Bewusstsein und bla bla

Die Pausen zwischen meinen Blogs werden länger. Nicht weil es nichts zu kommentieren gäbe – im Gegenteil. Noch selten war der Bedarf an Klärung und Debatte so gross, wie gerade jetzt. Krisen und beklagenswerte Thema häufen sich und verschwindet eines aus den Schlagzeilen, macht sich ein halbes Dutzend neue breit. Bei aller Wachheit, Neugier und Interesse: Es ist zu viel. Was vor allem fehlt, ist die Zeit zur Reflexion und zur Einordnung der Ereignisse. Das einzige was wächst, ist das Bewusstsein über die eigene Ohnmacht. Endlospandemiebedingt pendelt der Gemütszustand dann zwischen müde, wütend (auf was und wen auch immer) und Resignation. Schlimmer macht dieses nur das Bewusstsein, dass im Hinterhalt weit grössere Krisen lauern. Ein Alarm löst den nächsten ab. Daueralarm wird zum Normalzustand. Fieber zum neuen Normal.

Die Befürchtung, dass der Patient in diesem Zustand irgendwann kollabiert, kann jeder Feld Wald und Wiesen Arzt, ohne Konsultation des Diagnosehandbuchs, bestätigen. Eine Befürchtung die auch ich teile. Was aber bringt mir dieses Problem-Bewusstsein, ausser Sorgen, schlaflose Nächte und zynische Kommentare auf den Sozialen Medien? Vielleicht ein Erkenntnisgewinn? Z. B. dass sich unsere Gesellschaft in einer Sackgasse befindet und keinen Platz zum Wenden findet? Wir so oder so am Arsch sind? Oder wir mehr dunkles Mittelalter mit uns schleppen, als uns lieb und bewusst ist? Was als Erkenntnis bleibt, führt bei mir gerade zu einer tiefen Verunsicherung. War alles, was ich bisher glaubte falsch? Liege ich gar falsch?

Ich war immer stolz auf meine Belesenheit und das „richtige“ Bewusstsein. Das Bewusstsein auf der richtigen Seite der Barrikade zu stehen. Aufgeklärt. Progressiv. Offen und zumindest der meisten meiner Vorurteile bewusst. Und nun muss ich feststellen, dass mich das mehr belastet als mir wirklich weiter hilft. Alles Wissen dieser Welt nützt nichts, wenn es ins Leere fällt. Auch eine noch so grosse Bubble (früher hiess es mal Milieu), in der man sich wohl und geborgen fühlt, täuscht irgendwann nicht mehr darüber hinweg, dass sich etwas bewusst zu sein, allein noch nichts bewirkt. Zu Deutsch: „Richtiges“ Bewusstsein beruhigt zwar das „schlechte“, Gewissen, ändert aber nichts an den Tatsachen. Wissen ohne Macht ist Ohnmacht. Noch selten war mir das so bewusst, wie gerade heute.

Soweit zur Kränkung meiner narzisstischen Seele. Andererseits heisst Bedeutungslosigkeit auch Freiheit. Das Privileg die Wahrheit auszusprechen, hatte nicht umsonst der Hofnarr. Es gibt durchaus miesere Rollen – immerhin blieb sein Kopf auch dann auf seinem Hals, wenn er unangenehme Wahrheiten aussprach. Auch wenn ich nicht über die schauspielerischen Fähigkeiten eines Leonardo Di Caprio verfüge, reichen meine doch, die Ruhe stören. Eine Rolle die mir liegt. Und diese werde ich auch weiterhin spielen. Vielleicht braucht es auch einfach mehr Narren. Laut Volksmund sind es diese, die Kinder und der Wein, aus denen die Wahrheit spricht. Mit Wein und Narr kann ich dienen. Das Kind in mir wird dafür bei Schokolade schwach.

