Restart – Resignation oder Aufbruch

Insgesamt 66 Blogs habe ich zwischen April 2020 und Juni 2021 geschrieben. Man könnte sie auch als Krisen- oder Corona-Blog bezeichnen. Natürlich ging es nicht nur um die Pandemie und ihre Folgen. Oft war diese nur der Aufhänger für andere Aufreger und Krisen. Im Wissen um meinen nicht selten dystopischen Unterton (wir sind am Arsch), war ich auch immer wieder um hoffnungsvolle und versöhnliche Töne bemüht. Bis im Juni, als eine Mehrheit der Stimmberechtigten in ihrer Weisheit, das zahnlose CO2-Gesetz beerdigte, und Gift in ihrem Trinkwasser (man sieht es ja nicht) auch weiterhin cool fanden. Wo die Prioritäten im Jahre 2021 liegen, war somit klar gemacht. Das eigene Portmonee. Das war der Moment, wo ich eine Pause einlegte. Zum einen zum Selbstschutz, um euch vor meiner Wut, Ratlosigkeit und Enttäuschung zu schützen, zum andern um der drohenden Langeweile durch den ewig gleichen Sermon zu entkommen. Und natürlich auch um mir Gedanken über die Zukunft dieses Blogs zu machen. Diese Zeit habe ich genutzt.

Vorab die nüchterne Erkenntnis: Durch Pausen hält man den Lauf der Welt nicht auf.

Zwar reduzierte sich der mir selbst auferlegte Druck, wöchentlich ein Thema zu finden (wobei es meist umgekehrt war – die Themen fanden mich) und zu kommentieren, aber die Ereignisse liessen mich trotzdem nicht in Ruhe. Und davon gab und gibt es wahrlich genug. Zum Beispiel lag am 11. Juni (am Tag als ich beschloss zu pausieren) die Zahl der Corona-Inifzierten bei 394, heute am 12. August bei 2124 – also 5,4 mal höher. Die damalige Hoffnung dieser Seuche durch eine Impfung endlich Herr zu werden, hat sich somit in Luft aufgelöst – den Impfverweigerern sei Dank. Die Illusion mit dem Versenken des CO2-Gesetzes wäre das leidige Thema Klimakrise endlich erledigt, war ebenso ein Trugschluss. Die Waldbrände von Sibirien (aktuell 6 Millionen Hektar im Brand) über das Mittelmeer bis Kalifornien und die Sintfluten in Mitteleuropa können selbst von den hartnäckigsten Ignoranten nicht geleugnet werden – sollte man meinen. Weniger beachtet, aber nicht weniger tragisch, auch des Versagen des „Westens“ in Afghanistan, wo gerade die Frauen den Religioten der Taliban ans Messer geliefert werden. Die Aussetzung der Rückschiebung afghanischer Migranten in letzter Minute, hört sich dabei schon fast wie eine Erfolgsmeldung an. Da sind die 993 (allein 2021) ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer auch kaum mehr der Rede wert. Auch kaum zu reden gibt unsere Selbstdemontage in Europa. Dem weisen Ratschluss unseres Bundesrates sei Dank. Dank diesem sind wir von europäischen Forschungsprojekten (Horizon) ausgeschlossen (wer hat Wissenschaft und Forschung schon nötig) und bald werden wir wohl um Strom betteln müssen (fehlendes Stromabkommen). Dafür hat uns die $VP eine neues Feindbild beschert. Neu zieht diese tiefe Gräben um die Städte. Mit velofahrenden Luxussozialisten (vermutlich sind damit auch die Klimaforscher an der ETH gemeint) und Freunden streunender Wölfe (den diese Grünversifften ums Verrecken nicht zu Abschuss freigeben wollen) will das hart arbeitende Landvolk nichts (mehr) zu tun haben – sagt die Partei der Milliardäre. Dazu passt die gestrige Aussage meiner ehemaligen Nachbarin: „Die, die nicht ins Gymi gehen, sind die, die arbeiten.“ (Im Umkehrschluss: „Studierte“ hocken auf der faulen Haut). Die Wirkung der o.g. Parteiparole wäre somit belegt. Und während ich hier in die Tasten haue, trycheln die „Freunde der Seuche“ durch die Strassen Berns und sorgen für die Verlängerung der Pandemie und weitere Tote. Wie diese Auflistung zeigt: Es ist August wie Juni.

