Ohnmacht

Seit Wochen und Monaten sinniere ich über ….. ja, über was eigentlich? Den Zustand der Welt? Die Verrohung der Debatten? Die Erosion der Vernunft und den Siegeszug von Fake-News und Verschwörungsmärchen? Oder bin ich einfach von Schwachköpfen umzingelt? All dies ist lamentabel und schlägt aufs Gemüt. Bei den Einen mehr, bei den Andern weniger. Am besten sind wohl jene dran, die sich ausserhalb ihrer Wohlfühlblase, überhaupt um nichts kümmern. Bis sie dann jäh aus ihrem Luftschloss katapultiert werden. Die Kränkung ist dann umso heftiger und die Reaktion darauf reichen von Orientierungslosigkeit, Trotz, Verweigerung bis zum gewaltsamen Protest. Ein idealer Nährboden für Despoten und Agitatoren und ihre Umsturzpläne. Deren Drehbuch heisst Vertrauen zerstören (in die Politik, Wissenschaft und Eliten), Lügen verbreiten, Verwirrung stiften und Wut erzeugen um die Gesellschaft zu spalten. Wer sich in Geschichte ein wenig auskennt, hat ein unheilvolles Deja vu. Remember 1933. Neu – und deshalb besonders erschreckend – es sind nicht einfach ein paar Dunkelmänner mit Umsturzfantasien, es greift mitten in die Gesellschaft. Der Widerstand dagegen verstummt und zieht sich zurück. Bestenfalls hört man noch ein paar Appelle für mehr Vernunft und Toleranz. Die wenigen die noch dagegen halten, werden als Provokateure und intolerante Spalter beschumpfen. Der Rest versinkt in Ohnmacht, Resignation und schweigt.

Und damit wäre ich bei der Eingangsfrage. Weshalb diese trüben Gedanken und weshalb das Grübeln und Sinnieren? Es ist Ohnmacht! Eine Ohnmacht, die uns einerseits unsere Beschränktheit, vor allem aber die ungeschminkte Realität vor Augen führt. Vorbei die Illusionen von „es wird schon gut kommen“, vorbei der Glaube an die „Vernunft“ und vorbei das Narrativ einer aufgeklärten Gesellschaft. In der Krise offenbart sich, woran wir wirklich kranken: Einer enthemmten Ich-Gesellschaft. Getopft nur noch von all den entzweiten Freundschaften. Wenn selbst in bisher als intakt empfundenen Freundschaften Diskussionen unmöglich werden und langjährige Beziehungen in Brüche gehen, läuft definitiv etwas schief. Es ist als krachten ganze Wände in sich zusammen. Gewissheiten verschwinden. Der Boden wankt. Müdigkeit und Ohnmacht machen sich breit.

Vielleicht mache ich mir auch zu viele Sorgen und ich bin einfach gekränkt, weil ich mich in Freund:innen getäuscht habe. Vielleicht mache ich mir auch einfach zu viele Sorgen über die Welt, die ich sowieso nicht ändern kann. Who cares. Tatsache bleibt, dass sich die Spirale der Entzweiung schneller und schneller dreht. Angesichts der zu meisternden Herausforderungen, eine Tragödie. Ginge es nur um die Beendigung dieser Pandemie, die wir nur gemeinsam oder aber gar nicht bewältigen können, könnten wir auf den Faktor Zeit hoffen und die Massnahmen aussitzen. Wenn einem Millionen von Toten und der Kollaps der Wirtschaft egal ist, setzt man sein Vertrauen in das sozial-darwinistische Prinzip des „survival of the fittest“ – schliesslich überstand die Menschheit auch Pest, Cholera und die Spanische Grippe – ohne Impfung. Und damit wären wir mitten im eigentlichen Thema: Der egomanen Gesellschaft. Denn was wir gerade an gesellschaftlichen Verwerfungen erleben, ist auch das Resultat von 40 Jahren Gehirnwäsche durch den Neoliberalismus. Es ist die Ernte von 40 Jahren jede:r gegen jede:n, von der Macht des Stärkeren, der Rendite um jeden Preis und dem maximalen Gewinn für sich selber. Der Selbstoptimierungswahn treibt nicht ohne Grund die seltsamsten Blüten. Und obwohl wir spätestens seit der Finanzkrise 2008 wissen, dass dieses System zum Scheitern verurteilt ist, Wissenschaft und Philosophie seit Jahrzehnten vor den Folgen warnt (Grenzen des Wachstums) und uns die sich anbahnende Klimakatastrophe Warnung genug sein sollte, meinen wir (ich rede von den meisten) es ginge weiter wie gehabt. Und statt sich zusammenzuschliessen und sich den (notabene gigantischen) Problemen zu stellen, lassen wir uns entzweien. Jeder für sich (das ist mein Körper, meine Meinung, meine Entscheidung), alle gegen alle (ihr Idioten, Schafschafe etc. …). Befeuert durch Parteien, zwielichtige Gestalten, (soziale) Medien und einer narzisstischen Denke des „ich zuerst“. Dass sich dieses Phänomen des Trotzes, der Wut und Verweigerung, vor allem in gesättigten Wohlstandsoasen, wie der Schweiz, manifestiert, ist daher kein Wunder. Hier kann man es sich leisten. Im Notfall gibt es die Krankenkasse, Spitäler und einen Rechtsstaat. Trotzdem reibt man sich die Augen, ist sprachlos und fragt sich: „Habe ich mich so sehr getäuscht?“ Getäuscht über die Vernunft der Menschen, viele meiner Freunde:innen, unsere Bildung, unser System? Bröckelt am Ende gar die dünne Kruste der Zivilisation und marschieren wir straight away zurück ins Mittelalter (oder was uns auch immer Angst macht). Oder kommt die Pandemie den destruktiven Kräften sogar gelegen? Schliesslich lassen sich eigennützige Interessen in einem schwachen, destabilisierten System besser realisieren. Und an potentiell gefährlichen Herausforderungen mangelt es nicht. Hinter der nächsten Kurve lauert die Klimakrise, mit weit grösserer Tragweite als die gewärtige Gesundheitskrise, und da stünde ein einiges Volk den Profiten mächtiger Kartelle im Wege. Das gilt es zu verhindern. Oder verläuft alles in Minne und wir können in 5 Jahren darüber lachen? Ich würde gern an diese Option glauben – sie entspricht ja auch weitgehend unserer Lebenserfahrung. Es kommt schon irgendwie gut und sonst Pech gehabt. Allein, mir fehlt der Glaube.

