LongCovid

Die Pandemie nähert sich ihrem vorläufigen Höhepunkt, zumindest wenn man sich an den publizierten Zahlen orientiert. Gleichzeitig verkündet der grösste aller Epidemiologen und Besitzer einer Partei, dutzender Zeitungen und ebenso vieler Milliarden, das Ende der Pandemie. Wem soll ich nun glauben? Den Fakten oder dem Selfmade-Milliardär aus Herrliberg und seinen Bücklingen. Ich stecke im Dilemma.

Dass die Berufsjammeris vom Gewerbeverband und Gastrosuisse ins gleiche Horn blasen und die Sprechpuppen von Herrlibergs Gnaden das selbe Lied singen, braucht uns also nicht zu wundern. Als Büttel des Finanzhochadels und deren Arschkriecher liegt es quasi in ihrer Natur. Und so tun sie, sekundiert von zurechtgebogenen Experten, kund, dass wir uns nun gefälligst dem Unvermeidlichen fügen, die Seuche unser Schicksal und jede weitere Massnahme überflüssig sei. Wissenschaft braucht niemand, besserwisserische Wissenschaftler noch weniger. Zumindest nicht jene, die etwas von ihrem Metier verstehen. Denn wer gesund ist, hat von Omicron angeblich nichts zu befürchten. Endlich ist Covid jenes Grippchen, welches Bolsonaro schon vor zwei Jahren belächelte, und mit dem man ruhig arbeiten gehen kann. Nur Weicheier fordern Massnahmen, sind krank und bleiben zu Hause. Das hört förmlich das Lied der neoliberalen Sozialdarwinisten.

So weit das wirtschaftsliberale, rechts-populistische Narrativ, welches sich zur Zeit gerade in unsere Köpfe frisst. Und das Narrativ hat ein leichtes Spiel, denn wir alle haben die Pandemie satt, sehnen uns nach „Normalität“ und sind empfänglich für frohe Botschaften. Ausserdem war Covid gestern. Jetzt bekommt man Omicron. Und Omicron boostert dein Immunsystem fit für die Endemie. Der „angeblich milde“ Krankheitsverlauf verliert seinen Schrecken. Wenn sich pro Woche 10% der Bevölkerung ansteckt, bin ich wohl bald der Nächste. Egal ob mit oder ohne Zertifikat, Impfung, Quarantäne oder Maskentragen. Das Ende der Pandemie ist nah. Omicron macht gesund. Schicken wir die Wissenschaft zum Teufel.

Das fällt uns umso leichter, als sich die Schweizerische Pandemiepolitik nie an der Eindämmung des Virus und der Gesundheit ihrer Bevölkerung, sondern immer an der Funktionsfähigkeit der Wirtschaft und den Kosten orientiert hat. Erst galt die Aufmerksamkeit dem drohenden Kollaps des Gesundheitswesens, heute den Personalengpässen. Erst nahm man Tote in Kauf, heute LongCovid. Es trifft ja nur die Schwachen. Hauptsache der Rubel rollt. Die Exporte erklimmen Rekordniveau. Mitten in der (angeblich) grössten Krise seit dem 2. Weltkrieg, plant der Staat sogar Steuersenkungen für Firmen und hohe Managerlöhne. Offenbar hat die Schweizerische Pandemiepolitik ihre Ziele erreicht – Schutz der grossen Vermögen (+ 115 Milliarden für die 300 reichsten Schweizer:innen) und weiterhin sprudelnde Gewinne. Die Kollateralschäden tragen die Toten, deren Angehörige, LongCovid-Patienten, das Pflegepersonal und alle die den Karren am Laufen halten. Derweil uns der Bundessäckelmeister schon mal auf enge Gürtel (Schuldenabbau) und eine Mehrwertsteuererhöhung einstimmt. Den Rest der Drohkulisse erledigen die Aussichten auf exorbitant steigende Krankenkassenprämien, eine überlastete Psychiatrie und ein Tsunami von IV-Anträgen wegen LongCovid. Immerhin lässt niemand darüber Zweifel aufkommen, wer für diese Krise bezahlt. Tipp: Es sind nicht jene, die man mit Steuergeschenken bei Laune hält.

Um es klar zu stellen – auch ich kann ein Leben ohne pandemiebedingte Einschränkungen kaum erwarten. Zwei Jahre Verzicht auf spontane Beizenbesuche, Kino, Theater, Sport oder Ferien und Ausflüge sind genug. Insofern ist der bisherige Verlauf von Omicron tatsächlich ein Lichtblick. Es sieht fast so aus, als könnte man damit leben. Wir tun es ja auch mit der Grippe, HIV und anderen Viren. Die Intensivstationen scheinen sich erfreulicherweise zu leeren und es sterben, angesichts der hohen Fallzahlen weniger. Zeit zur Entwarnung also?

Die Zahl hospitalisierter Kinder steigt. Die Impfquote stagniert auf bescheidenen 68%, über LongCovid spricht kaum jemand, ausser die direkt Betroffenen – es gibt nicht einmal eine Übersicht oder Meldestelle. Virologen befürchten weitere Mutationen. Eine Garantie, das diese harmloser als ihre Vorgänger sind, gibt es nicht, und solange die weltweite Impfrate bei gerade mal 50% liegt, sind genügend Wirte für weitere Mutationen vorhanden. Wer also behauptet, Covid sei vorbei, lügt, trotz besserem Wissen. Im Gegenteil. Wir sind vermutlich in der gerade schwierigsten Phase der Pandemie – zumindest was die öffentliche Gesundheit betrifft. Wollen wir das Ende der Pandemie ausrufen um wieder die ersehnte Normalität geniessen zu können – mit dem Risiko einer neuen Variante mit noch verheerender Folgen – oder sollen wir noch etwas durchhalten bis die Wissenschaft die Risiken besser abschätzen kann? Wie sieht eine Exit-Strategie aus, ohne das Erreichte zu gefährden? Genügt eine Proklamation und das Gesundschreiben durch Lobbyisten der Wirtschaft? Oder, ganz konkret: Wer hat den Lead? Politik, Wirtschaft oder Wissenschaft?

Die Antwort ergibt sich von selbst. Immerhin hat uns diese Pandemie die Augen geöffnet (oder sollte es eigentlich), wer den Takt vorgibt in diesem Land. Es ist weder die Politik noch die Wissenschaft. Letztere darf zwar die Stirn runzeln, ihre Empfehlungen werden trotzdem in schöner Regelmässigkeit ignoriert. Ebenso die Politik, die, um nicht ganz als Hampelmann dazustehen, die Direktiven der Wirtschaftslobbys, mit einwöchiger Verzögerung umsetzt. Die Langzeitfolgen dieser Pandemie werden deshalb weit über höhere Krankenkassenprämien, ein Heer von LongCovid-Patienten, ausgebranntes Pflegepersonal, höhere Steuern und noch mehr Ungleichheit gehen. Zu befürchten ist ein doppelter Vertrauensverlust in Politik und Institutionen. Als wäre das Abdriften der Impf- und Massnahmengegner in Verschwörungstheorien einerseits und die rechtsextreme Szene andererseits, nicht schon besorgniserregend genug, verliert nun auch ein Grossteil der loyalen Bevölkerung ihr Vertrauen, weil sie sich beschissen fühlt. Die Parteien müssen sich auf jeden Fall warm anziehen. Kumuliert mit all den anderen Herausforderungen der Zukunft, eine schlechte Ausgangslage. LongCovid ist mehr als ein Gesundheitsproblem.

Sprachlos

Ja, ich bin sprachlos. Ich mit x Aus- und Weiterbildungen in Rhetorik und Kommunikation, stehe kurz vor der Kapitulation und verstumme. Weder Methoden der Gewaltfreien Kommunikation, Miltons Metamodell der Sprache, noch Phöms Schlagfertigkeitstechniken helfen weiter. Ich bin ratlos. Es scheint als wäre alles sinnlos, nutzlos. Es ist als redete man mit einer Wand. Entsprechend übellaunig bin ich dieser Tage. Nicht weil mir jemand zu nahe trat, sondern aus schierer Verzweiflung.