Was nun?

Zuerst ein paar Worte zu meinem Blog. Den Wochenrhythmus gibt es nicht mehr. Die Qualität leidet, wenn man zu sehr unter Schreibstress steht. Ausserdem wurde ich nicht pensioniert, um wieder im Hamsterrad des „Lieferns um jeden Preis“ zu landen. In Zukunft also erscheinen meine Beiträge, wenn ich das Gefühl habe etwas wäre wichtig genug um kommentiert zu werden. Damit gewinne ich auch mehr Zeit um mich mit dem jeweiligen Thema zu befassen. Ich bemühe mich aber weiterhin Texte kurz zu fassen. Zeit ist bekanntlich ein rares Gut. Nichts ändern wird sich vermutlich an meiner Ironie und meinem Sarkasmus. Ohne sie ist die gefühlte Ohnmacht nur schwer zu ertragen. Die Lage ist zu ernst, um ernst zu bleiben.

Wie einleitend erwähnt entzieht sich der Lauf der Dinge unserem Willen und Wollen. Zumindest jenen von uns, die nicht an den Schalthebeln der Macht sitzen. Selbst in unserer hochgerühmten direkten Demokratie, in der wir sogar über das Tragen von Kuhhörnern abstimmen können, gewinnt in aller Regel jene Seite mit dem grösseren Geldbeutel. Wer behauptet das Stimmvolk liesse sich nicht kaufen, könnte sich folglich – würde er selber an seine Behauptung glauben – jeden Franken für Wahlplakate und Abstimmungsparolen sparen. Die derzeit anstehende 99%-Prozentinitiative der Juso – die notabene nichts anders als eine faire Besteuerung von Kapitaleinkünften will (also Aktiengewinne, Mieten, Firmenverkäufe etc) – wird nicht scheitern, weil sie nicht in unser aller Interesse wäre, sondern weil sie mit Lügenpropaganda, Angstmacherei und Mythen und Märchen zu Grabe getragen wird. Auf eine Gegenwette verzichte ich.

Wer, wie ich, seit 50 Jahren praktisch an jedem Abstimmungssonntag eine Niederlage zu verdauen hat, kann natürlich resignieren. Eine durchaus bewährte Ausrede um nichts zu tun. In guter Gesellschaft mit Ignoranz, Egoismus und Gleichgültigkeit, der sichere Weg in den Kollpas. Denn gleich aus welchen Gründen wir die Karre in den Dreck fahren oder dort belassen, Probleme lösen sich nicht von selber. Im Gegenteil. Die aktuellen Krisen führen uns gnadenlos vor Augen, was nichts tun bedeutet. Die Probleme häufen und verschärfen sich.

Also weiter machen. Jede:r wie er/sie kann und mag.

Nehmen wir als Beispiel die nächste Corona-Welle, die sich wegen der mangelnden Impfbereitschaft, mit einer wöchentlichen Verdoppelung der Fallzahlen gerade ankündigt. Statt energisch dagegen zu halten, scheinen die Behörden aus Angst vor den finanziellen Folgen und den Hütern tiefer Steuern, sekundiert von den treichelnden Schreihälsen, zu kapitulieren und lassen es schleifen. In seltener Nonchalance heisst es darum, wer sich nicht impfen lässt, kann sich nicht mehr auf staatliche Massnahmen verlassen. Einverstanden. Wenn es denn nur die Ungeimpften träfe. Leider aber können die unter 12-jährigen immer noch nicht geimpft werden und werden so dem Virus quasi zum Frass vorgeworfen. Die Chance, dass sich das Virus bis zur Impfresistenz durchmutiert steht bereits drohend im Raum. Weshalb nicht endlich ehrlich und mutig ein Impfobligatorium verfügen (das Epidemiegesetz macht es möglich)? Zwar wäre der Aufschrei gross, der Schaden aber unendlich viel kleiner, als der, der praktizierten Durchwurstelpolitik. Wie uns die Natur lehrt, verhandelt sie nicht. Weder mit Banausen noch Taktierern. Was hilft, ist sie zu verstehen und ihr mit den eigenen Waffen ein Schnippchen zu schlagen. Kräutertee, viel frische Luft und beten stärkt vielleicht die Seele und gibt ein gutes Gefühl, helfen tut einzig das Impfen (oder vielleicht einmal ein Medikament). Wir können es freiwillig tun, unter Zwang oder aber auf die harte Tour. Objektiv gesehen aber haben wir keine Wahl. Die Natur wird siegen – so oder so.