Denn damit es gut kommt, braucht es Anstrengungen. Und ohne Engagement überlassen wir das Feld jenen, die nur für sich schauen. Hätte sich in der Vergangenheit nie jemand gewehrt oder der Vernunft zum Durchbruch verholfen, lebten wir immer noch in Höhlen oder beteten zu blutrünstigen Rachegöttern. Das mag weit hergeholt sein, im Kern geht es jedoch darum, welche Zukunft wir anstreben. Eine die vorwärts schaut, sich um Probleme kümmert und das Wohlergehen der Menschen im Auge hat, oder eine Welt der Starken und des dumpfen Dahinvegetierens. Ein Vorteil dieser Pandemie ist das Sichtbarwerden dieser Bruchlinien. Auch wenn sich viele dieser Brüche nicht mehr überbrücken oder kitten lassen, so führt sie zur Erkenntnis für was es sich zu kämpfen lohnt und verdeutlicht, was wir zu verlieren haben. Dass dabei einiges in Brüche geht, ist vermutlich nicht mehr zu vermeiden. Dafür sorgen andere. Das Bedauern darüber ist eher dem Wunsch nach Harmonie geschuldet. In Wirklichkeit geht es jedoch um die Frage, ob man Teil der Lösung oder des Problems sein will. Dabei mögen kurzzeitige Ohnmachtsgefühle hinderlich sein. Diese lassen aber auch erkennen, welche Anstrengungen es braucht um aus der Machtlosigkeit zu kommen. Denn machtlos ist man nur allein, zusammen aber stark. Das führen uns gerade die mass-los nervig und lautstarken Freunde der Seuche (aka Schwurbler, Covidioten und Ver(w)irrte) vor, die bald täglich treichelnd durch irgend eine Einkaufsstrasse latschen um Grösse vorzutäuschen. Schaut man genauer hin, sind es die immer gleichen Schreihälse, die sich wichtig machen. Es heisst nicht umsonst: „Wer schreit, hat unrecht“. Die Zeit ist reif diese in die Schranken zu weisen. Wir müssen vom Staat nur laut genug die Durchsetzung der Gesetze einfordern. Zuviel Toleranz schadet bzw. liegt im Interesse jener, die Probleme lieber bewirtschaften, als zu lösen. Es heisst also: „Impft euch verdammtnochmal“ und nicht „Jede:r kann tun und lassen, wie er/sie will“. Der Ruf Brücken zu bauen und andere Meinungen zu tolerieren, ist gut gemeint, letztendlich aber nutzlos. Wo ein gemeinsames Fundament fehlt (z. B. die Anerkennung von erhärtetem Wissen und Fakten), stürzt jede Brücke ein. Weiter hilft uns eher die Epidemiologe. Das Zauberwort dort, heisst Isolation. Nur so verhindern wir die Ausbreitung von Viren. Corona-, wie Meme (Viren des Geistes) gedeihen nur dort, wo der Boden bereitet ist. Geben wir ihm nicht auch noch Dünger. Ohnmacht entsteht, wenn das vergiftete Biotop auch noch gedüngt wird. Das zu verhindern gibt uns die Kontrolle zurück.