Und wie es scheint, bin ich damit nicht der einzige. Selbst aus Fach- und Regierungskreisen sind Stimmen der Resignation zu vernehmen. Verzweifelte Appelle, sich doch um Himmels Willen endlich impfen zu lassen, Unverständnis und Wut von Ärzten und Pflegern. Die Verzweiflung ist zu spüren. Auch im kleinen Familien- und Freundeskreis. Die Emotionslage pendelt im Stundentakt zwischen „Schnauze voll“, Wut, Hoffnungs- und Hilflosigkeit. Ein Karussell der Gefühle strapaziert unsere Nerven.

Meldungen über neue Mutationen, Massnahmen, 3G, 2G, 2G+, Impfpflicht oder nicht, sich widersprechende Expertenmeinungen, schwachsinnige Forderungen, steigende Fallzahlen und überfüllte Spitäler mit erschöpftem Personal nagen am Nervenkostüm. Quälend langsam die Politik. Ein Kakophonie ungefragter Möchtegern-Experten. Kein Wunder wird der Ton gehässiger. Ich merke es an mir selber.

Es ist offensichtlich. Diese Pandemie ist mehr als ein fieser Virus. Sie besitzt das Potential zur Zerstörung, weit über unsere Gesundheit hinaus. Schonungslos deckt sie unsere Schwächen und Versäumnisse auf. Es gibt kein Entrinnen. Die Seuche trifft Menschen so unterschiedlich, wie Länder. 100 Millionen zusätzlich (!) verarmte Kinder, 160 Millionen ohne oder kaum (mehr) Schulbildung, Impfstoffe nur für die Reichen, Marode Gesundheitssysteme die zusammenbrechen, Angehörige auf der Suche nach Sauerstoff, Milliardenhilfen für die Wirtschaft, Gewaltsame Demonstrationen, Überwachung und Kontrolle in China…. Selbst wenn der Käfer morgen verschwinden würde (was er nicht tun wird), werden wir noch lange an den Folgen leiden. Auch das in unterschiedlichen Masse. Und als ob das nicht schon genug wäre, sitzt uns auch noch die Erderwärmung und der Niedergang der Demokratien, allen voran der USA, im Nacken. Lustig ist anders.

Und ob Corona oder Klima, die Reaktionen darauf sind vergleichbar und reichen von Panik bis Verleugnung. Doch wenn diese Verhaltensweisen auch von Psycho-, Sozio- und Politologen noch so wortreich erklärt werden können, helfen sie nicht über die Krise hinweg. Ausser einem stummen Nicken und scheuen Aha, sind diese Deutungsversuche wenig hilfreich. Zumindest solange, wie sie in der Politik nicht ankommen. Aus dieser Misere raus kommen wir nur gemeinsam. Und damit drohen wir zu scheitern. Denn es fehlt das Gemeinsame.

Zwar sitzen wir alle im gleichen Boot, doch rudern die einen vor- und die andern rückwärts, nippen andere am Prosecco auf dem Sonnendeck, während die Mannschaft Kohle schippt (um das Bild der Titanic zu bemühen). Derweil streiten sich die Offiziere auf der Brücke über den Kurs. Der Eisberg lässt sich davon wenig beeindrucken. Das Ende kennen wir. Rose wird hundert Jahre alt, während Jack von der 3. Klasse, noch in der Nacht des Untergangs absäuft. Soweit nichts Neues unter der Sonne. Krisen trafen und treffen Oben und Unten seit je unterschiedlich. Damit mussten wir uns zwangsläufig arrangieren – es ist seit Jahrtausenden bittere Realität. Weit gefährlicher als das dünkt mich aber die derzeit grassierende babylonische Sprachverwirrung. Als lebten ganze Sippen auf verschiedenen Planeten ist eine gemeinsame Verständigung, selbst ein gemeinsames Verständnis, kaum mehr möglich. Wer den offiziellen Zahlen misstraut, meint er/sie werde nur noch belogen und sich ausschliesslich über zwielichtige Kanäle informiert, ist nur noch schwer erreichbar. Wo von verschiedenen Realitäten ausgegangen wird und gemeinsame Grundannahmen fehlen (z. B. wissenschaftliche Fakten), wird eine Diskussion unmöglich. Von gemeinsamen Lösungen ganz zu schweigen. Das Resultat: Sprachlosigkeit, Wut und/oder Repression. Selbstredend, dass sich damit destruktive Kräfte profilieren. Die unsäglich zynische Pandemiebewirtschaftung der $VP dürfte uns allen geläufig sein.

Doch zurück zu meiner Sprachlosigkeit. Diese verschwindet weder durch gut gemeinte Ratschläge zur Mässigung noch dem Appell die Parallelwelt doch bitte auch zu verstehen. Das kommt mir vor, als verlange mein Mathelehrer von mir, dass 2+ 2 fünf ergibt. Gefühlt das erste mal in meinen bald 70 Jahren, verstumme ich. Die Wut weicht einer stillen Resignation. Und ich glaube zu spüren, dass es nicht nur mir so ergeht. Aber wie kommen wir da raus? Denn Scheitern ist schlicht keine Option. Die Gefahr dass wir es trotzdem tun, ist aber real und war selten so nah. Zynikern mag das egal sein. Diese kümmern sich so oder so nur um sich. Uns Übrigen kann es das nicht. Denn wir sind es, die wegen überfüllten Spitälern Gefahr laufen zu sterben, keine adäquate Behandlung zu bekommen oder monatelang auf eine Operation warten müssen. Wir sind es, die Kinder ungeschützt einem Risiko aussetzen, in Quarantäne müssen und Gefahr laufen den Job zu verlieren. Jede Verlängerung der Krise öffnet die Schere zwischen Gewinnern und Verlierern noch weiter. Diese Spaltung ist real und muss auch nicht herbeigeredet werden, sie ist schon da. Da aber eine Lösung auf Basis eines ausgehandelten Kompromisses, die eine Debatte voraussetzen würde, ausser Reichweite liegt, wird die Krise andauern und sich verschärfen – inklusive Kollateralschäden.

Im Wissen darum, mit Wänden zu sprechen verzichte ich hier auf weitere Impfappelle und das Einfordern von Solidarität. Ebenso nutzlos der Appell an die Vernunft. Wände haben weder diese, noch Ohren. Ausserdem lesen mich die Gemeinten hier so oder so nicht. Als traurige Alternative bleibt der Gesellschaft wohl nur der Zwang und die Ausgrenzung der Unwilligen. In einer Gesellschaft, zumal noch einer Demokratie, kann die Mehrheit auf Dauer nicht in Geiselhaft einer Minderheit gehalten werden. Wenn Worte nicht mehr durchdringen, muss die Kommunikation auf einer anderen Ebene stattfinden. Worte (oder der Inhalt einer Nachricht) machen gerade mal mickrige 7% aus. Der grosse Rest ist nonverbal. Und da man gem. Paul Watzlawick „nicht, nicht kommunizieren kann“, gewinnen Gesten, Taten, Ton, Zeit und Ort eine noch grössere Bedeutung. Das hiesse dann, schmerzhafte Konsequenzen statt Worte. „Wer nicht hören will muss fühlen“, wusste schon meine Grossmutter. Bitter, aber nötig. Und lieber jetzt, als zu spät.

Leider ist zu befürchten, dass auch das zu spät kommt. Eine Pandemie erfordert rasches und konsequentes Handeln. Das fehlt seit mind. 1 1/2 Jahren. Statt die Pandemie zu bekämpfen wird versucht die Wirtschaft und den Staatshaushalt zu retten. Die Kosten tragen wir. Mit Infektionen, Unsicherheit, dem Tod, und einem kollabierenden Gesundheitssystem. Laut gesagt wird das natürlich nicht. Ebensowenig wie vor den langfristigen Konsequenzen dieser Politik – Vertrauensverlust – gewarnt werden. Gedroht wird dafür mit der Horrorvision einer Triage. Quasi einer Katastrophe mit Ansage. Sprachlos schaut man den Ärzten und Pflegern auf den Intensivstationen zu und hofft der Hurrikan verschwinde von alleine vom Radar – im Wissen, dass das nicht passiert. Gerade als ob dieser Sturm aus dem Nichts käme, wird vergessen, dass sich dieser nur deshalb nähert, weil wir zu wenig und zu spät reagierten, sich zu viele gegen das Impfen stellen, die Politik die Prioritäten von der Wirtschaft diktieren und sich von einer lauten Minderheit gängeln lässt. Auch hier fehlen mir die Worte. Kann man wirklich so zynisch sein? Blöde Frage. Man kann.