Nehmen wir das Klima. Wir können noch so viele Gesetze versenken, das Klima kümmert es nicht. Es gehorcht einzige der Physik, die im Falle von CO2 besagt, dass dieses Gas die Wärme in der Erdatmosphäre hält. Glück und Pech zugleich. Den ohne diesen Effekt schlotterten wir bei durchschnittlich minus 18 Grad; mit zu viel davon, droht uns ein Glutofen. Nicht irgendwann. Jetzt. In Kanada waren es 49,7, in Sizilien gerade 48,8 Grad. Und selbstverständlich sind dies Extreme, so wenig wie die Überflutungen in Deutschland oder die Waldbrände am Mittelmeer, ursächlich dem Klimawandel zuzuordnen. Schmelzende Gletscher, die Statistik und das eigene Empfinden lassen allerdings keinen Zweifel offen. Wir befinden uns am Beginn einer Katastrophe. Es wäre also an der Zeit dagegen zu halten. Wäre es! Zu hören bekommen wir dafür laue Absichtserklärungen (nur ja niemandem weh tun – aktuelle der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative), Nebelpetarden (Atomkraftwerke sollen es richten – bis diese gebaut sind, müssen wir die Wohnungen vermutlich auch im Winter kühlen), Greenwashing (man tut so, als würde man etwas tun – zum Beispiel CO2-Kompensation im Ausland), usw. Solange wir, bzw. die Politik:er:innen nicht begreifen (wollen), dass wir es mit einer existentiellen Krise zu tun haben, nähern wir uns dem Abgrund. Das genaue Datum wurde uns zwar noch nicht bekannt gegeben, vielleicht haben wir es aber auch nur verpennt.

Nichts Neues also. Alles bekannt, alles wie gehabt, nur etwas mehr davon. Während die einen auf ein Wunder namens „Normalisierung“ hoffen (das Synonym für zurück zu den alten Tagen), resignieren die andern. Nur vor dem Kollaps sind alle gleich. Wären da nicht die Überlebenswilligen, wie z.B. die Klimajugend oder die unzähligen Bewegungen und Aktionsbündnisse zur Rettung von Walen bis hin zu Flüchtlingen aus dem Mittelmeer, der Rettung des Amazonas, der Hilfe vor Ort für die Ärmsten usw. stünde die Welt auf verlorenem Posten. Es bleibt einzig die Frage, ob diesmal die Zeit reicht die Titanic am Eisberg vorbei zu manövrieren. Die Mittel dazu hätten. Mittlerweile können wir Eisberge aus dem Weltall beobachten. Ignorieren wir dieses Wissen weiterhin, so müssen wir uns über den weiteren Verlauf nicht wundern. James Cameron hat uns 1997 epische Bilder und eine rührende Geschichte dazu geliefert. Ob Rose diesmal das „Herz des Ozeans“ (der blaue Diamant im o.g. Film) retten kann, muss allerdings offen bleiben – ich fürchte eher, sie säuft diesmal zusammen mit Jack gleich mit ab.

Alles viel zu pessimistisch?

Vielleicht. Wer kann schon in die Zukunft schauen? Bekanntlich sind Prognosen, die Zukunft betreffend, schwierig oder gar unmöglich. Das trifft für unerwartete Lebensereignisse mit Bestimmtheit zu, nicht aber für Ereignisse mit Ankündigung. Und genau um solche handelt es sich bei den ob genannten Beispielen. Wir wissen genug über das Verhalten von Viren, wir kennen die physikalischen Gesetzmässigkeiten in fast allen Details und wir kennen die Geschichte. Wer also meint wir wären dem Schicksal hilflos ausgeliefert, lügt, ist nicht richtig informiert oder will ganz einfach nichts ändern. Wir können etwas tun. Wir müssen nicht mal etwas erfinden. Der Ausstieg aus der fossilen Energie ist vorgezeichnet – wir müssen nur die entsprechenden Vorgaben (Regeln/Gesetze) beschliessen. Seuchen lassen sich mit impfen oder Medikamenten bekämpfen – wir müssen es nur wollen. Unser Verhältnis zu unserem wichtigsten Handelspartner (EU) lässt sich regeln – wir müssen nur vom hohen Ross steigen und die Flüchtlingskrise an den Grenzen lässt sich bewältigen – wir müssen nur erkennen, dass wir diese bald dringend brauchen werden (unsere Gesellschaft altert rapide). Dafür und für viele andere Sachen lohnt es sich zu streiten und zu kämpfen. Wer damit aufhört, resigniert oder auf ein Wunder hofft, hat mit Garantie verloren. Nie war die Zeit für einen Aufbruch reifer, wie heute. Denn wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Mein bescheidener Beitrag dazu: Blog schreiben, aufklären, Bewegungen unterstützen (materiell und ideell) – jede:r wie er kann.