Gerade poppen die Hochrechnungen zum Covid-Gesetz rein und besänftigen mein erhitztes Gemüt. Eine Schlacht ist geschlagen und es bleibt alles beim Alten. Denn entgegen der verlogenen Spalterpropaganda, des durch Milliardäre finanzierten Nein-Lagers, wird morgen weder die Diktatur errichtet noch jeder und jedem eine Spritze verpasst. Es bleibt einfach, wie es ist. Der Bundesrat wird sich weiter durch die Krise wursteln. Einmal diesen und einmal jenen ein Stöckchen hinwerfen, während das Virus elegant darüber springt. Irgendwann wird so jede:r geimpft, genesen oder gestorben sein – versprochen. Die gute Nachricht: Covid ist zum Glück nur ein Trainingscamp. Ein Übungsfeld quasi. Ausserdem lenkt es schon fast idealtypisch von den wirklichen Herausforderungen ab. Zwar sind auch diese längst benannt und bekannt, werden aber eher dazu benutzt hehre Ziele zum Machterhalt, als handfeste Realpolitik zu produzieren. Jede:r (ausser für ein paar Ewiggestrige), der/die auch morgen noch gewählt werden will, ist deshalb grün, für das 1,5 Grad Ziel und Innovationen. Und selbstverständlich für Wachstum. Denn ohne Wachstum keine Zukunft, bzw. keine Wählerstimmen. Dass sich dies widerspricht, fällt niemandem auf, oder wird verschwiegen. Eine Zukunft mit weniger, ist schlicht nicht vorstellbar. Weniger heisst schlicht und einfach: Krise. Deshalb sollen es Tesla, Photovoltaik und Green Fuel richten. Mehr Innovation verspricht mehr von allem. Wohlstand, Profite, Arbeitsplätze und Lebensstandard. Und da die Gefahr besteht, dass doch das eine oder andere verboten oder teurer wird, noch schnell einen Flug auf die Malediven buchen, bevor sie in den steigenden Fluten versinken, zur Profitmaximierung noch schnell eine billige Ölheizung in den Keller schrauben oder zur Beruhigung des schlechten Gewissens einen Ökotrek auf den Kilimandscharo machen. Egal und wie auch immer, geht in China wöchentlich ein neues Kohlekraftwerk ans Netz, plant Frankreich munter weitere Atomkraftwerke, während die Messstation auf dem Mount Mauna Loa Jahr für Jahr mehr CO2 in der Atmosphäre misst. Klimapolitik ist gut für Konferenzen, Parteiprogramme und Wahlkampfreden, aber schlecht für die Tagespolitik. Wähler mögen weder höhere Preise noch Verbote. Wähler mögen eine goldene Zukunft. Falls diese grün sei soll, sei sie halt grün. Wenn man scheitert, hat man ja genügend Schuldige zur Hand. Das erwähnte China, die unwilligen Wähler oder die Fehlprognosen der Wissenschaft. Und wie die Klimakrise gemanagt bzw. missbraucht wird, geht es bei der Artenvielfalt , der Migration, der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich usw. Lösungen werden in die Zukunft geschoben, während die Tagesgeschäfte munter weiter brummen. Treffender als Greta Thunberg kann man es kaum formulieren: Bla bla bla bla.

Male ich wieder mal zu schwarz? Ich fürchte nein. Ich gebe lediglich Beobachtungen weiter. Das mag schmerzen, ist aber leider die Realität. Kurz gesagt: Zwischen (Problem)Bewusstsein und Sein öffnen sich Abgründe. Wären diese so leicht zu überwinden, wie die Massnahmenkrise mit dem Ja zum Covid-Gesetz, könnten wir optimistisch in die Zukunft schauen. Immerhin wurde in Zürich das Energiegesetz angenommen – ein Kerzchen in der Dunkelheit. Ob dieser Optimismus gerechtfertigt ist, wird diese zeigen. Dummerweise entzieht sich diese jeder Prognose. Derweilen mache ich weiter. Dazu gehört nebst Ruhestörung und einem geschärften Bewusstsein auch eine Photovoltaikanlage auf meinem Haus. Ohne Tat bleiben Worte leer. Bla bla eben.

Unbegreiflich

Letzte Woche traf ich mich wieder einmal mit meinen Freunden aus den Sturm- und Drangjahren. Der Zeit also, als wir die Welt noch aus der Angel heben und die proletarische Revolution ausrufen wollten. Symbolträchtig fand unser Männergipfel bei Pasta und Wein, an dem Ort statt, wo wir uns vor bald 50 Jahren, beim Verteilen von Flugblättern an die Arbeiterschaft der Sulzer Winterthur, die Füsse abfroren.

Sinnbildlich für die Veränderungen der letzten 50 Jahre steht das Restaurant und das Tössfeld-Quartier. Anstelle von Ghackets und Hörnli serviert man jetzt edle italienische Spezialitäten, und dort wo einst die Schlote qualmten, der Dampfhammer das Eisen bog und Hammerschläge durchs Quartier hallten, stehen heute hippe Einkaufszentren, werden Muskeln gestählt und Studenten unterrichtet. Velos und Kinderwagen haben Lastwagen und Gabelstapler von der Strasse verdrängt. Tischgespräch war, wie schon damals, der blamable Zustand unserer Welt. An Stoff fehlte es, nach fast zweijähriger coronabedingter Zwangspause, wahrhaft nicht. Und so mäandrierte die Diskussion zwischen KI (Künstliche Intelligenz), autonomen Fahren, Corona, Impfen, $VP, Klima und Afghanistan. In Dialektik geschult, fehlte natürlich eine gehörige Portion Selbstkritik und Reflexion dazu. So auch die hypothetische Frage, ob wir es denn besser gemacht hätten, was die Menschen gleichgültig und träge macht und wie man mit den permanenten Rückschlägen umgeht. Wie bleibt man Teil der Lösung und wird nicht selber zum Problem? Und ja, es ging auch um meinen Blog, der oft genug von pessimistischen Tönen durchzogen ist. Was also trägt ein Blog, der in oft sarkastischem Ton, die Versäumnisse in Gesellschaft und Politik anprangert, zur Lösung der beklagten Defizite bei?