Bleibt die Frage nach einem Ausweg. Ist ein Systemkollaps von massgebenden Kreisen, vielleicht sogar gewollt? Da ich keine Antworten habe, bleibt nur die Vermutung.

Frohe Festtage.

Ohnmacht

Seit Wochen und Monaten sinniere ich über ….. ja, über was eigentlich? Den Zustand der Welt? Die Verrohung der Debatten? Die Erosion der Vernunft und den Siegeszug von Fake-News und Verschwörungsmärchen? Oder bin ich einfach von Schwachköpfen umzingelt? All dies ist lamentabel und schlägt aufs Gemüt. Bei den Einen mehr, bei den Andern weniger. Am besten sind wohl jene dran, die sich ausserhalb ihrer Wohlfühlblase, überhaupt um nichts kümmern. Bis sie dann jäh aus ihrem Luftschloss katapultiert werden. Die Kränkung ist dann umso heftiger und die Reaktion darauf reichen von Orientierungslosigkeit, Trotz, Verweigerung bis zum gewaltsamen Protest. Ein idealer Nährboden für Despoten und Agitatoren und ihre Umsturzpläne. Deren Drehbuch heisst Vertrauen zerstören (in die Politik, Wissenschaft und Eliten), Lügen verbreiten, Verwirrung stiften und Wut erzeugen um die Gesellschaft zu spalten. Wer sich in Geschichte ein wenig auskennt, hat ein unheilvolles Deja vu. Remember 1933. Neu – und deshalb besonders erschreckend – es sind nicht einfach ein paar Dunkelmänner mit Umsturzfantasien, es greift mitten in die Gesellschaft. Der Widerstand dagegen verstummt und zieht sich zurück. Bestenfalls hört man noch ein paar Appelle für mehr Vernunft und Toleranz. Die wenigen die noch dagegen halten, werden als Provokateure und intolerante Spalter beschumpfen. Der Rest versinkt in Ohnmacht, Resignation und schweigt.

Und damit wäre ich bei der Eingangsfrage. Weshalb diese trüben Gedanken und weshalb das Grübeln und Sinnieren? Es ist Ohnmacht! Eine Ohnmacht, die uns einerseits unsere Beschränktheit, vor allem aber die ungeschminkte Realität vor Augen führt. Vorbei die Illusionen von „es wird schon gut kommen“, vorbei der Glaube an die „Vernunft“ und vorbei das Narrativ einer aufgeklärten Gesellschaft. In der Krise offenbart sich, woran wir wirklich kranken: Einer enthemmten Ich-Gesellschaft. Getopft nur noch von all den entzweiten Freundschaften. Wenn selbst in bisher als intakt empfundenen Freundschaften Diskussionen unmöglich werden und langjährige Beziehungen in Brüche gehen, läuft definitiv etwas schief. Es ist als krachten ganze Wände in sich zusammen. Gewissheiten verschwinden. Der Boden wankt. Müdigkeit und Ohnmacht machen sich breit.

Vielleicht mache ich mir auch zu viele Sorgen und ich bin einfach gekränkt, weil ich mich in Freund:innen getäuscht habe. Vielleicht mache ich mir auch einfach zu viele Sorgen über die Welt, die ich sowieso nicht ändern kann. Who cares. Tatsache bleibt, dass sich die Spirale der Entzweiung schneller und schneller dreht. Angesichts der zu meisternden Herausforderungen, eine Tragödie. Ginge es nur um die Beendigung dieser Pandemie, die wir nur gemeinsam oder aber gar nicht bewältigen können, könnten wir auf den Faktor Zeit hoffen und die Massnahmen aussitzen. Wenn einem Millionen von Toten und der Kollaps der Wirtschaft egal ist, setzt man sein Vertrauen in das sozial-darwinistische Prinzip des „survival of the fittest“ – schliesslich überstand die Menschheit auch Pest, Cholera und die Spanische Grippe – ohne Impfung. Und damit wären wir mitten im eigentlichen Thema: Der egomanen Gesellschaft. Denn was wir gerade an gesellschaftlichen Verwerfungen erleben, ist auch das Resultat von 40 Jahren Gehirnwäsche durch den Neoliberalismus. Es ist die Ernte von 40 Jahren jede:r gegen jede:n, von der Macht des Stärkeren, der Rendite um jeden Preis und dem maximalen Gewinn für sich selber. Der Selbstoptimierungswahn treibt nicht ohne Grund die seltsamsten Blüten. Und obwohl wir spätestens seit der Finanzkrise 2008 wissen, dass dieses System zum Scheitern verurteilt ist, Wissenschaft und Philosophie seit Jahrzehnten vor den Folgen warnt (Grenzen des Wachstums) und uns die sich anbahnende Klimakatastrophe Warnung genug sein sollte, meinen wir (ich rede von den meisten) es ginge weiter wie gehabt. Und statt sich zusammenzuschliessen und sich den (notabene gigantischen) Problemen zu stellen, lassen wir uns entzweien. Jeder für sich (das ist mein Körper, meine Meinung, meine Entscheidung), alle gegen alle (ihr Idioten, Schafschafe etc. …). Befeuert durch Parteien, zwielichtige Gestalten, (soziale) Medien und einer narzisstischen Denke des „ich zuerst“. Dass sich dieses Phänomen des Trotzes, der Wut und Verweigerung, vor allem in gesättigten Wohlstandsoasen, wie der Schweiz, manifestiert, ist daher kein Wunder. Hier kann man es sich leisten. Im Notfall gibt es die Krankenkasse, Spitäler und einen Rechtsstaat. Trotzdem reibt man sich die Augen, ist sprachlos und fragt sich: „Habe ich mich so sehr getäuscht?“ Getäuscht über die Vernunft der Menschen, viele meiner Freunde:innen, unsere Bildung, unser System? Bröckelt am Ende gar die dünne Kruste der Zivilisation und marschieren wir straight away zurück ins Mittelalter (oder was uns auch immer Angst macht). Oder kommt die Pandemie den destruktiven Kräften sogar gelegen? Schliesslich lassen sich eigennützige Interessen in einem schwachen, destabilisierten System besser realisieren. Und an potentiell gefährlichen Herausforderungen mangelt es nicht. Hinter der nächsten Kurve lauert die Klimakrise, mit weit grösserer Tragweite als die gewärtige Gesundheitskrise, und da stünde ein einiges Volk den Profiten mächtiger Kartelle im Wege. Das gilt es zu verhindern. Oder verläuft alles in Minne und wir können in 5 Jahren darüber lachen? Ich würde gern an diese Option glauben – sie entspricht ja auch weitgehend unserer Lebenserfahrung. Es kommt schon irgendwie gut und sonst Pech gehabt. Allein, mir fehlt der Glaube.