PS: Es ist Sommer, es bläst ein lauer Wind, die Sonne scheint und ich geniesse meinen neuen grossen Sonnenschirm, während ich über diesen Zeilen brüte. Es sind oft die kleinen Dinge, die das Leben lebenswert machen.

05.06.2021: Das Unglück der Glücklichen

Was sind wir doch für ein armes gebeuteltes Volk. Wahlweise durch eine despotische Regierung geknechtet – immer dann, wenn uns etwas nicht in den Kram passt – oder bevormundet durch linksgrün versiffte Heuchler und Weltverbesserer, die uns unseren Male-Urlaub vermiesen, uns in die Hungersnot treiben und den Subaru 4×4 verbieten wollen. Wir leben in wahrhaft miesen Zeiten. Und doch flattert an jeder Ecke die Fahne des glücklichsten Landes der Welt. Das Schweizer Kreuz. Garantiert EU-frei und reich das es stinkt. Zumindest statistisch. Denn davon merkt man im Alltag nicht allzu viel. Die Dukaten sind schlecht verteilt, verstecken sich und so denkt jede:r, der oder die hätte mehr davon und beäugt neidisch das neue Auto in der Garage des Nachbarn. Bliebe es dabei, könnte man über die kleine menschliche Schwäche hinwegsehen und schmunzelnd seines Weges ziehen. Leider bleibt es nicht dabei.

Die so Zukurzgekommenen suchen alsbald Schuldige. Mangel an diesen gibt es wahrhaft nicht, und sie werden erst noch frei Haus geliefert. Ungefragt, wie Werbewurfsendungen werden sie uns dieser Tage wieder an den Strassenrändern und Heuschobern um die Ohren gehauen. Quartalsweise, fein abgestimmt auf das aktuell konstruierte Feindbild, sind es mal Messerstecher, schwarze Schafe, rotes Gewürm und aktuell all jene, die dem steuergeplagten Bürger das Autofahren, Fliegen und Heizen vergällen wollen. Die gleichen Extremisten, die Gülle und Chlorotanonyl in ihrem Trinkwasser hassen. Wie kann man da noch glücklich sein?

Lästig wie Greta und ihre Schulschwänzer. Lästig wie die grünen Spinner, die sich von bio-veganem Gemüse und Quinoa ernähren. Lästig wie die EU, Flüchtlinge und bald wohl Joe Biden. Wie ein Mahnfinger lauern sie hinter jeder Hecke. Das mögen wir gar nicht. Man soll uns bitte in Ruhe lassen. In Ruhe Geld scheffeln, in Ruhe Geschäfte machen, in Ruhe tun und lassen, was das Herz begehrt. Was kümmert uns Morgen? Eben.

Hauptsache schön bequem. Hauptsache rentabel. Hauptsache weiter wie bisher. Also weg mit allem das stört. Weg mit (neuen) Verträgen, Vorschriften und Gesetzen. Weg mit Ausländern. Weg mit all den linken und grünen Stänkerern. Die Sonne winkt am Horizont. Nur ob sie auf oder unter geht, ist noch nicht entschieden. So bedeutet sie den einen Glück und ist den andern Drohung. Zwischenzeitlich ängstigt sie mich. Nicht so sehr wegen der drohenden Klimakatastrophe, viel mehr wegen dem was uns hinter dem Horizont erwartet. Es gibt aktuell genug Beispiele, von Polen, Weissrussland, der Türkei bis zu den Putschfantasien amerikanischer Politiker, die uns Angst machen sollten. Und wer nun glaubt, uns könnte sowas nie passieren, hat in Geschichte gepennt. Spätestens wenn die Aussichten auf eine bessere Zukunft schwinden und ein paar Geldsäcke sich um ihren Reichtum fürchten, steht auch bei uns die Demokratie zur Disposition. Es beginnt damit, dass sich die Presse in immer weniger Händen konzentriert, Angriffen aufs Fernsehen und Gesetzen, wie dem neuen Antiterrorgesetz, dass zur Abstimmung steht. Wir sind gewarnt.

