sprechen gar von einem möglichen Bürgerkrieg. Aber wenn man es genau nimmt gleicht das Land eher Ozeanien. Es besteht aus vielen, kleinen, weit voneinander entfernten Inseln. Ob es wirklich zu Gewalt kommt, steht in den Sternen – die Angst ist aber berechtigt. Solange ein Irrer auf dem Atomkoffer sitzt, kann diese nicht gross genug sein. Sich davon aber lähmen zu lassen, wäre fatal. Ich merke persönlich, wie mir dieses Affentheater namens Wahlen 2020 an die Psyche geht. So sehr, dass ich mich aus aus den hysterischen Schlagzeilen über die wechselnden Mehrheiten in den einzelnen Gliedstaaten ausgeklinkt habe und nur noch auf ein Schlussresultat warte. Dabei schwingt die stille Hoffnung mit, das Getöse möge ein baldiges Ende finden. Eigentlich ist mir schon fast egal wer am Ende „gewinnt“. Noch schlimmer aber – meine Hoffnung ist vergebens, weil schon alle verloren haben:
Die Demokratie: Wenn nicht mehr jede Stimme zählt, oder zählen soll, wie Trump ununterbrochen twittert,(STOP COUNT VOTE) oder seine Behauptung seine (mögliche) Abwahl wäre Betrug etc. etc., der untergräbt direkt die Glaubwürdigkeit der Demokratie.
Die Legimität des Gewählten: Egal wer am Schluss im Weissen Haus sitzt, dessen Legimität ist in Zweifel gezogen. Was er auch immer tut, sein Handeln ist illegitim. Die Fronten verhärten sich.
Das Vorbild: Bzw. deren Diskreditierung in der ganzen Welt. Wenn es die Vorbilddemokratie Nummer 1 in der Welt nicht mehr schafft Vorbild zu sein, wer dann? Es stärkt genau jene Kräfte die Demokratie und Menschenrechte schon jetzt zumTeufel wünschen. Putin, Erdogan, Orban, Bolsonaro usw. reiben sich die Hände. Das Credo des „Ich zuerst“, wird sanktioniert und salonfähig. Jeder gegen jeden.
Selbst wenn am Ende der demokratische Kompromisskandidat gewählt wird, der Scherbenhaufen ist angerichtet und die Reparatur auf lange Jahre unmöglich. Und auch er wird die Gräben in 4 Jahren nicht zuschütten können. Statt echte Herausforderungen, wie Klimawandel, Digitale Revolution, Biodiversität, Migration, Armut und Migration, werden Energie und Ressourcen für sinnlose Gefechte um Position, Einfluss und Macht im Zentrum stehen – Gewalt, bis hin zu Kriegen nicht ausgeschlossen. Verschärft wird das Gemenge noch durch die Müdigkeit, die sich breit macht. Ja, ich denke viele sind müde. Müde von den Lügen, dem Getwitter , der Aussichtslosigkeit, der Pandemie und der Perspektivlosigkeit. Eine Verschnaufpause täte Not – leider ist sie nicht in Sicht. Bleibt nur noch das Stummschalten der Kanäle. Die dadurch gewonnene Ruhe hätten wir dann – allerdings eine trügerische. So geh ich dann den Geburtstag meines Vaters feiern. Prost!