Denn damit es gut kommt, braucht es Anstrengungen. Und ohne Engagement überlassen wir das Feld jenen, die nur für sich schauen. Hätte sich in der Vergangenheit nie jemand gewehrt oder der Vernunft zum Durchbruch verholfen, lebten wir immer noch in Höhlen oder beteten zu blutrünstigen Rachegöttern. Das mag weit hergeholt sein, im Kern geht es jedoch darum, welche Zukunft wir anstreben. Eine die vorwärts schaut, sich um Probleme kümmert und das Wohlergehen der Menschen im Auge hat, oder eine Welt der Starken und des dumpfen Dahinvegetierens. Ein Vorteil dieser Pandemie ist das Sichtbarwerden dieser Bruchlinien. Auch wenn sich viele dieser Brüche nicht mehr überbrücken oder kitten lassen, so führt sie zur Erkenntnis für was es sich zu kämpfen lohnt und verdeutlicht, was wir zu verlieren haben. Dass dabei einiges in Brüche geht, ist vermutlich nicht mehr zu vermeiden. Dafür sorgen andere. Das Bedauern darüber ist eher dem Wunsch nach Harmonie geschuldet. In Wirklichkeit geht es jedoch um die Frage, ob man Teil der Lösung oder des Problems sein will. Dabei mögen kurzzeitige Ohnmachtsgefühle hinderlich sein. Diese lassen aber auch erkennen, welche Anstrengungen es braucht um aus der Machtlosigkeit zu kommen. Denn machtlos ist man nur allein, zusammen aber stark. Das führen uns gerade die mass-los nervig und lautstarken Freunde der Seuche (aka Schwurbler, Covidioten und Ver(w)irrte) vor, die bald täglich treichelnd durch irgend eine Einkaufsstrasse latschen um Grösse vorzutäuschen. Schaut man genauer hin, sind es die immer gleichen Schreihälse, die sich wichtig machen. Es heisst nicht umsonst: „Wer schreit, hat unrecht“. Die Zeit ist reif diese in die Schranken zu weisen. Wir müssen vom Staat nur laut genug die Durchsetzung der Gesetze einfordern. Zuviel Toleranz schadet bzw. liegt im Interesse jener, die Probleme lieber bewirtschaften, als zu lösen. Es heisst also: „Impft euch verdammtnochmal“ und nicht „Jede:r kann tun und lassen, wie er/sie will“. Der Ruf Brücken zu bauen und andere Meinungen zu tolerieren, ist gut gemeint, letztendlich aber nutzlos. Wo ein gemeinsames Fundament fehlt (z. B. die Anerkennung von erhärtetem Wissen und Fakten), stürzt jede Brücke ein. Weiter hilft uns eher die Epidemiologe. Das Zauberwort dort, heisst Isolation. Nur so verhindern wir die Ausbreitung von Viren. Corona-, wie Meme (Viren des Geistes) gedeihen nur dort, wo der Boden bereitet ist. Geben wir ihm nicht auch noch Dünger. Ohnmacht entsteht, wenn das vergiftete Biotop auch noch gedüngt wird. Das zu verhindern gibt uns die Kontrolle zurück.

Restart – Resignation oder Aufbruch

Insgesamt 66 Blogs habe ich zwischen April 2020 und Juni 2021 geschrieben. Man könnte sie auch als Krisen- oder Corona-Blog bezeichnen. Natürlich ging es nicht nur um die Pandemie und ihre Folgen. Oft war diese nur der Aufhänger für andere Aufreger und Krisen. Im Wissen um meinen nicht selten dystopischen Unterton (wir sind am Arsch), war ich auch immer wieder um hoffnungsvolle und versöhnliche Töne bemüht. Bis im Juni, als eine Mehrheit der Stimmberechtigten in ihrer Weisheit, das zahnlose CO2-Gesetz beerdigte, und Gift in ihrem Trinkwasser (man sieht es ja nicht) auch weiterhin cool fanden. Wo die Prioritäten im Jahre 2021 liegen, war somit klar gemacht. Das eigene Portmonee. Das war der Moment, wo ich eine Pause einlegte. Zum einen zum Selbstschutz, um euch vor meiner Wut, Ratlosigkeit und Enttäuschung zu schützen, zum andern um der drohenden Langeweile durch den ewig gleichen Sermon zu entkommen. Und natürlich auch um mir Gedanken über die Zukunft dieses Blogs zu machen. Diese Zeit habe ich genutzt.

Vorab die nüchterne Erkenntnis: Durch Pausen hält man den Lauf der Welt nicht auf.

Zwar reduzierte sich der mir selbst auferlegte Druck, wöchentlich ein Thema zu finden (wobei es meist umgekehrt war – die Themen fanden mich) und zu kommentieren, aber die Ereignisse liessen mich trotzdem nicht in Ruhe. Und davon gab und gibt es wahrlich genug. Zum Beispiel lag am 11. Juni (am Tag als ich beschloss zu pausieren) die Zahl der Corona-Inifzierten bei 394, heute am 12. August bei 2124 – also 5,4 mal höher. Die damalige Hoffnung dieser Seuche durch eine Impfung endlich Herr zu werden, hat sich somit in Luft aufgelöst – den Impfverweigerern sei Dank. Die Illusion mit dem Versenken des CO2-Gesetzes wäre das leidige Thema Klimakrise endlich erledigt, war ebenso ein Trugschluss. Die Waldbrände von Sibirien (aktuell 6 Millionen Hektar im Brand) über das Mittelmeer bis Kalifornien und die Sintfluten in Mitteleuropa können selbst von den hartnäckigsten Ignoranten nicht geleugnet werden – sollte man meinen. Weniger beachtet, aber nicht weniger tragisch, auch des Versagen des „Westens“ in Afghanistan, wo gerade die Frauen den Religioten der Taliban ans Messer geliefert werden. Die Aussetzung der Rückschiebung afghanischer Migranten in letzter Minute, hört sich dabei schon fast wie eine Erfolgsmeldung an. Da sind die 993 (allein 2021) ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer auch kaum mehr der Rede wert. Auch kaum zu reden gibt unsere Selbstdemontage in Europa. Dem weisen Ratschluss unseres Bundesrates sei Dank. Dank diesem sind wir von europäischen Forschungsprojekten (Horizon) ausgeschlossen (wer hat Wissenschaft und Forschung schon nötig) und bald werden wir wohl um Strom betteln müssen (fehlendes Stromabkommen). Dafür hat uns die $VP eine neues Feindbild beschert. Neu zieht diese tiefe Gräben um die Städte. Mit velofahrenden Luxussozialisten (vermutlich sind damit auch die Klimaforscher an der ETH gemeint) und Freunden streunender Wölfe (den diese Grünversifften ums Verrecken nicht zu Abschuss freigeben wollen) will das hart arbeitende Landvolk nichts (mehr) zu tun haben – sagt die Partei der Milliardäre. Dazu passt die gestrige Aussage meiner ehemaligen Nachbarin: „Die, die nicht ins Gymi gehen, sind die, die arbeiten.“ (Im Umkehrschluss: „Studierte“ hocken auf der faulen Haut). Die Wirkung der o.g. Parteiparole wäre somit belegt. Und während ich hier in die Tasten haue, trycheln die „Freunde der Seuche“ durch die Strassen Berns und sorgen für die Verlängerung der Pandemie und weitere Tote. Wie diese Auflistung zeigt: Es ist August wie Juni.

Was nun?

Zuerst ein paar Worte zu meinem Blog. Den Wochenrhythmus gibt es nicht mehr. Die Qualität leidet, wenn man zu sehr unter Schreibstress steht. Ausserdem wurde ich nicht pensioniert, um wieder im Hamsterrad des „Lieferns um jeden Preis“ zu landen. In Zukunft also erscheinen meine Beiträge, wenn ich das Gefühl habe etwas wäre wichtig genug um kommentiert zu werden. Damit gewinne ich auch mehr Zeit um mich mit dem jeweiligen Thema zu befassen. Ich bemühe mich aber weiterhin Texte kurz zu fassen. Zeit ist bekanntlich ein rares Gut. Nichts ändern wird sich vermutlich an meiner Ironie und meinem Sarkasmus. Ohne sie ist die gefühlte Ohnmacht nur schwer zu ertragen. Die Lage ist zu ernst, um ernst zu bleiben.

Wie einleitend erwähnt entzieht sich der Lauf der Dinge unserem Willen und Wollen. Zumindest jenen von uns, die nicht an den Schalthebeln der Macht sitzen. Selbst in unserer hochgerühmten direkten Demokratie, in der wir sogar über das Tragen von Kuhhörnern abstimmen können, gewinnt in aller Regel jene Seite mit dem grösseren Geldbeutel. Wer behauptet das Stimmvolk liesse sich nicht kaufen, könnte sich folglich – würde er selber an seine Behauptung glauben – jeden Franken für Wahlplakate und Abstimmungsparolen sparen. Die derzeit anstehende 99%-Prozentinitiative der Juso – die notabene nichts anders als eine faire Besteuerung von Kapitaleinkünften will (also Aktiengewinne, Mieten, Firmenverkäufe etc) – wird nicht scheitern, weil sie nicht in unser aller Interesse wäre, sondern weil sie mit Lügenpropaganda, Angstmacherei und Mythen und Märchen zu Grabe getragen wird. Auf eine Gegenwette verzichte ich.

Wer, wie ich, seit 50 Jahren praktisch an jedem Abstimmungssonntag eine Niederlage zu verdauen hat, kann natürlich resignieren. Eine durchaus bewährte Ausrede um nichts zu tun. In guter Gesellschaft mit Ignoranz, Egoismus und Gleichgültigkeit, der sichere Weg in den Kollpas. Denn gleich aus welchen Gründen wir die Karre in den Dreck fahren oder dort belassen, Probleme lösen sich nicht von selber. Im Gegenteil. Die aktuellen Krisen führen uns gnadenlos vor Augen, was nichts tun bedeutet. Die Probleme häufen und verschärfen sich.