Wie weit es mit dem Demokratieverständnis vieler Mitbürger ist, zeigen aktuell die haufenweise zerstörten Abstimmungsplakate. Noch deutlicher wird die Gemütslage, wenn man die Kommentare in den Online und Sozialen Medien verfolgt. Lügen scheint das neue Normal. Angst schüren tägliches Handwerk und Ressentiments an der Tagesordnung. Nur um die Inhalte geht es nie. Weder bei den Agrarinitiativen noch dem CO2-, dem Covid- oder dem Antiterrorgesetz. Es geht einzig um die Erhaltung von Pfründen. Stillstand ist Programm. Rückwärts das neue Vorwärts. Auf den festgefahrenen Karren folgt das Herz. Exitus.

Es ist offensichtlich. Das Glück der Glücklichen ist in Gefahr. Selbstverständliches ist in Frage gestellt. Alte Gewohnheiten stehen am Pranger. Das mag niemand. So viel ist klar. Wie bei Jeremia (15.10 15-21) soll oder wird der Überbringer der schlechten Nachricht geköpft. Also prüglet man auf alle ein, die mahnend den Finger heben, ein inne halten oder gar eine Umkehr fordern. So lässt es sich die gute alte Zeit noch für eine Weile in Ruhe und Frieden geniessen – was danach folgt, egal. Um es mit Ghandi zu sagen: „Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie sich und dann gewinnst du.“ Hat er Recht, können wir beruhigt sein.

23.04.2021: Sonderfail

Ob Siegfried der Drachentöter oder Achill im trojanischen Krieg, beide waren sie unverwundbar und starben doch. Und so wie das Römische Reich und das Empire zerfielen, wird es auch allen anderen Unbezwingbaren ergehen. Das lehrt uns die Geschichte. Ausser uns natürlich. Denn die Schweiz ist ein Sonderfall. Seit Morgarten haben wir jeden Fremdling in die Flucht geschlagen (den peinlichen „Unfall“ mit Napoleon lassen wir mal beiseite) – mal mit Hellebarden, mal mit Bunkern und Tresoren, heute mit „Steuergesetzen“ und „guten Diensten aller Art“. Unser Abschreckungsdispositiv ist effektiv und macht uns unangreifbar – meinen wir. Wenn also jemand auserwählt ist, dann wir. Und dann kam eine chinesische Fledermaus.

Im ersten Schreck darüber, hiess es vernünftigerweise noch: „Bleiben sie zu Hause“. Für einen kurzen lichten Moment schien es, als stünde das Leben über dem Profit und Wissenschaft vor Mauschelei. Doch schon bald klaffte in Uelis Kässeli ein gar schröcklich Loch und die ausbleibenden Profite gefährdeten Dividenden wie Boni. Ein unhaltbarer Zustand. Und so besann man sich des alten guteidgenössischen Sonderfalls. Was also kümmern uns Wissenschaft und Expertise? Wir stehen doch über so profanen Dingen, wie Lockdown und geschlossenen Gaststätten. Erst noch verhalten, zwischenzeitlich aber offen obszön, werden Erkenntnisse in den Wind geschlagen. So kam die zweite Welle und so nimmt die dritte gerade Anlauf. 10’000 Tote und ungezählte Long-Covid-Opfer subsumieren sich zur Quantité négligeable. Allen voran fordern die Statthalter der Wüsten und Reichen, mit im Schlepptau, die der ganz schön Reichen, das Ende aller Einschränkungen, welche die Profitmaximierung stören könnten. Die Drecksarbeit auf der Strasse erledigt währenddessen ein unappetitlicher Haufen Ver(w)irrter – angeführt von edelweissbehemdeten Treichlern, aufgehetzt von faschistoiden Hipstern, verstärkt durch Jünger Christi, anthroposophische Impfgegner und betagter Anhänger jenseitiger Heilslehren. Resultat: Wir sind schlauer als sämtliche Virologen und Epidemiologen, schlauer als alle unsere Nachbarn und scheren uns einen Teufel um Mutationen und überfüllte Intensivpflegebetten. Wir sind die Ausnahme der Ausnahmen. Wir können Corona – Hauptsache der Rubel (sorry der Franken natürlich) rollt. Offen und zynisch wird das Leben und die Gesundheit ganzer Generationen in die Waagschale geworfen. Notabene, kaum drei Monate vor dem selbst deklarierten Ziel einer Herdenimmunität dank Impfens. Dafür schreddert man die eigenen Richtwerte und foutiert sich einen Deut um das was gerade passiert. Sei es in den Schulen, den Spitälern und schon gar nicht im Rest der Welt. Denn wir können es besser. Wir sind ein Sonderfall!