31.10.2020: Trotzphase

Eigentlich wissen wir es alle: Wir haben es vergeigt und jetzt erhalten wir die Quittung dafür. Wie könnte es diese Woche auch anders sein – es geht einmal mehr um diese Pandemie, die unser Leben seit nunmehr 9 Monaten dominiert. Es gäbe zwar tausende andere Themen – aber diese interessieren uns gerade nicht: Wir haben jetzt mit uns selbst zu tun.

Und genau da scheint mir auch das Problem zu liegen. Tag für Tag, Abend für Abend verfolgen wir in News und TV, wer sich gerade wieder etwas mehr beschissen oder übergangen fühlt, wer die noch grösseren Sorgen hat und wer alles sowieso besser weiss. Vom Tourisums, zur Gastrobranche bis hin zum Sportverein und der Eventbranche – nur Verlierer. Das Gezeter ist ohrenbetäubend. Die Tagesschau ist voll von jammervollen Gesichtern – mal mit, mal ohne Maske. Der Einzige der sich nicht um unsere (oder deren) Befindlichkeit schert, ist das Virus. Dieses verbreitet sich munter und unbeeindruckt weiter. Wer es übrigens noch nicht wissen sollte: Auch in unserer Familie.

Es gilt also nur noch „uns“. Jede*r ist sich selbst der Nächste. Schnell ist vergessen, dass weder Leichenberge unsere Strassen säumen, hier kaum jemand hungert (auch wenn die Kolonnen vor den Caritas-Essensausgaben bedrohlich länger werden), niemand einfach so auf der Strasse landet und wir in einem noch halbwegs funktionierenden Staat leben. Im Gegensatz zu hunderten Millionen andrernorts, die nicht auf die Sonnenseite des Planten geboren wurden. Statt über das Verlorene zu jammern, wäre es an der Zeit, sich über das was man hat zu freuen – es ist immer noch zehn mal mehr, als andere je haben werden. Ich weiss, es klingt moralisch – soll es aber auch!

Damit man mich aber richtig versteht: Ich bin der Ansicht, das jenen unbedingt geholfen werden soll, die unter den angeordneten Massnahmen leiden. Wer anordnet, trägt auch die Verantwortung, sollte man meinen und sagt uns unser Gerechtigkeitsempfinden. Instrumente und Geld hätte der Staat genug (mit nur 40% Staatsverschuldung gehören wir zu den Überprivilegierten). Vom Notkredit (von mir auch auch à fond perdu), zur Kurzarbeitsentschädigung (so lange wie nötig) oder gar einem bedingungsloses Grundeinkommen (wäre sowieso an der Zeit – dazu aber mehr in einem anderen Blog), ist vieles denkbar. Einiges wird auch gemacht – was jedoch fehlt, sind Perspektiven, welche Sicherheit vermitteln und die nahe Zukunft planbar machen. Gift für Wirtschaft und Gesellschaft. Schlimmer jedenfalls, als ein befristeter Lockdown, weil ohne Ende. Unser oberster Säckelmeister meint dazu allerding, uns fehlten weitere 30 Milliarden und hofiert Coronaleugnern, die sich polizeilichen Anordnungen wiedersetzen und deswegen festgehalten werden (https://www.watson.ch/schweiz/svp/716031429-ueli-maurer-setzt-sich-fuer-corona-leugner-ein). Erstaunt reibt man sich die Augen und wähnt sich im falschen Film. Ist ihm und seiner $VP die Gesundheit der Bürger wirklich scheissegal und die drohenden Steuererhöhungen für ihre Financiers wichtiger? Es scheint so! Was eine Durchseuchung bedeuten würde, sagen diese Hasardeure allerdings nicht – wir sprechen hier von 100’000 Toten. Wer das verantworten will, soll hervortreten – Danke.

Oder ist es einfach Trotz, die viele davon abhält zu begreifen, was da gerade passiert und was notwendig wäre – so quasi eine „persönliche Beleidigung“? Fehlt es an Krisenresilienz – daran, dass wir seit Jahrzehnten von solchen verschont wurden und verlernt haben uns in unsicheren Situationen zurecht zu finden – wir sind schliesslich kein Drittweltland? Versagt die Politik und seine Institutionen – oder gar das ganze System? Sind die Spitäler deshalb so schnell am Anschlag, weil man sie in den letzen Jahrzehnten „gesund“ gespart hat? Macht uns die Wissenschaft irre, die uns täglich mit neuen Erkenntnissen konfrontiert – oder doch nur einzelne Schwachköpfe die aus reinem Kalkül, Profitgier oder Besserwisserei die Verantwortung von sich schieben? Vermutlich von allem etwas!