Also weiter machen. Jede:r wie er/sie kann und mag.

Nehmen wir als Beispiel die nächste Corona-Welle, die sich wegen der mangelnden Impfbereitschaft, mit einer wöchentlichen Verdoppelung der Fallzahlen gerade ankündigt. Statt energisch dagegen zu halten, scheinen die Behörden aus Angst vor den finanziellen Folgen und den Hütern tiefer Steuern, sekundiert von den treichelnden Schreihälsen, zu kapitulieren und lassen es schleifen. In seltener Nonchalance heisst es darum, wer sich nicht impfen lässt, kann sich nicht mehr auf staatliche Massnahmen verlassen. Einverstanden. Wenn es denn nur die Ungeimpften träfe. Leider aber können die unter 12-jährigen immer noch nicht geimpft werden und werden so dem Virus quasi zum Frass vorgeworfen. Die Chance, dass sich das Virus bis zur Impfresistenz durchmutiert steht bereits drohend im Raum. Weshalb nicht endlich ehrlich und mutig ein Impfobligatorium verfügen (das Epidemiegesetz macht es möglich)? Zwar wäre der Aufschrei gross, der Schaden aber unendlich viel kleiner, als der, der praktizierten Durchwurstelpolitik. Wie uns die Natur lehrt, verhandelt sie nicht. Weder mit Banausen noch Taktierern. Was hilft, ist sie zu verstehen und ihr mit den eigenen Waffen ein Schnippchen zu schlagen. Kräutertee, viel frische Luft und beten stärkt vielleicht die Seele und gibt ein gutes Gefühl, helfen tut einzig das Impfen (oder vielleicht einmal ein Medikament). Wir können es freiwillig tun, unter Zwang oder aber auf die harte Tour. Objektiv gesehen aber haben wir keine Wahl. Die Natur wird siegen – so oder so.

Nehmen wir das Klima. Wir können noch so viele Gesetze versenken, das Klima kümmert es nicht. Es gehorcht einzige der Physik, die im Falle von CO2 besagt, dass dieses Gas die Wärme in der Erdatmosphäre hält. Glück und Pech zugleich. Den ohne diesen Effekt schlotterten wir bei durchschnittlich minus 18 Grad; mit zu viel davon, droht uns ein Glutofen. Nicht irgendwann. Jetzt. In Kanada waren es 49,7, in Sizilien gerade 48,8 Grad. Und selbstverständlich sind dies Extreme, so wenig wie die Überflutungen in Deutschland oder die Waldbrände am Mittelmeer, ursächlich dem Klimawandel zuzuordnen. Schmelzende Gletscher, die Statistik und das eigene Empfinden lassen allerdings keinen Zweifel offen. Wir befinden uns am Beginn einer Katastrophe. Es wäre also an der Zeit dagegen zu halten. Wäre es! Zu hören bekommen wir dafür laue Absichtserklärungen (nur ja niemandem weh tun – aktuelle der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative), Nebelpetarden (Atomkraftwerke sollen es richten – bis diese gebaut sind, müssen wir die Wohnungen vermutlich auch im Winter kühlen), Greenwashing (man tut so, als würde man etwas tun – zum Beispiel CO2-Kompensation im Ausland), usw. Solange wir, bzw. die Politik:er:innen nicht begreifen (wollen), dass wir es mit einer existentiellen Krise zu tun haben, nähern wir uns dem Abgrund. Das genaue Datum wurde uns zwar noch nicht bekannt gegeben, vielleicht haben wir es aber auch nur verpennt.

Nichts Neues also. Alles bekannt, alles wie gehabt, nur etwas mehr davon. Während die einen auf ein Wunder namens „Normalisierung“ hoffen (das Synonym für zurück zu den alten Tagen), resignieren die andern. Nur vor dem Kollaps sind alle gleich. Wären da nicht die Überlebenswilligen, wie z.B. die Klimajugend oder die unzähligen Bewegungen und Aktionsbündnisse zur Rettung von Walen bis hin zu Flüchtlingen aus dem Mittelmeer, der Rettung des Amazonas, der Hilfe vor Ort für die Ärmsten usw. stünde die Welt auf verlorenem Posten. Es bleibt einzig die Frage, ob diesmal die Zeit reicht die Titanic am Eisberg vorbei zu manövrieren. Die Mittel dazu hätten. Mittlerweile können wir Eisberge aus dem Weltall beobachten. Ignorieren wir dieses Wissen weiterhin, so müssen wir uns über den weiteren Verlauf nicht wundern. James Cameron hat uns 1997 epische Bilder und eine rührende Geschichte dazu geliefert. Ob Rose diesmal das „Herz des Ozeans“ (der blaue Diamant im o.g. Film) retten kann, muss allerdings offen bleiben – ich fürchte eher, sie säuft diesmal zusammen mit Jack gleich mit ab.

Alles viel zu pessimistisch?

Vielleicht. Wer kann schon in die Zukunft schauen? Bekanntlich sind Prognosen, die Zukunft betreffend, schwierig oder gar unmöglich. Das trifft für unerwartete Lebensereignisse mit Bestimmtheit zu, nicht aber für Ereignisse mit Ankündigung. Und genau um solche handelt es sich bei den ob genannten Beispielen. Wir wissen genug über das Verhalten von Viren, wir kennen die physikalischen Gesetzmässigkeiten in fast allen Details und wir kennen die Geschichte. Wer also meint wir wären dem Schicksal hilflos ausgeliefert, lügt, ist nicht richtig informiert oder will ganz einfach nichts ändern. Wir können etwas tun. Wir müssen nicht mal etwas erfinden. Der Ausstieg aus der fossilen Energie ist vorgezeichnet – wir müssen nur die entsprechenden Vorgaben (Regeln/Gesetze) beschliessen. Seuchen lassen sich mit impfen oder Medikamenten bekämpfen – wir müssen es nur wollen. Unser Verhältnis zu unserem wichtigsten Handelspartner (EU) lässt sich regeln – wir müssen nur vom hohen Ross steigen und die Flüchtlingskrise an den Grenzen lässt sich bewältigen – wir müssen nur erkennen, dass wir diese bald dringend brauchen werden (unsere Gesellschaft altert rapide). Dafür und für viele andere Sachen lohnt es sich zu streiten und zu kämpfen. Wer damit aufhört, resigniert oder auf ein Wunder hofft, hat mit Garantie verloren. Nie war die Zeit für einen Aufbruch reifer, wie heute. Denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Mein bescheidener Beitrag dazu: Blog schreiben, aufklären, Bewegungen unterstützen (materiell und ideell) – jede:r wie er kann.

PS: Es ist Sommer, es bläst ein lauer Wind, die Sonne scheint und ich geniesse meinen neuen grossen Sonnenschirm, während ich über diesen Zeilen brüte. Es sind oft die kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machen.

23.04.2021: Sonderfail

Ob Siegfried der Drachentöter oder Achill im trojanischen Krieg, beide waren sie unverwundbar und starben doch. Und so wie das Römische Reich und das Empire zerfielen, wird es auch allen anderen Unbezwingbaren ergehen. Das lehrt uns die Geschichte. Ausser uns natürlich. Denn die Schweiz ist ein Sonderfall. Seit Morgarten haben wir jeden Fremdling in die Flucht geschlagen (den peinlichen „Unfall“ mit Napoleon lassen wir mal beiseite) – mal mit Hellebarden, mal mit Bunkern und Tresoren, heute mit „Steuergesetzen“ und „guten Diensten aller Art“. Unser Abschreckungsdispositiv ist effektiv und macht uns unangreifbar – meinen wir. Wenn also jemand auserwählt ist, dann wir. Und dann kam eine chinesische Fledermaus.