Wirklich? Was können wir denn besser? Schneller impfen vielleicht? Bessere Impfstoffe entwickeln? Haben wir wirkungsvollere Teststrategien? Ein lückenloses Tracing? Haben wir mehr Intensivstationen, bessere Ärzte und Pflegepersonal? Setzen wir verordnete Massnahmen besser um und durch? Die Antwort ist schnell gegeben. Nichts von alledem!Bestenfalls sind wir Mittelmass, schlimmstenfalls sind wir gescheitert. Wie begründet sich unser Sonderweg, über den das gesamte Ausland (ausser Bolsonaro vielleicht) den Kopf schüttelt, dann? Wissen unsere Politiker vielleicht mehr als die Wissenschaft? Mehr als alle übrigen Regierungen dieser Welt und mehr als wir alle? Wenn ja, dann sollten sie es uns sagen. Bisher scheint es aber eher als beugten sich unsere Verantwortungsträger dem Druck des Geldes und dem populistischen Geschrei der Sozialdarwinisten von $VP, Gastrosuisse und Arbeitgebern. Saubannerzüge werden wohlwollend geduldet und Krawalle herbeigeschrieben. Die Kapitulationsurkunde des Bundesrates hängt schon eingerahmt im Sekretariat der $VP-Parteizentrale – Kopien davon bei economiesuisse, Gastrosuisse und FDP. Vor lauter Kopfschütteln droht mir schon ein Schleudertrauma. Zurück bleiben Fragen. Wieso verschärft Deutschland (welches in etwa in der gleichen Lage ist, wie wir) seine Massnahmen im gleichen Augenblick, wo wir öffnen? Sind die Deutschen vielleicht krankheitsanfälliger, gar Mimosen? Impfen sie (noch) langsamer? Die vorliegenden Zahlen sagen etwas anderes. Das gleiche in Frankreich. Wieso meint Macron, Ausgangssperren würden etwas bringen, während wir es mit offenen Terrassen versuchen? Das gleiche Bild in einigen Bundesländern Österreichs und Italiens. Sind die alle blöd?

Oder sind wir vielleicht die Dummen? Die Vermutung liegt nahe, dass wir es am Ende sind. Ohne irgendwelche Horrorszenarien bemühen zu wollen – das erledigen die wissenschaftlich fundierten Prognosen der Epidemiologen von alleine – ist jetzt schon klar wer die Rechnung für diese Politik bezahlt. Wir alle! Vor allem aber alle unter 65, die man seit Wochen hängen lässt. Fehlt nur noch eine Lotterie für Impftermine. Denn sie zahlen es mit ihrer Gesundheit, dem Leben und Existenznöten. Über den zu erwartenden Reputationsschaden im Ausland, sei hier vornehm geschwiegen. Ein Tourist wird sich künftig zwei mal überlegen, wo er seinen Urlaub verbringt. So wie wir uns zieren mit der EU in einer vernünftigen Beziehung zu leben (Rahmenabkommen), so meinen wir auch bei Corona Rosinen picken zu können. Will heissen, wir tun das Minimum und erwarten das Maximum – die DNA unserer Politik seit Menschengedenken. Blöderweise ist das Virus aber kein Politiker, mit dem man dealen kann, sondern ein fieser Mistkäfer, der nur nach dem Gesetz des Überlebens funktioniert. Schlussfolgerung: Wir sind die Laborratten der Politik, die eine Wette auf unsere Zukunft abgeschlossen hat. Für einmal hoffe ich, sie gewinnen sie und ich habe unrecht. In solchen Zeiten sind solche Hoffnungen, wie Glühwürmchen in einer mondlosen Nacht.