Kurz gesagt: natürlich nichts. Der Anspruch wäre auch zu vermessen. Dazu braucht es a) mehr als 50-100 Leser:innen und b) reicht das Benennen von Problemen oder das blamieren von Akteuren kaum um etwas zu bewegen. Die andernorts bedauerte Feststellung, dass es heute an Visionen fehlt oder sämtliche Alternativen historisch gescheitert oder diskreditiert sind, schlägt sich durchaus auch hier und in meinem Denken nieder. Es weht quasi ein Hauch von Nihilismus (alles ist egal, nichts hat einen Wert, etc. ) durch die Gesellschaft. Aber weshalb? Warum fehlen das Engagement, bzw. Mehrheiten für überfällige Veränderungen? Beginnend mit dem Klima (CO2- Gesetz), der EU (Rahmenabkommen), der Altersvorsorge (Demographie), Pandemie (Impfpflicht) bis hin zur Migration (Afghanistan, Mittelmeer usw.), der $VP (ihre trumpeske Politik wird immer gefährlicher) oder der wachsenden Ungleichheit (hier und weltweit). Ist es Bequemlichkeit? Gleichgültigkeit? Sind wir Gefangene im Hamsterrad von Alltag, Beruf und Karriere? Lassen wir uns zu sehr manipulieren oder gar „kaufen“? Oder übertreiben wir hier am Tisch masslos und alles ist halb so schlimm? „Unbegreiflich“ für uns, unbegreiflich für viele.

Der Sommer war lausig, die Ferien bescheiden, wohin fährt ihr im Herbst? Das sind Themen die bewegen. Man kann sich das privilegierte Leben auch kaputt reden. Ist es das? Interessiert sich überhaupt noch irgendwer für etwas anderes, als sich selber. Oder ist es einfach immer das gleiche Grüppchen Stänkerer, das alles besser zu wissen glaubt? Fragen die auch hier schon breitgetreten wurden. Ohne wirklich beantwortet zu werden. Aber wer liefert uns diese? Politiker:innen? Philosoph:innen? Gurus? Die Wissenschaft? Alle – samt und sonders – auf die eine oder andere Weise diskreditiert. Das Vertrauen verloren. Ausverkauf der Ideen – der Wühltisch der Ideen ein einziges Durcheinander. Statt Schnäppchen landet Ramsch im Einkaufskorb. Nichts von Dauer, nichts von Wert. Das Resultat beklagenswert – es ist unbegreiflich.

An Theorien, weshalb es so ist, wie es ist – weshalb wir z. B. so träge und zögerlich auf Probleme reagieren – gibt es viele. Sind wir einfach wohlstandsverwöhnt – sprich zu faul – um den Finger aus dem Allerwertesten zu kriegen und an unserem Verhalten etwas zu ändern? Oder sind wir nicht einfach zu beschäftigt mit unserem Alltag, dem Beruf, der Familie oder Karriere? Fehlt es an drängenden Problemen oder werden diese nicht als solche wahrgenommen? Fehlen Vorbilder, Visionen und Ziele – oder fehlt einfach die Fantasie? Manche würden diese Fragen unbesehen mit Ja beantworten. Ich hüte mich davor. Die Welt ist zu komplex für einfache Antworten.

Zumindest an drängenden Problemen dürfte es nicht mangeln, sofern diese als solche überhaupt erkannt werden. Doch wie beim Arzt, beginnt die Heilung mit der Diagnose. Wie schwierig es ist, sich auf eine solche zu einigen, führt uns Corona vor Augen. Entsprechend wirr und diametral sind die Lösungsansätze. Einige leugnen sogar dessen Existenz und wittern eine Verschwörung von ganz ganz oben. Das Resultat ist eine endlose Pandemie. Ähnlich die Klimakrise. Ist es nur das Wetter das spinnt, oder sind wir schon mitten drin? Hat die Wissenschaft recht oder will uns der Staat nur abzocken? Sicher ist nur: Es fehlt sowohl ein gemeinsames Verständnis, als auch eine von allen anerkannte Methode. Wer aber (generell ) der Wissenschaft misstraut, ist umso anfälliger für Scharlatane und Manipulationsversuche. Die Trychlerumzüge der „Massvollen“ legen davon ein eindrückliches Zeugnis ab. Es scheint als wäre ein Krieg der verschiedenen Wahrheiten im Gange (bei Trump hiess es noch Alternative Fakten). In Wahrheit ist es ein Krieg gegen die Vernunft, d.h. die Aufklärung, Wissenschaft und Demokratie. Wer Lügen mit Fakten gleichstellt, verfolgt eine düstere Agenda, die nur im Aberglauben, Despotie und einer Form der Diktatur enden kann. Was unbegreiflich erscheint, bekommt so einen Sinn. Die „Aufklärung“ ist also noch lange nicht zu Ende. Um es mit Kants Worten zu sagen: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. In diesem Sinne verstehe ich auch meinen Blog – er ist mein kleiner bescheidener Beitrag zur Aufklärung. Und so endete der Abend im Konsens und der Absicht, lieber Teil der Lösung, als des Problems zu sein.