Im ersten Schreck darüber, hiess es vernünftigerweise noch: „Bleiben sie zu Hause“. Für einen kurzen lichten Moment schien es, als stünde das Leben über dem Profit und Wissenschaft vor Mauschelei. Doch schon bald klaffte in Uelis Kässeli ein gar schröcklich Loch und die ausbleibenden Profite gefährdeten Dividenden wie Boni. Ein unhaltbarer Zustand. Und so besann man sich des alten guteidgenössischen Sonderfalls. Was also kümmern uns Wissenschaft und Expertise? Wir stehen doch über so profanen Dingen, wie Lockdown und geschlossenen Gaststätten. Erst noch verhalten, zwischenzeitlich aber offen obszön, werden Erkenntnisse in den Wind geschlagen. So kam die zweite Welle und so nimmt die dritte gerade Anlauf. 10’000 Tote und ungezählte Long-Covid-Opfer subsumieren sich zur Quantité négligeable. Allen voran fordern die Statthalter der Wüsten und Reichen, mit im Schlepptau, die der ganz schön Reichen, das Ende aller Einschränkungen, welche die Profitmaximierung stören könnten. Die Drecksarbeit auf der Strasse erledigt währenddessen ein unappetitlicher Haufen Ver(w)irrter – angeführt von edelweissbehemdeten Treichlern, aufgehetzt von faschistoiden Hipstern, verstärkt durch Jünger Christi, anthroposophische Impfgegner und betagter Anhänger jenseitiger Heilslehren. Resultat: Wir sind schlauer als sämtliche Virologen und Epidemiologen, schlauer als alle unsere Nachbarn und scheren uns einen Teufel um Mutationen und überfüllte Intensivpflegebetten. Wir sind die Ausnahme der Ausnahmen. Wir können Corona – Hauptsache der Rubel (sorry der Franken natürlich) rollt. Offen und zynisch wird das Leben und die Gesundheit ganzer Generationen in die Waagschale geworfen. Notabene, kaum drei Monate vor dem selbst deklarierten Ziel einer Herdenimmunität dank Impfens. Dafür schreddert man die eigenen Richtwerte und foutiert sich einen Deut um das was gerade passiert. Sei es in den Schulen, den Spitälern und schon gar nicht im Rest der Welt. Denn wir können es besser. Wir sind ein Sonderfall!

Wirklich? Was können wir denn besser? Schneller impfen vielleicht? Bessere Impfstoffe entwickeln? Haben wir wirkungsvollere Teststrategien? Ein lückenloses Tracing? Haben wir mehr Intensivstationen, bessere Ärzte und Pflegepersonal? Setzen wir verordnete Massnahmen besser um und durch? Die Antwort ist schnell gegeben. Nichts von alledem!Bestenfalls sind wir Mittelmass, schlimmstenfalls sind wir gescheitert. Wie begründet sich unser Sonderweg, über den das gesamte Ausland (ausser Bolsonaro vielleicht) den Kopf schüttelt, dann? Wissen unsere Politiker vielleicht mehr als die Wissenschaft? Mehr als alle übrigen Regierungen dieser Welt und mehr als wir alle? Wenn ja, dann sollten sie es uns sagen. Bisher scheint es aber eher als beugten sich unsere Verantwortungsträger dem Druck des Geldes und dem populistischen Geschrei der Sozialdarwinisten von $VP, Gastrosuisse und Arbeitgebern. Saubannerzüge werden wohlwollend geduldet und Krawalle herbeigeschrieben. Die Kapitulationsurkunde des Bundesrates hängt schon eingerahmt im Sekretariat der $VP-Parteizentrale – Kopien davon bei economiesuisse, Gastrosuisse und FDP. Vor lauter Kopfschütteln droht mir schon ein Schleudertrauma. Zurück bleiben Fragen. Wieso verschärft Deutschland (welches in etwa in der gleichen Lage ist, wie wir) seine Massnahmen im gleichen Augenblick, wo wir öffnen? Sind die Deutschen vielleicht krankheitsanfälliger, gar Mimosen? Impfen sie (noch) langsamer? Die vorliegenden Zahlen sagen etwas anderes. Das gleiche in Frankreich. Wieso meint Macron, Ausgangssperren würden etwas bringen, während wir es mit offenen Terrassen versuchen? Das gleiche Bild in einigen Bundesländern Österreichs und Italiens. Sind die alle blöd?

Oder sind wir vielleicht die Dummen? Die Vermutung liegt nahe, dass wir es am Ende sind. Ohne irgendwelche Horrorszenarien bemühen zu wollen – das erledigen die wissenschaftlich fundierten Prognosen der Epidemiologen von alleine – ist jetzt schon klar wer die Rechnung für diese Politik bezahlt. Wir alle! Vor allem aber alle unter 65, die man seit Wochen hängen lässt. Fehlt nur noch eine Lotterie für Impftermine. Denn sie zahlen es mit ihrer Gesundheit, dem Leben und Existenznöten. Über den zu erwartenden Reputationsschaden im Ausland, sei hier vornehm geschwiegen. Ein Tourist wird sich künftig zwei mal überlegen, wo er seinen Urlaub verbringt. So wie wir uns zieren mit der EU in einer vernünftigen Beziehung zu leben (Rahmenabkommen), so meinen wir auch bei Corona Rosinen picken zu können. Will heissen, wir tun das Minimum und erwarten das Maximum – die DNA unserer Politik seit Menschengedenken. Blöderweise ist das Virus aber kein Politiker, mit dem man dealen kann, sondern ein fieser Mistkäfer, der nur nach dem Gesetz des Überlebens funktioniert. Schlussfolgerung: Wir sind die Laborratten der Politik, die eine Wette auf unsere Zukunft abgeschlossen hat. Für einmal hoffe ich, sie gewinnen sie und ich habe unrecht. In solchen Zeiten sind solche Hoffnungen, wie Glühwürmchen in einer mondlosen Nacht.

Angeblich soll bei Angst in der Nacht, lautes Singen helfen. So betrachtet sind die Lockerungen für Chöre weitsichtig. Vielleicht hilft uns ja lautes Singen über die nächsten Monate hinweg. Besser allerdings wäre Turbo-Impfen, vorsichtig bleiben, Menschenansammlungen meiden, geschlossene Räume sowieso und draussen viel frische Luft tanken. Eigenverantwortlich, wie es so schön heisst. Support von Wirtschaft und Politik können wir dabei nicht erwarten. Es bleibt nur der Selbstschutz und die baldige Abwahl jener, die uns das einbrocken. Wer sich aber zufälligerweise oder weil er muss, an einen Hotspot oder in die Stadt verirrt, kann nur noch beten, singen oder flüchten. Als wollten wir der Welt beweisen, wie sonderlich wir sind, tun wir alles für unseren Sonderfail.

16.04.2021: Erstweltprobleme

Wer kennt es nicht? Man ist auf dem Bahnsteig und der Zug kommt und kommt nicht. Der Zeiger der Bahnhofsuhr quält sich im Rund. Die Anzeige vermeldet Verspätung. Die kalte Bise kriecht unter die viel zu dünne Jacke. Verdammt, wann endlich kommt mein Zug? Genau so fühlt sich das Pandemiedesaster an. Es will und will nicht. Und statt ein Ende, sind höhere Fallzahlen in Sicht. Kurz gesagt: Es ermüdet und zerrt an den Nerven. Zumindest an den meinen oder denen von uns Verwöhnten, die sich gewöhnt sind, dass alles wunschgemäss und wie am Schnürchen klappt. Also schmollen die einen, harren die andern und nölen die dritten. Alle wurden in diesem Blog schon durch den Kakao gezogen. Heute bin ich an der Reihe, oder meinetwegen Meinesgleichen.

Was habe ich Wohlstands-Rentner in dieser Pandemie eigentlich zu klagen? Meine Rente kommt pünktlich und reicht zum Leben, ich bin gesund und wohne sicher im eigenen Häuschen, draussen in der grünen Pampa. Und trotzdem müffel ich seit Tagen vor mich hin, bin lust- und antriebslos. Irgendwas fehlt. Etwas nagt. Aber was? Abwechslung? Inputs? Aufgaben? Sind es die geschlossenen Restaurants? Das geschlossene Hallenbad oder ist es einfach das tägliche Einerlei, welches zermürbt? Fehlt das Unbeschwerte? Das Easy Life? Das heute hier und morgen in Spanien? Im Ernst, ist es das? Gehöre ich auch schon zu den notorischen Nölern?