Angeblich soll bei Angst in der Nacht, lautes Singen helfen. So betrachtet sind die Lockerungen für Chöre weitsichtig. Vielleicht hilft uns ja lautes Singen über die nächsten Monate hinweg. Besser allerdings wäre Turbo-Impfen, vorsichtig bleiben, Menschenansammlungen meiden, geschlossene Räume sowieso und draussen viel frische Luft tanken. Eigenverantwortlich, wie es so schön heisst. Support von Wirtschaft und Politik können wir dabei nicht erwarten. Es bleibt nur der Selbstschutz und die baldige Abwahl jener, die uns das einbrocken. Wer sich aber zufälligerweise oder weil er muss, an einen Hotspot oder in die Stadt verirrt, kann nur noch beten, singen oder flüchten. Als wollten wir der Welt beweisen, wie sonderlich wir sind, tun wir alles für unseren Sonderfail.

12. 09. 2020: Begrenzt

Die Grenze „bin“ ich. Seit Jahrzehnten wohne ich am Nordrand der Schweiz an der Grenze zu Deutschland. Die Grenze verläuft direkt am Dorfrand. Auf drei Seiten liegen Deutsche Gemeinden. Zur Schweiz führt genau eine Strasse über eine Brücke über den Rhein. Meine Enkel haben einen europäischen Pass. Meine besten Freunde kommen aus Spanien, Montenegro, Deutschland und Slovenien. Meine Nachbarn aus dem Osten der Slowakei, aus Singapur und Leipzig. Theater spiele ich mit Kollegen aus Brandenburg und Stuttgart. Meine Mieter kommen und kamen aus Sachsen, Uruguay und Alaska. Meine Zahnärztin aus München. Meine Pflegetochter aus Berlin. Ich coache Lehrlinge aus Kurdistan, Albanien, Amerika und Serbien. Beim Aufbau der Bühne helfen Asylbwerber aus Eritrea und im Geschäft hatte ich Kollegen aus Frankreich, Italien, Polen, Deutschland, Amerika und Südafrika. Beruflich war ich von Portugal bis Schweden in fast allen EU Staaten und selbstverständlich immer wieder in den USA. Bunt gemischt, international, vielfältig. Ein Leben im Herzen Europas, in der Schweiz zur Jahrtausendwende. Multikulti mokieren „böse“ Zungen. Zu viel ist zu viel, malen sie auf Plakate und möchten eine „Idylle“zurück, die es nie gab. Eine Idylle, wo man unter sich bleibt, ohne fremde Gerüche, Sprachen und Hautfarben. Eine Idylle in den eigenen Grenzen, den eigenen 4 Wänden.

An diese erinnere ich mich noch gut. Es waren die 60iger-Jahre. In unserem Dorf gab es genau einen Ausländer – einen Italiener. Er schob sein Velo Tag für Tag an unserem Haus vorbei. Hoch an den Waldrand des Irchels, wo er morgens und abends die Kühe versorgte, in einer schäbigen Kammer hauste und tagsüber, unten in Flaach Steine schleppte und Zement rührte. Er sprach leidlich Deutsch und erzählte uns oft von seiner Familie in den Abruzzen. Gesehen haben wir diese nie, denn er war Saisonnier. Kurz vor Weihnachten verschwand er und tauchte jeweils im April wieder auf. Frau und Kinder war der Aufenthalt in der Schweiz verwehrt. Irgendwann in den frühen 80iger-Jahren war Schluss. Santo kam nicht mehr. Es ist als hätte es ihn nie gegeben. Das Dorf meiner Kindheit im Flaachtal war nun wieder ausländerfrei und will es offensichtlich bleiben. Die Wahlresultate und Abstimmungsplakate am Dorfrand, lassen keinen anderen Schluss zu.

