
Vermutlich habe ich mich mit der Beantwortung der Frage. weshalb wir so oft gegen unsere eigenen Interessen handeln, etwas überfordert. Egal wie oft ich sie drehe und wende, ich finde fast ausschliesslich Aspekte und Gründe, welche diese „Schizophrenie“ erklären oder gar rechtfertigen. So ist es mit der Entfremdung in Teil I und so mit dem Selbstbetrug in Teil II. Wahrscheinlich zu Recht, warf mir eine kritische Leserin vor, es drehe sich zu sehr um die Befindlichkeiten privilegierter Wohlstandsbürger. Und sie hat Recht.
Es beginnt schon mit der Frage. Diese stellt nur jemand, der sich überlegen fühlt und die Antwort zu kennen glaubt. Sie ist ichbezogen und nimmt die Antwort vorweg, die nur „unsere Dummheit“, lauten kann. Sie ist arrogant und elitär, und führt in die Irre. Denn wenn uns auch menschliche „Schwächen“ zu irrationalem Denken und Handeln verleiten, so finden die nie in einem luftleeren Raum statt. Entscheidend ist vielmehr das Setting oder der Rahmen, in. dem dieses erst zum tragen kommt und Wirkung entwickelt. Die Frage müsste also lauten: Wer oder was bringt uns dazu, gegen unsere eigenen Interessen zu handeln?
Nehmen wir den Fischer, der zusammen mit einhundert anderen Berufskollegen zum Fischen hinausfährt um möglichst viele Fische zu fangen, obwohl er weiss, dass so die Fanggründe bald leergefischt sind und er damit seine Lebensgrundlage verlieren wird. Fährt er aber nicht hinaus, weiss er, dass „seine“ Fische einfach von den 99 anderen Kollegen mitgefischt werden. Also, warum zu Hause bleiben – auch wenn es die Vernunft gebietet? Ein Dilemma – was ist wichtiger: Persönlicher Nutzen jetzt, oder Gewinn für Alle, in der Zukunft?
Wir können fast jedes aktuelle Thema nehmen – das Dilemma manifestiert sich immer gleich. Ich oder wir, jetzt oder später. Verzichte ich auf den Flug nach New York oder verzichte ich zu Gunsten des Klimas – der Flug findet trotzdem statt. Ist mir ein grosser Ertrag wichtiger, als das Trinkwasser der Gemeinde? Verzichte ich auf Chemie und schütze den Boden auch für meine Kinder? Ist mein Wohlbefinden wichtiger, als das Tragen einer Gesichtsmaske um damit das Leben anderer zu schützen?
Zum oben beschriebenen Dilemma gesellt sich noch ein weiteres. Das Einhalten von Regeln und der Verzicht auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung ist selten lustig. Im Gegenteil. Jeder der mal mit Rauchen aufhören wollte, kann davon ein Lied singen. Ob es gelingt oder nicht hängt von der Beantwortung einer einzigen Frage ab. Wer ist hier der Chef? Das Objekt der Begierde (z. B. die Zigarette) oder ich? Ebenso fallen Verbote schwer die uns einschränken. Egal ob schnelles Fahren, Party feiern in der Pandemie oder die Nutzung umweltschädlicher Gifte – der „Verzicht“ nervt. Wir wissen aber auch, dass alles Wissen über die Konsequenzen unseres Handelns nichts nützt, wenn ich keinen Mehrwert durch meine Verhaltensänderung zu erwarten habe – und sei es nur Lob und Anerkennung. Dass dies auch im Kollektiv funktioniert, beweisen z. B. die zum Teil seit Jahrhunderten funktionierenden Allmeinden oder Alpgenossenschaften. (Beispiel dafür sind die Suonen im Wallis) Diese bringen dank selbstbestimmten Satzungen Einzel- als auch Gesamtinteressen perfekt unter einen Hut. Das Geheimnis des Erfolgs: Die Regeln sind selbst gemacht – also selbst bestimmt.
Und damit nähern wir uns auch der Antwort auf die eingangs gestellte Frage. Sie lautet: Selbstbestimmung! Denn wer selbst bzw. mitbestimmt – also Teil von etwas ist, akzeptiert auch seine Regeln. Wer fremdbestimmt ist, lehnt sie (mehrheitlich) ab. Zumindest hier in der Schweiz hätten wir die Instrumente dazu. Sie heissen Demokratie, Föderalismus und Gemeindeautonomie. Nur werden sie immer weniger genutzt, bzw. jenen überlassen, die das System zu ihren eigenen Gunsten zu wissen nutzen. Den Lobbyisten, Egoisten und Demagogen.
Wie das aktuell funktioniert, sehen wir gerade an den drei Vorlagen, über die wir am 7. März abstimmen können. Die an sich sinnvolle Schaffung eine elektronischen Identität (E-ID) wird mit den Interessen der Privatwirtschaft verknüpft (denn diese, und nicht der Staat soll diese ausstellen können). Das Freihandelsabkommen mit Indonesien spült in erster Linie 25 Millionen zusätzliche Gewinne in die Kasse der Lebensmittelmultis (Palmöl) und rettet nicht einen Quadratmeter Regenwald – auch wenn das behauptet wird. Und zu guter letzt, die Burkainitiative. Hand aufs Herz – wer sah letztmals eine vollverschleierte Frau in der Schweiz (ausser man wohnt in Interlaken)? Und glaubt jemand ernsthaft, den Initianten (einem ominösen Altherrenclub um $VP und EDU) ginge es um die Befreiung der Frauen? Ihre Plakate sprechen eine andere Sprache (man beachte die Augenpartie). Es geht einzig um Angst. Angst vor Fremden. Darum, dass wir sie (die selbsternannten Retter der Schweiz) zukünftig wählen. Selbstbestimmt handeln heisst somit: Hinter die Kulissen schauen und die verborgenen Absichten aufdecken. Es beginnt mit dem Erkennen der Lüge. Daraus folgt das Erkennen der Wirklichkeit. Dies ist der beste Garant nicht betrogen zu werden.