So oder so, allein der Gedanke ist ein erschreckender Befund. Schwingt auch hier der Bauch das Zepter und hinkt der Verstand hinterher? Urteil: Bedenklich! Wieso gelingt es nicht einmal einem Verstandesmenschen (Selbstdeklaration) wie mir, mit kühlem Kopf und ohne emotionale Blessuren, durch diese Krise zu kommen? Sind es wirklich die oben genannten Einschränkungen und Entbehrungen, welche mein Nervenkostüm strapazieren? Oder ist es doch etwas anderes? Aber was? Liegt es daran, dass wir verwöhnt sind? Dass wir meinen alles tun und lassen zu können? Wir Einschränkungen als Zumutung empfinden? Ist unser Narzissmus gekränkt, weil uns ein unsichtbares kleines Ding den Meister zeigt oder weil unser notorisches Jammern auf taube Ohren stösst? Wie oder was auch immer, wirkliche Probleme sind es nicht – wir reden von Befindlichkeiten. Wirkliche Probleme haben die täglich 4000 Toten in Brasilien, die 200‘000 Infizierten in Indien und die Millionen Brot- und Arbeitslosen rund um den Globus. Wir dagegen haben Erstweltprobleme. Peanuts also.

Probleme, für die andere, aus verständlichen Gründen, wenig Verständnis haben. Ja, selbst ich verstehe es nicht (ganz). Aber als „Kind“ dieser Gesellschaft ist ein Entrinnen leichter gesagt, als getan. Der Peinlichkeit geschuldet, versuche ich es trotzdem. Denn, wenn das diffuse Bauchgefühl auch den „luxuriösen“ Lebensumständen geschuldet ist, so ist der Verstand noch intakt. Und dieser kommt zu einem gänzlich anderen Befund. Einem der auf zwei Erkenntnissen ruht. Müde macht nicht das Virus, müde macht das stümperhafte Krisenmanagement und nervig sind nicht die verordneten Massnahmen, sondern deren lausige Umsetzung. Und beide Befunde werden uns noch lange über Corona hinaus beschäftigen. Die miserable Vorstellung der involvierten Behörden grenzt dabei schon an Dienstverweigerung. Eine Armeeapotheke die 700‘000 Tests vermodern lässt, nicht oder zu spät bestellte Impfstoffe, das politische Schmierentheater gegen den Bundesrat, Massnahmen und Wissenschaft und die leeren Impfversprechen seit Monaten, sind ein blanker Hohn. Das ermüdet und untergräbt das Vertrauen in Politik und Staat. Die Duldung von immer aggressiven Massnahmengegnern, das Vertrauen in Polizei und Justiz. Und während ich das hier schreibe, verlängert der Bundesrat die Pandemie gerade um Monate mit einer waghalsigen Öffnungsstrategie. Die wahren Herren in diesem Land sind offensichtlich weder Vouch noch Stimmbürger:in, sondern $VP und Wirtschaftslobby. Frei nach dem Gesetz der ungeschönten Marktwirtschaft werden die Risiken ausgelagert (ans Vouch) und der Gewinn privatisiert. Wenn es dann um die Verantwortung geht, wird es niemand gewesen sein. So weit, so bekannt. Mein angeknackstes Nervenkostüm und meine Lustlosigkeit gewinnen dafür Konturen. Irgendwie beruhigend. Denn es ist weder mein wohlstandsverwöhntes Bauchgefühl, noch die Pandemiemassnahmen, die mich ärgern. Ich ärgere mich nur grün und blau über unsere Politik und Politiker, welche ihr Fähnchen in den Wind halten. Einmal mehr bleibt das laue Lüftchen der gebotenen Vernunft ungehört. Auch das ist nicht neu und allein bin ich damit auch nicht. Der Frust über das Risiko, dem uns der Bundesrat damit aussetzt, macht sich in den Sozialen Medien gerade Luft. Dafür sind Twitter und Co. gemacht. Eine Lärmkulisse für Frustrierte. Fakten schaffen andere. Am Samstag werde ich geimpft – immerhin.

02.04.2021: Der Bauchnabel

Es ist ein Affront. Nein – eine bodenlose Frechheit. Ein Komplott gar. Da zieht wer an einem Freitagnachmittag in eine neue Wohnung, schliesse den Fernseher an und nichts! Schwarz! Die Dose tot. Also Anruf bei UPC. Und nun folgt der Hammer! Die schicken ihren Techniker erst am Montag. Am Moooontag! Und „ich“ guck am Wochenende in die Röhre. Was ist das für ein Saftladen? Und dann meine Ferien. Gestrichen! Die wollen dass ich nach meinem Strandurlaub zwei Wochen in Quarantäne gehe. Die können mich mal! Und impfen soll ich mich auch noch. Ich lass mich doch nicht chipen! Ich wandere aus.

Das erste Beispiel (Fernseher) ist authentisch, alle anderen den Medien entnommen. Alle bringen sie aber eine Haltung zum Ausdruck, die zwar nicht neu ist, sich aber in dieser Pandemie, wie ein aggressives Virus verbreitet. Die Bauchnabelitis. Jener Charakterzug, genährt aus Egoismus und Anspruchshaltung, der unsere Zeit prägt. Dazu gesellt sich eine Ignoranz für die simpelsten Zusammenhänge, eine jämmerliche Opferhaltung und eine Arroganz des Nicht- oder Halbwissens. Und über all dem prangt das Lebensmotto: „Das steht mir zu!

Gründe und Erklärungsversuche für diesen „Zeitgeist“ gibt es viele. Sie reichen von der neoliberalen Elbogengesellschaft (jede:r gegen jede:n), dem Populismus, bis zu den Algorithmen der Sozialen Medien. Vermutlich ist es von allem etwas. In jedem Fall ist er aber toxisch. Toxisch, weil Egoist:innen meinen, auf andere keine Rücksicht nehmen zu müssen. Toxisch, weil Ignorant:innen (ihre) Meinung über Fakten stellen und weil das Gejammer der (angeblich) Zukurzgekommenen ein Affront gegenüber allen wirklichen Opfern ist. Stilikone dieser Jammergestalten ist der Judenstern, als Symbol für die angebliche Coronadiktatur, der ohne Scham, am Revers, durch die Strassen getragen wird. Eine grössere Verhöhnung der Opfer des Holocaust ist kaum denkbar. Wer aber sein Bauchgefühl zum Nabel der Welt erkürt, für den/die gibt es kein grösseres Opfer, als sich selbst. Da mutieren schon mal zwei fernsehfreie Tage zur Zumutung und sind Anlass für Wut, Protest und tief empfundene Kränkung.

Das Phänomen hat viele Namen. Wohlstandsverwahrlosung, fehlende Frustrationstoleranz bis hin zum Schneeflöckchen (für Jammeris und Weicheier). Doch wie man es auch nennen mag, es ist Ausdruck eines Gefühls des „zu kurz gekommen seins“, des „beschissen worden seins“ und des „das steht mir doch zu“. Und Gefühle täuschen sich angeblich nie – ich spüre sie ja in meinem Bauch. Die Wut, die alles verkrampft und die Ohnmacht, die mir den Appetit verdirbt. Das persönliche Wohlbefinden als Massstab der Welt, welche die Vernunft zu FakeNews erklärt. Jeder nur noch mit sich selbst beschäftigt.

Wie einfach es doch wäre, jetzt mit dem Finger auf „die Andern“ zu zeigen (denn es sind immer „die Andern“) – die Verschwörungsgläubigen, Impfgegner, die Ferienhungrigen, partysüchtigen Jugendlichen und Maskenverweigerer. Doch verbirgt sich hinter dem Gejammer um fehlende Impfstoffe und Termine nicht eine ähnliche Anspruchshaltung? Wieso steht „mir“ eine Impfung zu, dem Slumbewohner in Bogota aber nicht? Ist es weil wir hier ein funktionierendes Gesundheitssystem haben und in Kolumbien nicht? Oder ist es, weil wir reich (ergo „besser“) sind und die Slumbewohner arm? Die Antwort gibt sich selber. Dabei mutiert das Virus in den Elendsvierteln Macaos unter den Ungeimpften munter weiter und trifft uns wahrscheinlich früher oder später mit voller Wucht. Boris Johnson meinte kürzlich, das hohe Impftempo in Grossbritannien wäre das Resultat von Gier und Kapitalismus. Vermutlich war er noch nie so ehrlich. Nur – diese Impfdosen fehlen jetzt andernorts, wo sie vielleicht noch Schlimmeres verhütet hätten. Dummerweise hat der Bauch keine Augen – er ist blind. Das (momentan) gute Gefühl in der Magengrube aber ist trügerisch. Wie die Auswirkungen von Völlerei und ungesunden Essen – diese machen sich auch erst hinterher bemerkbar. Wenn es schon zu spät, oder teuer wird.