Seit 50 Jahren – seit der berühmten Schwarzenbach-Initiatve von 1970 – dominiert ein Thema die Schweizer Politik: Ausländer! Die Europäische Union steht dafür sinnbildlich. Ausländer und EU scheinen für viele das gleiche zu sein – lästig! Die Details der meist wüsten Kampagnen rund um Abstimmungen und Wahlen, die verbreiteten Lügengeschichten und hässlichen Debatten lasse ich hier beiseite. Sie dürften allen sattsam bekannt sein. Die Neuauflage, welche am 27. September – nun bereits zum 15. mal – zur Abstimmung kommt, ist nicht nur Ärgernis, es macht auch müde. Zu viel ist zu viel und genug ist genug! Über die einseitige Plakatflut im Zürcher Weinland habe ich mich schon ausgelassen. Das unverlangt zugeschickte „Extrablatt“ ging in Rauch auf, die zurechtgelogenen Statistiken liegen im Papiercontainer und in den Sozialen Medien tobt sich der Mob, sekundiert von Bundesratskandidaten, National- und Ständeräten, über Asylanten, Migranten, Sozialhilfeschmarotzer und Kriminelle aus. Die üblichen Lügen, die übliche Hetze, die üblichen Heilsversprechen. Diesmal versprechen sie uns staufreie Fahrt und ängstigen uns mit Betonburgen.

Man könnte also zur Tagesordnung übergehen und den bitteren Kelch an sich vorüberziehen lassen. Der 28. September kommt auch ohne, dass ich mich grün und blau ärgere. Leider aber ist es nicht so einfach. Es steht zu viel auf dem Spiel. Und damit meine ich nicht einfach die Bilaterialen Verträge I, welche seit 1999 unser Verhältnis mit unserem wichtigsten wirtschaftlichen Partner – der EU, also unseren Nachbarländern – regeln, sondern auch die Auswirkungen auf die Zukunft unserer Kinder und Enkel. Ein paar Fragen seien deshalb erlaubt.

Geht es wirklich um eine Begrenzung der Zuwanderung? Wie war das zu den goldenen Zeiten, als wir die „Zuwanderung“ noch selber steuerten – also zu jener Zeit, als Santo sein Velo allabendlich hoch zum Irchel schob? Kamen da weniger Ausländer in die Schweiz? Im Gegenteil – die Firmen rekrutierte sogar über eigene Agenturen, ganz direkt Arbeitskräfte im nahen Ausland – sie brauchte sie für den Bau von Staumauern, Strassen und in den Fabriken! Der einzige Unterschied: Die „Fremdarbeiter“ hatten deutlich weniger Rechte als heute. Abzulesen auch daran, dass viele unserer „Secondo“-Freunde bei den Grosseltern in Italien, Portugal, Jugoslawien oder Spanien aufwuchsen, da sie in der Schweiz nicht willkommen waren. Einem Saisonnier war der Familiennachzug verboten. Als billige Arbeitskraft willkommen – ansonsten diskriminiert.

Wollen wir diese Zustände zurück, über die der Schriftsteller Max Frisch, schon 1961 sage: „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen!“ Wenn man der Abstimmungspropaganda glaubt, ja. Wenn man Frau Martullo-Blocher zuhört, wird schnell klar, sie will über Löhne, Aufenthalt, Qualifikation und Rechte ihrer Angestellten frei von Gewerkschaften und verpflichtenden Staatsverträgen entscheiden. Es geht einzig um den Abbau des rechtlichen Schutzes der Arbeiter und Angestellten – auch jenen der Einheimischen, welche durch die flankierenden Massnahmen vor Lohndrückerei geschützt sind. Über die Anzahl und Herkunft der „selbst gesteuerten Zuwanderung“ lässt sich diese Partei aus guten Gründen nicht aus. Frau Martullo-Blocher sucht derweil ihre Fachkräfte im Ausland. Zuwanderung à la carte!

Die Frage, was hier eigentlich begrenzt werden soll, ist darum schnell beantwortet. Unsere Rechte, die Zukunft unserer Enkel und Kinder und unsere Verpflichtungen gegenüber unseren Nachbarn. Treibende Kraft ist der grenzenlose Egoismus einer kleinen Clique, die uns und unser Land in Geiselhaft nimmt für ihre eigennützigen Interessen. Setzen wir dieser Gier zu 15ten mal eine Grenze und stimmen am 27. September NEIN zu dieser verlogenen „Begrenzungs“-Initiative. Zu viel ist zu viel und genug ist genug!