Von Elisabeth Kübler-Ross, der berühmten Psychiaterin stammen die 5 Phasen der Trauerbewältigung (oder unsere Reaktion auf Verlust und Bedrohung). Diese sind der Reihe nach: Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression und die Akzeptanz. Genau gleich scheint es in dieser Pandemie abzulaufen, nur das alles gleichzeitig passiert. Die Leugner kennen wir von den unsäglichen Aufmärschen und dem Geschwurbel in den Sozialen Medien und Youtube. Für sie ist Corona bestenfalls Mittel zum Zweck, um uns alle zu versklaven. Zornig sind alle jene, welchen die Massnahmen den Boden unter den Füssen weg zieht. Die Politik verhandelt- zwischen den Empfehlungen der Experten und den Lobbyisten der Wirtschaft. Die Ängstlichen verkriechen sich zu Hause und werden depressiv. Nur akzeptieren will den Zustand (noch) niemand so richtig – bestenfalls hofft man auf einen baldigen Impfstoff. Nicht auszudenken, was passiert, wenn dieser auf sich warten lässt.

Im preisgekröhnten Film „Bridges of Spies“ von Steven Spielberg meint der Russische Spion, der nach Russland abgeschoben wird auf die Frage, ob er denn keine Angst hätte: „Würde etwas ändern, wenn ich Angst hätte?„. Ganz ähnlich Angela Merkel, die meinte „Wenn Aufregung helfen würde, würde ich mich aufregen!“ Besser kann man „Gelassenheit“ oder eben die Erkenntnis, dass man unveränderliche Dinge weder wegwünschen noch bekämpfen, sondern nur akzepteren und sich damit arrangieren kann, nicht zum Ausdruck bringen. Ich frage mich, ob wir diese Stufe in der Pandemie je erklimmen werden? Ich fürchte nicht – zumindest nicht als Gesellschaft.

So liegt es wohl an jedem*r Einzelnen sich mit dem „neuen Normal“ unter Pandemiebedingungen zu arrangieren. Auf Rettung durch Politik oder Wissenschaft zu hoffen endet in einer Sackgasse. Warten endet für gewöhnlich im Abseits (auch hier gilt: wer stehen bleibt, bleibt zurück). Bleibt die Hoffnung – auf einen Impfstoff, Hilfe oder das Danach – bis dahin tun wir aber gut daran zu akzeptieren und uns zu arrangieren. Um aber die Politik(er) nicht aus ihrer Verantwortung zu entlassen, heisst das auch, sie an ihre Verantwortung zu mahnen – also Überbrückungshilfen, Schutz und Vorsorge. „Gouverner c’est prévoir“ (regieren heisst vorausschauen), heisst es im Französischen. Davon ist momentan leider wenig zu spüren. Die Politik ist offensichtlich noch in der Phase des „Verhandelns“, bzw. laviert zwischen den Interessensgruppen. Darüber freut sich dar Virus und durchseucht munter Städte, Dörfer und Gemeinden.

Wer meint mit Trotz (und allem was dazu gehört) diese Krise meistern zu können, macht sich nicht nur lächerlich, sondern verhindert auch Lösungen. Lösungen die uns helfen diese Krise zu bewältigen – sei es wirtschaftlich oder sozial. Ich plädiere deshalb für mehr Gelassenheit und nehme mich gleich selber an der Nase. Auch ich (wir) habe*n überreagiert und uns fast gänzlich aus dem sozialen Leben zurück gezogen. Das tut nicht gut – weder uns, noch Familie und Freunden. Wir lernen gerade, wie wir es besser machen können. Behandeln wir den Käfer einfach wie einen ungebetenen Gast. Also bitten wir ihn nicht mehr an den Tisch, meiden seine Gesllschaft, und geben wir ihm keine Gelegenheit sich breit zu machen. Treffen wir uns einfach nur noch in kleinem Kreis, geniessen gutes Essen, ein Glas Wein, gute Gespräche und meiden grosse Ansammlungen. Der Widerling vwird auch dann nicht über Nacht verschwinden, aber er wird uns nach und nach meiden. Und so hoffen wir alle, dass wir bald ein Kraut gegen den Fiesling gefunden haben. Bis dahin heisst es aber durchbeissen – mit Gelassenheit und der Freude auf alles was wir haben. Das wäre vielleicht ein Ansatz, der uns mehr bringt als trötzeln, motzen und jammern – das überlassen wir den 3-jährigen vor der Ladenkasse.