26.03.2021: (Sch)Impfen

Eigentlich habe ich die Schnauze von diesem Coronagedöns gestrichen voll. Man verzeihe mir die Tirade. Trotzdem dreht es sich heute ein weiteres Mal um das nervtötende Thema Pestilenz und ihre Folgen. Diesmal geht es ums Schimpfen und ums Impfen.

Wie viele Reiche, Staaten und Imperien seit der Antike, von den Sumerern bis zum Römischen Reich durch Seuchen ausgelöscht wurden, werden wir wohl nie genau wissen. Es waren viele. Allein das Römische Reich wurde mehrfach, von den Pocken (Antoninische Pest 165-180 n Chr.) und am Ende von der Pest selbst (Justianische Pest 541-770 n. Chr.) heimgesucht. Mit Millionen von Toten. Im 14. Jahrhundert raffte dieselbe die Hälfte Europas Bevölkerung dahin. Seuchen hiessen bis zur Erfindung von Antibiotika und des Impfens: Tot, Elend und oft das Ende von Imperien und Kulturen (die Ureinwohner Amerikas wurden zu 90% von eingeschleppten Krankheiten, wie Pocken, Masern und der Diphtherie ausgelöscht). Und noch im letzten Jahrhundert tötete die Spanische Grippe, weltweit geschätzte 100 Millionen Menschen – zehn mal mehr, als der gesamte Erste Weltkrieg in den Schützengräben. Grund genug also, sich vor der Pest (als Sammelbegriff für Krankheit und Seuchen) zu fürchten. Diese Angst steckte auch noch in meiner Grossmutter, die 1918 ihren Bruder an die Spanische Grippe verlor, und sogar in meiner Mutter, die jeden Schnupfen ihrer Kinder, für einen Abgesandten des Sensenmanns hielt. Ihre Hauptlektüre war deshalb ein dickes „Doktorbuch“ – ein schwerer, anthrazit-grauer Wälzer, in dem sämtliche Seuchen, von der blutigen Ruhr bis zur Schwindsucht, mit allen Symptomen, verzeichnet waren. Krank sein hiess eben: Angst, Hilflosigkeit, Elend und (oft genug) Tod. In vielen Entwicklungsländern ist es auch heute noch so.

Und dann kam die Wissenschaft und machte diesen Geisseln der Menschheit ein Ende – oder zumindest fast. 1796 „impfte“ Dr. Eduard Jenner in England einen Jungen mit dem Sekret einer Rinderpockenpustel, gegen die Pocken. Es wirkte – der Jung war immun und wurde von den Blattern, dem möglichen Siechtum und Tod verschont. Kaum 20 Jahre später wurde die Pockenimpfung in vielen Ländern zur Pflicht erklärt. Man sah in einer Sterberate von (nur) 3% durch das Impfen, gegenüber den 30% durch die Pocken, einen grossen Fortschritt. 1978 verstarb Janet Parker als Letzte von hunderten Millionen, an dieser Seuche. Impfpflicht sei Dank. Die Pocken waren besiegt. Es folgten weltweite Impfkampagnen gegen Masern, Polio, Diphtherie, Mumps, Röteln usw. Ausgerottet sind diese bis heute nicht ganz, aber sie verloren ihren Schrecken. Statt Millionen töten sie „nur“ noch Tausende. Den Heulsusen hier scheint das aber egal zu sein. Ihr Geheul, wenn unter einer Million Covid-Geimpfter, sechs allergisch reagieren, ist ohrenbetäubend. Die bisher 2,8 Millionen Toten durch Covid sind ebenfalls kein Thema. Die wären ja sowieso an „Altersschwäche“ gestorben….(*ironieoff). Und statt sich über den raschen Erfolg der Wissenschaft in der Entwicklung eines Covid-Impfstoffes zu freuen, schimpfen die einen, weil es zu langsam geht und demonstrieren andere gegen eine angebliche Impfpflicht – Todesdrohungen inklusive.

Wohl keine Entwicklung der Wissenschaft hat mehr zum Wohle der Menschheit beigetragen, wie Antibiotika und das Impfen. Keine Technik mehr Leben gerettet und Leid vermieden. Und doch „fürchten“ sich immer mehr vor diesem Piks. Für viele Naturheilkundler:innen Homöopathe:innen und esoterischen Kreise ist Impfen gar des Teufels. Horrorgeschichten von Autismus (auf Grund einer nachweislich gefälschten Studie) bis zu Gen-Manipulation, impfen von Chips (angeblich von Bill Gates um uns fernzusteuern) und gar die Ausrottung der Menscheit, machen die Runde. Den Vogel schiessen jene ab, die ihre Kinder an Masernpartys schicken, um sie zu immunisieren. Dank solchen Impfskeptikern starben 2019 weltweit wieder über 200‘000 Kinder an dieser „harmlosen“ Kinderkrankheit. Und nun folgt Covid.

Während Regierungen, Wirtschaft und Millionen pandemiemüder Bürger um mehr Impfstoff von Pfizer bis Sputnik betteln, weigert sich 1/3 standhaft sich piksen zu lassen. In auffälliger Personalunion mit den sog. Coronaskeptikern tragen sie ihre Wut in die Stadtzentren von Rapperswil bis Liestal, um uns systemgläubigen Impflinge vor dem drohenden Untergang zu warnen. Fast könnte man meinen die Zeugen Jehovas verkündeten den nahenden Weltuntergang. Das Virus freut sich und klatscht Beifall. Um vor diesem halbwegs sicher zu sein, wären aber laut Epidemiologen mind. 70, besser wohl über 80% Geimpfte nötig. Gewinnen die Impfverweigerer, dürfen wir uns auf sich ewig wiederholende Seuchenherde, Reisebeschränkungen und lästiges Maskentragen freuen. Danke!

Selbstverständlich gibt es viele Gründe für Fragen und Skepsis rund ums Impfen. Das beginnt mit der Profitgier der Pharmaindustrie. (Wobei, auch das sei angemerkt: Auch mit Globuli, Ayuverda und Hokuspokus werden Millionen verdient.) Dann die Erinnerungen an geheime Menschenversuche in psychiatrischen Kliniken im letzten Jahrhundert und die Medikamentenskandale (Contergan etc)., mit Toten und scheusslichen Missbildungen. Das Misstrauen in die Moderne Medizin hat Gründe. Man braucht sich also nicht zu wundern. Trotzdem ist die jetzt vorgebrachte Kritik irrational und kaum zu verstehen. Denn es werden nicht (aktuelle) Missstände kritisiert, sondern das Impfen generell in Frage gestellt. Statt z. B. darauf zu pochen, dass die Firmen ihre (staatlich finanzierten) Patente frei geben um das Vakzin schneller und billiger produzieren zu können, wird das Tempo der Impfstoffentwicklung (Pfusch wird impliziert) kritisiert. Selbst der unsägliche Impfnationalismus ist kein Thema – im Gegenteil, man macht fröhlich mit. Dass sich die Heilmittelbehörden und die Wissenschaft den Arsch aufreissen, scheint nicht von Belang. Das eigene Bauchgefühl erklären wir zum Massstab aller Dinge. Auf der Strecke bleibt nicht nur unsere Gesundheit, wir riskieren auch irreparable Schäden an Institutionen und dem friedlichen Zusammenleben. Und statt sich über das baldige Ende der Pandemie zu freuen, verbreiten wir das Virus fröhlich weiter. Man gewinnt den Eindruck, als wünschten sich viele ein Zurück zu Schamanen, Quacksalbern und Gesundbetern. Es fehlen nur noch die Scheiterhaufen für die Hexen.

Wenn wir einigermassen heil aus diesem Schlamassel herauskommen wollen, bleibt uns, bei allen Fehlern der Vergangenheit und der berechtigten Kritik an Pharma und Schulmedizin, nur der Weg über das Impfen möglichst vieler Menschen. Die Alternativen sind schlicht zu teuer – ethisch, politisch und wirtschaftlich. Das setzt eine Portion Geduld und Vertrauen voraus. Die zur Zeit zwei kostbarsten Güter. Also lassen wir das Schimpfen – und impfen.